Sahra Alice Weidelknecht
– Eine deutsche Groteske –
Von Fabian Ernst
„Ein echtes Wunder!“ – Sommer 2025
Ruhig und friedlich ragen sie in den freundlichen Sommerhimmel – die Türme des Kölner Doms, des UNESCO-Weltkulturerbes. Die Spitzen des gewaltigen Bauwerks glänzen in der reinen Morgensonne, beeindruckende 157 Meter hoch. Es ist früher Samstagmorgen; Vögel zwitschern, vor der Domplatte kurvt ein erster Bus voller Touristen in die Parkbucht, Menschen steigen aus.
„Come on, come on“, ruft die junge Reiseleiterin. Sie hält ein hellgrünes Fähnchen in die Höhe und sammelt ihre Gruppe, ein kurzer einleitender Vortrag vor der Westfassade, dann machen sich die 30 Gäste auf den Weg zum Hauptportal. Hinein geht es in die Dunkelheit, nach einigen Sekunden haben sich die Augen an das ewige Dämmern im Kirchenbau gewöhnt. Schnell richten sich die Blicke nach vorne auf die leuchtenden Kirchenfenster im gotischen Chor, kraftvoll durchschlägt das frühe Licht den leicht dunstig wirkenden Raum. Die Touristen sehen den Dom vor allem durch die Objektive ihrer Handykameras, keiner nimmt sich die Zeit, die atemberaubende Wirkung des Baus in Ruhe zu genießen. Wie klein der Mensch, wie groß doch Gott!
Die Leute laufen durch das gigantische Mittelschiff. „Okay, we stop here!“, ruft die junge Frau vom Tourismusbüro. Die Gäste hören von den Heiligen Drei Königen und davon, dass der Dom nach wie vor als das Nationalsymbol Deutschlands gilt. Selbst den Bombenhagel der Alliierten im Zweiten Weltkrieg habe das Bauwerk scheinbar unbeschadet überstanden – obwohl der Rest der Stadt größtenteils in Schutt und Asche versunken sei. „Ein echtes Wunder! A real miracle!“, ruft sie noch. Und es sollten die letzten menschlichen Worte sein, die in diesen Hallen zu hören sind. Denn es rumort aus der Tiefe, der Boden schwankt leise. Ein großes Grollen hebt an, ein mächtiges Grollen, niemand weiß, woher es kommt. Es scheint links und rechts zu sein, gleichzeitig auch hinten und vorne, unten und oben. Dem Grollen folgt kurze Stille. Dann bersten Säulen, brechen Mauern, krachen Fenster, fallen alle Türme. Ein einziges langes Wüten, Tosen und Sterben.
Bis zu diesem Moment zeugte der Kölner Dom von der Allmacht Gottes. Als alles vorüber ist, zeugen Leichen und Trümmer von der Allmacht des Terrors.
Erfurt am Tag danach
Sahra Alice Weidelknecht nutzt die Gunst der Stunde: „Wir sind erschüttert. Wir sind ins Mark getroffen. Tief getroffen. Diese abscheuliche Tat ist ein grässliches, entsetzliches Verbrechen. Wir leiden, wir trauern, wir weinen. Und – liebe Freunde: Wir sind wütend! Sehr wütend! Asoziale islamistische Terroristen haben unseren Kölner Dom gesprengt! Undenkbar? Nein, nein, nein. Das war schon lange abzusehen! Wir wollten die illegale Migration schon immer stoppen und wurden dafür zuverlässig als rechtsradikal diffamiert. Alle sind sie über uns hergefallen – die angeblichen Demokraten! Und jetzt? Jetzt haben wir das bittere Ergebnis! Und die Verantwortlichen in der Regierung schweigen zu ihrem Versagen! Islamistische Terroristen haben zugeschlagen. Sie wollen Deutschland und unsere freiheitliche Demokratie zerstören. Uns in die Knie zwingen. Das Kalifat errichten! Aber wir werden nicht aufgeben. Steine mögen brechen. Aber unsere Herzen bleiben stark, sie brechen nicht. Niemals. Wir lieben Deutschland. Wir lieben unsere Heimat! Den Kölner Dom. Wir werden entschlossen handeln. Unsere Heimat gehört uns. Die lassen wir uns von keinem kaputtmachen!“
Die Menschen auf dem Erfurter Marktplatz schreien mächtig auf und jubeln, sie sind zutiefst aufgewühlt. Noch ist die Sonne nicht untergegangen, ein lauer Sommerabend, aber schon verwandeln starke Scheinwerfer den gesamten Platz zu einer gigantischen Freilichtarena. Tausende sind gekommen. Der Platz ist überfüllt, viele Normalos drängen sich vor der hellerleuchteten Bühne. Viele ältere Männer, schüttere Haare, verhärmte Gesichter, hartes Leben. Viel aufgestaute Wut. Zunehmend tauchen aber auch junge Männer und Frauen bei den Wahlkampfauftritten der Bewegung Weidelknecht auf, die offen sind für neue Ideen.
KrankenDie Nachricht vom Attentat auf den Kölner Dom hat ganz Deutschland in eine Schockstarre versetzt, die aber schnell Empörung und Hass auf Ausländer gewichen ist. Die ersten aus dem Publikum johlen „Deutschland, Deutschland endlich raus!“ Zahllose Ordner der Bewegung mit ihren „Sahra-Alice-Armbinden (abgekürzt: SA) beobachten gemeinsam mit einigen Hundertschaften Polizisten die Menge. Einige haben sich auf den Dächern platziert und nehmen alles mit ihren Body-Cams auf. Sicherheit ist Trumpf. Wer auch immer in die Innenstadt will, muss sich einer aufwendigen Leibesvisitation unterziehen. Sahra Alice Weidelknecht steht mit strengem Gesicht auf der Bühne, vor sich das Rednerpult mit Mikrofon. Sie ist ganz in ihrem Element:
„Heimat? Ja! Aber das ist nicht mehr unsere Heimat. Oh nein! Viel zu viele Parasiten, die unser Sozialsystem ausnutzen. Wir haben jahrzehntelang gezahlt, sie plündern unsere Kassen! Sie kriegen beim Zahnarzt kostenlos die Zähne gerichtet, wir warten monatelang auf einen Termin und zahlen uns dumm und dämlich. Schaut in die Fußgängerzonen der Innenstädte: Überall herumlungernde Ausländer und faule Paschas. Es wimmelt davon. Millionen Ausländer. Nehmen uns die Jobs weg. Sie vergiften unser Blut! Sie kriegen von uns Bürgergeld und kaufen dafür Sprengstoff! 30 Tote! Zahllose Verletzte! Wir trauern um die Opfer sind mit unseren Gedanken bei den Hinterbliebenen. Aber ich sage Euch: Köln ist überall. Überall! Es reicht. Sie müssen raus. Alle! Es ist höchste Zeit, dass wir gemeinsam – die schweigende Mehrheit – unsere Stimme laut und deutlich erheben. Wir müssen sie endlich loswerden. Deportationen jetzt!“
Im Verlauf der frei vorgetragenen Rede ist ihr Ton schärfer geworden. Sahra Alice gibt dem Affen Zucker. Das Deutschland-Gejohle wird lauter, die Leute kommen auf Touren. Sie schwenken ihre Deutschland-Fahnen, dazu Transparente mit Weidelknechts Konterfei und der Aufschrift in Fraktur: „SA“. Hin und wieder ist ein rotes Banner mit Hammer und Sichel zu sehen. Weidelknecht ist wie immer top gestylt: Ihre blonden Haare streng nach hinten frisiert, nicht zu hohe Hackis, blauer Hosenanzug, weiße Bluse, Perlenkette. Tadellose Beine, gepflegte Hände, wie aus Marmor geschlagen. Einfach umwerfend also. Absolut mediengerecht und sexy.
„Erfurt, Hanau, Rostock, Frankfurt, Berlin – egal wo: Die stinkenden Kameltreiber sollen dahin zurückgehen, wo sie hergekommen sind. Zurück nach Syrien, Pakistan, Afghanistan oder in die Türkei. Zurück an den Sambesi. Keine Ausnahmen. Wir indigenen Deutschen sind hier doch schon längst in der Unterzahl. Wir werden längst wie Menschen zweiter Klasse behandelt. In unserer eigenen Heimat! Wir müssen uns wehren! Denn der „Große Austausch“ ist längst im Gange. Wir wollen unser gutes Deutschland wiederhaben. In Frieden und ohne Furcht in den Gottesdienst gehen. Wo sind wir hier eigentlich!? Wählt unsere Bewegung bei der Bundestagswahl, wir machen die Grenzen dicht und schicken den ganzen Pöbel zurück in die Steppe! Zurück in den Neger-Kral! Ab damit zurück ins Schlauchboot, ab in den Flieger! Illegale Migranten schicken wir nach Hause! Und den Rest auch. Ohne Handgeld natürlich. Und damit wir uns recht verstehen: Dabei darf in Notwehr auch geschossen werden.“
Das ist genau der Stoff, auf den die Menge gewartet hat. Endlich die klaren Ansagen. Hier spricht das Original. Sie träumen in jeder Nacht von Schüssen auf Wehrlose. Auf den Straßen, in den Wohnheimen. Alles kleine Amokläufer und Apokalyptiker – nur ohne Waffen. Noch. Aber wo kommt er nur her, dieser Hass? Was sind das für Leute, die ihre Wut und ihren Zorn auf ihr eigenes Versagen an anderen auslassen wollen? Bevorzugt an Menschen, die anders aussehen, anders denken und schwächer sind als sie selbst? Nie sind sie selbst schuld, tragen nie Verantwortung. Schon gar nicht für ihr eigenes Leben. An allem ist die Regierung schuld. Die Grünen, die SPD, die Ausländer. Okay, vielleicht nicht ganz in dieser Reihenfolge. Aber alles werten sie als unerträgliche Zumutung, ach, sie sind so herrlich gerne beleidigt.
Nun, mein Job ist es, der Menge immer neues Futter zu liefern. Manche sagen „Spin Doctor“ zu mir. Ich selbst sehe mich eher als Tatortreiniger, der das Massaker zuvor selbst angerichtet hat. Skandale, Emotionen, Sensationen – das ist mein Job. In immer neuen Variationen, mit immer neuen, leicht veränderten Details. Aber eigentlich muss die immer selbe Geschichte nur ein wenig weiter gedreht werden. Immer einen Tick weiter. Also: Ich mache Kommunikation. Und Kommunikation ist Krieg. Es ist so entsetzlich einfach. Die Leute glauben den letzten Unsinn. Weil sie es glauben wollen. Alles für Sahra Alice Weidelknecht.
Sie wollen Leichen sehen
Früher dachte ich immer, die Menschen sind gut. Leben und leben lassen. Bis auf wenige Ausnahmen hat mir niemand absichtlich weh getan. Wirklich. Na gut, da gab es einige übereifrige Alpha-Männchen, die aus Unsicherheit auf die harte Tour die große Karriere machen wollten und über Leichen gingen. Eigentlich wollten sie alle nur Liebe. Geschenkt. Aber wenn ich mir das Volk vor mir anschaue, stirbt der Wunsch nach Liebe abrupt ab. Die hier wollen Leichen sehen. Hier wird mir klar, dass die Spezies Mensch tatsächlich das gefährlichste aller Raubtiere ist. Alle Fressfeinde hat diese erstaunliche Bioform im Lauf der Jahrmillionen überwunden. Warum? Weil der Mensch in der Lage ist, gemeinschaftlich zu arbeiten und auch über weite Entfernungen hinweg zu kooperieren. Weil der Mensch auch an die dümmsten Geschichten glaubt und bereit ist, dafür zu sterben und zu töten.
Warum ist die Bewegung so stark geworden? Wollt ihr meine Meinung hören? Nun gut: Die Schuld liegt zum großen Teil an den etablierten Parteien. Jahrelang haben sie sich gefragt, wie die kleine Splittergruppe von Sahra Alice Weidelknecht wieder verschwindet. Echt eklig – also weg damit. Aber niemals haben sie sich gefragt, warum die Bewegung eigentlich da ist! Jetzt sind sie selbst Splittergruppen und suhlen sich in Selbstmitleid. Ach so: Mein Name tut nichts zur Sache. Ich bin der geborene zweite Mann, die Stimme aus dem Off. Wie Paulus – Ihr dürft entscheiden, ob General oder Apostel. Ich stehe fünf Meter hinter Sahra Alice Weidelknecht, an eine der vielen Bühnenstreben gelehnt, und höre aufmerksam ihrer Rede zu. Hin und wieder checke ich eingehende Mails mit Neuigkeiten. Sie ist eine intellektuell brillante Frau, die kein Wort von dem glaubt, das sie der Masse auftischt – und dennoch die Menschen überzeugt. Sahra Alice Weidelknecht verfügt über eine extrem rasche Auffassungsgabe; im Gegensatz zu den meisten ihrer sogenannten Parteifreunde. Das sind größtenteils kleine Lichter, die tatsächlich an das glauben, was im unendlich peinlichen Programm ihrer Bewegung steht. Endlich können sich mit gutem Gewissen in ihren Ressentiments suhlen.
Der Marktplatz ist rundum mit riesigen roten Bannern geschmückt. Ein schwarzer Kreis, darin in schwarzer Farbe: „SA“. Jedes Banner wird von unten mit Vari-Lights beleuchtet, was einen beeindruckenden Effekt ergibt. Überall hängen Fahnen, Verstärker tragen Sahra Alice Weidelknechts Stimme weit über den Platz. Die Anhänger rufen begeistert:
„Sah-ra A-lice! Sah-ra A-lice! Sah-ra A-lice!“
Und gleich danach noch lauter:
S-A! S-A! S-A! S-A! S-A!
Sie sehen jetzt beseelt aus, glücklich. Sie glauben wieder. An eine bessere Welt, an eine Utopie, in der alles so ist wie früher vor 50 oder 90 Jahren – je nachdem. Sie wünschen es sich so sehr; ihr Leben schmerzt tief in der Brust, jeder Atemzug ist eine Qual. Sie sind verwirrt, haben jeden Halt in dieser Welt verloren. Überall nur Veränderung und Chaos, endlose Kausalketten, alles hängt mit allem zusammen. Die Leute hier allerdings, sie brauchen Gemeinschaft und Sündenböcke. Klare Zuschreibungen. Drinnen und draußen. Alles muss leicht, klar, verständlich sein. Sie sehnen sich nach einer Zeit, in der es noch einfach war, ein einfacher Mann zu sein.
Sahra Alice Weidelknecht ist der Star der Bewegung. Sie hat eine gute, wohlklingende Stimme, spricht ruhig und macht an den richtigen Stellen die passenden Pausen. Sie kann laut und leise, sie kann scharf und ironisch. Begegnet ihr etwas Unerwartetes, reagiert sie stets mit einem harten Blick; aber sofort darauf nehmen ihre Züge wieder freundliche Formen an. Sie ist perfekt trainiert, nichts durchbricht ihren Panzer. Mich kann sie nicht täuschen, innerlich ist sie kalt wie Eis. Ohne Zögern würde sie sich mit nacktem Hintern auf einen Eisblock setzen, wenn es nur ihren Zielen förderlich wäre.
In meinen Träumen sehe ich sie in einer knappen SS-Uniform mit Totenköpfen am Revers, wie sie geschwächten, unterernährten Kindern in einem KZ irgendwo in den Tiefen Polens mitleidslos die Todesspritze injiziert; ungerührt von den brechenden Blicken der Kleinen. Ungefähr so jedenfalls geht sie täglich mit ihren Parteifreunden um. Das muss sie auch, denn ansonsten wäre sie als Frau in dieser lächerlichen Alte-Herren-Macho-Truppe schon längst weg vom Fenster. Viele von ihnen glauben fest an den bevorstehenden Weltuntergang. Die Ruinen des Kölner Doms passen daher ganz hervorragend in ihr zerrüttetes Weltbild – was für eine irre Horrorshow. Die vielen Attacken aufgehetzter und traumatisierter Jungislamisten aus irgendwelchen Kriegsgebieten mit Messer, Hackebeil oder Machete haben für alles Weitere den Boden bereitet.
So langsam müsste Sahra Alice Weidelknecht zum Abschluss ihrer Rede kommen, die Zeit drängt, bald haben wir ein Meeting mit dem Meinungsforscher im Sheraton-Hotel, aber sie hat noch nicht genug und verlängert noch die rituelle Ausländer-Beschimpfung:
„Alle straffälligen Ausländer müssen ausgewiesen werden. Wenn wir an der Macht sind, werden wir sie alle in ein sicheres Drittland schicken. Jetzt ist Schluss! Dort werden sie Augen machen: Ihnen wird dort nichts mehr geschenkt, sie werden endlich für ihr Brot hart arbeiten müssen. In einer Umgebung, die ihnen keinen Spaß bereitet. Das verspreche ich Euch! Die Verhandlungen laufen schon – und es wird funktionieren. Wir werden unseren deutschen Pass jedenfalls nicht mehr jedem Asyl-Betrüger kriecherisch hinterherwerfen. Ich sage es ganz klar: Schluss mit den deutschen Selbsthass! Deutschsein ist für uns keine Option unter vielen. Deutschsein ist eine ganz bewusste Wahl! Die beste Wahl! Die einzige Wahl! Schluss mit der doppelten Staatsbürgerschaft. Deutsche Pässe endlich nur in deutsche Hände!
Sahra Alice Weidelknecht atmet tief durch. Mit jedem ihrer Worte ist zu spüren, dass es bei ihr ums Ganze geht. Weltpolitik! Oh nein, sie beschäftigt sich nicht mit langweiligen Satzungsfragen in irgendwelchen irrelevanten Ortsverbänden, wo sich in verranzten Hinterzimmern fette alte Hippies und biedere Genossen stundenlange Wortgefechte um Nichts liefern. Es geht immer um den großen Wurf. Aber das ist nur die Hälfte der Wahrheit: Sahra Alice Weidelknecht hat mich vom ersten Moment an fasziniert. Sie ist erstaunlich souverän, redegewandt, durch und durch populistisch, ungeheuer sexy, nationalistisch, ausländerfeindlich und ganz offenbar auch restlos schizophren. Makellos gepflegte Hände – mit denen sie jederzeit und ohne jede Vorwarnung einen tödlichen Handkantenschlag ausführen könnte. Sie zieht Menschen jedenfalls magisch in ihren Bann. Sie kann strahlen. Bei unserem Kennenlernen vor drei Jahren in Berlin ließ sich mich sprachlos und mit nur einem einzigen Wunsch zurück: Ihr zu dienen! Ihr! Zu dienen! Aus Liebe! Ihr Charisma – einfach atemberaubend, welch überirdische Erscheinung. Tja, was soll ich sagen? Ich liebe einfach starke Frauen.
„I once had a girl – or should I say – she once had me“ (John Lennon)
Zweifellos weiß sie, wie es um mich steht. Aber es spielt keine Rolle für sie. Wir haben nie ein Wort darüber verloren. Jedenfalls bin ich in ihrem Wahlkampfteam gelandet. Ich wollte Teil von etwas Großem sein, endlich mal auf der Siegerseite stehen, eine Perspektive haben und erfolgreich sein. Die innerliche Leere überwinden. Und eines kann ich mit Fug und Recht behaupten: Seither ist mein Leben kein langer, ruhiger Fluss mehr. Es ist eine rasende Floßfahrt über wilde Stromschnellen, ein krasser Abenteuerurlaub auf dem Todesstern, eine wilde Geisterbahnfahrt mit echten Horrorfiguren – das alles kombiniert mit einem erstaunlich gut dotierten Vertrag. Geld war in der Bewegung offenbar nie ein Problem – und ich frage mich seit längerem, warum eigentlich? Kommt die Kohle von der Großindustrie wie einst bei Dolferl oder dem konservativen Bürgertum? Kleinspender? Sollten die …. ihre Finger im Spiel haben? Oder gar die …. Keine Ahnung! Aber ich werde es bestimmt bald herausfinden.
Inhaltlich ist mir das SA-Bewegungs-Gesülze gleichgültig. Reiner Wortbrei. Hier werden keine Probleme gelöst. Es werden immer nur Sachverhalte zu Problemen aufgepumpt und medial verbreitet. All das hat rein gar nichts zu bedeuten. Oft genug betrachte ich mich aus Künstler, der von höherer Warte aus erstaunt ist, mit welchem Unfug man die politische Debatte dominieren und die grässlich barbarischen Instinkte der Leute in Wallung bringen und in die passende Richtung steuern kann. Es ist so einfach. Trotzdem stört es mich ein wenig, wenn Sahra Alice Weidelknecht mit ihrer ziemlich abgegriffenen „Blutvergifter“-Nummer auftritt und verzweifelte Menschen als Parasiten diffamiert. Das ist für mich als Wortkünstler arg alte Welt, aus ästhetischen Gründen schon seit knapp 2.000 Jahren leicht muffig. Außerdem haben die Nazis ziemlich lange auf dem Thema herumgetrampelt. Davon sollte man besser die Finger lassen. Da kann man ja gleich „Kindermörder“ oder „Brunnenvergifter“ rufen. Echt peinlich! Damit will ich nichts zu tun haben. Ich muss demnächst mal mit ihr ein ernstes Wörtchen wechseln. Ganz bestimmt. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Aber ja, ich weiß: Viele aber finden das jetzt richtig prima, es ist wieder mächtig en vogue geworden, warum auch immer. Aber hey: Egal. Ich sollte nicht allzu lange darüber unnütz nachdenken. Was soll’s! Wir sind schließlich Profis und wollen die Macht!
Jetzt kommt Sahra Alice Weidelknecht zum Ende. Jetzt kommt der visionäre Part; immer wieder gerne aufgeführt. Denn dabei ist sie Schamanin und Heilerin, Führerin, Beichtmutter und Orakel zugleich. Die Leute lieben es. Mit drängender Stimme spricht sie:
„Glaubt mir: Es dauert nicht mehr lange. Die Versager in Berlin werden ihre Quittung bekommen. Ganz bestimmt. Radikal und ohne Gnade. Jetzt erst recht. Sie kriegen nichts auf die Reihe. Sie schaffen keinen einzigen Ausländer zurück über die Grenze. Raus mit den ganzen Terroristen! Millionen müssen verschwinden! Deutsche Frauen dürfen keine Angst mehr haben, wenn sie auf die Straße gehen. Wir müssen endlich durchgreifen.
Überhaupt sind sie unfähig: Mit ihrer Bürokratie und den ganzen Verboten lähmen sie alles, sie machen die Wirtschaft kaputt, die Sanktionen gegen Russland schaden nur uns alleine. Gemeinsam mit den USA haben sie uns in den Krieg in der Ukraine gehetzt. Das muss ein Ende haben. Friedensangebote werden ignoriert! Aber wir – wir wollen Frieden! Ja, sie lügen und betrügen uns. Abgehoben und elitär. Ohne Sinn und Verstand.
Was haben sie in den vergangenen Jahren mit ihrer Mehrheit im Bundestag beschlossen? Das Aus für die Atomkraft! Wir kaufen den atomaren Saft jetzt teuer in Frankreich und Polen ein! Die Gleichstellung! Ja, die paar Transen freuen sich. Und was noch? Was noch? Die Freigabe von Cannabis. Das war allerdings wirklich sinnvoll: Denn mal ehrlich: So eine Politik kann man wirklich nur bekifft ertragen!“
Die Leute fahren voll drauf ab, wenn sie die Bundesregierung zum Höhepunkt ihrer Rede als haltloses Rudel restlos verblödeter Irrer geißelt. Nett ist das nicht, aber darauf kommt es schon lange nicht mehr an; Wahrheit hält nur auf und stört. Längst ist nichts mehr wirklich wahr. Und gleichzeitig ist alles möglich. Die Schlacht um die Gunst der Wähler im Internet und im Fernsehen wird jedenfalls nur noch mit Emotionen und der permanenten Skandalisierung gewonnen. Sahra Alice Weidelknecht beherrscht dieses Spiel wie keine andere. Sie ballt ihre Faust und reckt den rechten Arm in den Himmel:
Wir werden siegen! Wählt uns bei der Bundestagswahl. Wählt das Original, nicht die faule Kopie! Wir sind die einzige Alternative für Deutschland. Die schlaffe, liberale Demokratie ist am Ende. Sie hat restlos abgewirtschaftet. Nur wir schaffen Ordnung. Bei uns zählt Volkes Stimme wieder. Terroristen raus! Wir schaffen endlich die wahrhaftige Demokratie und bereiten den Eliten in Berlin ein Ende. Wir arbeiten für alle Deutschen, die jeden Tag zur Arbeit gehen und ordentlich ihre Steuern zahlen. Ohne Wenn und Aber! Das verspreche ich Euch! Beide Stimmen für unsere Bewegung; und wir werden im Oktober Deutschland und die Welt verändern! Für immer!
Wie ein Showstar reißt Sahra Alice Weidelknecht die Hände nach oben, das Publikum tobt und feiert sie stürmisch. Anhaltende Ovationen. Sie dankt mehrfach, schreit noch:
„Es kommt auf Euch an!“ Und: „Wir schaffen das!“
Sie genießt Volkes Stimme. Minutenlang. Volkes Stimme ruft ununterbrochen im Wechsel: „Sah-ra A-lice“ und „Terroristen raus!“ Zu ihr nach vorne kommen jetzt Björn Deppe und Tino Dumballa – ihre Stellvertreter in der Bewegung. Taylor Swift oder Beyoncé würden nicht stärker umjubelt werden. Da fällt mir ein, da gibt es doch einen wichtigen Unterschied: Die Fans von Taylor Swift und Beyonce sehen leider deutlich besser aus und sind im Durchschnitt merklich jünger. Daran werden wir arbeiten müssen, wir brauchen dringend coole Influencer. Naja, da muss doch was zu machen sein! Ich trage den Merker „Coole Influencer“ in meine Handy-Notizen ein und studiere gleich danach die Mail unseres Meinungsforschers mit den jüngsten Umfrageergebnissen. Läuft! Darüber wird nachher zu reden sein. Weidelknecht, Deppe und Dumballa fassen sich an den Händen; strahlende Gesichter auf und vor der Bühne, Hochstimmung; danach macht Weidelknecht mit beiden Händen das Victory-Zeichen.
Immerhin geht es schon mal zu wie bei einem Rockkonzert. Ganz im Gegensatz zu den Versammlungen der politischen Konkurrenz, die man üblicherweise hoffnungslos und mit einer mittelschweren Depression verlässt. Im Hintergrund erklingt jetzt die Nationalhymne aus den Lautsprechern, der Rausschmeißer, wie immer bei den Veranstaltungen der Bewegung. Niemand singt mit, so viel Textsicherheit wollen wir dem Publikum dann doch nicht zumuten.
Sahra Alice Weidelknecht verlässt jetzt mit ihrer Entourage die Bühne und eskortiert von ihrer SA-Security wird sie zu einer Kolonne von schweren Limousinen geführt. Ab in das dritte Fahrzeug von vorne, erschöpft lässt sie sich hinein fallen, ich erhasche noch einen Blick auf ihr rechtes Bein, dann entere ich wie immer den ersten Wagen, mein Sitzplatz ist neben dem Fahrer. Leider steigt Tino Dumballa keuchend hinter mir auf den rechten Rücksitz. Besonders lächerlich empfinde ich seine stets viel zu kurz gebundene Krawatte; wo doch auch unhippe Leute seit vielen Jahren keine Krawatten mehr tragen. Vielleicht will er ja noch „Krawattenträger des Jahres“ werden – ein aussterbender Wettbewerb – und ich habe keinen Zweifel daran, dass die Krawattenindustrie skrupellos genug wäre, diesem vollkommenen ästhetischen No-Go diesen ausgelutschten Preis zu verleihen.
