Am Anfang gab es Pflegesätze

Das Recht des Menschen auf eine angemessene medizinische Versorgung wird von Artikel 1 des Grundgesetzes erfasst. Was aber, wenn kranke Menschen auf ein krankes Gesundheitssystem treffen? Heute beleuchtet www.bloghaus.eu die Finanznöte der Krankenhäuser.

Kostenfaktor Klinikbett: Über die Zahl der Bettemn für Vor- und Fürsorge wird heftig gestritten. Foto: Sassi/Pixelio

Die Finanzierung der Krankenhäuser ist gekennzeichnet von verschiedenen Phasen.
Nach Kriegsende war die Situation der Krankenhäuser infolge der Kriegsschäden insbesondere geprägt durch einen Bettenmangel. Es bestand die sogenannte „monistische Finanzierung“, sowohl die Betriebskosten (Löhne, Sachkosten etc.) als auch die Investitionskosten (Um- oder Neubauten, größere Anschaffungen) mussten über die Pflegesätze finanziert werden, die von den Krankenkassen an die Kliniken ausgezahlt wurden. Krankenhausträger und Länder mussten hohe Summen zuschießen, damit die Krankenhäuser überhaupt betriebsfähig blieben.

Duale Finanzierung

Dies änderte sich 1972 nach einer Grundgesetzänderung, mit der das Prinzip der dualen Finanzierung eingeführt wurde. Die laufenden Betriebskosten – also alle Ausgaben für die Behandlung von Patienten die etwa 90 Prozent der Gesamtkosten umfassen – wurden fortan durch die Krankenkassen und die Investitionskosten durch die Länder und zunächst auch durch den Bund finanziert. Grundlage der Finanzierung der laufenden Kosten wurde das sogenannte Selbstkostendeckungsprinzip: Gewinne in Krankenhäusern waren gesetzlich verboten, Verluste mussten von den Kassen nachfinanziert werden.

Der Bund steigt aus

Die nächste Phase der Finanzierung der Krankenhäuser von Mitte der 80iger Jahre bis 2003 war gekennzeichnet von immer mehr Markt, also dem Streben nach wirtschaftlichem Erlös und bereitete damit das Fallpauschalen-System quasi vor. 
Der Bund stieg aus der Investitionsförderung aus. Sie ist seitdem nur noch Ländersache. 
Neben den Tagespflegesätzen wurden sogenannte Sonderentgelte für bestimmte Leistungskomplexe (z.B. Herzoperationen) gezahlt sowie eine begrenzte Zahl von Fallpauschalen eingeführt, also eine Vergütung für die gesamte Behandlung einer bestimmten Erkrankung. Die Pauschalen wurden nicht auf das Budget angerechnet und auch außerhalb der 1993 eingeführten Budgetdeckelung gezahlt, wonach die Gesamtausgaben der Kassen für Krankenhäuser nur noch im Gleichschritt mit ihren   Einnahmen steigen durften.
Die Zahl der Sonderentgelte wurde im Lauf der Jahre immer weiter erhöht, sodass schon damals (noch vor der endgültigen Einführung der Fallpauschalen) ein erheblicher Anreiz zur Leistungsausdehnung und zur Kostensenkung (inklusive der gekürzter Verweildauer) bestand, weil so Zusatzeinnahmen generiert werden konnten.

Vergütung nach Diagnose

Dieses endgültige Fallpauschalen-System wurde 2004 eingeführt mit dem Ziel der Effizienzsteigerung. Durch eine leistungsgerechte und transparente Vergütung sollten die die wirtschaftlichen Schwachstellen der zuvor gültigen Abrechnung nach Tagessätzen ausgemerzt und eine Verkürzung der Verweildauer der Patienten erreicht werden. 

Zur Vertiefung:

https://www.krankenhaus-statt-fabrik.de/download/KH_statt_Fabrik_Broschuere_2020.pdf

Die Krankenkassen erstatten den Kliniken ihre Behandlungskosten seitdem nach dem sogenannten DRG-System (Diagnosis Related Groups). Dies bezeichnet ein Klassifikationssystem für ein pauschaliertes Abrechnungsverfahren, mit dem Krankenhausfälle anhand von medizinischen Daten Fallgruppen zugeordnet werden. Grundlage hierfür ist ein Katalog mit mehr als 1.200 Fallpauschalen, die vorgeben, wie viel für welche Leistung abgerechnet werden kann. Die Vergütung richtet sich fast ausschließlich nach der Diagnose; die tatsächliche Behandlungsdauer und der Personalaufwand spielen nahezu keine Rolle. Danach bekommen Krankenhäuser also je nach Leistung unterschiedlich viel Geld von den Kassen. Für eine Blinddarmentfernung gibt es beispielsweise circa 2.350 Euro, eine Lebertransplantation kann mit etwa 32.000 Euro abgerechnet werden.

Die DRG-Vergütungen sind Festpreise, bei denen es ökonomisch sinnvoll ist, die Kosten zu senken und die Leistungsmengen auszudehnen. 
Ein notwendiger Bestandteil der Kostensenkung und der Leistungsausdehnung sind deshalb auch die Liegezeitverkürzungen. Tatsächlich hat sich die durchschnittliche Verweildauer in allgemeinen Krankenhäusern mit der Umstellung der Finanzierung deutlich verringert: von 9,2 Tagen im Jahr 2000 auf 6,6 Tage im Jahr 2019.

Zur Vertiefung:

https://www.quarks.de/gesundheit/medizin/zwischen-profit-und-patientenwohl/

Allerdings wurde spätestens vor 10 Jahren bereits deutlich, welche fatalen Fehlanreize dieses System setzt: Krankenhäuser verdienen vor allem mit gut vergüteten Spezialbehandlungen wie Hüft- oder Knieprothesen und dem Streben nach möglichst kurzen Patienten-Aufenthalten. Weniger spezialisierte Behandlungen mit langen Liegedauern (etwa ein akuter Atemwegsinfekt, bei dem der Patient vor allem überwacht werden muss) wurden zum Minusgeschäft.

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