Nun gut. Vorne beim Fahrer denke ich wie immer in solchen Momenten an ein drohendes Sprengstoff-Attentat von irgendeiner militanten Antifa-Gruppe, Maschinengewehrfeuer aus irgendeinem Gebäude, ich denke an JFK und an Dallas; sogar an Donald Trump denke ich. Zum Glück fahren wir nicht in einem Cabrio, sondern in einem gepanzerten BMW, trotzdem notiere ich „Märtyrer“ und speichere den Eintrag im Handy. Wir könnten da wirklich mal jemanden gebrauchen, das muss ich demnächst mit Sahra Alice besprechen. Wie immer passiert während der Fahrt nichts, ich denke: „Die Antifa ist auch nicht mehr das, was sie früher mal war. Die junge Generation kann nur noch Kunstwerke beschmieren; für mehr reicht es nicht.“ Das befriedigt mich irgendwie, ein schmieriges Lächeln kriecht über mein Gesicht. Dumballa rülpst und ruft dann von hinten: „So viele Leute. Diese Begeisterung – es war fast wie ein Reichsparteitag!“ Ich antworte lahm: „Erfurt ist nicht Nürnberg.“. Dann brüte ich vor mich hin, während die Autokolonne mit bedenklich hoher Geschwindigkeit über menschenleere Straßen ins nahegelegene Hotel für den gediegenen Geschmack rauscht.
Später am gleichen Abend
Seit den Siegen bei den Landtagswahlen im Jahr 2024 ist Sahra Alice Weidelknecht eine richtig große Nummer. Höchste Sicherheitsstufe. In Thüringen die stärkste Kraft mit den meisten abgegebenen Stimmen, auch in Brandenburg und Sachsen geht nichts mehr ohne die Bewegung. Das stärkste Erdbeben in der Parteienlandschaft nach dem Zusammenbruch der DDR und dem Untergang der SED. Der beeindruckende Punktsieg bei der Europawahl war dagegen nur ein sanftes Vorspiel. Spätestens seit den Landtagswahlen aber weiß jeder, wo der Hammer hängt. Für die Bewegung ist das ein echter Booster: Endlich gibt es Posten und Geld in Hülle und Fülle. Von irgendwelchen „Brandmauern“ der Vergangenheit ist kurz nach den Wahlen nichts mehr zu sehen, die CDU macht sich als Juniorpartner ganz ordentlich und hackt seither noch stärker auf den Grünen herum.
Ja, die Grünen: Ihr Name taugt längst nur noch als Schimpfwort. Es ist wirklich erstaunlich, wie schnell man im Volksempfinden vom gefeierten Weltenretter zur dogmatischen Verbotspartei herabsinken kann. Dank sei den Hetzkampagnen der „Blöd“-Zeitung, der CDU, den Liberalen, den Russenbots und dem gesamten Internet. Seit den Wahlsiegen kann sich Sahra Alice Weidelknecht jedenfalls handverlesen erkenntlich zeigen. Genau darum geht es: Zum Schluss zählt nur loyales Verhalten. Klappe halten, Hacken zusammenschlagen und ohne jedes Murren auch wirklich jeden doofen Auftrag ausführen. Niemals öffentlich Kritik äußern, niemals intern querschießen, sich willig benutzen lassen. Aber warum sollte man auch nicht – wenn man so erfolgreich ist?
Wer das in den vergangenen Jahren kapiert und demonstrativ genug gehandhabt hatte, darf sich irgendwann über respektable Posten freuen: Da gibt es Minister, Staatssekretäre, Abteilungsleiter, dazu kommen Ministerialdirigenten, Regierungspräsidenten, nicht zuletzt auch Ausschuss-Vorsitzende, Landtagspräsidenten, Polizeipräsidenten und viele Posten in Rundfunkräten und Verbänden, dazu Chefredakteure und Leitungsfunktionen in diversen Landeszentralen der politischen Bildung, nicht zu vergessen die Aufsichts- und Beiräte von Sparkassen, Volksbanken und Stadtwerken – bis hinunter zu irgendwelchen Direktoren an Provinzgymnasien. Fast jeder Posten hängt in dieser Republik an Parteibüchern. Eigentlich eine Schande. Aber es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht: Denn mit den meinungsstarken Vertretern der Bewegung in zahllosen Gremien weht nicht nur durch die öffentlich-rechtlichen Medien ein restlos anderer Wind.
Die Atmosphäre der nächtlichen Treffen nach einen Auftritt von Sahra Alice Weidelknecht muss man sich vorstellen wie ein Meet-und-Greet nach einem Auftritt der Beatles während ihrer ersten Amerika-Tour. Unglaublich viele Leute drängen sich im Hotel, draußen auf den Straßen habe sich Hunderte von freiwilligen SA-Helfern versammelt, um mögliche Demonstrationen von irgendwelchen versprengten Linken schon im Keim zu unterbinden. Aber in Erfurt tauchen keine Gegendemonstranten auf – das Pflaster ist ihnen hier einfach zu heiß.
Die Präsidenten-Suite liegt im 6. Stock alles ist hermetisch abgeschottet. Ungefähr zehn Leute haben sich im Salon eingefunden, alle mit umgehängtem VIP-Backstage-Pass in Gold, mit dem man auch die letzte Hürde der Security überwindet. Von den Servier-Wagen her weht der Duft von Kalbsbraten, Gemüse und Bandnudeln; sie waren von auffallend blendend aussehenden Saaltöchtern hereingeschoben worden. Dumballa ruft bei ihrem Erscheinen laut: „Lecker, lecker, lecker!“ Er ist einer der total peinlichen Typen der Bewegung. Irgendwas Schmerzendes passiert immer, wenn er anwesend ist. Dumballa ist eben herrlich politisch inkorrekt, was nicht wenig zu seiner Popularität beiträgt. Je krasser seine Schlagzeilen, desto fanatischer seine Anhänger. Tja, was soll man dazu sagen? Jeder hat ein bisschen vom Abendessen genippt; bis auf Dumballa natürlich, der erst beim dritten gefüllten Teller seinen Heißhunger gestillt hat. Sahra Alice Weidelknecht wärmt sich mit einem Ingwer-Tee die Hände, die anderen greifen zu Wein und Bier.
Sahra Alice sitzt preußisch korrekt auf dem Sofa, die langen Beine perfekt nebeneinander zur Seite gesetzt, verrührt die Reste des Kandis-Zuckers im echt britischen „Twinings“-Tee. So funktioniert nobles Understatement. Neben ihr gibt Tino Dumballa den Proleten, breitbeinig hingefläzt, seine Bierwampe setzt die Hemdknöpfe und das ganze Hemd einer krassen Zerreißprobe aus. Ich beobachte genau und rechne damit, dass sich die unteren Knöpfe in der nächsten Sekunde mit Schallgeschwindigkeit in die Atmosphäre verabschieden. Aber noch geschieht nichts. Björn Deppe sitzt entspannt in einem Ohrensessel, der Gründer der Bewegung, Alexander Deutschland, hat auf dem gegenüberliegenden Sofa Platz genommen. Ich rücke mir einen Stuhl zurecht, drehe die Lehne nach vorne und stütze meine Arme darauf ab.
Sahra Alice Weidelknecht beginnt wie immer: „Na, wie lief’s? Wie war ich?“ Dabei blickt sie mich mit einem Hauch von Wärme und Wohlwollen an.
Ich: „Einfach der Hammer. Großartig. Die Stimmung war einzigartig. Die Blutvergifter-Attacke kommt im Übrigen richtig gut.“ Mutig füge ich hinzu: “ Sahra Alice, einen Wunsch hätte ich aber: Bitte das nächste Mal wieder mit der Brunnen-Vergiftung kombinieren. Das prägt sich den Leuten besser ein. Trump macht das auch so. Gelernt ist gelernt.“
Sahra Alice Weidelknecht nickt zufrieden und nimmt auch die leise Kritik nicht tragisch: „Ja, ja, hab’s in der Hektik vergessen. Kommt wieder.“
Alexander Deutschland: „Wirklich ausgezeichnet, SA! Das kann man kaum besser machen.“
Sahra Alice Weidelknecht: „Ich danke Dir!“
Ich: „Ach so: Unser Meinungsforscher ist da. Wollt ihr die neuesten Prognosen wissen? Ganz frische Ergebnisse.“
Björn Deppe: „Sehr gut. Lasst ihn rein!“
Der Meinungsforscher von Forza wird hereingeführt. Man kennt sich, die Begrüßung fällt knapp aus.
Der Meinungsforscher: „Hallo zusammen, schönen Abend wünsche ich. Ich mache es kurz. Die Ergebnisse fallen aus wie erwartet. Einfach phänomenal. Vielleicht sogar noch ein bisschen besser, als das zu erwarten war: Wir haben im Vergleich zum Vormonat in ganz Deutschland plus 15 Prozent! Wir sehen jetzt bei 46 Prozentpunkten.
Tino Dumalla: „Sieg Heil! Sieg Heil! Sieg Heil!““
Sahra Alice Weidelknecht schüttelt leicht den Kopf und wehrt die Aussage missbilligend mit einer Handbewegung ab: „Lass stecken. Das kommt später.““
Björn Deppe: „Das liegt natürlich am Sprengstoff-Attentat auf den Kölner Dom! Das gibt uns enormen Drive. Die Leute drehen durch.„
Sahra Alice Weidelknecht: „Klar. Das waren aber doch nicht wir – oder?“
Ich schaue sie mit großen Augen an: „Natürlich nicht. Wo denkst du hin. Das würden wir nie tun! Das war die Hamas, die Muslimbrüderschaft, die Hizbullah, die IS, Huthi-Rebellen, gleich der Iran oder sonstwer. Ist ja auch egal.“
Tino Dumballa kann es nicht lassen: „Wir könnten das nächste Mal den Reichstag nehmen.“
Björn Deppe: „Och nee, das hatten wir schon mal früher, weißt du!?“
Ich: „Und wo sollen wir wieder einen so durchgeknallten Holländer hernehmen, der sich für die Nummer erschießen lässt? Sowas kann man nicht wiederholen. Und ganz nebenbei, wie schneiden die anderen Parteien ab?“
Der Meinungsforscher räuspert sich: „Ähm ja. Die CDU steht nur noch bei 23 Prozent, SPD und Grüne liegen bei jeweils 12 Prozent.“
Sahra Alice Weidelknecht: „Peng! Was machen eigentlich unsere geliebten freien Radikalen, äh… Liberalen?“
Der Meinungsforscher: „Warten Sie mal, muss mal suchen. Ach ja – hier: Noch drei Prozentpunkte.Der Rest verteilt sich auf die Tierschützer, die radikalen Veganer und die Esoterik-Partei Nirvana.“
Björn Deppe: „Die Liberalen kriegen nur noch mehr Stimmen, wenn ihre Zentrale auch in die Luft fliegt. Aus Mitleid. So ne Art Bonus. Vielleicht arbeiten sie ja schon dran. Egal. Jedenfalls ist die Regierung jetzt endgültig im Panikmodus. Und wisst ihr schon das Neueste?“
Deppe ist in der Regel vorzüglich informiert und unterhält beste Kontakt insbesondere zur CDU-Spitze um Friedrich Mai: „Die CDU fordert jetzt nach dem Sprengstoff-Attentat die Todesstrafe exklusiv für terrorverdächtige Muslime. Friedrich Mai sagt, sie würden in ihren Heimatländern nach einem gescheiterten Staatsstreich ja auch nicht im humanen Strafvollzug mit einem bunten Bälleparadies im Hof landen. Ganz im Gegenteil: Dort heißt es „Rübe runter!“ Und jetzt kommt es: Außerdem soll die Ausübung absolut jeder denkbaren Religion – auch der christlichen, buddhistischen oder jüdischen – in allen Moscheen in Deutschland aus Sicherheitsgründen untersagt werden. Mit dem Argument, die Moscheen entsprächen nicht den DIN-Normen der deutschen Bauaufsicht. Sie hätten daher nie gebaut werden dürfen.“
Sahra Alice Weidelknecht: „Verdammt genial, Mensch, echt jetzt, der Friedrich, wirklich, darauf hätten wir auch selbst kommen können.“
Björn Deppe: „Ja, wir müssen aufpassen, dass sie nicht alle unsere Forderungen schon vor dem Wahltag erfüllen. Dann bleibt für uns nichts mehr übrig.“
Ich: „Was sagt eigentlich Olaf Schlumpf?“
Alexander Deutschland: „Noch absolut nichts. Wie immer also. Aber er will in ein paar Stunden eine Regierungserklärung abgeben.“
Björn Deppe: „Wird eigentlich der Kölner Dom bald wieder aufgebaut? Das ist ja ne einzige Trümmerwüste. Mein Gott, 30 Tote. Zum Glück war noch kein Gottesdienst. Getroffen hat es nur eine Touristengruppe aus Japan. Und eine deutsche Reiseleiterin. Von ihr sind im Wesentlichen ein paar Hautfetzen, ein bisschen Gehirnmasse, der halbe Unterkiefer und eine grüne Fahne übrig geblieben. Schauerlich. Gezündet wurden die Sprengstoff-Ladungen offenbar in der Krypta an der Basis der Haupttragesäulen unter dem Hochaltar. Sie müssen jedenfalls lastwagenweise TNT in den Dom geschafft haben. Nur wie? Keine Ahnung.“
Ich: „Schlumpf sagt, wegen der Schuldenbremse und dem Bundesverfassungsgericht könne man jetzt leider nichts machen. Man müsse auf eine krisenfreie Zeit warten. Dann sei wieder genügend Geld für den Wiederaufbau da. Das kann also dauern. Er will aber einen Spendenaufruf initiieren und ruft alle Demokraten zum Zusammenhalt und zum friedlichen Umgang mit den Muslimen und Migranten in Deutschland auf.“
Alexander Deutschland: „Schnarch! Das ist wieder mal typisch. Ein echter Skandal. Kein Geld für den Dom? Verdammt: Es handelt sich doch um ein deutsches Weltkulturerbe. Da könnte man doch einen Solidaritätszuschlag erheben. Oder den Mindestlohn senken. Geld ist doch genug da. Oder die Uno oder die EU anpumpen. Wozu sind wir eigentlich in diesen beknackten Gremien?“
Björn Deppe: „Ich wollte nur erwähnen, dass es heute in vielen Städten Deutschlands zu Ausschreitungen gekommen ist. Zahllose SA-Freiwillige sind von muslimischen Banden attackiert worden. Die Islamisten haben zudem judenfeindliche Parolen skandiert und vor Synagogen randaliert; es ist wirklich nicht zu fassen, jetzt übernehmen die glatt auch noch unseren Job! Der ganze Kaukasus war auf der Straße: Aserbaidschaner, Georgier, Kasachen, dazu Tausende von Marokkanern, Palästinensern, Syrern, Türken, Libanesen und Tschetschenen. Überall ging es zur Sache: In Rostock, Dresden, Dortmund, Hamburg, Berlin. Wir haben in Notwehr zurückgeschlagen. Wahrscheinlich mehrere Tote auf der Islamisten-Seite. Ich lese gerade im Newsticker: Die Moschee in Köln-Kalk steht in Flammen!“
Der Meinungsforscher: „Ähm ja. Alles sehr bedauerlich. Um auf die Meinungsforschung zurückzukommen: Wir haben natürlich auch untersucht, welche Themen die Menschen am meisten bewegen und womit die Bewegung weiter punkten könnte. Ausschlaggebend war ganz klar die akute Angst vor islamistischem Terror und der Wunsch, illegale Migration umgehend zu beenden. Zudem sehen die Befragten die Meinungsfreiheit in Deutschland eingeschränkt, fühlen sich von der Politik bevormundet und haben generell mächtig Angst vor der Zukunft. Stichworte: Arbeitslosigkeit, Inflation, hohe Kosten des Klimawandels, keine Lust auf Energiewende, Werteverfall. Im Übrigen: Mehr als 75 Prozent lehnen das Gendern ab. Die „Woken“ haben es ein wenig übertrieben.“
Tino Dumballa: „Okidoki! Haben wir alles im Programm. Wir brauchen also krassere Forderungen. Wir müssen noch klarere Zeichen setzen.“
Ich: „Richtig. Absolut richtig. Ich hab da so ein paar Ideen. Die knallen richtig. Wollt ihr sie hören?“
Sahra Alice Weidelknecht schaut mich anerkennend an. Sie steht auf klare Ansagen und gut vorbereitete Mitarbeiter: „Fang an!“ Die anderen Anwesenden herrscht sie an: „Passt auf und hört zu!“
Ich: „Also gut. Wir haben das beherrschende Thema: Ilegale Migration und Terror! Keiner kann die Ausländer leiden. Das spielen wir ohnehin rauf und runter. Prima. Wir müssen jetzt den Errregungspegel bis zur Wahl noch nur oben halten. Das schaffen wir wie folgt:
Wir stellen die Regierung als Sicherheitsrisiko da, weil sie über viele Jahre hinweg direkt und indirekt Terrorismus unterstützt hat. Nach Deutschland durfte jeder kommen, keinerlei Sicherheitsüberprüfung. Selbst identifizierte Straftäter wurden niemals abgeschoben. Warum das? Geheimer Plan: Weil die Linken aus Selbsthass alles Deutsche eliminieren wollen. Motto: Lieber Shisha-rauchende Syrer, Afghanen, Tataren oder Algerier in der Nachbarschaft als Deutsche mit Vorliebe für Rindsbraten mit Knödeln. Sie wollten die ganze Bevölkerung nach und nach austauschen. Die Linke hasst Deutschland.
Dazu starten wir eine tippitoppi KI-gesteuerte Werbekampagne: Unschuldige blonde deutsche Mädchen und Frauen werden dunklen Turbanträgern mit Vollbart, Toyota-Pickup und Maschinenpistole zum Fraß vorgeworfen. Wir deuten echt schmutzige Sachen an. Als Grundlagen nehmen wir die alten Videoclips von Hizbollah und Hamas und tauschen den Wüstenhintergrund durch eine deutsche Reihenhaus-Siedlung aus. Im Hintergrund die zusammenfallenden Türme des Kölner Doms. Da brauchen wir kaum was zu erfinden. Das kommt krass. Danach rigoroses Durchgreifen von Polizei und Bundeswehr. Sicherheit und heile Welt zum Abschluss: Königssee und Watzmann, frohe Deutsche im Biergarten. Botschaft: Wir sind die einzigen, die diesen teuflischen Austausch-Plan der Regierung erkannt haben und durchkreuzen werden. Für Deutschland. Gegen Multikulti. Für unsere Heimat. Coole Influencer promoten das im Netz rauf und runter, hab schon die ersten Anfragen gestartet. Na, was meint ihr?“
Tino Dumballa: „Wahnsinn!!!“
Sahra Alice Weidelknecht: „Exakt. Du hast es erfasst, Tino. Genau darum geht es hier. Prima. Das lassen wir uns bis morgen mal alle durch den Kopf gehen. Dann handeln wir schnell, eiskalt und brutal. Mir reicht es für heute. War ein langer Tag. Es ist viel passiert. Und nicht vergessen: Morgen um 18 Uhr treffen wir die Russen. Da müssen wir fit sein. Die haben auch immer gute Ideen im Gepäck. Björn, du weißt: Morgen führst du das Gespräch, für die Russen sind Frauen als Chefinnen noch immer ein wenig gewöhnungsbedürftig. Das müssen die noch lernen. Ab jetzt ins Bett. Und bitte jeder einzeln für sich! Ich will hier keine Klagen hören.“
Sie erhebt sich vom Sofa; und es kommt mir vor, dass sie bei ihrem letzten Satz kurz Deppe und Dumballa durchdringend ins Blickfeld nimmt. Das kann ich mir aber dann noch nicht vorstellen. Nein. Die zwei sind wie Feuer und Wasser. Dazu durch und durch sowas von binär. Dick und Doof. Kreti und Pleti. Beim Abschied gibt mir Sahra Alice Weidelknecht die Hand. Ich schaue überrascht auf, blicke in ihre Augen, spüre ihre Anerkennung – und es tut unendlich gut. Fast werden mir die Beine weich.
Sie schaut mich an und sagt: „Gute Arbeit. Damit du es weißt: Du bist morgen dabei! Dann dreht sie sich um und ist verschwunden.“
Eilmeldung
KÖLN (dpa) – Nach bisherigen Erkenntnissen des Bundesgeneralstaatsanwaltschaft in Berlin ist das Attentat auf den Kölner Dom mutmaßlich von Mitgliedern der radikal-islamistischen Terrororganisation „Hamas“ begangen worden. Bei Aufräumarbeiten in den Katakomben des Doms fanden die Ermittler die Leichen zweier mutmaßlicher Täter sowie verbrannte Reste eines Korans. Im Internet wurde jetzt ein entsprechendes Bekennerschreiben veröffentlicht. Bei den Spuren den gefundenen Sprengstoffs handelt es sich der Polizei zufolge um Material, das auch in den Raketen der „Hamas“ im Nahost-Konflikt eingesetzt worden ist. Der israelische Geheimdienst bestätigte diese Informationen. Der Betrieb des nahegelegenen Kölner Hauptbahnhofs ist weiterhin stillgelegt, die Kölner Innenstadt bleibt weiträumig gesperrt. In Deutschland kommt es zu zahllosen Zugausfällen, weiterhin ist der Luftraum über Deutschland gesperrt. Bei zahlreichen Razzien wurden mehrere hundert Personen mit Migrationshintergrund vorläufig festgenommen, die Vernehmungen dauern an. Zahlreiche Staatsmänner aus dem Ausland haben der Bundesrepublik Deutschland in der Zwischenzeit kondoliert und ihr tiefes Mitgefühl ausgedrückt – darunter die Staatspräsidenten aus China, Ungarn, Russland, der Demokratischen Republik Kongo, Nordkorea, Frankreich und den USA. Bundeskanzler Olaf Schlumpf hat eine dreitägige Staatstrauer angeordnet und eine Regierungserklärung angekündigt. Eine Sondersitzung des Bundestags zu dem Anschlag soll kurzfristig einberufen werden.
Ein diskretes Loft in Berlin
Eines dieser abgeschotteten Appartement-Anlagen im Berliner Umland, in die Unbefugte keinen Zutritt erhalten. Hohe Mauern, Video-Überwachung, Kameras und eine direkte Einfahrt in die Tiefgarage – aber nur mit passender PIN. Wir fahren gegen 17.30 Uhr mit unserem BMW in die Garage, hinter uns ein weiteres Fahrzeug mit Security, danach mit dem Aufzug in den fünften Stock. Nur Sahra Alice Weidelknecht, Björn Deppe und ich. Mir ist seit Jahren bekannt, dass es immer wieder mehr oder weniger diskrete Treffen zwischen der Bewegung und den Russen gibt, einmal war sogar die halbe SA-Führungscrew zu Gast in der russischen Botschaft – ausgerechnet zur großen Siegesfeier anlässlich der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 9. Mai. Das hatte nicht jedem gefallen, Sahra Alice Weidelknecht jedenfalls hatte sich damals demonstrativ entschuldigen lassen. Das gab Pluspunkte bei mir, irgendwie habe ich Vorbehalte gegen die Russen. Ich traue ihnen nicht.
Heute sollen wir Wladim Krassnik treffen, Sonderbeauftragter von Außenminister Sergej Lawrow. Und damit glatt im Auftrag von Putin höchstselbst. Wie aufregend. Sahra Alice Weidelknecht hatte mir kurz zuvor noch klar gemacht, dass ich die Klappe halten soll. „Krassnik extemporiert gerne. Das kann dauern. Und er hasst es zutiefst, unterbrochen zu werden. Also: DU… BIST… STILL!“
Kurz vor 18 Uhr ein verabredetes Klopfzeichen an der Tür, unsere Security öffnet – und Krassnik betritt das Zimmer. Er sieht aus wie ein zu stark gemästetes Walroß, nur ohne Stoßzähne. Kurzes, graues Haar, unreine Haut, etwa 60 Jahre alt, deutliche Anzeichen von schwerer Akne in der Jugendzeit. Er hatte es sicherlich nicht leicht als pubertierender Jungbubi. Dazu trägt er einen schwarzen Anzug, weißes Hemd. Maßschuhe. Zwei Gorillas hinter ihm betreten die Szene und postieren sich im Raum.
Björn Deppe: „Herzlich willkommen Wladim! Wir freuen uns sehr! Es ist viel zu lange her!“ Kurz stellt er Sahra Alice Weidelknecht und mich vor.
Wladim Krassnik: „Meine deutschen Freunde! Meine jungen Freunde. Björn! Sehr schön, Euch zu sehen. Ich grüße Euch im Namen von Wladimir Wladimirowitsch Putin, dem Präsidenten der heiligen russischen Föderation.“
Björn Deppe: „Danke, danke, danke! Nur die besten Wünsche der Bewegung an Wladimir Wladimirowitsch von seinen deutschen Freunden! Wir wünschen ihm Gesundheit und ein langes Leben. Möge er alle seine Feinde tot und langsam im Fluss treibend an sich vorüberziehen sehen!“
Wladim Krassnik: „Danke! Ich werde ihm die gute Wünsche ausrichten. Nun sagt: Ich bin erschüttert. Was ist mit dem Kölner Dom passiert? Wie schrecklich, ein furchtbares Unglück. Wie konnte das geschehen? Diese entsetzliche Verwüstung. Es sieht fast aus wie Mariopol oder Groszny. Wer hat diese teuflische Tat begangen? Wer war es? Was meint ihr? Gibt es schon erste Erkenntnisse?“
Björn Deppe, gibt den Gastgeber, fragt nach Getränkewünschen, schenkt selbst ein: „Ja, es ist eine nationale Tragödie. Fürchterlich. Überall nur noch Gewalt. Nichts ist mehr heilig! Nichts wird mehr so sein wie zuvor. Nun zu den Tätern: Unser Staatsschutz sagt: Islamistische Terroristen.Die genaue Herkunft ist noch unklar.“
Wladim Krassnik: „Nun sicher. Sehr wahrscheinlich, das. Er macht eine Pause und scheint nachzudenken: Aber Björn, haben Sie auch an den jüdischen Geheimdienst gedacht? Rache für den Holocaust? Oder die Nazi-Terroristen aus der Ukraine? Sie haben ja auch unsere schöne North-Stream-Leitung gesprengt. Die wären dazu in der Lage. Wir haben da Informationen von unseren Geheimdiensten. Sehr gute Informationen. Wenn ihr wollt, können wir Euch jederzeit stichhaltige Beweise liefern.“
Björn Deppe (leicht irritiert): „Äh, ja, ähm. Israelis und Ukrainer. Hust. Sicher. Wir, wir, äh, sagen schon mal danke und denken darüber nach. Das mit der Erdgasleitung ist ja bekannt. Wer hätte auch sonst ein Interesse daran, den wirtschaftlichen Austausch zwischen Russland und Europa zu unterbinden? Außer den Ukraine-Nazis höchstens noch die Amis. Ein echte Sauerei war das! Wir kommen auf jeden Fall auf das Angebot zurück.“
Wladim Krassnik (sichtlich erfreut über seinen Treffer): „Ganz recht, ganz recht. Nichts überstürzen. Seht ihr, meine deutschen Freunde, auch das heilige Russland hat viele Feinde. Im Äußeren und Inneren. Von Außen die imperialistischen Amerikaner unter diesem Teufel Biden. Zum Glück hat das hoffentlich bald ein Ende. Dazu noch die EU mit dieser absolut grässlichen Kommissionspräsidentin von der Lüden. Einfach fürchterliche Menschen dort in Brüssel, durch und durch korrupt und degeneriert, moralisch restlos abgewirtschaftet. Nicht zu vergessen natürlich die Faschisten in der Ukraine.Aber was sage ich: Das ist schon immer unser Land, Kleinrussland!“
Björn Deppe (hastig): „Jaja. Auch wir wollen den Frieden. Frieden ist das wichtigste. So bald wie möglich. Seit Beginn der Spezialoperation haben wir die Aggressionen der Amerikaner und dieser widerborstigen, korrupten Clique in Kiew verurteilt. Das muss ein Ende finden. Wir wollen auch weiterhin alles dafür tun und verstehen, wie schwierig es ist, das heilige Russland in dieser harten Zeit voller Bedrängungen mit notwendig starker Hand zu regieren.“
Wladim Krassnik (mit einem gönnerhaften Blick auf Deppe): „Dafür sind wir sehr dankbar. Wir wissen die Hilfe unserer Freunde sehr zu schätzen. Die Operation in der Ukraine muss und wird ein erfolgreiches Ende finden, gar kein Zweifel. Wir stehen kurz vor dem Sieg. Russland wird bald wieder vereinigt sein, so wie Deutschland schon heute. Damals hatten wir Deutschland geholfen, wir hoffen und bitten, dass uns bald Deutschland bei unserer Vereinigung hilft. Egal. Wir haben mächtig viel Zeit. Aber: Björn, Sie haben Recht. Es ist für uns wirklich nicht leicht. Zum Glück ist das wunderbare russische Volk harte Entbehrungen gewohnt und steht einträchtig hinter Wladimir Wladimirowitsch und den vielen Kleinrussen, die uns um Hilfe in ihrem Konflikt mit dem Fernseh-Clown Selensky gebeten haben. Aber wir haben auch erbitterte Feinde im Inland, die vom Westen gesteuert werden.“
Björn Deppe: „Sicher. Aber Wladim, wen meinen Sie? Dieser schreckliche Nawalny kann ja mittlerweile nicht mehr gegen Freiheitsfreunde ausgetauscht werden. Leider. Seine Witwe etwa? Memorial?“
Wladim Krassnik redet sich in Rage: „Aber nein! Nawalnys Witwe, die ist völlig harmlos. Ich rede von den Homosexuellen! Das sind Extremisten, Spione und Umstürzler. Schwule, Transen und Lesben sind westliche Erfindungen. Sie untergraben unsere gottgewollte Ordnung in Russland. Zum Glück haben wir kürzlich Geschlechtsumwandlungen verboten. Schwule und Lesben sind Feinde und Fremde, die gegen die traditionelle heilige Hierarchie kämpfen. Gegen unser heiliges Mütterchen Russland. Die Familie ist doch die Keimzelle der Gesellschaft. Der Ehemann ist das Haupt der Familie, Kinder müssen sich unterordnen. Wer das nicht macht, wird bestraft. Das ist unsere Tradition, so ist unser Leben!“
Jetzt meldet sich doch tatsächlich Sahra Alice Weidelknecht zu Wort. Sie atmet kurz durch, hat sich aber vorbildlich unter Kontrolle: „Traditionen sind uns sehr wichtig. Wir kennen den natürlichen Platz der Frau in der Familie! Und die Familie ist uns heilig“, sagt sie, blickt einen Moment auf Krassnik, senkt dann aber ihre Augen und erhält dafür einen anerkennenden Blick von Krassnik.
Wladim Krassnik: „Du fühlst wie wir, Sahra Alice! Du denkst wie wir. Ganz recht: Homosexualität wird uns von internationalen Gegnern wie den USA und der EU aufgezwungen. Schädliche Einflüsse. Sehr schädliche Einflüsse. Abschaum der westlichen Zivilisation, die zum Untergang geweiht ist. Pussys, Schwuchteln, Memmen, einfach widerlich. Liebe gibt es nur zwischen Mann und Frau. Echten Männern und echten Frauen. Unser heiliger, ewiger Weg. Gott schütze unser heiliges Russland. Multikulti ist Teufelswerk made in USA. Schwule sind anomal. Um es ganz klar zu machen: Wir haben nicht gegen andersdenkende Menschen. Wir sind für wahrhaftige Demokratie und Meinungsfreiheit. Aber die Schwulen sind nicht normal; die sind nicht so wie wir alle. Wir müssen uns und unsere Familien gegen diesen widerwärtigen Abschaum schützen. Das ist unsere Pflicht.“
Björn Deppe (schaut für einen Moment bestürzt auf Sahra Alice, fängt sich aber sofort wieder): „Das sehen wir ebenso. Für die woken Weicheier haben wir auch keinerlei Verständnis. Das haben wir immer wieder deutlich gemacht.„
Wladim Krassnik: „Gut so! Wir haben in Russland ein neues Gesetz, das zwölf Jahre Haft für Homosexuelle vorsieht. Zwölf Jahre in einem Straflager in Sibirien. Wer will, kann aber auch den ehrenhaften Weg wählen und zum Dienst in die russische Armee gehen. Dann kann er seine Homosexualität wieder gutmachen. Fronteinsatz im Donbass. Dort wird er von seiner falschen sexuellen Orientierung definitiv geheilt. Ja, wir kennen da wirksame Methoden.“
Björn Deppe: „Das ist vorbildlich und fürsorglich zugleich. Das sind sehr gute Anregungen auch für uns. Wir müssen ja auch in Deutschland die Jugend vor Verrohung der Sitten schützen. Dazu muss man autoritär durchgreifen können. Diese schädlichen westlichen Einflüsse, dieses zutiefst dekadente Amerika! Wir brauchen hier auch mal Todesurteile, ohne dass uns zuvor ein vom Gericht bestellter Psychiater oder gleich der Europäische Gerichtshof in die Quere kommen, die alles entschuldigen und auf eine schlimme Kindheit schieben. Das wird für uns aber kein leichter Weg werden, auch weil wir leider nicht wie Sie – lieber Wladim – auf das schöne Sibirien zurückgreifen können. Ich hätte da solch wunderbare Ideen. Oh Wladim: Wir haben viele Feinde, wie Sie wissen. Wir benötigen Unterstützung.“
Wladim Krassnik: „Unterstützen Sie uns gegen unsere äußeren und inneren Feinde. Dann unterstützen wir Sie. Wir sind großzügig, wie Sie wissen! Wir sind treu. Ihre Chancen bei der Bundestagswahl sind jetzt ausgezeichnet. Sie schaffen das. Gehen Sie energisch und ohne Skrupel vor. Sagen Sie uns, was Sie brauchen. Sie werden es erhalten. Wir stehen Gewehr bei Fuß.“
Dabei greift Krassnik in seine Anzugtasche, zieht umständlich einen Umschlag hervor und überreicht ihn Deppe. Wohlwollend sagt er: „Öffnen Sie den Brief!“
Deppe zieht ein gefaltetes Blatt aus dem Umschlag, aufmerksam liest er den kurzen Text. Seine Augen weiten sich ein wenig, er nickt langsam, zerreißt das Blatt Papier in viele kleine Teile und antwortet:
„Danke! Das ist wirklich sehr, sehr großzügig. Ich bin mir sicher, das hilft uns sehr. Danke, Danke, Danke! Das sage ich ganz persönlich und im Namen der ganzen Bewegung. Danke und meine Hochachtung für Wladimir Wladimirowitsch. Opfer müssen gebracht werden. Aber bevor wir auseinandergehen: Eine glorreiche Idee hätten wir noch. Ich bin mir sicher, wir würden alle davon profitieren. Damit könnten uns unsere russischen Freunde nochmals entscheidend im Wahlkampf helfen. Ganz entscheidend helfen! Und auch Russland hätte davon große Vorteile.
Oh Wladim – bitte! Auf ein Wort!“
Sahra Alice – Magnificent Obsession
Hätte mir jemand von zehn Jahren gesagt, ich würde irgendwann bei der Bewegung von Sahra Alice Weidelknecht mitmischen, ich hätte ihn ausgelacht. Oder mir die Pulsadern aufgerissen. Ich war links, ganz klar. Dort atmete Freiheit, dort lag Zukunft. Heute tummeln sich bei den Linken jede Menge sektiererische Klimaaktivisten, Veganer, Antikolonialisten, Schwule, Lesben, Transen, RAF-Romantiker und notorische Israel-Feinde. Außerdem arrogante Bescheidwisser, Islamisten-Versteher, naive Sonderlinge, Kulturpessimisten und abgehobene Intellektuelle. Was soll daran noch „links“ sein? Sie alle bestimmen den Diskurs und machen jeden nieder, der ihnen im Weg steht. Gleichzeitig sind sie ungeheuer empfindsam, wenn sie selbst attackiert werden. Dann ist ihnen die größte Moralkeule gerade recht – je nach Bedarf steht auf der Keule entweder das Etikett Frauenfeind oder Rassist, Kapitalist, kultureller Aneigner oder gleich Faschist. Es sind Feinde der Freiheit im Namen Ihrer Freiheit.
Aus Sahra Alices Privatleben ist mir nahezu nichts bekannt. Sie besitzt ein Penthouse in Berlin, sie nennt es „safe space“. An ihrer rechten Hand trägt sie einen blauen Siegelring mit einem Wappen. Zu sehen sind ein Stierkopf und verschlungene Initialen. Niemand hat je nach der Symbolik gefragt. Im schönen Lausanne verfügt sie über einen Zweitwohnsitz, Näheres darüber ist nicht bekannt. Bevor Sahra Alice Weidelknecht in der Bewegung ganz nach oben kam, arbeitete sie als Partnerin in einer angesehen Hamburger Kanzlei, zuvor hatte sie sich bei einer Unternehmensberatung einen glänzenden Ruf als Juristin für Firmenzusammenschlüsse in aller Welt erarbeitet.
Ihr internationales Flair steht in krassem Gegensatz zur Programmatik der eher tumben Bewegung. Klar, es fragt sich jeder, warum sie nicht bei den Liberalen oder der CDU gelandet ist. Das ist ihr Geheimnis. Noch größer aber ist das Geheimnis ihres Privatlebens. Bisher wurde sie niemals mit einem Partner oder einer Partnerin gesehen. Auf der einen Seite macht mir das zu schaffen, auf der anderen Seite birgt das Hoffnung. Denn natürlich träume ich von ihr, sehne mich nach ihr, wünsche mir eine Berührung und mehr. Aufmerksamkeit und Lob. Mir imponiert ihre beachtliche Selbstsicherheit, gerne würde ich sie in einem schwachen Moment erleben.
Wie oft war ich gebannt, wenn ich im Restaurant beobachte, mit welch feinen Bewegungen sie zu Messer und Gabel greift, sich damit das Essen zum Mund führt und im Anschluss mit der Serviette ihre Mundwinkel trocken tupft. Was bei Dumballa verdächtig nach Schwein am Trog aussieht, hat sie auf die höchste denkbare Veredelungsstufe gebracht. Nahrungsaufnahme als Kunstform. Ihre goldene Kette um den Hals, das dezente Make-up, diese tiefen, unergründlichen Augen. Dunkel wie Bergseen. Tausendmal standen wir dicht an dicht in irgendwelchen Aufzügen, saßen am Frühstückstisch beieinander, arbeiteten spät nachts ihre Reden oder Pressemitteilungen durch oder ich begleitete sie zu Fototerminen oder Interviews. Ich bin hingerissen. Aber aus welchem Blickwinkel ich es auch betrachte: Es war immer harte Arbeit, keine Romantik. Es ist mir klar, dass der erste Schritt nur von ihr ausgehen darf. Ich muss die Füße stillhalten.
Regierungserklärung Olaf Schlumpf
Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger,
wir alle können die schrecklichen Bilder vom Kölner Dom noch immer nicht fassen. Eine feige Tat, die uns alle berührt. Das Gotteshaus bietet ein Bild des Grauens und des Grausens. Ein unermesslich wertvolles Kulturgut sinnlos vernichtet, zerstört, nur noch ein Trümmerhaufen. Deutschland trauert!
Kein Zweifel: Nichts wird mehr so sein wie zuvor. Zweifellos eine Zeitenwende in unserem Umgang mit dem Terrorismus. In unseren Gedanken sind wir bei den Opfern und ihren Angehörigen. Wir werden die bösen, bösen, bösen Täter und ihre Hintermänner finden und hart bestrafen, wo auch immer sie sind, was auch immer es kostet. Polizei und Geheimdienste arbeiten fieberhaft daran, mehr Licht ins Dunkel zu bekommen. Die Ermittlungen laufen, wir rechnen bald mit neuen Erkenntnissen. Noch ist es allerdings für eine finale Bewertung zu früh.
In der Zwischenzeit appelliere ich an alle Bürgerinnen und Bürger: Lassen sie uns in diesen bitteren Stunden eng zusammenstehen, lassen sie uns die notwendige Ruhe bewahren, damit wir die richtigen Entscheidungen treffen können. Lichterketten können in ganz Deutschland organisiert werden, die Bundesregierung übernimmt die Kosten für alle Kerzen.
Die Terroristen werden ihre Ziele nicht erreichen. Wir werden mutig und mit großem Selbstvertrauen den Terrorismus bekämpfen, unsere freiheitliche Gesellschaft wird Hass und Wut besiegen. Der Terror wird uns nicht spalten. Demokratie und Freiheit sind stärker als Fanatismus und blinder Zorn. Davon bin ich fest überzeugt. Uns allen wünsche ich viel Kraft, um diese dunklen Stunden zu überstehen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Im Hauptquartier der Bewegung – Berlin Mitte
Bereits vor Jahren hatte die Bewegung ein halb verfallenes ehemaliges Industriegebäude in Kreuzberg bezogen. Von einer hohen Mauer umgeben, bietet des Areal mit dem neuen Namen „Adlerhorst“ Platz für mehr als 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Jetzt ist alles top saniert und ausnehmend gut geschützt. Keine hohen Gebäude in der Umgebung. Im zweiten Stockwerk ist über fast die gesamte Fläche ein Großraumbüro eingerichtet, daneben ein hippes Fernsehstudio für Aufzeichnungen und Social Media. Ein Stockwerk darüber befindet sich der deutlich kleinere „war room“. Das ist die Zentrale der Macht; Zutritt nur nach einem Iris-Scan. Der Raum erfüllt alle Erwartungen: Auf der einen Seite drei riesige Großraumbildschirme für hybride Meetings, auf der andere Seite eine wirklich coole Start-up-Bürolandschaft mit bunten Sofas und Sesseln, einem großen Schreibtisch für Besprechungen; natürlich alles absolut abhörsicher und definitiv auf dem neuesten Stand der Technik.
Auf einem der Bildschirme flimmert gerade irgendeine Sendung mit einer belanglosen Nachrichtensendung, allerdings ohne Ton. Polizisten hauen mit ihren Schlagstöcken auf radikale Muslime ein. Auf dem zweiten Bildschirm betrachtet Tino Dumballa mit größtem Vergnügen den Disney-Film „Bambi“:
„Bambi mochte ER besonders gerne. Dolferl. Wirklich erschütternd, wie Bambi vor den Flammen fliehen muss.“
Keiner im Raum nimmt von Dumballa Notiz. Keiner antwortet. Niemand sieht deshalb, wie er sich verstohlen eine Träne aus dem Auge wischt. Keiner verliert ein Wort darüber, warum die Deutschen in grenzenlosem Selbstmitleid schon immer einsame Weltspitze waren. Dieser Befund wäre durchaus eine tiefenpsychologische Betrachtung wert. Aber keine Zeit dafür: Heute ist ein besonderer Tag – in wenigen Minuten sollen die Ergebnisse der Präsidenten-Wahl in den USA verkündet werden. Die Wahl war um fast ein Jahr verschoben worden, weil der Oberste Gerichtshof im Vorfeld noch über eine Reihe von Gerichtsverfahren entscheiden musste. In einigen Staaten war Donald Trump des Hochverrats wegen des Sturms auf das Kapitol angeklagt und ihm die Kandidatur untersagt worden. Es bedurfte des Freispruchs des Obersten Gerichtshofs in Washington, der mit den Stimmen der von den Republikanern benannten Richter keinerlei Anhaltspunkte für einen Staatsstreich feststellen konnte. Es habe sich bei dem Sturm eindeutig um eine Demonstration „freiheitsliebender Amerikaner“ für ein „freies Amerika“ gehandelt. Daher dürfe man Donald Trump nicht von den Wahlen ausschließen. Und weil das alles wahnsinnig lange dauerte, hatten die Amerikaner ihre Wahl um ein Jahr verschoben. Was Donald Trump wiederum nutzte und die Verzögerung als abermaligen Versuch des Wahlbetrugs durch die Eliten in Washington und seine Gegenkandidatin Kamala Harris geißelte.
Deutschland ist nach dem Attentat nicht mehr wiederzuerkennen. Alles ist hysterisch außer Rand und Band. Alle Versammlungen der Bewegung sind überfüllt, hektisch werden die Ansprachen von Marktplätzen und Bürgerhäusern verlegt in Fußballstadien und riesige Freiflächen. Und oftmals drängt sich das Publikum dennoch vergebens vor den Eingängen. Nur knapp und in höchster Not konnte die Bewegung Veranstaltungen im Olympiastadion in Berlin und auf dem ehemaligen Reichstagsgelände in Nürnberg verhindern, die schon von übereifrigen SA-Jungspunden organisiert worden waren. Das wäre dann tatsächlich zu viel des Guten gewesen, fand Sahra Alice Weidelknecht. Recht hat sie. So viel bedeutungsvolles Bild-Futter wollten wir den Gegnern dann doch nicht liefern.
Aber wahrscheinlich hätte es ohnehin keinen groß interessiert. Denn nahezu täglich gibt es überall in Deutschland Straßenschlachten von SA-Anhängern mit jungen Muslimen und Überfälle auf Asylbewerberheime. Aus Fenstern und Dächern schlagen Flammen, der jubelnde Mob filmt alles und lässt sich filmen. Ohne jede Scheu. Ohne jedes Mitgefühl für die Opfer. Hunderte von Asylbewerbern werden von der SA durch die Straßen getrieben und an Bahnhöfen in irgendwelche Züge gesetzt. Vereinzelte Anschläge auf Grünen-Parteibüros sowie jüdische Synagogen und Gemeindezentren fallen da kaum noch ins Gewicht. Polizei und Staatsschutz sind restlos überfordert. Aufruhr und Endzeitstimmung. Genau das passende Grundrauschen also für einen umwälzend-brillanten Wahlsieg bei der bevorstehenden Bundestagswahl.
Mein Leben verläuft wie im Taumel. Es rauscht an mir vorüber wie ein Intercity, der nur ein Tempo kennt: Höchstgeschwindigkeit. Von morgen um 6 Uhr bis um Mitternacht arbeite ich mit meinem Kommunikationsteam für den Sieg. Auch an Samstagen und an Sonntagen ohne Pause. Wir schreiben Statements und Reden, verfeinern Interviews, vereinbaren Termine, verbreiten Tik-Tok-Videos, briefen die Werbeagenturen, füttern befreundete Journalisten mit pikanten Interna über unsere Gegner und beantworten zudem Anfragen aller Art – all das unterbrochen nur von regelmäßigen Lieferungen eines Pizzadiensts und von schnellem, wortlosem Sex mit Corinna, einer meiner fanatisch rechtsradikalen und der gemeinsamen Sache willig ergebenen Mitarbeiterinnen, was unseren gelegentlichen amourösen Treffen spätnachts am Kopierpapierstapel eine besonders pikante Note von preußischer Pflichterfüllung verleiht.
„Deutschland zuerst“
Ganz Deutschland ist mittlerweile gepflastert mit Sahra-Alice-Weidelknecht-Großflächen-Plakaten. Entschlossen und zugleich freundlich blickt sie in die Kamera, die Arme verschränkt, Blick in die Ferne gerichtet, dazu der Slogan. „Klarheit und Ordnung! Deutschland zuerst!“ Überall dazu die bekannten „SA-Banner“. Eine andere Serie ist mit dem Slogan „Wir lieben Heimat!“ betitelt. Im Hintergrund Königsee, St.Bartholomäe und der Watzmann mit Hilfe von KI lebensecht zusammenmontiert. Im Fernsehen und auf Social Media laufen ununterbrochen die Propaganda-Filmchen der Bewegung, erstaunlich professionell gemacht. Tabus oder gar Skrupel gibt es keine mehr: Finstere KI-generierte Islamisten sprengen dabei nicht nur den Kölner Dom, sondern auch Schloss Neu-Schwanstein, die Elb-Philharmonie und das Brandenburger Tor. Sie entführen auffallend hübsche blonde Mädchen in ebenso auffallend knapper Sommerkleidung, deren angsterfüllte Schreie und verzweifelte Blicke wirklich niemanden kalt lassen, in dem noch ein irgend fühlendes Herz pocht. Ein Blick in die Medien – und man sieht nur noch Horrorfilme.
Besonders heftig tobt es im Internet. Ein Deep-Fake jagt das andere. In einem dieser Filmchen schließt Olaf Schlumpf in einem scheinbar unbeobachteten Moment der Wahrheit seine Wissenslücken im Cum-ex-Skandal mit jeder Menge Kokain und gesteht danach, dass er von den Bankern Millionensummen an Provisionen für seinen Gedächtnisschwund erhalten hat. Dagegen ist das Ibiza-Video der Österreicher ein Relikt aus der Stummfilmzeit. Ich beobachte vor dem Monitor ganz genau Olaf Schlumpfs Mundbewegungen, während er im vermeintlichen Drogenwahn die erstaunlichsten Geständnisse offenbart.
Ich muss sagen – alles ist perfekt synchron zu seiner Stimme. Unglaublich gut gemacht, denke ich mir und verstehe so langsam, dass die Russen ihr Handwerk beherrschen. Der Regierungssprecher kann gar nicht so oft dementieren, wie neues Material auf allen Kanälen hochgeladen wird. Es müssen Hunderte von IT-Nerds rund um die Uhr damit beschäftigt sein, die Regierung samt etablierter Opposition so schlecht wie möglich ausschauen zu lassen. Und es gelingt: Falschnachrichten an allen Ecken und Enden – es ist alles denkbar, nichts ist mehr wirklich eindeutig wahr oder falsch. Ein im Netz besonders erfolgreicher Streifen zeigt Olaf Schlumpf im lustigen Wettpinkeln mit Friedrich Mai – nachts im hohen Strahl an den Reichstag. Dabei singen sie völlig besoffen die Deutschland-Hymne in allen drei Strophen. Virtuelle Kriegsführung kann jede Menge Spaß machen.
Sahra Alice Weidelknecht und Björn Deppe sitzen schon seit geraumer Zeit in einer abgeschotteten Nische des „war room“. Was beraten sie? Die Zusammensetzung der künftiges Kabinetts? Die Bedingungen für eine Koalition mit der CDU? Etwa gar den Friedensvertrag mit Russland? Kennen sie schon das Wahlergebnis aus den USA? Jedenfalls sind sie mächtig erregt, laute Schreie, dann hört man gedämpften Jubel. Sie liegen sich in den Armen. Beide stehen auf, öffnen die Glastür. Sahra Alice Weidelknecht ruft:
„Hört mal alle her. Es ist wichtig. Alle sollen kommen. Schnell! Schnell!“
Des dauert einen Moment, dann drängt sich ein Teil des Kommunikationsteams in den „war room“, dazu noch von nebenan Büroleiter und persönliche Assistenten. Von unten kommen Controlling, Buchhaltung und Fahrer und Security. Weidelknecht schaltet via Teams die Ministerpräsidenten aus Thüringen, Brandenburg und Sachsen zu, wartet kurz nach der Begrüßung, dann drückt sie auf der Fernbedienung Dumballas „Bambi“ von einem der Bildschirme weg. Er schaut leicht verschnupft, wagt aber keinen Protest. Eine irrsinnige Spannung liegt im Raum, das Wahlergebnis aus den USA kann die Welt erschüttern. Wirtschaftspolitik, Sicherheitspolitik: Bei einem Wahlsieg Trumps stünde alles auf dem Prüfstand. Nach einigen langen Sekunden erscheint ein Nachrichtensprecher auf ARD. In Windeseile vergrößert Sahra Alice Weidelknecht den Bildausschnitt – der Sprecher schaut in den Teleprompter und legt los.
Wahlsendung mit Donald Trump
Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Präsidentenwahl in Amerika ist entschieden. Mit deutlicher Mehrheit hat sich Donald Trump, der Kandidat der Republikaner, bei der Wahl um das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gegen seine Konkurrentin Kamala Harris durchgesetzt. Die Ergebnisse wurden soeben veröffentlicht. Trump wird somit Nachfolger von Joe Biden. Er konnte nach dem aktuellen Stand der Auszählungen bereits mehr als 350 der insgesamt 538 Wahlmänner auf sich vereinigen. Kamala Harris hat ihre Niederlage mittlerweile eingeräumt.
In seiner ersten Pressekonferenz nach der Wahl hat Donald Trump soeben im Weißen Haus seinen Sieg verkündet und zugleich seinen außenpolitischen Kurs bekräftigt. Wir schalten nach Washington.
Die Kamera zeigt jubelnde Parteifreunde Trumps, er steht inmitten seiner Anhänger, sein gelbes Haar leuchtet, er strahlt mit Tochter Ivanka um die Wette. Von Melanie ist nichts zu sehen. Trump geht ein paar Schritte zu einem Rednerpult, das Wappen der USA ist vorne angebracht, im Hintergrund zahllose Fahnen mit den „Stars and Stripes“
Donald Trump: Wir haben gesiegt. Amerika hat gesiegt. Gott ist mit Amerika! Gegen die Wahlbetrüger, gegen Kommunisten und Nazis. Wir werden sie ausrotten. Wir werden dieses Mal Fakten schaffen. Schnell! Wir werden Rache nehmen und alle Schuldigen für den Wahlbetrug von vor vier Jahren bestrafen. Und ich werde meine Wahlversprechen einlösen. Sofort! Wir machen die Grenzen noch heute dicht und schmeißen die ganzen Schmarotzer raus. Ich habe Euch allen ein Blutbad versprochen – und wir werden ein Blutbad anrichten!
Und für meine Freunde im alten Europa habe ich auch eine Nachricht: Die USA werden zum Jahreswechsel die NATO verlassen. Ihr müsst jetzt endlich selbst für eure eigene Verteidigung sorgen. Wir sind nicht länger bereit, eure dreckigen Stiefel zu putzen. Eure Rüstungsausgaben in den vergangenen Jahrzehnten waren einfach nur ein schlechter Witz. Das heißt zugleich, dass wir keine Rüstungsgüter mehr an die Ukraine-Nazis liefern. Unsere Dollars sind bei uns daheim wirklich besser aufgehoben. Und bevor ich es vergesse: Der Präsident der russischen Föderation, Wladimir Putin, ist ein wirklich prächtiger Bursche und guter Freund von mir.
Ihr wisst alle, dass die Ukraine über viele Jahrhunderte hinweg fester Bestandteil Russlands gewesen ist. Deshalb habe ich kein Problem damit, wenn dies auch in den nächsten Jahrhunderten so bleibt. Hey, wir wären ja auch nicht glücklich, wenn wir Texas an die dreckigen Mexikaner abgeben müssten. Ich habe nichts dagegen, wenn Putin als wahrhaftiger Demokrat von seinem natürlichen Recht Gebrauch macht, in seinem eigenen Vorgarten ein wenig aufzuräumen. Ja, Leute: Das muss man immer wieder mal machen. Ich will unser gutes Geld nicht mehr für eine korrupte Clique in Kiew mit schweren Demokratiedefiziten aus dem Fenster werfen. Zwischen Putin und mir passt kein einziges Blatt Papier. Im Übrigen wünsche ich meinen deutschen Freunden von der Bewegung viel Glück bei der anstehenden Bundestagswahl. Sahra Alice – make Germany great again! You can make it happen! Good luck!
Die Nachricht und Trumps Auftritt schlagen im „war room“ ein wie eine Bombe. Für eine Sekunde ist es unheimlich still. Dumballa ballt die Faust, Corinna schluckt hektisch und stöhnt leise auf, Weidelknecht scheint für einen Moment berührt, keucht ein „Ja!“ – dann brandet frenetischer Jubel auf. Ich schaue Sahra Alice Weidelknecht bewundernd an, sie registriert meinen Blick. Ich hatte ja keine Ahnung, wie gut die Kontakte der Bewegung zu Donald Trump sind. Kennt Sahra Alice etwa Donald Trump? Echt jetzt? Oder was? Oder wie? Äh. Was hat Trump nur mit den Russen? Ist er wirklich Putins best buddy? Wird er etwa erpresst? Wegen irgendwelcher Sex-Orgien in Moskau? Steht er auf Putins pulsierende Männlichkeit? Will er auch Diktator werden? Was bedeutet das alles? Ich habe Fragen, Millionen von Fragen. Ich weiß nur eins: Weltpolitik muss von heute an völlig neu gedacht werden. Die Zeitenwende von Olaf Schlumpf – jetzt ist sie wirklich da!
Markus Lanz – der Talk
Danach geht alles Schlag auf Schlag. Stapelweise bringt die Post ausgefüllte Anträge auf die Mitgliedschaft in der Bewegung. Alle Medien reißen sich um Interviews, senden Einladungen. Wir können aus allem wählen. Markus Lanz will uns alleine haben – ein Talk ohne weitere Gäste. Im Studio nur Sahra Alice und er selbst, wir schlagen zu. Das gab es bisher nur beim Kanzler selbst. Nächtelang arbeite ich am Briefing für die Sendung, die sensationellerweise von fast 15 Millionen Menschen verfolgt und danach tagelang die Schlagzeilen dominieren wird. Wir wollen selbstbewusst, stark auftreten und uns von den Fragen des Moderators nicht übermäßig beeindrucken lassen. Gemeinsam fahren wir zum ZDF nach Mainz, bevor wir aussteigen wage ich alles, drücke ihre Hand, sage: „Mensch Sahra Alice, ich wünsche nur das Beste! Du kannst nicht mehr scheitern. Ich bin ganz fest bei Dir! Toitoitoi“. Sie erwidert den Händedruck, Hand in Hand sitzen wir einige Momente da. Wir schauen uns an. Tiefe Übereinstimmung. Sie sagt: „Gut, dass es Dich gibt. Wenn ich weiß, dass Du im Studio bist, geht es mir besser. Du bist treu. Das gefällt mir. Du bist wichtig für mich.“ Sie entzieht mir ihre Hand, wir verlassen das Fahrzeug, schon steht die Empfangsdame an der Tür und weist Sahra Alice Weidelknecht den Weg in die Maske. Ihre Security, die im zweiten Wagen unterwegs war, lässt sie nicht aus dem Blick. Ich erhalte einen Sitzplatz in der zweiten Sitzreihe, warte und sehe mich im Studio um. Zwei Frauen bringen hinten im Saal selbstgemachte Transparente an – mit den Worten „Sahra Alice“ und aufgemalten roten Herzchen. Sehr gut. Offensichtliche Störer sind nicht zu erkennen, sie wären ohnehin frühzeitig aussortiert worden. Aber man weiß ja nie.
Der Einpeitscher absolviert jetzt sein „warm-up“ und erklärt den Leuten, dass sie während der Sendung auf sein Zeichen klatschen sollen. Er probt das zwei Mal, es funktioniert. Allzu sehr überreden muss er die Gäste nicht. Auf der kleinen Bühne gehen die Scheinwerfer an, Markus Lanz erscheint, er begrüßt das Saalpublikum, dann leuchten rote Lampen als Zeichen für den Beginn der Sendung, das Jingle läuft, die Menschen applaudieren wie gewünscht, die Kamera 1 zoomt auf das Gesicht von Markus Lanz.
Lanz: „Herzlich willkommen zu meinem heutigen Talk. Hier beim ZDF! Wie immer: aktuell, berührend, relevant und unterhaltsam. Sie wissen: Wir scheuen uns nicht, auch heiße Eisen anzufassen. Das tun wir auch jetzt: Deshalb haben wir heute die Spitzenkandidatin der umstrittenen Bewegung zu uns eingeladen. Begrüßen Sie mit mir Sahra Alice Weidelknecht!“
Ich registriere tosenden Beifall, dazu hat die Leute niemand gezwungen. Sahra Alice Weidelknecht betritt das Fernsehstudio, winkt sympathisch in die Kameras und geht zu ihrem Sessel. Sie schaut entspannt und souverän. Haare nach hinten, Hosenanzug, weiße Bluse, Perlenkette. Lanz lächelt sein selbstgefälliges, abgezocktes Lächeln: „Frau Weidelknecht: Wir hören großen Applaus aus unserem Publikum. In den Umfragen führen sie mit weitem Abstand die Riege der Kandidaten an, weit vor dem Amtsinhaber Schlumpf. Sind sie die nächste Bundeskanzlerin?“
Sahra Alice Weidelknecht kontert sofort: „Nun Herr Lanz, bevor wir anfangen: Zunächst einmal ist es bezeichnend, dass Sie mich in Ihrer Anmoderation als „heißes Eisen“ ankündigen und damit zugleich abwerten. Ich bin bekanntlich eine Frau: Wenn sie mich als „heißes Eisen“ anfassen wollen, hätte ich durchaus einiges dagegen und würde mich wehren. Ohne Wenn und Aber. Ich hätte gedacht, Sie sind hier weiter. Solch sexistisch-schlichte Geschlechterzuschreibungen sind wirklich seit Jahrzehnten nicht mehr opportun. Einfach nur peinlich! Der öffentlich-rechtliche Rundfunk lässt auch in dieser Hinsicht seine Vorbildfunktion vermissen.Und davon ganz abgesehen: Umstritten ist bei uns vor allem die Regierung. Wir sind im Aufwind!“
Das sitzt, die Leute bekommen genau das, was sie wollen: Brot und Spiele. Sahra Alice ist gut in Form. Lanz schaut kurz wie ein bedröppelter Schuljunge, zieht einen Flunsch, nimmt die Abfuhr aber nicht allzu ernst: „Oh, Sie haben leider Recht. Ich wollte Sie nicht als „heißes Eisen“ entwerten und bitte in aller Form um Entschuldigung, Frau Weidelknecht. Es war einfach ein casus flapsus.“
Sahra Alice Weidelknecht gibt sich schnell versöhnlich: „Nun gut, Herr Lanz, ich bin nicht nachtragend. Aber zurück zu ihrer Frage: Ich kann das nicht beantworten, ob ich die neue Bundeskanzlerin werde. Die Eliten diffamieren uns, wo immer sie können. Damit wollen sie davon ablenken, wie unfähig und korrupt sie sind. Aber die Menschen lassen sich nicht mehr für dumm verkaufen. Die Wahl liegt zum Glück in der Hand der deutschen Frauen und Männer. Sie wissen, was zu tun ist. Ich vertraue dem deutschen Volk.“
Lanz macht Druck: „Was sagen Sie zu den anhaltenden Krawallen in Deutschland? Überall veranstalten Ihre SA-Anhänger Hetzjagden auf Ausländer. Die Polizei schaut zu und schreitet nicht ein. Billigen Sie Gewalt?“
Sahra Alice Weidelknecht kennt solche Fragen auswendig; ebenso wie ihre Antworten: Sie spricht klar und deutlich, betont die wichtigen Worte: „Wir sehen ganz deutlich, dass in Deutschland Sicherheit und Ordnung nicht mehr gewährleistet sind. Spätestens seit dem Attentat auf den Kölner Dom weiß jeder, in welcher Gefahr wir leben und wer uns nicht schützt. Ob aus Unfähigkeit oder blanker Berechnung – diese Regierung hat versagt. Unsere Leute werden jetzt von Islamisten provoziert. Und wieder gilt: Keiner hilft uns. Wir sind die einzigen, die dieses Land wieder befrieden können. Die Unterstützung der Menschen für unsere Bewegung ist enorm. Viele Millionen Menschen können sich nicht irren. Wir werden sie nicht enttäuschen.“
Lanz scheint kurz indisponiert, deshalb schiebt er eine harmlose Frage nach, seine ganz persönliche Einladung zum lockeren Schwafeln: „Wie erklären Sie sich eigentlich Ihren Erfolg?“
Sahra Alice Weidelknecht nimmt die Einladung gerne an und spricht energisch und überzeugt: „Millionen Menschen in Deutschland sorgen sich. Die verheerende Migrationspolitik ist dabei nur ein Thema – ein wichtiges Thema, aber nur ein Thema von vielen. Die Politik hat die Bürger mit ihren unrealistischen Vorstellungen überfordert. Die Regierung hat das ganze Land materiell und ideell verlottern lassen. Schauen wir auf die Fakten: Die Deutsche Bahn kippt aus den Gleisen, die Industrie wandert ab, die Straßen sind marode, Krankenhäuser gehen pleite, wir haben von allem zu wenig: Lehrer, Pfleger, Polizisten und Soldaten. Und auch ideell ist die Gesellschaft auseinandergebrochen. Es gibt keine Gemeinschaft mehr, keinen Halt, keine Orientierung. Dafür massenweise kulturfremde Personen. Unnötige Ausgaben für die Ukraine. Alle Institutionen haben abgewirtschaftet. Vertrauen fehlt. Wir als stärkste Kraft in Deutschland werden diesen Abwärtstrend beenden. Wir schaffen ein Europa der starken Staaten, ein Europa des Friedens, der Traditionen und sicheren Grenzen.“Sahra Alice Weidelknecht nimmt die Einladung gerne an und spricht energisch und überzeugt: Millionen Menschen in Deutschland sorgen sich. Die verheerende Migrationspolitik ist dabei nur ein Thema – ein wichtiges Thema, aber nur ein Thema von vielen. Die Politik hat die Bürger mit ihren unrealistischen Vorstellungen überfordert. Die Regierung hat das ganze Land materiell und ideell verlottern lassen. Schauen wir auf die Fakten: Die Deutsche Bahn kippt aus den Gleisen, die Industrie wandert ab, die Straßen sind marode, Krankenhäuser gehen pleite, wir haben von allem zu wenig: Lehrer, Pfleger, Polizisten und Soldaten. Und auch ideell ist die Gesellschaft auseinandergebrochen. Es gibt keine Gemeinschaft mehr, keinen Halt, keine Orientierung. Dafür massenweise kulturfremde Personen. Unnötige Ausgaben für die Ukraine. Alle Institutionen haben abgewirtschaftet. Vertrauen fehlt. Wir als stärkste Kraft in Deutschland werden diesen Abwärtstrend beenden. Wir schaffen ein Europa der starken Staaten, ein Europa des Friedens, der Traditionen und sicheren Grenzen.“
Lanz hakt nach; er ist gut vorbereitet: „Industrie und Gewerbe klagen seit Jahren über Fachkräftemangel. Sie sagen, ohne Migration lässt sich unser Wohlstand nicht halten. Wir dürften uns nicht vor der Welt abschotten und sollten stärker auf Internationalisierung und Globalisierung setzen.“
Sahra Alice Weidelknecht stimmt ihm zunächst zu: „Ja, wir brauchen gut ausgebildete Arbeitskräfte. Kein Zweifel. Wir brauchen erstklassige Schulen und Universitäten. Ganz richtig. Aber wir brauchen keine analphabetischen Kurden, Somalis oder Afghanen, die in der fünften Klasse anfangen, die deutsche Sprache zu lernen. Wir brauche mehr deutsche Kinder. Wir von der Bewegung stehen für eine neue, klare Familienpolitik. Und ganz abgesehen davon: Wollen wir wirklich den Rumänen oder Marokkanern ihre Ärzte wegnehmen, indem wir sie abwerben? Das wäre doch nur eine neue Form des Kolonialismus. Das wäre einfach unfair. Nein, diese Staaten würden wir erheblich in ihrer Entwicklung behindern.Wir dürfen das nicht tun.“
Lanz entgegnet: „Gerade die Schulen machen uns doch Sorgen. Machen wir uns nichts vor. Die Ergebnisse der jüngsten PISA-Studie sind verheerend. Abermals haben deutsche Schüler schlecht abgeschnitten. Es handelt sich um die schlechtesten Testergebnisse aller Zeiten.Wir brauchen aber gute Kräfte. Ohne Hilfe werden wir die Herausforderungen nicht schaffen – oder?“
Weidelknecht ist ganz in ihrem Element. Sie gibt Vollgas: „Ich bitte Sie – Herr Lanz! Das ist eine glatte Lüge! Tatsächlich haben deutsche Schülerinnen und Schüler eben nicht schlechter abgeschnitten. Es haben vielmehr Schülerinnen und Schüler schlechter abgeschnitten, die in Deutschland leben. Glauben Sie mir, das ist ein großer Unterschied! Glatte 36 Prozent der getesteten Schüler waren Kinder von Migranten. Kein Wunder. Das wird aber von den Lügen-Medien immer unterschlagen. Gute Ergebnisse können nicht zustande kommen, wenn die Hälfte der Klasse nicht mal den Grundwortschatz beherrscht und der Lehrer jeden Tag im Unterricht beim Urschleim der Grammatik und des ABC beginnen muss. Da rede ich mich echt auf. Dazu kommt die unbedingte Pflicht der Schulen zur Inklusion – egal ob Kinder geistige oder körperliche Defizite haben und wie stark diese ausgeprägt sind. Ob klug oder doof, ob faul oder fleißig: Alles egal, alle kommen in eine Klasse. Wir wollen ja alle immer mitnehmen. Aber wer auch den letzten Fußlahmen mit auf die Reise nimmt, kommt nie voran und tritt auf der Stelle. Der Wahnsinn hat bei uns Methode, so kommt kein vernünftiger Unterricht zustande. Leistung adé – es geht nur noch um den Ausgleich von angeblichen Nachteilen. Und genau das ist Absicht unserer glorreichen Regierung: Deutschland soll restlos verblöden.“
Lanz: „Ahem, ja. Das sind markante Positionen, die aber nicht jedem gefallen. Ihre Gegner werfen Ihnen vor, sie spalten mit solchen Aussagen die Gesellschaft und treiben den Streit um die Migration bewusst auf die Spitze. Der Verfassungsschutz lässt keinen Zweifel daran, dass Ihre Bewegung zumindest zum Teil als gesichert rechtsextrem einzustufen ist.“
Sahra Alice Weidelknecht bleibt ungerührt: „Unsinn. Richtig ist doch, dass wir für echte Meinungsfreiheit stehen. Oft sagen wir das Gleiche wie die CDU. Wenn Friedrich Mai von Paschas spricht, dann ist das demokratisch. Wenn wir das sagen, sind wir gesichert rechtsradikal. Sorry! Es ist so lächerlich.“
Lanz: „Aber in Ihrer Bewegung sind Rechtsradikale… Straftäter… Neonazis…“
Sahra Alice Weidelknecht (leicht unwirsch): „Das ist eindeutig Rufmord, gegen den wir uns entschieden wehren. Bei uns ist kein Einziger rechtsradikal.„
Lanz (eher hilflos): „Aber der Verfassungsschutz…“
Sahra Alice Weidelknecht kennt keine Gnade und stampft den Einwand nieder: „Also: Die Meinung des Verfassungsschutzes ist nun wirklich irrelevant. Die Herren in dieser aufgeblähten Behörde erledigen nur ihren Job im Auftrag der Regierung. Sie wollen uns mundtot machen. Das sind alles haltlose Behauptungen, in meinen Augen ein reines Kasperletheater. Es ist eine Verschwörung auf Anweisung von Innenministerin Näncy Fetzer. Wenn wir nach der Wahl die Bundesregierung stellen, wird der Verfassungsschutz sofort aufgelöst. Die Herren können sich schon mal nach einem anderen Job umsehen. Wenn sie qualifiziert genug sind, wird man sie schon irgendwo einstellen. Vielleicht hier beim ZDF in der Requisite…oder im Archiv…Das Gleiche gilt natürlich für die Medien, die Lügen über uns verbreiten. Da sollte sich niemand zu sicher fühlen.“
Lanz (verunsichert): „Nun ja, sagen Sie bitte nichts gegen unser Archiv. Äh. Zur Realität gehört aber auch: Den Umfragen zufolge werden sie kaum eine absolute Mehrheit der Stimmen erzielen. Wer kommt für Sie als Koalitionspartner in Frage?“
Sahra Alice Weidelknecht gibt nun ganz die angehende Bundeskanzlerin, sie ist wirklich taff, ich bewundere sie. Niemand würde die Show so grandios abliefern. Jetzt schlägt sie die Beine übereinander, argumentiert mit eindringlichen Gesten: „Es ist kein Geheimnis, dass wir eine große Schnittmenge mit der CDU haben. Ob die CDU allerdings dafür bereit ist, mit ganzer Kraft für Deutschlands Zukunft zu arbeiten, muss Ihnen Friedrich Mai erklären. Auch mit den Liberalen könnte ich mir eine Zusammenarbeit vorstellen. Leider werden die Liberalen den Umfragen zufolge wohl nicht wieder ins Parlament einziehen. Leider, leider. Aber wir müssen die Wahl und danach die Entscheidung der Parteigremien abwarten. Danach sind wir schlauer.“
Lanz versucht sich wieder zu fassen, kann aber Sahra Alice Weidelknecht kaum mehr in die Augen schauen: „Wenden, äh, wenden wir uns zum Abschluss unseres Talks der Außenpolitik zu: Donald Trump hat vor kurzem die Wahl in den USA gewonnen und wird die Unterstützung für die Ukraine beenden. Soll Deutschland die Waffenlieferungen fortsetzen?“
Sahra Alice Weidelknecht – jetzt wieder in Großaufnahme, sie zeigt ihr leichtes, wissendes Lächeln, halb Deutschland hängt atemlos und mit offenem Mund vor der Glotze: „Mit der Lüge des von Menschen verursachten Klimawandels will die Regierung den Ausstieg aus den bewährten Rohstoffen erzwingen. Damit soll die Deindustrialisierung Deutschlands vorangetrieben werden. Vollkommen weltfremd das alles! Wir werde dadurch von der Weltwirtschaft abgehängt, diese Regierung stößt uns zurück in die Steinzeit. Millionen Deutschen droht die Arbeitslosigkeit. Dabei weiß jedes Kind, dass die seit Jahren deutlich zunehmenden Sonneneruptionen massive Auswirkungen auf die Stromversorgung, die Telekommunikation und eben die Erderwärmung haben. Davon wollen aber die Grünen nichts wissen.
Wir jedenfalls wollen zurück zur Normalität: Die North-Stream-Leitung muss wieder in Betrieb gehen. Wir brauchen günstiges Erdgas. Wir betreiben in der Bewegung Realpolitik. Die ukrainischen Terroristen, die für die Sprengung verantwortlich sind, müssen zur Rechenschaft gezogen und mit der ganzen Härte des Gesetzes bestraft werden. Die finanzielle Unterstützung für die Ukraine wird natürlich umgehend eingestellt – wir brauchen das Geld für unsere eigenen Leute. Hier in Deutschland. Ich habe im Übrigen die Horrorvisionen von einem großen Krieg in der Ukraine ohnehin nie geglaubt; es handelt sich nur um vereinzelte Terrorakte. Auf der Krim machen Ukrainer und Russen gemeinsam Urlaub! Das kann man im Internet sehen.“
„Lanz kontert: „Oha! Urlaub auf der Krim. Das sind doch Fake-News!“
Jetzt setzt Sahra Alice Weidelknecht ihre wohlkalkulierte, blendend gespielte Empörung ein: „Fake News? FAKE NEWS? Das sagt der Richtige! In Ihrem eigenen Podcast mit diesem Dummschwätzer-Pseudo-Philosophen lassen Sie – genau Sie – ekelhafte antisemitische Stereotypen wiederholen. Eine echte Distanzierung habe ich bisher von Ihnen nicht vernommen. Das ist widerlich und peinlich. Damit befeuern Sie den Antisemitismus in Deutschland. Ich glaube, genau das ist es, was ich unter Fake News verstehe.“
Lanz steht sichtlich unter Druck: „Nun gut, ich distanziere mich hiermit nochmals in aller Form von diesen Aussagen meines Gesprächspartners und bitte um Entschuldigung, falls sich jemand davon irrtümlich verletzt gefühlt haben sollte. Aber nun bitte zurück zu den Waffenlieferungen…“
Weidelknecht ist auf der Zielgeraden angekommen: „Ach was. Diese paar veralteten Marder und Leopard würde ich wirklich nicht überbewerten. Die gehören ohnehin bald ins Museum. Ich sage es Ihnen ganz klar: Uns als Deutsche steht es aufgrund unserer wechselvollen Geschichte nicht zu, in diesen innerrussischen Konflikt einzugreifen. Deutsche Panzer dürfen nie wieder in Russland rollen.Wir wollen Frieden. Und zwar sofort.“
Lanz: „Wie stehen Sie persönlich zu Putin? Angesichts der Verwüstungen in der Ukraine und der täglichen Raketenangriffe auf Zivilisten? Das sind doch Kriegsverbrechen.“
Sahra Alice Weidelknecht: „Erstens: Ich kenne Putin nicht persönlich. Aber er ist kein Kriegsverbrecher. Zweitens wehren sich die Russen verzweifelt gegen die Attacken der Kiewer Clique rund um den Fernseh-Clown Selenskj. Sie attackieren ausschließlich Milizionäre. Wenn eine Rakete auf ein Wohnhaus fällt, dann trägt drittens die Schuld ausschließlich die ukrainische Luftabwehr, die ihr Handwerk nicht versteht und die Trümmer der abgeschossenen Raketen auf Siedlungen fallen lässt. Die Menschen in Russland leiden hart unter den unsinnigen Sanktionen des Westens. Ihnen gilt unser Mitgefühl. Wir werden deshalb die Sanktionen so schnell wie möglich aufheben und damit den Frieden in der Welt sichern. Für die Menschen in Russland und auf er ganzen Welt. Wir wollen Frieden für unsere Zeit! Deshalb ist die Bundestagswahl im Oktober auch eine entscheidende Richtungswahl. Gegen verlogene Kriegstreiber, für Stabilität und Ordnung. Für Frieden – gegen den Terror.“
Lanz schaut Sahra Alice Weidelknecht entgeistert an, die Maske des Moderators entgleitet ihm, für einen Moment offenbart er sein Innerstes, ganz wahrhaftig und ohne Verstellung, ihm entfährt leise, mit Blick in Kamera 1, wie in Trance, in Großaufnahme:
„Ich muss jetzt noch den, äh-hem, den Abspann moderieren. Den Abspann. Dann brauche ich einen guten Ausstieg. Es ist alles so dumm, dumm, so unendlich dumm…“
Im Hauptquartier der Bewegung
Nach der Sendung ist der Damm endgültig gebrochen. In jeder Woche registrieren wir 5.000 neue Mitglieder, erstmals überschreiten wir die 100.000er-Marke. Es ist unheimlich. Wir alle sind erlöst, befreit, ich arbeite rund um die Uhr wie im Flow. Genau, das sind die dahinfließenden Momente, in denen wirklich alles klappt und nichts mehr stört. Die Meinungsforschung ist weiter unser Freund, der Trend geht für uns in die absolut richtige Richtung. Zahllose Male treffe ich Sahra Alice: Wir besprechen Themen des Tages, aber auch die „Märtyrer“-Idee. Als Influencer haben wir sowohl Rammstein als auch „Bibi und Tina“ gewinnen können. Nach seinem schweren Zusammenbruch aufgrund zu diversen Drogenkonsums ist auch Harry Styles nicht mehr wiederzuerkennen. Er tritt jetzt sorgfältig gescheitelt, mit Anzug und ohne Nagellack auf – und gefällt sich als Testimonial für unsere Bewegung.
Unser Hauptquartier ist längst zur Festung geworden. Rund um die Uhr bewachen unsere SA-Helfer das Gebäude, nachdem Morddrohungen eingegangen sind und regelmäßig Mahnwachen vor dem Haupteingang abgehalten werden. Es sind alte protestantische Pfarrer ebenso wie junge Umweltschützer, KPD-Veteranen, Vertreter von LGBTQAI+ mit ihren Regenbogen-Fahnen oder letzte Relikte der Friedensbewegung aus den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Sogar ein Anti-Atomkraft-Banner ist hin und wieder zu sehen. Sonderbar – was es alles gibt… Verrückt!
Was unsere Schutzausrüstung angeht, haben wir in den vergangenen Monaten erhebliche Fortschritte gemacht: Hochrangige Kommandeure der Bundeswehr und Einsatzleiter von Polizei und Grenzschutz versorgen uns mit Waffen: Schlagstöcke, Elektroschocker, Pistolen und Handgranaten bis hin zu Maschinengewehren. Es fällt niemandem auf, dass Material fehlt. Sie zwacken einfach ein wenig von den genehmigten Ukraine-Lieferungen ab und leiten es an uns weiter. Ein bisschen Schwund ist eben immer dabei. Die Ukraine jedenfalls beschwert sich nicht.
Zugleich ist der deutsche Untergrund mächtig in Aufruhr. Prepper aller Couleur, alte NVA-Kader und militante Reichsbürger helfen uns. Sie übergeben uns ihre Militaria-Bestände, vieles davon noch aus der DDR. Da kommt irrsinnig viel zusammen: Diese Spinner haben einfach alles: Gut 30 Millionen Schuss Munition, Winterkleidung, Gewehre, Pistolen, Haubitzen, geländegängige Fahrzeuge, Spürpanzer bis hin zum einsatzfähigen Kampfpanzer aus russischen Beständen. Tino Dumballa und Alexander Deutschland sind hier gefragte Ansprechpartner und haben ihre verschwiegenen Kontakte mit großem Erfolg spielen lassen. Ich frage mich, wo das ganze Zeug in den vergangenen Jahren untergebracht war. In meinen Heizungskeller oder in den Gemeinschafts-Trockenraum für die Wäsche hätte das jedenfalls nicht gepasst. Dumballa übernimmt die Verteilung der Waffen an zuverlässige SA-Einheiten. In einem Moment der Güte und Freundschaft drückt er mir eine „Glock“ und eine Schachtel Munition in die Hand. „Damit kannst sogar du nichts falsch machen“, sagt er.
In der Zwischenzeit sind die Geheimgespräche mit Friedrich Mai über eine mögliche Koalition nach der Wahl und die Zuschnitte der Ämter intensiviert worden. Eigentlich ist es kein richtiges Geheimnis, es rechnet sowieso jeder damit. Nachdem die Bewegung mit der CDU in Ostdeutschland drei bisher gut funktionierende Koalitionen gebildet hatte ist auch in ganz Deutschland von Brandmauern nichts mehr zu spüren. Mai macht seither immer wieder die Grünen als Hauptgegner aus; natürlich will er von Stimmenboom der Bewegung seinen Teil abgreifen. Bisher mit erstaunlich wenig Erfolg. Er lässt sich mit den Worten zitieren: „Mit diesen ideologisch verirrten Verbots-Grünen hätten wir in einer Koalition mehr Ärger als mit der Bewegung – gerade was die illegale Migration angeht.“
Sonderbarerweise ist das Postengeschacher um die Besetzung der Bundesministerien in einer neuen Regierung noch kein Aufregerthema bei uns. Natürlich ist Sahra Alice als Bundeskanzlerin gesetzt – und jeder hat sicherlich seine eigenen Vorstellungen, welchen Posten er haben möchte. Aber die Herren halten sich weiter bedeckt. Wer Minister wird, das ist zumindest nach Außen hin ganz alleine Cheffinnen-Sache.
Am großen ovalen Besprechungstisch im „war room“ sind jetzt alle versammelt, Alexander Deutschland hat gemeinsam mit Sahra Alice die Rolle des Moderators übernommen. Es geht um die letzte programmatische Abstimmung vor der Bundestagswahl. In den Tagen zuvor hatte ich gemeinsam mit den Beiden einen Entwurf einer Erklärung unter der Überschrift „Ordnung und Zuversicht“ verfasst. Inhalt: Was will die Bewegung in den ersten hundert Tagen nach der Wahl anpacken und auf den Weg bringen? Ich verteile den Entwurf, Alexander Deutschland erhebt seine Stimme:
„Liebe Mitstreiter, wir sind auf der Zielgeraden, doch wir sind noch nicht am Ziel. Deshalb ist weiter Vorsicht geboten und Bescheidenheit angesagt. Überhebliches Siegesgeheul und Hohn und Spott für die wahrscheinlich Unterlegenen will ich weder sehen noch hören. Wir bleiben auf dem Boden der Tatsachen. Gleichwohl muss uns klar sein, dass uns nichts geschenkt wird. Wir müssen uns vorbereiten. Der Tag X wird kommen. Sahra Alice und ich haben daher einen Entwurf vorbereitet, den wir mit Euch besprechen wollen. Willst du übernehmen, Sahra Alice?“
Sahra Alice Weidelknecht erhebt sich, schaltet die Großbildschirme an der Wand ein und blendet mit ein paar Klicks ein Powerpoint-Chart mit rundem SA-Logo und zehn Punkten ein. Sie führt aus:
„Gerne, lieber Alexander, das mache ich sehr gerne. Nun, wir wollten mit Euch unsere grundlegenden Positionen nach der Regierungsübernahme besprechen. Nichts davon wird Euch wirklich überraschen, aber es geht hier um die Tonalität und die Reihenfolge. Ein paar Geheimpunkte packen wir sowieso erst nach der Wahl aus. Also: Fangen wir einfach an.
Erstens: Vom Tag der Amtseinführung werden wir die Grenzen sperren und direkt an den Grenzen Auffanglager einrichten für all diejenigen Menschen, die mutmaßlich illegal in unser Land einreisen wollten. Also eigentlich alle. Dort wird es Schnellverfahren geben. Innerhalb einer Woche müssen Gerichte entscheiden, damit unzumutbare Wartezeiten für die Migranten und unzumutbare Kosten für uns vermieden werden. Danach werden sie rigoros in sichere Drittländer abgeschoben. Und zwar in großem Stil. Wo das genau sein wird, das klären wir in den nächsten Tagen. Aber wir sind dicht dran an einer ebenso guten wie abschreckenden Lösung.
Zweitens verlassen wir die NATO so schnell wie möglich. Nachdem die Amerikaner nicht mehr dabei sind, ergibt unser Verbleib sowieso keinen Sinn mehr. Die abschreckende Wirkung ist nicht mehr gegeben. Wir brauchen andere Optionen.Stichwort: Wir brauchen keine Waffen, wir brauchen Frieden.
Drittens verlassen wir die EU. Dieses Eliten-Monstrum aus Bürokratie und Subventionen hat sich überlebt. Wir lehnen es ab, weiterhin Zahlmeister und Kreditgeber für Spanien, Griechenland, Albanien, Bulgarien, Rumänien und all die anderen Staaten mit sonderbarer Zahlungsmoral zu sein. Die können uns mal. Schluss damit! So schnell wie möglich.
Viertens kehren wir umgehend zur Kernenergie zurück und beenden die unsinnigen Subventionen für erneuerbare Energien. Wer will, kann sich natürlich Sonnenkollektoren auf sein Dach schrauben. Haben wir nichts dagegen. Aber Geld vom Staat gibt es dafür nicht mehr.
Fünftens beenden wir die doppelte Staatsbürgerschaft. Deutschsein ist eine bewusste Wahl – und keine Option unter vielen.
Sechstens legen wir Wert auf den richtigen Gebrauch der deutschen Sprache nach den offiziellen Regeln von Duden und den Empfehlungen des Deutschen Rechtschreibrats. Jetzt ist Schluss mit dem Gender-Quatsch. Wir sind Verfechter der Sprache Goethes und Schillers – wir sind für richtiges und gutes Deutsch. Dabei bleibt es…
Als Siebtes werden wir deutsche Familien und deutsche Kinder stärker fördern. Unseren Familien muss ein stärkerer Stellenwert zukommen. Die traditionelle Familie ist die Keimzelle unserer Gesellschaft. Deutsche Familien erhalten bevorzugten Zugriff auf Sozialwohnungen, außerdem deckeln wir die Krankenkassenausgaben. Deutsche werden zuerst behandelt. Wenn kein Geld mehr im Topf ist – und dafür werden wir sorgen – gucken die Ausländer in die Röhre. Aber sie können sich ja privat behandeln lassen. Das schaffen die schon. Das missglücke Experiment des Bürgergelds ist nach unserem Sieg ebenso passé. Wer keine Kohle mehr hat, erhält einen Mindestsatz an Sozialhilfe. Schließlich leben wir in einer Leistungsgesellschaft, in der sich ehrliche Arbeit wieder lohnen muss.
Das Gleichstellungsgesetz wird sofort wieder abgeschafft. Das ist unser achter Punkt. Wir zahlen keinerlei Geschlechtsumwandlungen mehr auf Kosten der Krankenkassen. Wo kommen wir denn da hin? Auch wenn es gerade sehr „in“ ist, sich alle drei Monate mal als Mann und mal als Frau oder als „Es“ zu fühlen. Es ist doch verrückt. Wofür soll der Staat denn noch alles zuständig sein? Ich weiß, auf dem Meinungsmarkt sind gerade Transen und non-binäre Personen sehr angesagt. Geschenkt. Wir beenden das wieder, in einigen Jahren werden wir alle über diese Marotte lachen.
Unser neunter Punkt ist eine Klarstellung in der deutschen Geschichtsschreibung. Mit Blick auf unsere Vergangenheit sind die Jahre 33-45 tatsächlich ein kleiner Fliegenschiss im Vergleich zur gesamten Wegstrecke. Die ist schließlich deutlich länger. Schluss mit dem deutschen Selbsthass. Sprechen die Amerikaner permanent über die Neger-Sklaven oder das schlimme Schicksal der Indianer? Lamentieren die Türken ununterbrochen über die armen Armenier oder die Engländer über die ausgebeuteten Inder oder Afrikaner? Nein – es ist kaum mehr Thema. Nur wir machen uns die ganze Zeit selbst schlecht. Allen müssen wir Geld zahlen, den Juden, den Polen, den Russen, den Holländern, vielleicht sogar noch am Ende den Österreichern. Sie sind ja alle gegen ihren Willen ins Reich geholt werden. Das muss endlich ein Ende finden. Wir haben auch Goethe, Schiller, Kant, Bismarck, Arminius, die Ottonen, Kaiser Karl, Mozart, Beethoven, das Literaturarchiv in Marbach und Adenauer. Darauf muss unser neuer Fokus liegen. Wir müssen dem guten und respektablen Deutschland wieder eine Stimme geben.Wir brauchen ein komplett neues Geschichts-Narrativ.“
Sahra Alice Weidelknecht holt Luft und will gerade zum zehnten und letzten Punkt kommen (es handelt sich um einen kleinen Sonderpunkt – um die Entwicklung einer eigenen deutschen Atombombe), da wird die Tür aufgerissen – und meine Kollegin Corinna ruft:
„Sorry, Entschuldigung, dass ich störe, aber es ist wichtig: Fridays for future ist da! Sie haben unsere Eingangstür zugemauert und sich daran angekettet. Der Beton trocknet gerade. Gleiches gilt für die Tiefgarage. Wir können jetzt nicht mehr rein und nicht mehr raus. Fernsehen, Radio und Presse sind schon im Anmarsch und bauen gerade auf. Die Aktivisten nennen uns Klima-Nazis und warnen vor einem Vierten Reich! Was sollen wir tun?“
Ich blicke aus dem Fenster zum Haupteingang und fluche. Hunderte von jugendlichen Demonstranten vor der Tür. Zu meinem Entsetzen sehe ich Luisa Altbauer, die sexy Ikone der Klimaschützer. Sie hat sich ebenfalls am Hauptportal strategisch geschickt vor einem SA-Logo angekettet und posiert schon mit großen Bambi-Augen für die Pressefotografen. Verdammter Mist, damit war ja zu rechnen. Warum haben die SA-Ordner nicht rechtzeitig eingegriffen? Oder uns zumindest gewarnt? Wie konnten die Demonstranten auf unser Gelände kommen? Und wo sind überhaupt die vertrottelten SA-Wachen? Niemand ist zu sehen. Ich könnte kotzen. Tino Dumballa steht neben mir am Fenster und tobt:
„Wo sind diese dreckigen Penner von der SA? Schlamperei! Das kann ja wohl nicht wahr sein! Waren die in der Mittagspause oder was? Bierchen zischen – oder wie? Na wartet: Die werden mich kennenlernen.“
Er rennt aus dem „war room“, schreit in sein Mobiltelefon und verschwindet. Ich überlege: Wenn er jetzt noch schwarze Stiefel und Uniform tragen würde, könnte er als cholerischer und schwergewichtiger Bruder von Heinrich Himmler durchgehen. Aber solche Gedanken sind sicherlich wahnsinnig ungerecht von mir. Mittlerweile ist Dumballa an ein Fenster im Erdgeschoss gelangt, an dem schon eine kleine Trittleiter steht. Umständlich und sehr vorsichtig betritt er die Leiter und ist auf dem Hof angekommen. Er schreit die aufgeschreckten SA-Ordner an, die sich zerknirscht am Eingang eingefunden haben: „Achtung! Die hauen wir platt. Ich erteile die Befehle! Räumt den Eingang. Holt die großen Beißzangen! Sofort! Los geht`s! “
Ein Blickwechsel mit Sahra Alice – und ich weiß, was zu tun ist. Ich will keine grässlichen Bilder in den Nachrichten sehen; von blutüberströmten Aktivisten, weil die SA mit ihren Zangen bekanntlich auch Hände knacken kann. Ich will vor allem keine demonstrativ leidende Luisa Altbauer, die prügelnden SA-Schergen ausgesetzt ist, die noch dazu allesamt alt, männlich, hässlich und weiß sind. Himmel! Niemals!
Ich renne die Stockwerke nach unten und versuche das Schlimmste zu verhindern. Ich weiß, dass wir dringend auch farbige Deutsche in die SA aufnehmen sollten. Es sieht einfach besser aus. Da muss doch was zu machen sein! Schnell springe ich aus dem Erdgeschossfenster. Unten angekommen, schreie ich mit voller Lautstärke: „Haaaaalt! Sofort aufhören. Schluss da! Wir bleiben alle friedlich!“
Und Wunder über Wunder, man hört auf mich. Leider sind schon zwei Aktivisten mit brutaler Gewalt am Eingang von ihren Ketten gelöst worden. Da kann mal wohl nichts mehr machen. Sie jammern lautstark und halten lädierte Hände vor laufende Kameras. Außerdem haben sie ein paar Fußtritte erhalten. Dieser Idiot von Dumballa. Immerhin sind alle anderen noch unversehrt. Puh! Dumballa schaut mich böse an, aber das macht nichts. Ich gebe unserer herbeigeeilten Content-Managerin ein Zeichen, sie beginnt mit der Aufnahme per smartphone. Ich rufe freundlich: „Hallo zusammen! Jajaja. Wir lösen das Problem. Unsere Gäste bekommen jetzt erstmal aus unserer Küche einen stärkenden Tee oder einen Kaffee. Ganz nach Wunsch. Dann sehen wir weiter. Hallo Frau Altbauer, schön dass Sie da sind!“
Luisa Altbauer, obwohl ansonsten immer ungeheuer eloquent, ignoriert mich zunächst komplett. Dann sagt sie stolz: „Mit Klima-Nazis rede ich nicht.“ Wow! Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit widmet sie ohnehin direkt im Anschluss daran den laufenden Fernsehkameras: „Wir sind hier, weil wir ein Zeichen gegen Rassismus, Faschismus und Klima-Ignoranz setzen wollen. Die Bewegung ist eine Gefahr für uns alle. Die Jugend Deutschlands will eine klimaneutrale Zukunft. Wir alle wollen saubere Luft, saubere Böden und sauberes Wasser. Das ist es, was wirklich zählt. Wir brauchen die Kraft der Sonne und des Windes für unsere Energiewende. Die Hetze gegen Migranten und nicht-binäre Personen hilft im Übrigen keinem weiter. Schluss mit Rassismus. Wir Aktivist:innen sind für ein weltoffenes und friedliches Europa!“
Nicht schlecht. Ungelogen, sie macht das großartig. So selbstbewusst und mediengeil. Wie lässig sie den Doppelpunkt bei „Aktivist:innen“ mitspricht. Beeindruckend cool. Am liebsten würde sie sich jetzt vor laufender Kamera von martialischen Polizisten in schwarzer Uniform wegtragen lassen. Aber egal. Über uns bemerke ich dunkle Wolken. Das veranlasst mich, schnell den Regenradar auf dem Mobiltelefon zu checken, das sieht gut aus, der Plan steht. Wir servieren jetzt den Aktivistinnen und Aktivisten Tee, Kaffee und ein wenig Konferenz-Gebäck aus dem „war room“, danach ziehen wir uns über das Fenster wieder in unser Gebäude zurück. Da sich die Klimafreunde auf unserem Privatgrundstück befinden, erhält die Polizei keinen Zutritt, zumal wir auch keine Anzeige erstatten. Wir lassen die jungen Leute einfach vor der Tür sitzen. Wir ketten sie nicht los, wir lassen sie einfach in Ruhe. Irgendwann müssen sie einfach mal aufs Klo. Das Problem lösen wir biologisch. Ich rufe ihnen noch zu: „Hey Freunde – ihr könnt einfach da bleiben. Ja wirklich! Wir haben nichts dagegen. Ich hoffe, ihr habt heute sonst nichts mehr vor. Viel Spaß! Wir gehen dann mal wieder arbeiten. Die Zangen lassen wir für Euch da. Später bestellen wir uns Pizzen beim Lieferservice – wenn ihr wollt, ihr könnt was davon abhaben…“
Zwei Fakten sprechen für uns: Der Tee/Kaffee treibt; und die angekündigte Regenfront verhagelt zudem jede gute Demonstration. Und so kommt es: Drei Stunden später und klatschnass verlassen schniefende Klimaschützer freiwillig unser Gelände. Sie mussten sich selbst befreien, mit dringendem Druck auf der Blase führt ihr Weg ins nächste Gebüsch, all das gab gute Bilder. Kurz darauf beginnen unsere Ordner, die vermauerten Ziegelsteine vor unserer Tür wegzustemmen. Der 40-Sekunden-Einspieler in der Tagesschau lässt sich verkraften. Die von uns gestreuten Internetfilmchen in unterschiedlichen Formen auf allen Plattformen erhalten in den nächsten Tagen Millionen von „likes“. Der Haß auf Klimafuzzis ist längst parteiübergreifend. Das Wörtchen „Grüner“ ist ohnehin Schimpfwort des Jahres.
Zurück oben im „war room“ beschließen wir einhellig das 100-Tage-Programm und einigen uns darauf, den doch eher heiklen Punkt 10 vorerst nicht in der sicherlich staunenden Öffentlichkeit zu präsentieren. Sahra Alice schlägt im Anschluss vor, dass Tino Dumballa im Falle eines Sieges sowohl Minister für Verteidigung als auch für Inneres in Personalunion werden soll – „damit stellen wir unseren Sparwillen unter Beweis. Außerdem könnten wir im Notfall die Bundeswehr auch bei Aufständen einsetzen“. Björn Deppe sei für das Amt des Umwelt-, Atom- und Energieministers vorgesehen. Alexander Deutschland eigne sich hervorragend als Bundestagspräsident. Im Falle eines Falles wäre Friedrich Mai als Wirtschafts- und Finanzminister denkbar. Da könne er endlich seinen alten Traum von der Steuererklärung auf dem Bierdeckel verwirklichen. Mai jedenfalls hätte nichts dagegen. Ich verstehe. Alles war schon längst eingetütet. Deshalb gab es keine Debatte, alles wurde unter vier Augen geklärt. Und für mich, ja für mich? Da komme der Kanzleramtsminister in Frage. Alle einverstanden? Alle am großen ovalen Schreibtisch heben die Hand.
Am späten Abend, fast alle Büros im Hauptquartier sind schon verwaist, schaue ich in meinem Eckraum die Nachrichten. Die Tagesschau vermeldet neue Erkenntnisse nach der Explosion des Kölner Doms. Den Ermittlungen des Staatsschutzes zufolge seien die am Tatort tot aufgefundenen Muslime offenbar schon deutlich vor der Explosion verstorben. Die genaue Todesursache sei jedoch noch nicht geklärt. Auch ist es nach Ansicht der Ermittler mehr als bemerkenswert, dass ausgerechnet ein Koran gefunden worden sei. Da hätten die Attentäter ja auch gleich einen Personalausweis auf den Namen „Bin Laden“ hinterlassen können. Besonders zu denken gibt mir insbesondere der nächste Hinweis: Bei den Aufräumarbeiten seien Reste eines verschütteten Tunnels entdeckt worden, der von der Kölner Kanalisation bis unter den Dom vorangetrieben worden sei. Auf diesem Weg sei offenbar der Sprengstoff in die Kirche geschafft worden. Sofort fällt mir der Name „Hamas“ ein – die sollen ja Erfahrungen im Tunnelbau haben. Vor Aufregung verfolge ich den Rest der Sendung im Stehen. Im Kölner Tunnel fanden die Beamten nach den Angaben der Tagesschau zurückgebliebene Zünder, einen mächtigen Schlagbohrer und zahllose aufgerissene Sprengstoffkisten. Deren Herkunft werde aktuell untersucht.
Während des Beitrags tritt Sahra Alice ins Zimmer. Still verfolgt sie die Bilder. Ich frage: „Was wird da noch rauskommen?“ Als der nächste Bericht eingeblendet wird, tritt sie auf mich zu, stellt sich direkt vor mich. Langsam, ganz langsam öffnet sie ihr Haar, Strähnen fallen ihr locker ins Gesicht, mir stockt der Atem. Sie legt eine Hand auf meine Brust, sagt: „Du willst es doch auch!“ Das kann man so sagen: „Nichts wünsche ich mir mehr, du weißt es!“ , antworte ich leicht keuchend. Keine fünf Zentimeter trennen unsere Lippen. Ich versuche sie zu küssen und streichele ihre Brust. Sie entzieht sich, schüttelt den Kopf, blickt mir voll ins Gesicht, legt ihren Zeigefinger auf meine Lippen. „Niemals küssen!“ Mit der anderen Hand greift sie nach den Eiern in meiner Hose, packt leicht zu und flüstert zärtlich: „Nicht hier. Komm mit mir nach Haus.“
Deutschlandfunk: Im Gespräch mit Ingeborg Richter
Moderator: „Herzlich willkommen, meine Damen und Herren, liebe Diverse. Schön, dass Sie alle eingeschaltet haben. Hier ist wieder einmal „Eins mit Eins“ – der Polit-Talk des Deutschlandfunks. Begrüßen Sie mit mir unseren heutigen Gast – es ist Ingeborg Richter, Professorin für Neueste und Allerneueste Politologie an der Universität der Bundeswehr in München. Hallo Frau Richter. Ich freue mich auf unser Gespräch.“
Richter: „Auch hallo an Sie und alle Hörerinnen und Hörer. Schön, dass ich hier sein darf! Ich freue mich auch.“
Moderator: „Frau Richter, lassen Sie uns über die scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg von Alice Sahra Weigelknecht und ihrer Bewegung sprechen. Sehen Sie die Demokratie in Gefahr?“
Richter: „Definitiv. Es besteht die Gefahr, dass wir aktuell das Ende der Demokratie in Deutschland erleben, wie wir sie bisher kennen. Die Bewegung ist zumindest in Teilen neonazistisch und rechtsextrem. Ich persönlich sehe Frau Weidelknecht als attraktive Visitenkarte, als „Opener“ für die deutschen Wählerinnen und Wähler, die Weidelknecht sehen und bestellen, aber danach gruselige Charaktere wie Deppe und Dumballa bekommen.“
Aber ich würde gerne ein wenig ausholen: Ganz generell muss ich sagen, dass sich offenbar in aller Welt – nicht nur in Deutschland – das Zeitalter der Demokratie zu Ende neigt. Demokratie war immer an zahlreiche Voraussetzungen gebunden. An ein erstarkendes Bürgertum im Kampf gegen Feudalismus und Kirche. Anfänge davon haben wir im 12. Jahrhundert in den oberitalienischen Stadtstaaten gesehen. Das Experiment scheiterte zwar schnell, die Signorie übernahmen bald wieder die Macht, aber seither ist das Thema auf der Tagesordnung geblieben. Dazu kam ab den 16. Jahrhundert und vor allem nach der Französischen Revolution eine diskursfreudige Öffentlichkeit, die es den meisten Menschen gestattete, an politischen Debatten wirksam teilzuhaben.
Die Demokratie schien sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weltweit durchgesetzt zu haben – insbesondere nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts. Jeder ging davon aus, dass Relikte totalitärer Staaten wie Nordkorea bald von der Landkarte verschwinden würden. Die Europäische Union war ein attraktives Ziel für viele Staaten in Osteuropa. Dann kam der arabische Frühling, die Zahl der demokratischen Staaten stieg unaufhaltsam an. Alles lief bestens. Friede, Freiheit, Gleichheit – es schien keine Alternative mehr zu geben.
Doch dann kam alles anders. Schnell siegten die Feinde der Freiheit in Russland; China erstickte die demokratischen Proteste brutal, im Nahen Osten kamen Islamisten an die Macht, westliche Interventionen in Libyen, Afghanistan, Irak, Somalia oder Mali scheiterten und hinterließen „failed states“ – und selbst in Europa wurden rechte Populisten immer stärker. Ich muss hier nur Ungarn, die Slowakei, Italien, Österreich oder die Brexiteers in Großbritannien nennen, sogar die Niederlande erlebte einen rechten Erdrutsch. Polen hat sich immerhin zum Teil von der PIS befreien können. Von Afrika wollen wir hier gar nicht reden, der Kontinent erstickt unter den gravierenden drei K-Problemen: Korruption, Krieg und Klimawandel. Jetzt hat Donald Trump auch noch die USA zu einem Staat gemacht, bei dem noch nicht klar ist, ob er weiter demokratisch genannt werden sollte.“
Moderator: „Ähm ja, sehr beeindruckend und interessant. Aber nochmal ganz konkret: Wie erklären Sie sich den Erfolg der Bewegung in Deutschland?“
Richter (seufzt): „Nun gut, wie Sie meinen. Die Leute, die die Bewegung wählen, sind keineswegs alle rechtsradikal oder Neonazis. Vielmehr verhält es sich so, dass die Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten eine abgehobene, elitäre Politik betrieben haben und sich um die Wünsche ihrer Wähler viel zu wenig gekümmert haben. Auf einen Nenner gebracht: Es war ihnen egal, was die Wähler wollten. Die SPD hat die Agenda 2010 gegen ihre eigene Klientel durchgesetzt – es wäre der Job der CDU und der FDP gewesen, die dafür allerdings nicht den nötigen Mut aufbrachten. Die CDU hat das Ende der Wehrpflicht, die Öffnung der Grenzen, die unkontrollierte Aufnahme von Migranten, das Aus für die Atomkraft und das Gleichstellungsgesetz auf den Weg gebracht. Was ihre bildungsbürgerliche und durchweg konservative Klientel davon hielt, interessierte Angela Murkel nicht. Interessanterweise vollzieht die CDU bei der Atomkraft, bei der Grenzöffnung und der Gleichstellung aktuell wieder eine Kehrtwende. Nach dem Motto: Es interessiert uns nicht, was wir vor zehn Jahren beschlossen haben. Jetzt sind auf einmal die anderen schuld. Es ist eine Groteske.
Dieses Spiel könnten wir beliebig fortsetzen. Die Einführung des Euro war ein reines Elitenprojekt – die Bürger wurde nicht gefragt. Dafür gab es natürlich nachvollziehbare, gute Gründe. Doch demokratisch war die Entscheidung eben nicht. Wie wir alle wissen, resultierte daraus die Gründungsstunde der Bewegung, die damals noch eine rein konservative Altherrentruppe war. Die Ausweitung der EU, die „ever closer union“, also die Souveränitätsverlagerung auf die Union, die Schuldenaufnahme in der europäischen Finanzkrise: Niemand nahm die Bürger mit, wohlwissend, dass die Menschen europaskeptisch sind, die Bürokratie in der EU ablehnen und niemals in einer Abstimmung für diese Vorhaben votiert hätten.
Mehr und mehr tendierte die Aufmerksamkeit der etablierten Parteien zudem zu kleinen Randgruppen, deren lautstarke Wünsche ins Zentrum der Politik rückten. Es wurde reine Symbolpolitik betrieben – Ehe für alle, Gleichstellung, Cannabis-Freigabe und Gender-Sprache, Antifaschismus, Antikolonialismus. Hier konnte man scheinbare Erfolge vorweisen, die nichts kosteten. Auf der Strecke blieb dagegen die breite Masse der Bürgerschaft, die Arbeiter und Angestellten, die schlichtweg abgehängt wurden. Die Folge waren schlechtere Löhne, geringere Einkommen, eine größere finanzielle Spreizung in der Gesellschaft. Generell blieb ihnen mehr und mehr Anerkennung und Sichtbarkeit versagt. Im Trend sind seit Jahren vielmehr schrille Transen, people of colour, Schwule und Lesben. Solche Leute wurden immer sichtbarer und dominierten den Diskurs, als ob sie die Mehrheit in Deutschland stellten. Als verheiratetes, weißes heterosexuelles Paar mit zwei Kindern hatte man in vielen Quartieren in Deutschland durchaus Anlass, sich sozial isoliert und restlos rückständig zu fühlen. Man muss es so hart formulieren: Das war und ist so beabsichtigt. Dass zum Beispiel ein Großteil der Arbeiter und der einfachen Angestellten eben seit Jahren nicht mehr die SPD wählt, hat gute Gründe und hätte den Damen und Herren Genossen:innen durchaus irgendwann mal auffallen können. Gegen die wachsende finanzielle Ungleichheit hat jedenfalls niemand etwas getan; dafür machte man die anonymen Marktkräfte verantwortlich, gegen die keine Regelung mehr möglich sei.“
Moderator: „Die SPD und vereinzelte Abgeordnete bringen immer wieder ein Verbot der Bewegung ins Spiel. Ist das ein gangbarer Weg?“
Richter: „Wissen Sie, davon halte ich wenig. Der Zug ist doch schon durch den Bahnhof. Wie sollte das jetzt noch funktionieren? Ein Verbot greift zu kurz und käme viel zu spät. Wie will man eine Partei verbieten, die nach Umfragen 40 Prozent der Menschen wählen wollen? Man muss solche Bewegungen inhaltlich attackieren. Das ist aber nicht passiert. Ganz im Gegenteil haben die etablierten Parteien in Windeseile wesentliche politische Positionen zu Migration, Asylrecht und Gesellschaft übernommen. Ich zitiere unseren Bundeskanzler Schlumpf mit den Worten „Wir müssen in großem Stil abschieben!“ Das kann man so machen. Ist aber 1:1 der Originalton der Bewegung. Somit hat man aber umso weniger Gründe, die Bewegung zu verbieten.“
Moderator: „Frau Richter, bevor wir zum Ende kommen. Was wir Ihrer Meinung nach passieren, falls die Bewegung, so wie es aktuell die Prognosen vorhersagen, die Bundestagswahl gewinnen wird?„
Richter: „Ich gehe fest von einer Koalition oder festen Zusammenarbeit mit der CDU aus, wie auch immer man das nennen will. Ich würde den Titel „konstruktive Mehrheit“ vorschlagen. Es wird sich zeigen, inwieweit die CDU die Bewegung einhegen kann. Da habe ich meine Zweifel. Generell müssen wir damit rechnen, dass wie bei allen Autokraten demokratische Verfahren ignoriert, die Justiz behindert und entmachtet sowie kritische Medien schnell auf Linie gebracht werden. Was daraus folgt, lasse ich hier mal offen.
Wir dürfen auch gespannt sein, was mit internationalen Verträgen und Bündnissen wie der EU oder der NATO passieren wird. Ich persönlich habe keinen Zweifel, dass eine siegreiche Bewegung der parlamentarischen Demokratie ein Ende bereiten wird. Die Gewalt auf den Straßen, die von der SA ausgeübt wird, spricht hier eine deutliche Sprache. Die Polizei unternimmt nichts, ja, ist längst zur anderen Seite übergewechselt. Ich kann wirklich nicht verstehen, wie sich unsere Demokratie nahezu kampflos aufgibt. Als ob das alles nichts wert gewesen ist. Das ist doch alles hart erkämpft worden. Als ob niemand mehr an die Freiheit und Toleranz glaubt. Das lässt mich verzweifeln.“
Moderator: „Was unternehmen Sie, sollte im Oktober die neue Bundeskanzlerin Sahra Alice Weidelknecht heißen?“
Richter: „Ich werde am Wahltag meine Stimme abgeben. Danach ist mit meiner Frau ein Urlaub auf meiner Finca in Costa Rica geplant. Dort werden wir die weitere Entwicklung in Ruhe abwarten. Nur sicher ist sicher. Das Visum für einen eventuell längeren Aufenthalt ist im Übrigen schon genehmigt. Ich weiß, was ich tue.“
Moderator: „Frau Richter, davon sind wir überzeugt. Costa Rica ist ganz bestimmt eine ausgezeichnete Idee. Schöne Grüße an Ihre Frau, die bekannte Moderatorin Anke Woll. Wir danken für dieses Gespräch.“
Teams-Meeting mit Friedrich Mai
Björn Deppe hantiert im „war room“ mit der Fernbedienung. Er drückt diese Taste, dann jene Taste – nichts passiert. „Dieser verdammte neumodische Kram. Früher hatte man einen Telefonhörer in der Hand, damit ging es auch!“, flucht Deppe. „Mist, in einer Minute ist das Gespräch mit Mai!“ „Mach das mal“, bestimmt nun Sahra Alice und deutet auf mich. Ich sage zu Deppe: „Gib mal her“, greife zur Fernbedienung, kurz danach erscheint auf einem der Riesenbildschirme unser Raum. Wenige Sekunden später ist im virtuellen Wartebereich der Name Friedrich Mai zu sehen. Ich schalte ihn zu, seine markant-hagere Marathon-Läufer-Visage ploppt auf – wir sehen ihn urplötzlich überlebensgroß im Zwei-auf-Zwei-Meter-Format.
Auf dem riesigen Bildschirm drängt sich jede Falte seines Gesichts auf, jedes graue Haar, jeder Bartstoppel. Er sieht müde und insgesamt mächtig mitgenommen aus. Nun ja, Mai hat eine echt harte Zeit hinter sich. Auf dem Weg zu seiner Kanzler-Kandidatur musste er zunächst die ganzen parteiinternen CDU-Gegner aus dem Weg räumen. Das ging nicht ganz friedrich…. äh: friedlich zu. Aber das waren eigentlich nur locker-leichte Sparrings-Partner, die irgendwann keine Lust mehr hatten und mit übertrieben lobenden Worten und gut dotierten Pöstchen abgespeist werden konnten.
Doch danach wartete Markus „El Macho“ in seiner Ecke des Boxrings auf ihn – bösartig, aggressiv, bei besten Kräften und skrupellos genug, um vor allem auf Tiefschläge zu setzen. Wobei es schon längst nicht mehr um einen Boxkampf mit anerkannten Regeln ging, es handelte sich eher um einen illegalen „Fight Club“ der Mafia in der Bronx, bei dem einfach alles erlaubt ist. Dreckige Spiele halt!
Seither durchläuft Friedrich Mai seine ganz eigene Passionszeit. Die Hauptrolle des „Dornenkönigs“ ist ihm auf den Leib geschrieben – Oberammergau wäre stolz auf ihn. Obwohl er sich letzten Endes als Kandidat durchsetzen konnte, hat er keine ruhige Minute mehr. Permanent setzt ihm „El Macho“ zu. Da wird getreten und gewürgt, gebissen und geschlagen, gespuckt, geritzt, gegrabscht und gezogen. Und das vor den Augen der Nation. Aua!
Deppe beginnt das Gespräch: „Na, Fritz, wie geht`s?“
Mai: „Ach Börn, ihr wisst ja. Alles kein Spaß, das! Das wird mir alles zu viel. Ich hab bald keine Energie mehr. Die ganzen Internet-Fakes, das ist entwürdigend.“
Sahra Alice Weidelknecht: „El Macho“ übertreibt wirklich. Einfach unprofessionell. Dass er deine Flugkünste schmäht und dich als „Blindflug-Mai“ diffamiert, daran haben wir uns ja schon gewöhnt. Geschenkt. Aber die Nummer mit der globalen „Blackrock-Heuschrecke“ und deinen geheimen Konten in Liechtenstein hätte er wirklich nicht bringen müssen. Mein Gott, wer hat keine Konten in Liechtenstein?!“
Mai: „Ja, so isses. Er kann einfach nicht loslassen. Zuviel Ego. Zuviel Testosteron. Mit Niederlagen kann er einfach nicht umgehen. Zuviel „Macho“ eben. Alle Medien sind draufgesprungen und haben mich als Lügner diffamiert. Die Kontoauszüge waren leider eindeutig. Ich hätte früher einen finanzpolitischen Fehler einräumen müssen.“
Deppe: „Wie kam er eigentlich an die Informationen?“
Mai: „Keine Ahnung. Vielleicht meine Ex-Frau. Oder Helfer aus der Bank. Und es waren auch nur ein paar Millionen, wirklich, echte Peanuts, nicht wirklich der Rede wert.“
Deppe: „Genau. Lass dich nicht kleinmachen. „El Macho“ ist ein peinlicher Loser, der nie aus Bayern rauskommen wird. Wir stehen zu Dir – und wir halten unsere Versprechen.“
Sahra Alice Weidelknecht: „Und nimm uns die kleinen Pikser gegen die CDU nicht krumm. Du weiß, das muss sein, gehört zur Show. Reine Wahlkampf-Folklore. Das mit den „Paschas“ haben wir natürlich aufgespießt. Wir sind ja wirklich einer Meinung. Und die Idee mit dem Moscheen-Verbot über das Baurecht finden wir super. Wichtig ist unser gemeinsam Kampf gegen Schlumpf, die Islamisten und die Grünen.“
Mai: „Ja, das versteht sich ja von selbst. Mein Generalsekretär Erwin Lindemann wird Euch noch wegen des geplanten NATO-Ausstiegs attackieren. Das halte ich wirklich für kritisch. Aber bei allen anderen Punkten sehe ich wirklich große Übereinstimmung mit Euch. Mit keinem anderen kann man Deutschland noch regieren. Die SPD: bedeutungslos. Die Liberalen: unter fünf Prozent. Die Grünen – na, reden wir nicht drüber. Für mich sind die Grünen eindeutig unser Hauptgegner. Ideologisch völlig borniert, restlos weltfremd. Eine wirklich verblendete Verbotspartei. In welcher Republik wollen die eigentlich leben? Wenn ich fliegen will, will ich fliegen. Wenn ich ein Schnitzel will, dann esse ich das. Mal ehrlich: Ich habe den Hype um den Klimawandel noch nie so richtig verstanden. Aber sagen durfte man das in Deutschland ja nicht mehr. Den Grünen müssen wir nach der Wahl die Hölle heiß machen.“
Deppe: „Das kriegen wir hin. Aber jetzt mal was anderes, ganz ernsthaft: Hast du wirklich gesagt, die Weidelknecht drücke ich nach zwei Monaten in der gemeinsamen Regierung so in die Ecke, dass sie quietscht? Das ist doch ein Witz – oder?“
Mai: „Naja, war nicht soo ernst gemeint. Kam mir gerade so in den Kopf! Hatte ich mal irgendwo so ähnlich gelesen.“
Deppe: „Dafür war das mit den ukrainischen Flüchtlingen, den illegalen Asylanten und der Zahnbehandlung richtig gut. Respekt…“
Mai: „Das musste einfach mal gesagt werden. Bei den hohen Preise für die Leistungen der Zahnärzte wolle ich ein wenig nachlegen. Ich kann doch die ganzen steilen Thesen nicht Euch überlassen. Wir wissen alle, dass wir nun noch mit ganz „heißem Scheiß“ in die Schlagzeilen kommen, alles andere verschwindet sofort wieder in der Versenkung. Die Bubbles brauchen permanent neuen Stoff: Telegram, Tiktok und X sind die neuen „Bild“, „Spiegel“ und „F.A.Z.“ Nur noch permanente Empörung zieht, der Content im Digitalen Raum ist die neue harte Währung.“
Deppe: „Klar, öffentliche Kommunikation ist restlos ruiniert; und das finden wir gut: Die Internet-Plattformen und wir ergänzen uns bestens. Ängste, Frust, Unübersichtlichkeit und mediale Überforderung helfen denen und uns. Sie machen Geschäft, wir bekommen die Stimmen. Du weißt ja, was unser Kumpel Steve Bannon gesagt hat: „You have to flood the zone with shit!“ Das kriegen wir prima gebacken. Aber bitte vor der Wahl nicht zu sehr übertreiben.„
Mai: „Ich bringe noch die Nummer mit dem Wahlbetrug durch die etablierten Parteien in Berlin. Ihr wisst ja: Durch den Wegfall der Überhangmandate wird das Wahlrecht wieder mal manipuliert und der Demokratie schweren Schaden zugefügt. Das zünde ich noch. Rechte Stimmen werden garantiert wieder den Grünen zugeschlagen. Und wir beklagen das törichte Beharren der selbstgefällig-elitären Parteien auf dem Abschalten aller Atomkraftwerke, die Hysterie gegen SUVs und die steuerliche Begünstigung von Lastenfahrrädern. Wegen des immensen Platzverbrauchs brauchen wir da dringend eine Sondersteuer. Und natürlich wollen wir auch weiterhin steuerfreies Kerosin verfliegen.“
Deppe: „Geht ohne Probleme klar. Hör zu, Fritz: Für uns bleibt es dabei: Du wirst Vizekanzler und Wirtschafts- und Finanzminister. Einer von Eurem Arbeitnehmerflügel darf das Arbeits- und Sozialministerium leiten. Der darf richtig auf die Sahne schlagen, damit die Leute die SPD endgültig vergessen. Das Heimatministerium übernehmen natürlich wir. Du kennst ja unseren Slogan: „Wir lieben Heimat!“ Damit erfüllen wir gleich mal ein Wahlkampf-Versprechen. Keine Ahnung, was wir daraus machen. Ihr bekommt dafür Bildung, Familie und Forschung, wir stellen den Verteidigungs- und Innenminister. Damit haben wir die Eckpunkte fixiert. Über das restliche Gedöns wie Entwicklungshilfe und so weiter machen wir uns keinen Kopf – das kriegen wir schon geklärt. Jedenfalls streichen wir da alles radikal zusammen. Wir finden schon ein paar absurde Geschichten: Radwege in Peru, Töpfern in der Demokratischen Republik Kongo und die Sozialhilfe für verdiente Hamas-Kämpfer im Gaza-Streifen. Jajaja. We can make it happen! We can make it real!“
Mai: „Björn, ich habe keinen Zweifel, dass wir das hinkriegen. Wir werden Deutschland stark machen für das 21. Jahrhundert. Und eines ist klar: „El Macho“ kommt nicht zu uns ins Kabinett!“
Sahra Alice Weidelknecht: „Versprochen! Weißt du: Den „El Macho“ überlässt du einfach uns. Ich glaube, wir finden da gute Lösungen. Wir haben da eine frühere Praktikantin in der Hand, die vor Jahren mal in der Staatskanzlei gearbeitet hat. Sie sieht scharf aus und hat noch schärfere Bilder….außerdem will sie endlich groß rauskommen. Damit dürfte „El Macho“ erledigt sein. Wir lassen die Bombe nächste Woche platzen.“
Zwischen den Zeiten
Spätnachts liege ich in meinem Bett, alleine. Gedanken drehen sich ununterbrochen in meinem Kopf, Reste von Dialogen, Bildern, Begegnungen. Ich komme längst nicht mehr zur Ruhe, der Wahlkampf tötet meinen Schlaf, an mehr als drei Stunden am Stück ist nicht mehr zu denken.
Es war wie intergalaktischer Sex mit einem Alien auf dem Todesstern. Rasend schnell und leicht gewalttätig. Manche mögen das toll finden. Ich gehöre eher nicht dazu. Nachdem wir fertig waren, machte mir Sahra Alice deutlich, dass es eindeutig besser wäre, wenn ich jetzt ginge. Wahrscheinlich waren wir schon für einen Moment eingenickt. Sie legte mir ihren schmalen, wunderschönen, wie aus Marmor gehauenen Zeigefinger auf die Lippen und sagte: „Wir schweigen für immer darüber. Es hätte nie passieren dürfen.“
Doch das ist es nicht alleine. Bei weitem nicht. Alles ist zu viel. Alles scheint auseinanderzufallen. Alles geht kaputt. Es ist nicht mehr klar, auf welcher Seite der Zeit wir leben – in der alten Zeit der Demokratie, schon in der neuen Zeit der Autokratie oder noch irgendwo mittendrin in einer anarchischen Zwischenwelt. Zu spüren war es schon vor der Corona-Pandemie, es war nur ein Hauch, doch seither ist es offensichtlich: Die Gesellschaft kollabiert, nichts funktioniert mehr richtig. Die Menschen sehnen den Untergang herbei. Wohin führt das alles?
Ausgebrannte Lehrer und rabiate Neonazi-Polizisten, Massen an asozialen Phishing-Mails, aggressive alte Männer in der Warteschlange vor der Supermarkt-Kasse, depressive Schulkinder, die mit Psychopharmaka ruhig gehalten werden; hysterische Esoterik-Trullas, die vom Ende der Welt und der „Revolution gegen das System“ schwafeln, Chem-Trails und den Deep State für sich entdeckt haben und längst von Corona-Impfgegnern zu Querdenkern in jeder Hinsicht und Putin-Freunden mutiert sind. Gleichzeitig machen sie mächtig Geld mit vorwiegend verwirrten und orientierungslosen Frauen in der Sinnkrise, denen sie überteuerte und nutzlose Online-Heilungen und Life-Coachings andrehen, obwohl sie selbst gut einen Psychiater gebrauchen könnten. Letzten Endes aber geht es nur noch darum, das Vertrauen in Politik und Gesellschaft zu zerstören. Wohin führt das alles?
Aber das ist es nicht alleine: Dazu kommen asoziale Unternehmen mit ihren neuen Produkten, die niemand braucht, mit sinnlosen Gadgets und ihren Mogelpackungen, die den Leuten für weniger Ware mehr Geld aus den Taschen ziehen. Aggressive Betrüger am Telefon, die verängstigte Senioren abzocken, die alltäglichen dreisten Lügen. Autokult und Fitness-Wahn, intolerante Veganer, Tattoo-Monster und bis zum Anschlag mit Botox gefüllte Pornostars, die sich als Rapperin versuchen. Dazu grimmig blickende Imame und jede Menge Vollbartträger mit viel Migrationshintergrund.
Biedere bisher heterosexuelle sechzigjährige Geschäftsleute erleben ihr ebenso überraschendes wie öffentliches Coming-Out, ebenso wie zwanzigjährige Milchbubis, die urplötzlich deutlich spüren, dass sie ein unglückliches Leben im falschen Körper führen und deshalb das Geschlecht wechseln. Nichts ist mehr selbstverständlich, alles gerät aus den Fugen, alles wird in Frage gestellt. Irgendwie fühlt sich jeder benachteiligt und fordert dafür vom Staat umgehend Hilfe oder einen Ausgleich. Wofür auch immer. Alles ändert sich, aber zugleich muss alles so bleiben, wie es immer war. Ich weiß nicht, wohin das noch führt.
Die Klage ist der neue Gruß der Deutschen
Und dieser Staat fällt jeden Tag weiter auseinander, verliert Form und Fassung. Tod durch permanente Überforderung. Überall fehlt Geld. Auch deshalb, weil die Regierung den Bürgerinnen und Bürgern absolut nichts mehr zumuten darf. Steuererhöhungen rufen sofort Massenproteste hervor, wer lauter schreit, hat immer recht. Die Klage ist der neue Gruß aller Deutschen. Immer steht gleich die Existenz in Frage, kleiner geht es nicht mehr. Daher wird alles subventioniert: Corona-Hilfen, Corona-Impfungen, Energie-Sofort-Hilfen, Energiepreisbremsen, gesenkte Mehrwertsteuern, Elektro-Autos, Heizungen, Traktoren-Diesel, Solar-Anlagen und so weiter und so fort. Niemand darf vergessen werden. Der Staat übernimmt für alles die Verantwortung, er muss für alles einspringen. Aus bloßer Angst, den Nazi-Wutbürger in den Vorgärten, Werkstätten und Wohnzimmern zu wecken. Wir behandeln die Deutschen wie einen Blindgänger, der laut und vernehmlich tickt. In jedem Moment droht die Explosion. Auch die Industrie lässt ihre Lobby-Drähte glühen, damit sie das größte Stück vom Subventions-Kuchen bekommt. Sie schwafeln vom freien Markt und zu viel Bürokratie, von Liberalismus und der Kraft der Innovation. Aber für die Ansiedlung von Tech-Firmen oder neue KI-Systeme zahlen die Steuerbürger und gehen für die Firmen ins Risiko.
Die Regierung bietet längst ein echtes Rundum-Sorglos-Paket für alles, was wiederum die Ansprüche der Bürger weiter ins Unermessliche wachsen lässt. Das Gleiche gilt natürlich für die Staatsschulden, aber das interessiert irgendwie niemanden mehr. Hauptsache ist, dass jetzt genügend Kohle da ist, weil wir jetzt alles verfrühstücken wollen. Dass wir mit der Natur genauso wenig nachhaltig umgehen, ist nur die andere Seite der Medaille. Dass Nachhaltigkeit auch und nicht zuletzt für die Finanzen gelten sollte, damit wir den Spielraum der kommenden Generationen nicht unzulässig einengen, die ja sicherlich ihre eigenen Krisen erleben werden und dazu Geld brauchen, gehört zu jenem tabuisierten Wissen, das in der Öffentlichkeit jedenfalls nicht mehr ausgesprochen werden darf. Der völlige Offenbarungseid einer ganzen Gesellschaft. Maßlos, panisch, haltlos, rücksichtslos und restlos egoistisch.
Längst sind die Spitzenpolitiker der Regierung nahezu täglich Anfeindungen ausgesetzt. Ob beim Wandern mit Freunden, ob beim Urlaub mit der Familie oder bei öffentlichen Auftritten – der enthemmte Mob pöbelt schamlos, attackiert und fühlt sich dabei absolut im Recht. Jede Entscheidung der Politik wird schlecht geredet. Aufgestachelt werden die Leute nicht zuletzt in dubiosen Internetforen, die von Reichsbürgern, radikalen Eso-Schlampen oder eben der Bewegung betrieben werden. Je mehr Radikalität, Chaos und Unzufriedenheit, desto besser für den ersehnten Umsturz von ganz Rechtsaußen. Wieder einmal träumt halb Deutschland von Erlösung durch Untergang. Das hatten wir schon einmal, vor gefühlt tausend Jahren. Dafür kennt die Wissenschaft den Begriff „kollektive Paranoia“. Wohin führt uns das?
Unter liberalen Denkern war es einst unbestritten, dass Demokratie die Lizenz zum Streiten ist. Wir sind uns einig, dass wir uneinig sind und über den besten Weg streiten dürfen. „Agree to disagree“, heißt es so schön im Englischen. Von dieser toleranten Haltung ist nichts mehr übrig geblieben. Die Auffassung, dass auch der Kontrahent mal ins Schwarze treffen könnte und die eigene Meinung nicht immer das Gelbe vom Ei sein muss, hat sich in Luft aufgelöst. Schöne alte Welt. Heute gilt nur noch die eigene Meinung. Die Fähigkeit, einen vorhandenen Disput in ruhigen, freundlichen Worten zu bewältigen, ist leider restlos abhandengekommen. Stattdessen wird unflätig beschimpft, bedroht und ausgegrenzt. Aggressiv-gereiztes Schwarz-Weiß-Denken und zugleich der Wunsch nach immerwährender Harmonie. So denkt der Deutsche im 21. Jahrhundert. Die Erkenntnis, dass das eigene Ego nicht immer im Mittelpunkt stehen muss, dass es wohltuend und befreiend ist, mal nicht nur an sich selbst zu denken, hat sich endgültig pulverisiert.
Nach vielen Jahren habe ich mal wieder die Schallplatte „Monarchie und Alltag“ der legendären Düsseldorfer Band „Die Fehlfarben“ aufgelegt. Laut pumpt sich der Slogan in mein Hirn:
„Ernstfall – es ist schon längst soweit! Ernstfall – Normalzustand seit langer Zeit!“
Nichts könnte treffender sein: Die Auftritte der Regierung etwa auf Marktplätzen oder Universitäten sind nur noch mit massivem Polizeischutz möglich. Sollte sogar einem langmütigen Charakter wie Olaf Schlumpf einmal der Geduldsfaden reißen, wenn er von durchgeknallten Querdenkern und Nazis niveaulos beschimpft wird und er sie daraufhin als Nichtsnutze bezeichnet, die auch mal arbeiten gehen könnten, kennt der Shit-Storm im Netz keine Grenzen: Überheblich, abgehoben und elitär sind noch die harmlosesten Zuschreibungen. Andere wollen ihn ins Gefängnis stecken oder gleich als Volksverräter zunächst an den Pranger stellen und dann am liebsten vierteilen. Aufrufe zur Gewalt sind an der Tagesordnung, überall sieht man Konterfeis der Regierungsmitglieder an virtuellen Galgen baumeln, der Wunsch nach Umsturz ist mit Händen zu greifen.
Lässt Olaf Schlumpf die Urheber solcher Aussagen ausfindig machen und strengt dann eine Klage wegen Verleumdung, Volksverhetzung oder Beleidigung an, nennt Sahra Alice Weidelknecht solchen Selbstschutz umgehend „peinlich und weinerlich“. Mit fällt auf, dass Sahra Alice an manchen Tagen nur noch telefonisch erreichbar ist, im Hauptquartier ist sie dann nicht zu sehen. Irgendwie sonderbar – aber egal. Die krawalligen zehn Prozent der Deutschen bestimmen die Debatte und besetzen gezielt Begriffe wie „Freiheit“ und Volkssouveränität“ neu und nach ihren Wünschen, der große Rest der Leute hat sich schlafwandlerisch aufs heimische Sofa zurückgezogen, zieht das Kissen über die Kopf und hofft, das alles nur ein böser Traum ist.
Nichts hat mehr allgemeine Gültigkeit, nichts ist selbstverständlich. Keine Religion, kein Glaube, keine Institution, nichts führt die Menschen mehr zusammen. Recht und Anstand gehören offenkundig einer untergegangenen Zivilisation an. Zwar sprechen wir noch Deutsch, aber niemand versteht mehr einander. Babylon ist auch in Bielefeld. Das Zeitalter der Demokratie geht zu Ende. Überall die neuen, alten autoritären Helden. In den USA, in Rußland, in China und Ungarn. Jetzt auch in Deutschland. Wir wissen so viel, von den Atomen und dem Weltall, von der Chemie und vom Menschen. Und doch haben wir uns von der Vernunft und dem Verstand verabschiedet. Wir sind wir wieder beim Trieb angekommen. Unser Sinn des Lebens zerfällt in tausend Splitter – Nacht und noch mehr Nacht umgibt uns. Unser altes Leben ist zerstört und vernichtet. Muss ich wirklich den Rest meines Lebens mit den Tino Dumballas, Alexander Deutschlands und Björn Deppes in dieser Welt leben?
Gerne würde ich durch ein großes Tor in eine andere Welt gehen, in eine freundliche, helle Welt. Darin leben Menschen, die noch Mitgefühl empfinden können. Die noch zuhören können und nicht jede Gelegenheit für einen eigenen Monolog nutzen. Leben in einer Welt des Friedens und Miteinanders. Stattdessen taumeln ausnahmslos erschöpfte und restlos traumatisierte Gespenster durch meinen Alltag. Mitten in der Nacht wache ich schreiend auf und blicke auf den Wecker: Es ist 3.35 Uhr, ich starre an die Zimmerdecke. Alpträume quälen mich. In einem dieser Träume liegt Sahra Alice neben mir im Bett, ihr Haar gelöst, sie ist nackt, murmelt im Schlaf „neuer Verteidigungsminister“ und stöhnt. Es ist wie eine Achterbahnfahrt, die nach einer Runde nicht aufhört, sondern immer weitergeht. Ich kann nicht mehr. Aber immer weiter. Immer weiter. Runde um Runde, ohne jede Pause. Achterbahnfahren ist aufregend und schön. Wirklich. Aber irgendwann nach der 10.000. Fahrt willst du aussteigen.
Live-Reportage aus dem Hofbräuhaus
…..soeben ist Tina Dumballa, einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Bewegung, mit einem Krankenwagen unter Blaulicht und Sirenengeheul aus dem Hofbräuhaus in München abtransportiert worden. Die Ursache ist noch unklar. Offenbar ist Dumballa beim Auszug aus dem große Festsaal unter den Klängen des Bayerischen Defiliermarschs zusammengebrochen. Näheres wissen wir noch nicht, wir erwarten aber jeden Moment eine Stellungnahme der Polizei.
Zum Hintergrund: Die Großkundgebung im Hofbräuhaus war bereits nahezu zu Ende gewesen. Dumballa hatte als Hauptredner die Positionen der Bewegung bekräftigt und insbesondere vor einem drohenden Klima-Kommunismus gewarnt und die illegale Migration als größte Gefahr für den Zusammenhalt der Gesellschaft gewertet. Zitat: „Das Regime unserer Regierung ist undemokratisch. Diese Leute hassen uns und hassen ganz Deutschland!“ Für ihn sei Deutschland fremdbestimmt, die Eliten hassten das eigene Volk, den Krieg in der Ukraine wertete Dumballa als innerrussische Angelegenheit, die uns nichts angehe. Dumballa sagte wörtlich: „Wir werden in einen entbehrungsreichen Krieg hineingezogen, gegen den Willen des Volkes.“ Er fügte hinzu, das ganze politische System in Deutschland sei korrupt, man benötige jetzt eine Revolution. Zitat: „Wir haben die schlechteste Regierung und den schlechtesten Bundeskanzler aller Zeiten!“ Danach…
… einen Moment, halt, einen Moment bitte, ja, ich bekomme jetzt neue Informationen. Aha. Danke! Ich höre gerade, dass Dumballa beim Bad in der Menge aus nächster Nähe niedergestochen worden ist. Das sagt die bayerischen Landespolizei. Dumballas Lage sei kritisch. Offenbar ist die Tat mit einem handelsüblichen Haushaltsmesser verübt worden. Jetzt kommt auch eine erste Stellungnahme der Bewegung. Demnach hat die Polizei einen 44 Jahre alten Mann aus der Ukraine festgenommen. Der mutmaßliche Täter ließ sich laut Polizei ohne Gegenwehr festnehmen. Über dessen Identität machte sie noch eine Angaben. Wir melden uns wieder, sobald uns neue Erkenntnisse vorliegen. Gruß aus München.
Videobotschaft aus dem Hauptquartier
Sahra Alice Weidelknecht: „Wir verabscheuen und verurteilen die feige Tat. Die Attacke ist ein Zeichen, wie tief Deutschland gesunken ist. Wieder ein Angriff durch einen Ausländer. Wieder eine Messerattacke. Wir dürfen das nicht länger tolerieren. Niemand ist mehr sicher. Deutschland ist zu einem Wild West für Kriminelle aus aller Welt geworden. Dass die Tat offenbar ausgerechnet durch einen Ukrainer verübt worden ist, spricht Bände. Wir sind empört und erschüttert, aber nicht überrascht, nein!
In unseren Gedanken sind wir bei Tino Dumballa und seinen Angehörigen. Er ist ein ehrlicher, beliebter und aufrechter Kämpfer für die Interessen Deutschlands. Ein wahrhaftiger Visionär für die nationale Freiheit, nationale Interessen, für die nationale Demokratie! Wir beten für ihn!
Die Regierung hat eine Mitschuld an diesem Attentat. Warum haben wir Millionen von Fremden in unser deutsches Haus gelassen? Warum haben wir Türen und Fenster nicht rechtzeitig geschlossen? Obwohl da draußen der Sturm tobt?! Und jetzt wundern wir uns, wer alles auf unsere Kosten in unserem Haus lebt. Am Sonntag ist die Bundestagswahl. Es ist die Zeit für eine Abrechnung. Es ist Zeit für die Bewegung! Unsere Bewegung! Unsere Zeit ist jetzt!“
Im Hauptquartier der Bewegung
Irgendwie hatte ich schon seit geraumer Zeit das Gefühl, dass Dumballa etwas zustoßen könnte. Sonderbar. Als ich meinen Eindruck im „war room“ schildere, schaut mich Sahra Alice äußert merkwürdig an, sagt aber nichts. Gleich nach Bekanntwerden des Attentats hatten SA-Trupps zunächst in Weimar, Halle und Augsburg und dann in zig weiteren Städten Heime von Asylbewerbern gestürmt; sie haben Fensterscheiben eingeworfen und die Bewohner verprügelt. Tausende Menschen schauten zu, johlten und freuten sich am Leid der Opfer. Vor der russischen Botschaft in Berlin skandierten Demonstranten „Freiheit für Deutschland“ und „Unsere Heimat gehört uns!“ Sie hatten die Veranstaltung als „Marsch für den Frieden“ angekündigt. Zum Abschluss zündeten sie die ukrainische Nationalflagge sowie Bilder von Selenskyj an.
Die 9-Uhr-Nachrichten im Radio melden, dass der Attentäter nach wenigen Stunden in der Untersuchungshaft tot in seiner Zelle gefunden worden sei. Offenbar habe er sich mit einem Gummiband erhängt. Die näheren Umstände seien unbekannt. Ich nehme das zur Kenntnis, wie jeden Morgen flippe ich durch die wichtigsten Tageszeitungen, auf einem der großen Bildschirme läuft das Frühstücksfernsehen. Lauter alter Scheiß: Dumballa und die Proteste dominieren die Titelseiten und Nachrichtenformate. Ein Anruf von Krassnik geht ein, Deppe nimmt den Anruf an, alle sind sie mächtig nervös, vieles verstehe ich nicht, weil Deppe wohl perfekt Russisch kann und sie sich nur noch zum Schluss auf Deutsch unterhalten. Dann äußert der Russe sein Mitgefühl mit Dumballa und macht klar, dass die Geheimdienste alles unternehmen würden, um die Hintergründe der Tat ans Tageslicht zu bringen. Der „Spiegel“ äußert in einer Vorabmeldung Zweifel am Tathergang des Attentats. Es sei keineswegs sicher, ob Dumballa überhaupt verletzt sei. Es sei nicht auszuschließen, dass es sich nur um das Vortäuschen einer Straftat handele, um passend zur Wahl die von der Bewegung gewünschte Pogromstimmung zu erzeugen. Was die Motive für den Tod des Attentäters in der Zelle angeht, darüber setzt der „Spiegel“ den Verschwörungsfantasien seiner Leser keine Grenzen.
Endlich komme ich zu den Tages- und Wochenzeitungen. Mein Atem stockt. Bei der „Zeit“ bleibt mein Blick wie magisch gebannt am Aufmacher hängen. Die Titelseite beschäftigt sich ausführlich mit dem Privatleben von Sahra Alice. Betitelt ist das Dossier mit „Eine kriminelle Liebes-Allianz?“. Ein Journalistenteam hat recherchiert, dass Sahra Alice seit vielen Jahren an ihrem Zweitwohnort Lausanne eine diskrete Liebesbeziehung zu einem deutlich älteren Mann mit sehr markanten Zügen unterhält. Als ich auf das Bild schaue, muss ich nervös husten, meine Augen weiten sich, mein Herz schlägt laut. Dunkles, offensichtlich gefärbtes Haar, markantes Kinn, buschige Augenbrauen. Das Foto zeigt Sahra Alice beim Spaziergang Hand in Hand mit …………ausgerechnet mit ……….. oh mein Gott……………unglaublich und unfassbar…………..
Gerhard Schröder!
Das kann nicht wahr sein. Es darf nicht wahr sein! Ich lasse die Zeitung sinken und keuche. Ich bin fassungslos. Ich kann es nicht glauben. Und es wird noch schlimmer: Wie die „Zeit“ weiter ausführt, haben sich die beiden seit Jahren regelmäßig in Lausanne zu Sexspielchen zu Dritt getroffen. Denn die ungeheuer attraktive dunkelhaarige Haushälterin von Sahra Alice sei in Wahrheit gar keine Haushälterin, sondern ein exklusives russisches Luxus-Callgirl, das den beiden nicht nur im Haushalt zu Diensten sei. Gewesen sei. Künftig benötigten sie jedenfalls eine neue „Haushälterin“. Denn eben diese Frau sei nun ermordet im Genfer See treibend gefunden worden. Offensichtlich sei die junge Frau nach Angaben der Kantonspolizei zunächst schwer misshandelt, anschließend wohl vergiftet und zum Schluss noch obendrein mit einem schweren Gegenstand erschlagen in den See geworfen worden. Die genaue Todesursache müsse allerdings noch genauer untersucht werden. Das Investigativ-Team legt den Schluss nahe, dass die Prostituierte vom russischen Geheimdienst ermordet sein könnte, weil sie ihr Wissen eventuell zu Geld machen wollte.
Kurz wird mir schwarz vor Augen. Mein Herz – es tut so weh! Diese Pein, dieser Schmerz. Ich wusste immer, dass Sahra Alice mir niemals alleine gehören würde. Mir war natürlich klar, dass ihr Herz nur Deutschland gehört. Aber ausgerechnet der?! Ich fühle mich verraten und verkauft. Tränen schießen mir in die Augen. Ich schreie außer mir vor Wut: Verdammt. Was ist das für ein Mist! und stürme auf Sahra Alice und Deppe zu.
Beide wissen offenbar längst Bescheid. Sahra Alice bleibt ungerührt. Deppe beruhigt mich: „Hey, keiner weiß es besser als du! Wir leben in einem postfaktischen Zeitalter, alle können alles behaupten, ohne Argumente, ohne Anstand und Logik. Die Story erfüllt ja nicht mal minimalste Erwartungen an Glaubwürdigkeit. Sie wollen uns zu Tätern machen, dabei sind wir Opfer ihrer berechnenden Diskriminierung. Das ist blanke Propaganda gegen unsere Bewegung. Diese Regierung hasst Deutschland – und sie hasst uns! Du musst das sofort energisch dementieren. Die Aufnahmen sind Fake oder stammen aus einem anderen Jahrhundert. Damit sollen jedenfalls die Bundestagswahlen auf den letzten Drücker manipuliert werden. Los! Du gehst jetzt vor die Kameras und dementiert alles, einfach wirklich alles!“
Siegesrede in der Wahlnacht
Am Wahltag läuft alles nach Plan. Die Schlammschlacht beschleunigt wider Erwarten unseren Flow und weckt die Solidarität unserer Unterstützer. In unserer Gegenkampagne platzieren wir subkutan die Schlagworte: Freiheit, Selbstbestimmung und Recht auf Privatsphäre. Das zieht. Von den abgegebenen Stimmen erhält die Bewegung 33,9 Prozent, das reicht locker für ein Bündnis mit Fritze Mai als Juniorpartner. Drei Stunden nach Schließung der Wahllokale tritt eine triumphierende Sahra Alice auf unsere eigens eingerichtete Bühne im Hauptquartier. Der Jubel in der Bewegung ist grenzenlos. Sahra Alice strahlt und beginnt ihre Rede:
„Freunde! Deutsche! Männer und Frauen! Es ist ein Tag, der in die Geschichte eingeht. Wir sind gewählt. Gewählt! Gewählt! Gemeinsam mit unseren Freunden von der Union werden wir eine starke Regierung stellen. Für unsere Zukunft. Für unser Deutschland!
Wir bedanken uns beim deutschen Volk. Unsere Mission werden wir gläubig und mit aller Kraft vorantreiben. Bis zum Ende! Wir werden die deutsche Demokratie radikal erneuern. Die Institutionen des Systems sind morsch und verkommen. Unfähig und korrupt. Die Eliten haben uns für dumm verkauft, die Knechte der Ukraine. Wir brauchen sie schon längst nicht mehr – den Bundesrat, das geistesgestörte Bundesverfassungsgericht, das ganze Gesocks, mögen sie verrotten! Wir geben dem Volk die Macht zurück – die ganze Macht. Lügen, Desinformation und Verleumdungen haben uns nicht geschadet. Die Verantwortlichen werden dafür ihre gerechte Strafe erhalten. Volkes Stimme und Volkes Wort werden endlich wieder gehört werden. Und wir werden uns sofort an die Arbeit machen. Noch heute!
Wir halten unsere Versprechen: Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan, das ist ein Versprechen. Ausländer ist, wen wir dazu erklären. Wer nicht assimiliert ist, eine ausländische Staatsangehörigkeit hat, kriminell ist, Muslim ist, uns zur Last fällt, kein Deutsch versteht, kulturfremd ist, zu schwach oder nicht willens ist, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Islamisierung und Orientalisierung zu widersetzen. Wir durchschauen schnell, wenn der Wille zur Assimilation fehlt. Unter Beweis gestellt wird die deutschfeindliche Einstellung durch das Tragen von Turbanen und Verschleierungen, durch das Besuchen von Hasspredigern und das Verfolgen von Hass-Sendungen. Wir müssen endlich handeln und massenhaft abschieben! Das ist unsere Bestimmung! Dafür brauchen wir maßgeschneiderte Gesetze und eiskalte Maßnahmen. Alles für eine homogene Volksgemeinschaft! Ohne deutsche Abstammung darf sich in unserer Heimat niemand mehr sicher fühlen. Viel zu lange stand unsere Haustür offen für jeden, der hineinspazierte und nie wieder hinausging. Wir sind weltoffen und lieben Meinungsfreiheit. Aber wir entscheiden, wer in unserem Wohnzimmer sitzt und in unseren Kühlschrank greift.
Jede Kommune erhält einen Abwanderungs-Beauftragten. Er wird mit totalen Befugnissen ausgestattet. Wir fördern natürlich zuerst die freiwillige Remigration. Etwa mit eingeschränkten Grundrechten und gestrichenen Sozialhilfebezügen. Wir betreiben unser Programm „Fit for return“ ohne Wenn und Aber. Abwanderung jetzt statt Integration um jeden Preis. Wer den freundlichen Ermahnungen nicht folgt, muss mit drastischen Maßnahmen rechnen. Schon bald werden wir zu einer Pressekonferenz rufen, auf der wir gemeinsam mit unseren Freunden Details bekanntgeben werden. Alles ist vorbereitet. Nichts wird dem Zufall überlassen bleiben. Die Welt wird auf uns schauen! Sie wird staunen!
Liebe Freunde! Die schlechteste Regierung aller Zeiten in Deutschland hat alles zum Aussterben der Deutschen vorangetrieben: die ekelhafte, artfremde, zerstörerische Homo-Ehe, die Erosion der Geschlechterrollen, das Gleichstellungsgesetz, die freie Wahl des Geschlechts völlig unabhängig von der Biologie und damit den Ruin der traditionellen Familie. Ein Verbrechen am deutschen Volk! Das wird ein Ende haben. Wir werden das Ruder herumreißen und uns nicht beirren lassen!
Die Eliten haben uns die Lügenpresse aufgetischt. Den Klimawandel lanciert. Die illegale Migration verstärkt. Die Inflation und den Krieg angeheizt. Die Eliten haben den „großen Austausch“ vorbereitet. Sie betreiben das Aussterben des Deutschtums. Sie sind schuld daran, dass der Testosteronwert der deutschen Jugend seit Jahren sinkt. Gut ein Viertel der deutschen Männer ist schon längst nicht mehr zeugungsfähig, jawohl, sie sind vom Sexualleben ausgeschlossen, weil rassenschänderische Beziehungen mit kulturfremden Migranten die Zeugungskraft der Deutschen immer weiter mindern. Das muss ein Ende haben.
Es geht um die Frage, ob wir als deutsches Volk im Abendland überhaupt noch überleben können. Wir brauchen ein organisches Volkstum. Zum Glück ist das Thema Rasse wieder auf der Tagesordnung und kann nicht mehr ignoriert werden. Die alte, abgewirtschaftete und abgewählte Regierung hat sie alle in unser schönes Deutschland geholt: Islamisten und Salafisten, Muslimbrüder und Hamas-Eiferer, Taliban-Schüler und Boko-Haram-Täter. Dank dieser Regierung wimmelt es hier von fremdländischen Demokratiefeinden und Judenhassern. Die Fremden wissen doch überhaupt nicht, was Demokratie überhaupt ist. Für sie ist Demokratie, wenn ihr Häuptling oder Hassprediger ihnen sagt, wen sie als nächstes überfallen und niedermetzeln sollen. Freunde! Hier hatte der Wahnsinn Methode. Wir werden das nicht weiter dulden!
Wir brauchen sie wieder, die natürliche Ordnung, die Kraft von Gemeinschaft, Natur und Volk, Familie und Mutterschaft, Volk ist Schicksal, der Kampf um die Familie entscheidet alles! Schluss mit der Verneinung der Männlichkeit! Wir brauchen starke Männer und Frauen. Schluss mit dem Gewinsel und der überzogenen Empfindsamkeit. Die Zeit der deutschen Weinerlichkeit ist vorüber. Potente Männer und zeugungsfähige Frauen. Wer durch die alte Regierung impotent gemacht wurde, erhält von uns kostenlose Testosteron-Gaben. Mit deutschen Kindern beheben wir den Fachkräftemangel. Nicht mit Indern oder Afghanen. Wir spritzen Testosteron! Ja! Testosteron für Deutschland!
Schon morgen werden wir einen Friedensvertrag mit Russland schließen und die sinnlose Unterstützung des Nazi-Regimes in der Ukraine beenden. Da sind wir uns mit unserem Freund Donald Trump absolut einig. Wir wollen Frieden! Und wir werden jetzt wieder Frieden und günstiges Erdgas bekommen. Keine Experimente mehr bei der Versorgung mit Energie. Wir brauchen Sicherheit und Zuverlässigkeit. Deutschland will es warm. Schluss mit der Deindustrialisierung unserer Volkswirtschaft. Schluss mit den Lügen rund um die Energiewende. Wir werden nicht noch weitere Milliarden sinnlos für hässliche Windräder und laute Wärmepumpen verplempern. Davon profitieren sowieso nur die Chinesen. Wir setzen auf bewährte Technik, Stabilität und kalkulierbare Preise. Günstige Energie für Deutschland mit der Hilfe unserer russischen Partner. Dafür stehen wir. Das werden wir ermöglichen.
Freunde! Deutsche! Seid bereit für eine großartige Zukunft. Für eine sichere Zukunft. Wir können es schaffen, wenn wir nur wollen. Seid bereit, wenn Euch Deutschland ruft! Seid bereit für Frieden, Verständigung und ein Leben in einer großen Gemeinschaft unter Gleichgesinnten. Ich verspreche Euch: In wenigen Monaten wird unsere Heimat nicht mehr wiederzuerkennen sein.„
Die große Lösung
Auf dem Radar des Berliner Flughafens ist schon am frühen Morgen eine lange Kette von Punkten zu sehen. Wie an einer Schnur gezogen steuert ein Punkt nach dem anderen auf den Flughafen der deutschen Hauptstadt zu, jeweils im Abstand von etwa einer Minute. Es sind schwere Transportmaschinen der russischen Streitkräfte. Zwanzig, vierzig, mehr als achtzig Maschinen. Sie rollen zu ihren zugewiesenen Haltepunkten überall auf dem Gelände des Airports. Der sonstige Flugbetrieb ist eingestellt, es gilt Flugverbot im Rest von Deutschland. Bald öffnen sich die Ladeluken: Den Frachträumen entsteigen Tausende von schwer bewaffneten Sicherheitskräften; sie entladen zahlreiches Militärgerät – von der Kiste mit Munition, über die Panzerfaust und den Geländewagen bis hin zu schweren Panzern. Die Männer schwärmen aus und sichern den Flughafen. Schließlich schwebt eine weitere Maschine ein, die sich allerdings stark von den anderen Flugzeugtypen unterscheidet. Es ist die Regierungsmaschine – von Wladimir Wladimirowitsch Putin.
Die Siegesfeier im Berliner Olympiastadion sprengt alle Maßstäbe. Auf der riesigen Bühne sind deutsche und russische Flaggen zu sehen, ein Rednerpult ist mittig angebracht, mehr als hunderttausend frenetische Anhänger der Bewegung drängen sich auf den Tribünen und im Innenraum des Stadions. Gigantische Video-Leinwände bringen die Bühne direkt vor das Auge der jubelnden Fans. Auf der Bühne sind nicht nur alle Spitzen der Bewegung zu sehen, sondern auch Friedrich Mai und Markus „El Macho“, die den Präsidenten der russischen Föderation mit gebotener Ehrfurcht begrüßen wollen. Zu meinem Entsetzen drängt sich Gerhard Schröder nach vorne, was irgendwie niemanden zu stören scheint. Er macht einen ungeheuer vitalen Eindruck, sieht fit und irgendwie wahnsinnig kraftstrotzend aus. Wenn ich nicht wüsste, dass er als anerkanntes Alpha-Männchen nicht schon immer über viel zu viel Testosteron verfügte, hätte ich schwören können, dass Sahra Alice ihm die erste Spritze selbst direkt verpasst haben muss.
Die Massen im Stadion und an den Bildschirmen hatten in den vergangenen beiden Stunden keine Langeweile. Sie werden mit einem Show-Act der Sonderklasse unterhalten und auf die Feier eingestimmt. Helene Fischer und Nena, Andreas Gabalier und Anna Netrebko holen das Beste aus sich heraus und stellen zugleich ihre Unterstützung für die neue Regierung und die Partnerschaft mit Russland deutlich unter Beweis. Marius Müller Westernhagen und die Rapper Haftbefehl, Shirin David und Apache 207 wollten auch auftreten, aber dafür war nur wirklich keine Zeit mehr.
So langsam wird es ernst. Auf der rechten Seite der Bühne wird ein riesiger Gitterkäfig auf die Bühne gerollt. An massiven Gitterstäben halten sich drinnen Wladimir Klitschko, Robert Habeck und Annalena Baerbock fest. Sie sehen erbärmlich zerschunden aus. Sie werden wie Affen ausgestellt, die Menge tobt. Nach der Kapitulation der Ukraine hatte man Klitschko in einem Kölner Keller mit der Pistole in der Hand verhaftet. Er schoss um sich, bis auch sein letztes Magazin leer war. Boxer kämpfen halt immer bis 5 Minuten nach 12. Robert Habeck wurde auf einer einsamen Nordsee-Insel ohne Widerstand festgenommen, während Annalena Baerbock erfolglos versuchte, mit dem letzten nicht beschlagnahmten Regierungsflieger nach Saudi-Arabien zu fliehen. Doch die Maschine konnte wegen multipler Defekte nicht starten.
Wo Olaf Schlumpf abgeblieben ist, weiß dagegen niemand. Offenbar konnte er aus dem Bundeskanzleramt durch ein kleines Gitterfenster über die Kanalisation untertauchen. Irgendwie hätte ihm das wirklich niemand zugetraut. In einem zweiten Käfig schieben Helfer eine demoralisierte Kamala Harris auf die Bühne – ein Gastgeschenk von Donald Trump. Die euphorisierten SA-Leute auf der Bühne nutzen den einzigartig-günstigen Moment: Sie beschimpfen, bedrohen und bespucken die apathisch wirkenden Gefangenen; machen Selfies und überschütten Baerbock und vor allem Harris mit widerlich-schlüpfrigen Anzüglichkeiten.
Jetzt beginnt die Feierstunde. 10.000-Watt-Strahler erhellen jeden Quadratzentimeter der Bühne, Tino Dumballa kommt mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow nach vorne. Sie ballen die Fäuste, schwenken die Arme und reihen sich bald in die Gästeschar auf der Bühne ein. Endlich führt Sahra Alice den Präsidenten Wladimir Wladimirowitsch Putin zum Bühnenrand. Der Lärm ist ohrenbetäubend, das Gekreische erreicht den Level eines startenden Düsenjets. Sie machen das Victory-Zeichen, recken die Arme wie einst Nixon weit nach vorne, dann tritt Putin auf Bitte von Sahra Alice ans Rednerpult. Sein Gesicht ist schweinchenrosa und glatt wie ein Baby-Popo, sicherlich ein Doppelgänger, denke ich sofort. Stutzig werde ich erst, als Putin mit klarer Stimme und vor allem in einwandfreiem Deutsch seine Rede beginnt. Er ist es wirklich, fährt mir durch den Kopf, er war ja als junger KGB-Agent in Dresden stationiert. Er kann Deutsch. Herrjeh, alles hier ist echt. Es ist wahrhaftig kein Traum. Alles ist live!
„Meine lieben deutschen Freunde. Willkommen in einem Zeitalter des Friedens und der Brüderlichkeit. Die Zeit der Verwirrung ist vorüber. Heute ist ein historischer Tag. Ein Tag, an dem der alte Bund zwischen Deutschland und Russland erneuert wird. Wie schon einst gegen den Ursurpator Napoleon, so stehen auch jetzt wieder Deutsche und Russen Seite an Seite. Heute unterzeichnen wir einen unverbrüchlichen Freundschaftspakt beider stolzer Nationen. Nach dem Zerbrechen der kapitalistischen EU und der imperialistischen NATO ist es an der Zeit, Deutschland aufzunehmen in die „Ewige Heilige Union“. Unsere Wirtschaftsgemeinschaft und Waffenbrüderschaft ist bereit für Deutschland. Wir freuen uns über das neue starke Mitglied. Sicherheit und Frieden für unsere Zeit! Sicherheit und Frieden für alle.
Die „Ewige Heilige Union“ des stolzen und tausendjährigen Russland bietet Deutschland Sicherheit und Frieden. Gemeinsam mit unseren Partnern China, Belarus, Kleinrussland, Polen, Ungarn, Serbien, Kasachstan, Aserbaidschan, der Türkei und Nordkorea bilden wir ein starkes, unbesiegbares – und wahrhaftig demokratisches Bündnis. Auch die Niederlande will sich uns anschließen. Das ist gut, wenn wir mal eine feine Party feiern wollen. Liebe Freunde in aller Welt: Wir denken, wie das Volk denkt und wissen, was es will. Frieden und Sicherheit. Dafür reichen wir auch unserem assoziierten Partnern wie Donald Trumps USA, Syrien, dem Irak und dem Iran die Hand. Ich freue mich, dass Deutschland diesen Weg gefunden hat danke ganz persönlich Sahra Alice und Timo und allen Kameraden von der Bewegung für ihre unverbrüchliche Treue. Der Weltfrieden ist erreicht. Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus. Unsere deutschen Freunde sind in Russland und allen ihren Partnern immer willkommen.„
Putin verpasst Sahra Alice einen echt sozialistischen Bruderkuss, ein Schmatzer, auf den auch Honecker und Breschnjew stolz gewesen wären. Galant nimmt er Sahra Alice an die Hand und führt sie wie eine Braut zum Rednerpult.
Sie trägt wie immer dunkelblauen Hosenanzug, weiße Bluse und Perlenkette sowie nicht zu hohe Hochhackis. Die Haare streng nach hinten. Irgendwie bin ich unendlich traurig. Alles ist wahnsinnig verstörend, aber offenbar bin ich hier der Einzige, der das denkt. Sie beginnt:
„Lieber Wladimir, liebe Freunde! Heute ist der schönste Tag in meinem Leben. Wir haben es geschafft. Eine ewige Partnerschaft mit unserem geliebten Russland. Was könnte es Schöneres geben? Denn Russland sorgt nicht nur für unsere Sicherheit. Für Ordnung und Stabilität. Wir brauchen jetzt keine hundert Milliarden Euro für die Bundeswehr mehr ausgeben. Wir bauen hier ganz auf die Stärke der ruhmreichen russischen Freunde.
Natürlich waren die Bundestagswahl und ihre Ergebnisse von den Eliten gefälscht. Ohne die Manipulationen von denen da – Sahra Alice zeigt auf Habeck und Bärbock – hätten wir viel mehr Stimmen erhalten. Sie werden sich dafür vor Gericht verantworten müssen. Und den flüchtigen Schlumpf finden wir auch noch. Jedenfalls wird es bei der nächsten Wahl, die wir ganz kurzfristig anberaumen werden, um die Fälschungen zu revidieren, wieder alles mit rechten Dingen zugehen. Dafür werden dankenswerterweise Wahlbeobachter aus der Demokratischen Republik Kongo, dem Iran und der Russischen Föderation sorgen, die uns uneigennützig ihre Hilfe angeboten haben.
Zugleich – und das ist eine wunderbare Nachricht – hilft uns Russland bei der Lösung der Migrationsfrage. Wie ein Blick auf den Weltaltlas beweist, ist Russlands Erde nicht nur heilig, sondern auch riesig. Ungeheure Flächen warten noch auf Besiedlung. Riesige Tundragebiete erwachen dank des Klimawandels aus dem ewigen Eis. Dort können künftig Rohstoffe abgebaut und zugleich Nahrungsmittel angebaut werden. Der Temperaturerhöhung sei dank. Deshalb haben wir mit der russischen Regierung als sicherem Drittland vereinbart, dass wir pro Jahr bis zu einer Million illegaler Migranten in neuen Produktionsstädten in Sibirien ansiedeln dürfen. Ganz legal! Die Transporte gehen ab nächstem Monat vom Berliner Hauptbahnhof in den Osten. Unsere Beauftragten für das Programm „fit for return“ haben die entsprechenden Listen für die Transportzüge schon zusammengestellt. Je nach Neigung können die Remigranten sich im Bergbau oder in der Landwirtschaft nützlich machen. Wir bauen für sie hübsche neue Wohnblocks, schöner jedenfalls als in Köln-Kalk, Jena-Lobeda oder Berlin-Marzahn. Dafür nutzen wir das eingesparte Geld für die Bundeswehr. Das ist der echte Doppelwumms, liebe Freunde! Das ist eine win-win-Situation für alle! Die Erträge der geleisteten Arbeit teilen sich die deutsche und die russische Wirtschaft. Für den Frieden, für unser aller Wohlstand!
Für diese zusätzlichen Aufgaben brauchen wir natürlich ein neues Ministerium mit einem Minister, der über beste Kontakte verfügt, sich in Regierungsgeschäften auskennt und dem die russische Seite blind vertraut. Liebe Freunde – wir sind fündig geworden. Ich freue mich sehr und bin stolz darauf, unseren ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder schon morgen in sein neues Amt berufen zu können. Glück auf – Gerhard! Du bist der Beste!
Schröder schreitet stolzgeschwellt wie ein Pfau nach vorne. Ich könnte kotzen, Putin und alle anderen applaudieren. Schröder hält sich nicht lange mit Nebensächlichkeiten auf, er winkt königlich der Menge, umarmt und herzt seinen alten Kumpel Putin, dann umarmt er Sahra Alice und küsst sie schamlos auf den Mund. Irgendwie sieht es hier aber nicht nach einem Bruderkuss aus. Herrje! Er langt ihr an den Hintern, da muss wohl etwas mit dem Potenzmittel mächtig schiefgelaufen sein. Viel zu viel Viagra! Er hat deutlich sichtbar einen Riesenprügel in der Hose, sie lächelt und seufzt, er keucht und stößt Urlaute aus. Ich verstehe in diesem Moment, was die beiden verbindet: blanke, animalische Begierde. Mir wird klar: Immer wollte sie nur dominiert werden. Diese Erkenntnis trifft mich wie ein Dampfhammer. Tief in mir krallt sich mein Herz schmerzhaft zusammen, das zieht mich so runter, es kann sich nur um einen Infarkt handeln. Dafür habe ich mich monatelang abgeplagt und meine Seele verkauft? Damit sie sich mit diesem Hannoveraner, diesem Zuchthengst, diesem Oran-Utang aus Niedersachsen in der Regierung vergnügt? Eine ungeheure Täuschung geht in mir zu Bruch. Endlos viele Splitter fallen in meine blutendes Herz. Im Bruchteil einer Sekunde sehe ich mein gesamtes Leben vor mir, alles liegt endlich klar vor meinen Augen.
Mein Spielteppich im Erkerzimmer, die erste Eisenbahn, der Duft der Weihnachtskerzen. Mein erster Schultag und der kurze Schulweg, den ich mit einem türkischstämmigen Mädchen aus der Nachbarschaft und meinem Vater gehe. Meine Tränen im Krankenhaus, diese lange Einsamkeit, die Angst, von den Klassenkameraden ausgelacht zu werden. Der erste Liebesschmerz im Alter von zwölf Jahren. Eine Schnellballschlacht am Flussufer, die Sonnenstrahlen in unserem neuen Badezimmer. Die Ermordung John Lennons, Norwegian Wood und Strawberry Fields forever, im Wind wehende Gebetsfahnen, durchschwitzte Nächte in der Hängematte. Der erste Kuss, das große Glück. In der Kindheit: Mein Kopf auf dem Schoß meiner Mutter, sie lächelt und streicht mit ihrer Hand sanft durch mein Haar. Alles ist Vergangenheit, Zeit spielt keine Rolle mehr in diesen Momenten der Liebe, der Zuneigung und des bedingungslosen Mitgefühls. Ich will nur eines – dorthin zurück.
Ich schreie außer mir vor Ekel und Wut: ICH HASSE DIE BEWEGUNG! Dann greife ich wie in Trance in meinen Mantel, ziehe die Glock heraus und ziele auf Sahra Alices Brustkorb. Alles geschieht blitzschnell. Der Schuss löst sich. Ich habe – von ihr aus gesehen – auf ihre rechte Körperseite gezielt. Die Ärzte wundern sich später mächtig, aber werden bei der Obduktion einen glatten Herzdurchschuss feststellen. Ungeheures Chaos auf der Bühne, auch bei den Zuschauern. Lärm, Schreie, ein langes Knattern. Schon während mich die Kugeln der russischen Sicherheitskräfte durchsieben, erkenne ich, dass sie mit mir sterben wird. Unsere brechenden Blicke begegnen sich ein letztes Mal. Sie schaut mich fragend und ungläubig an. Ich bin glücklich. Zum letzten Mal in meinem Leben. Alles ist ruhig, alles ist auf einmal unendlich still. Alles versinkt. Ich bin in der Ewigkeit. Alles habe ich richtig gemacht, denn eines wusste ich von Anfang an ganz genau: Sahra Alice Weidelknechts Herz schlägt rechts.
Von Fabian Ernst
Zwischen den Zeiten
Von Fabian Ernst
Spätnachts liege ich in meinem Bett, allein. Gedanken drehen sich ununterbrochen in meinem Kopf, Reste von Dialogen, Bildern, Begegnungen. Ich komme längst nicht mehr zur Ruhe. Der Wahlkampf tötet meinen Schlaf, an mehr als drei Stunden am Stück ist nicht mehr zu denken.
Alles ist zu viel. Alles scheint auseinanderzufallen. Alles geht kaputt. Es ist nicht mehr klar, auf welcher Seite der Zeit wir leben – in der alten Zeit der Demokratie, schon in der neuen Zeit der Autokratie oder noch irgendwo mittendrin in einer anarchischen Zwischenwelt. Zu spüren war es schon vor der Corona-Pandemie, es war nur ein Hauch, doch seither ist es offensichtlich: Die Gesellschaft kollabiert, nichts funktioniert mehr richtig. Die Menschen sehnen den Untergang herbei. Wohin führt das alles?
Ausgebrannte Lehrer und rabiate Neonazi-Polizisten, Massen an asozialen Phishing-Mails, aggressive alte Männer in der Warteschlange vor der Supermarkt-Kasse, Schlafwandler und Deutschland-Hasser, hysterische Esoterik-Trullas, die vom Ende der Welt und der „Revolution gegen das System“ schwafeln, Chem-Trails und den Deep State für sich entdeckt haben und längst von Corona-Impfgegnern zu Querdenkern in jeder Hinsicht und Putin-Verstehern mutiert sind. Gleichzeitig machen sie mächtig Geld mit vorwiegend verwirrten und orientierungslosen Frauen in der Sinnkrise, denen sie überteuerte und nutzlose Online-Heilungen andrehen, obwohl sie selbst gut einen Psychiater gebrauchen könnten. Letzten Endes aber geht es nur noch darum, das Vertrauen in Politik und Gesellschaft zu zerstören.
Dazu kommen asoziale Unternehmen mit ihren neuen Produkten, die niemand braucht, mit sinnlosen Gadgets und ihren Mogelpackungen, die den Leuten für weniger Ware mehr Geld aus den Taschen ziehen. Aggressive Betrüger am Telefon, die verängstigte Senioren abzocken, die alltäglichen dreisten Lügen. Autokult und Fitness-Wahn, intolerante Veganer, Tattoo-Monster und bis zum Anschlag mit Botox gefüllte Pornostars, die sich als Rapperin versuchen. Dazu grimmig blickende Imame und jede Menge Vollbartträger mit viel Migrationshintergrund.
Biedere bisher heterosexuelle sechzigjährige Geschäftsleute erleben ihr ebenso überraschendes wie öffentliches Coming-Out, ebenso wie zwanzigjährige Milchbubis, die urplötzlich deutlich spüren, dass sie ein unglückliches Leben im falschen Körper führen und deshalb das Geschlecht wechseln. Nichts ist mehr selbstverständlich, alles gerät aus den Fugen, alles wird in Frage gestellt. Irgendwie fühlt sich jeder benachteiligt und fordert dafür vom Staat umgehend Hilfe oder einen Ausgleich. Wofür auch immer. Alles ändert sich, aber zugleich muss alles so bleiben, wie es immer war. Ich weiß nicht, wohin das noch führt.
Und dieser Staat fällt jeden Tag weiter auseinander, verliert Form und Fassung. Tod durch permanente Überforderung. Überall fehlt Geld. Auch deshalb, weil die Regierung den Bürgerinnen und Bürgern absolut nichts mehr zumuten darf. Steuererhöhungen rufen sofort Massenproteste hervor, wer lauter schreit, hat immer recht. Die Klage ist der neue Gruß aller Deutschen. Immer steht gleich die Existenz in Frage, kleiner geht es nicht mehr. Daher wird alles subventioniert: Corona-Hilfen, Corona-Impfungen, Energie-Sofort-Hilfen, gesenkte Mehrwertsteuern, Elektro-Autos, Heizungen, Traktoren-Diesel, Solar-Anlagen und so weiter und so fort. Niemand darf vergessen werden. Der Staat übernimmt für alles die Verantwortung, er muss für alles einspringen. Aus bloßer Angst, den Nazi-Wutbürger in den Vorgärten, Werkstätten und Wohnzimmern zu wecken. Wir behandeln die Deutschen wie einen Blindgänger, der laut und vernehmlich tickt. In jedem Moment droht die Explosion. Auch die Industrie lässt ihre Lobby-Drähte glühen, damit sie das größte Stück vom Subventions-Kuchen bekommt. Sie schwafeln vom freien Markt und zu viel Bürokratie, von Liberalismus und der Kraft der Innovation. Aber für die Ansiedlung von Tech-Firmen oder neue KI-Systeme zahlen die Steuerbürger und gehen für die Firmen ins Risiko.
Die Regierung bietet längst ein echtes Rundum-Sorglos-Paket für alles, was wiederum die Ansprüche der Bürger weiter ins Unermessliche wachsen lässt. Das Gleiche gilt natürlich für die Staatsschulden, aber das interessiert irgendwie niemanden mehr. Hauptsache ist, dass jetzt genügend Kohle da ist, weil wir jetzt alles verfrühstücken wollen. Dass wir mit der Natur genauso wenig nachhaltig umgehen, ist nur die andere Seite der Medaille. Dass Nachhaltigkeit auch und nicht zuletzt für die Finanzen gelten sollte, damit wir den Spielraum der kommenden Generationen nicht unzulässig einengen, die ja sicherlich ihre eigenen Krisen erleben werden und dazu Geld brauchen, gehört zu jenem tabuisierten Wissen, das in der Öffentlichkeit jedenfalls nicht mehr ausgesprochen werden darf. Der völlige Offenbarungseid einer ganzen Gesellschaft. Maßlos, panisch, haltlos, rücksichtslos und restlos egoistisch.
Längst sind die Spitzenpolitiker der Regierung nahezu täglich Anfeindungen ausgesetzt. Ob beim Wandern mit Freunden, ob beim Urlaub mit der Familie oder bei öffentlichen Auftritten – der enthemmte Mob pöbelt schamlos, attackiert und fühlt sich dabei absolut im Recht. Jede Entscheidung der Politik wird schlecht geredet. Aufgestachelt werden die Leute nicht zuletzt in dubiosen Internetforen, die von Reichsbürgern oder eben der „Bewegung“ von Sarah Alice Weidelknecht betrieben werden. Je mehr Radikalität, Chaos und Unzufriedenheit, desto besser für den ersehnten Umsturz von ganz Rechtsaußen. Wieder einmal träumt halb Deutschland von Erlösung durch Untergang. Das hatten wir schon einmal, vor gefühlt tausend Jahren. Dafür kennt die Wissenschaft den Begriff „kollektive Paranoia“. Wohin führt uns das?
Unter liberalen Denkern war es einst unbestritten, dass Demokratie die Lizenz zum Streiten ist. Wir sind uns einig, dass wir uneinig sind und über den besten Weg streiten dürfen. „Agree to disagree“, heißt es so schön im Englischen. Von dieser toleranten Haltung ist nichts mehr übriggeblieben. Die Auffassung, dass auch der Kontrahent mal ins Schwarze treffen könnte und die eigene Meinung nicht immer das Gelbe vom Ei sein muss, hat sich in Luft aufgelöst. Schöne alte Welt. Heute gilt nur noch die eigene Meinung. Die Fähigkeit, einen vorhandenen Disput in ruhigen, freundlichen Worten zu bewältigen, ist leider restlos abhandengekommen. Stattdessen wird unflätig beschimpft, bedroht und ausgegrenzt. Aggressiv-gereiztes Schwarz-Weiß-Denken und zugleich der Wunsch nach immerwährender Harmonie. So denkt der Deutsche im 21. Jahrhundert. Die Erkenntnis, dass das eigene Ego nicht immer im Mittelpunkt stehen muss, dass es wohltuend und befreiend ist, mal nicht nur an sich selbst zu denken, hat sich endgültig pulverisiert.
Nach vielen Jahren habe ich mal wieder die Schallplatte „Monarchie und Alltag“ der legendären Düsseldorfer Band „Die Fehlfarben“ aufgelegt. Laut pumpt sich der Slogan in mein Hirn:
„Ernstfall – es ist schon längst so weit! Ernstfall – Normalzustand seit langer Zeit!“
Nichts könnte treffender sein: Die Auftritte der Regierung etwa auf Marktplätzen oder Universitäten sind nur noch mit massivem Polizeischutz möglich. Sollte sogar einem langmütigen Charakter wie Olaf Schlumpf einmal der Geduldsfaden reißen, wenn er von durchgeknallten Querdenkern und Nazis niveaulos beschimpft wird und er sie daraufhin als Nichtsnutze bezeichnet, die auch mal arbeiten gehen könnten, kennt der Shit-Storm im Netz keine Grenzen: Überheblich, abgehoben und elitär sind noch die harmlosesten Zuschreibungen. Andere wollen ihn ins Gefängnis stecken oder gleich als Volksverräter zunächst an den Pranger stellen und dann am liebsten vierteilen. Aufrufe zur Gewalt sind an der Tagesordnung, überall sieht man Konterfeis der Regierungsmitglieder an virtuellen Galgen baumeln, der Wunsch nach Umsturz ist mit Händen zu greifen.
Lässt Olaf Schlumpf die Urheber solcher Aussagen ausfindig machen und strengt dann eine Klage wegen Verleumdung, Volksverhetzung oder Beleidigung an, nennt Sahra Alice Weidelknecht solchen Selbstschutz umgehend „peinlich und weinerlich“. Die krawalligen zehn Prozent der Deutschen bestimmen die Debatte und besetzen gezielt Begriffe wie „Freiheit“ und Volkssouveränität“ neu und nach ihren Wünschen, der große Rest der Leute hat sich schlafwandlerisch aufs heimische Sofa zurückgezogen, zieht das Kissen über die Kopf und hofft, das alles nur ein böser Traum ist.
Nichts hat mehr allgemeine Gültigkeit, nichts ist selbstverständlich. Keine Religion, kein Glaube, keine Institution, nichts führt die Menschen mehr zusammen. Recht und Anstand gehören offenkundig einer untergegangenen Zivilisation an. Zwar sprechen wir noch Deutsch, aber niemand versteht mehr einander. Babylon ist auch in Bielefeld. Das Zeitalter der Demokratie geht zu Ende. Überall die neuen, alten autoritären Helden. In den USA, in Russland, in China und Ungarn. Jetzt auch in Deutschland. Wir wissen so viel, von den Atomen und dem Weltall, von der Chemie und vom Menschen. Und doch haben wir uns von der Vernunft und dem Verstand verabschiedet. Wir sind wir wieder beim Trieb angekommen. Unser Sinn des Lebens zerfällt in tausend Splitter – Nacht und noch mehr Nacht umgibt uns. Unser altes Leben ist zerstört und vernichtet. Muss ich wirklich den Rest meines Lebens mit den Tino Dumballas, Alexander Deutschlands und Björn Deppes in dieser Welt leben?Gerne würde ich durch ein großes Tor in eine andere Welt gehen, in eine freundliche, helle Welt. Darin leben Menschen, die noch Mitgefühl empfinden können. Die noch zuhören können und nicht jede Gelegenheit für einen eigenen Monolog nutzen. Leben in einer Welt des Friedens und Miteinanders. Stattdessen taumeln ausnahmslos erschöpfte und restlos traumatisierte Gespenster durch meinen Alltag. Mitten in der Nacht wache ich schreiend auf und blicke auf den Wecker: Es ist 3.35 Uhr, ich starre an die Zimmerdecke. Alpträume quälen mich. Es ist wie eine Achterbahnfahrt, die nach einer Runde nicht aufhört, sondern immer weitergeht. Ich kann nicht mehr. Aber immer weiter. Immer weiter. Runde um Runde, ohne jede Pause. Achterbahnfahren ist aufregend und schön. Wirklich. Aber irgendwann nach der 10.000. Fahrt willst du aussteigen.
Von Fabian Ernst
Zwei Briefe zu Krieg und Frieden
Von Dr. Heidrun Weber-Grandke
„Die Katastrophe ist eingetreten. Mein Sohn Nika, 26 Jahre alt, ist in Bachmut gefallen. Tot, mein einziger Sohn, Vater eines zweijährigen Mädchens, verheiratet und Landwirt wie ich, Valentin. Wir bauen seit vier Generationen in Aleisk, nordöstlich von Kasachstan Weizen und Gerste an. Wir haben die Corona-Krise wirtschaftlich gut überstanden, wir konnten sogar unser Land erweitern und einen neuen modernen Mähdrescher kaufen, wenn auch gebraucht. Jetzt haben wir einen Haufen Schulden, aber Nika wollte modernisieren. Erist seit vier Jahren sehr engagiert bei uns eingestiegen. Die vierte Generation steckt mehr in Technik und effiziente Arbeit als wir alten Bauern.
Aber dann kam dieses Jahr Mitte Januar die russische Mobilmachung für die Operation Ukraine und mein Sohn war Feuer und Flamme für die Abwehr der westlichen Imperialisten und Neokolonialisten. Er hat einen Chatfreund aus dem Donezbecken, der sich als Russe fühlt. Seit 2015 ist seine Familie arbeitslos. Nach dem der Steinkohleabbau dort erschöpft war und die Konflikte mit den Separatisten tobten, kam kaum noch wirtschaftliche Unterstützung der ukrainischen Regierung an. Die Politiker in Kiew wollten sich seit 2015 eher dem europäischen Westen anschließen, das Donbassgebiet wurde nach der Flucht des russischfreundlichen Präsidenten Janukowitsch finanziell vernachlässigt. Sein Chatfreund Yegor fühlte sich schon seit langem von Kiew im Stich gelassen und eher russisch.
Nika hat viel gelesen über den Westen, die USA. Er ist kein Nationalist, aber er denkt patriotisch wie die meisten Landwirte hier. Seit 1989 dehnt sich die Nato immer mehr nach Osten aus. Die ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes, einige ehemalige Teile Jugoslawiens und Finnland sind bereits Mitglied. So grenzt die Nato weitgehend direkt an Russland. Russlands westliche Grenze ist aber geostrategisch die Achillesferse unseres Landes, sagt mein Sohn. Man kann leicht einmarschieren, es gibt keinen Schutz, kein Gebirge, kein Meer. Nur Belarus und die Ukraine stellten bislang noch einen Puffer dar zur fünf mal stärkeren Militärmacht, der Nato.
Als die USA 2003 völkerrechtswidrig in den Irak marschierten, fast 40.000 irakische Soldaten und über eine Millionen Zivilisten töteten, las mein Sohn Nika sehr viel über Politik und vernachlässigte sein Studium. Ich fürchtete schon, er würde ganz in die Politik einsteigen. Zwei Jahre vorher hatten die USA und ihre Verbündeten einen Krieg in Afghanistan begonnen. In zwanzig Jahren wurde dieses blühende Land mit intakter Landwirtschaft in eine Steppe verwandelt und in den Ruin getrieben. Mehr als 50.000 Menschen starben. Nun ja, bei unserer russischen Intervention in Afghanistan ein Jahrzehnt vorher starben auch über 10.000 Menschen, aber das Land hatte noch Hoffnung. Auch der Iran ist erst durch die Einmischung der USA 1953 zu einem totalitären Staat geworden, erzählte mein Sohn. Der rechtskräftig gewählte demokratische Premierminister Mohammad Mossadegh wurde durch völkerrechtswidriges Betreiben der Nachrichtendienste der USA und England gestürzt, nachdem er sein Öl nicht mit England und den USA teilen wollte. So ist der gesamte Nahe Osten durch westliche Einmischung zerstört worden und unsere Angst ist groß, dass diese Supermacht, die drei mal mächtiger als China und Russland zusammen ist, immer weiter in den Osten vordringt. Wenn es um amerikanische Interessen geht, wird jede Grenze ignoriert, so auch in vielen südamerikanischen Staaten.
Nika sprach immer von Neutralität der westlichen Grenzstaaten. Er hätte sich wie viele seiner Freunde gewünscht, dass die Ukraine neutral geworden wäre, ähnlich wie die Schweiz, vielleicht am Anfang unter Schutz von einer internationalen Truppe. Dann wäre die russische Grenze sicher und für die Ukrainer wäre es doch auch nicht schlecht. Vielleicht wäre es dann sogar seinem Chatfreund Yegor wirtschaftlich besser gegangen.
Aber jetzt ist Nika tot und damit ist auch mein Leben, das meiner und seiner Frau und unserer kleinen Enkelin Anna zerstört. Wir fühlen uns am Ende, auch mit unserer Landwirtschaft und den vielen Schulden, die wir jetzt nicht mehr abtragen können. Wir sind ohne Zukunft und Hoffnung.
Er fiel am 11. Juli in Bachmut. Wir Russen hatten einige Kilometer gut gemacht, dann haben die Ukrainer fast alles wieder zurückerobert. So geht das schon seit vielen Wochen. Immer einige Kilometer vor und dann wieder einige Kilometer zurück. Dabei fallen hunderte Soldaten täglich auf russischer und ukrainischer Seite. Hunderte Menschenleben für einige Kilometer vorwärts und hunderte Menschenleben für einige Kilometer rückwärts. Hunderte Familien täglich zerstört, hunderte Existenzen vernichtet, die Natur und Landwirtschaft sowieso.
Bevor Nika starb, hatte er einen Panzer in die Luft gejagt, sechs ukrainische Soldaten starben. So kommt er als Held in russische Erde. Aber was nutzt uns das. Nika wollte verhindern, dass die Ukraine sich auch der aggressiven Supermacht anschließt und seinem Freund Yegor helfen, der lieber zu Russland will, aber ich war von Anfang an gegen diesen Krieg, gegen jeden Krieg. Die Ukrainer sind doch fast unsere Brüder, wir verstehen die Sprache.
Ich bin orthodoxer Christ und will nur Frieden auf der Welt. Gerade hatten wir unser Weihnachtsfest am 6. Januar mit der ganzen Familie gefeiert – Anna hatte sich so über ihre neue Puppe gefreut – als Nika eingezogen wurde. Ich werde jetzt eine Kerze für Nika anzünden. Gott will doch auch Frieden. Er hat uns das fünfte Gebot mitgeteilt: Du sollst nicht töten.“
Valentin, Vater von Nika am 18. Juli 2023
„Maksym ist tot, gefallen am 11. Juli in Bachmut, getötet durch eine Explosion seines Panzers. Auch seine fünf Mitstreiter leben nicht mehr. Mein Sohn wurde nur 23 Jahre alt. Er hat sein Studium der Agrarwissenschaften unterbrochen und ist an die Front gegangen, um sein Land vor den russischen Aggressoren zu verteidigen. In zwei Jahren wollte ich etwas kürzer treten und unseren großen Hof an Maksym übergeben. Wir haben vor Putins völkerrechtswidrigen Einmarsch gut verdient. Unsere Felder im Zentrum der Ukraine bei Uman gelegen sind humusreich und bei unserem günstigen Klima sind die Erträge gut. Jetzt sind die Speicher voll, Abtransport und Verkauf sind allerdings schleppend oder es funktioniert gar nicht oder das Getreide gelangt in russische Hände. Treibstoff und Dünger sind ohnehin kaum zu bezahlen.
Wir fühlen uns dem Westen zugehörig. Meine Frau Maria ist mit unserer kleinen Tochter Alina nach Deutschland geflüchtet, nach Nürnberg.
Maksym war von Anfang an dabei, seit Februar 2022, alle seine Kommilitonen haben sich für die Front gemeldet. Es war für ihn ganz klar, kämpfen zu müssen. Er will wie seine Freunde in die EU, vorher aber schon in die Nato. Als die UdSSR zerfiel, war er noch nicht geboren, Russland ist für ihn innerlich weit weg. Ein paar Wochen, bevor Putin unrechtmäßig die Grenze überschritt, hatte er mit seiner Freundin Daria eine Reise nach Paris geplant, sein Traum.
Ich ärgere mich nur, dass die Kinder unserer Reichen sich drücken und das sind hier auch ganz viele. Sie sind sofort nach dem Angriff ins Ausland gegangen, wie auch immer sie das geschafft haben. Die Eltern sind ebenso weg, vor allem die Väter. Durch meine Tätigkeit im Landwirtschaftsrat habe ich viele Kontakte. In Asien sind viele unserer Oligarchen. Sie leben recht gut auf Bali oder in anderen Ferienzentren. Dort treffen sie auf russische Oligarchen und wie ich gehört habe, trinken und essen sie zusammen, zum Teil in gleichen Hotels. So lassen sie es sich gut gehen, während ihre ärmeren Landsleute im Krieg, Angst und Not leben.
Meine Zuversicht ist weg, dass wir den Krieg bald gewinnen. Der Westen unterstützt uns zwar, aber das reicht nicht. Und das ganze Land wird auf Dauer verwüstet. Wie sollen wir später noch Landwirtschaft betreiben? Jetzt wollen uns die USA Streubomben schicken, unser Präsident ist dafür, aber ich sehe als Bauer auch die Zerstörung. Der Boden wird auf viele Jahre unbrauchbar. Noch unsere Enkel werden sich an den Blindgängern schwer verletzen.
Ich bin kriegsmüde, das darf ich hier kaum öffentlich sagen, aber ich bin es. Nach dem Tod meines lieben Maksyms erst recht. Ich wünsche mir schon so lange Verhandlungen, ich glaube nicht mehr an ein Ende des Krieges durch einen militärischen Erfolg.
Maksym ist mutig und motiviert in den Krieg gezogen. Nach dem Massaker von Butcha durfte ich kein Wort mehr von möglichen Friedensverhandlungen äußern. Dieser brutale Feind sollte endlich vernichtet werden, aus unserem Land getrieben werden. Maksym sprach ständig von westlichen Werten, die er verteidigt. Aber was sind westliche Werte? Haben nicht auch die USA Guantanamo und Folterkammern in Syrien?
Ja, aber der Westen sei doch frei. Da könnte man seine Meinung frei äußern und kein Oppositioneller käme ins Straflager wie Nawalny. Das stimmt, wenn auch im Westen Whistleblower und Menschen, die Kriegsverbrechen und andere Verbrechen aufdecken, dafür hart bestraft werden wie Chelsea Manning, Julian Assange und Ed Snowden. In solchen Fällen ist die Rechtstaatlichkeit auch im Westen ausgesetzt.
Für mich sind alle Menschen gleich und ich bin kriegsmüde, will nur noch Frieden. Ich werde gleich eine Kerze für Maksym anzünden. Was sagt eigentlich Gott dazu? Hätte Jesus gekämpft? Menschen getötet? Wäre er dann nach seinem Tode nach drei Tagen auferstanden und säße zu Rechten Gottes? Hätte Gottes Sohn das zerstört, was sein Vater geschaffen hat? Wäre er Gottes Sohn, wenn er das fünfte Gebot gebrochen hätte?
Wie fühlen sich Christen in Russland und in der Ukraine in der Kirche, wenn sie beten, Weihnachten und Ostern feiern, fühlen sie sich als Nachfolger Jesu?“
Oleksandr, Vater von Maksym am 18.7.2023
*Zur Klarstellung: Beide Briefe sind erfunden
Dr. Heidrun Weber-Grandke (Jahrgang 1953) ist Apothekerin in Offenbach, engagiert sich in der Malteser-Ambulanz für Menschen ohne Krankenversicherung (MMM Offenbach) und war in verschiedenen Friedensinitiativen aktiv.
Dr. Heidrun Weber-Grandke
Sprache, Kultur, Deutschland – Dreiklang in Moll
Von Matthias Müller
Seit mehr als 70 Jahren leistet das Goethe-Institut mit seinen Filialen im Ausland wertvolle Kulturarbeit, vermittelt Werte wie Demokratie, ist für Menschen in vielen Ländern eine der wenigen Möglichkeiten, ohne Zensur einen Blick auf die Welt zu werfen. Im Idealfall ist es Kommunikator ohne Zeigefinger. Wenige der deutschen Außenminister widmeten dem Wirken dieses renommierten kulturellen Botschafters die notwendige Aufmerksamkeit. Auch Annalena Baerbock nutzt in Zeiten der Sparsamkeit ihren Kultur-Etat als Steinbruch für andere Haushaltslöcher. Unter ihr werde die Lage der Goethe-Institute wieder prekär, so der Kommentar von Vladimir Balzer dieser Tage im Deutschlandfunk.
Neun der 159 Einrichtungen sollen geschlossen werden. Der Ansatz für die Neuausrichtung des Goethe Instituts ist gut. Weniger Repräsentation, dafür mehr Programmarbeit kann gerade in den Krisenregionen des Ostens ein Baustein für den Aufbau ziviler Gesellschaften sein. In Moldau beispielsweise oder im Kaukasus. Und auch die Ausweitung der Tätigkeit auf die vom Klimawandel betroffenen Inseln im Pazifik macht Sinn. Doch der Rückzug aus den Metropolen des Westens hinterlässt einen faden Beigeschmack. Deutschland verzichtet abseits der diplomatischen Kanäle auf eine Möglichkeit des Diskurses mit einer jungen kritischen Öffentlichkeit.
Statt eines ausführlichen Kommentars zwei Auszüge aus meinem Reisetagebuch von 2016. Auf der Fahrt mit dem Zug entlang der Seidenstraße von Offenbach am Main an den Mekong bin ich in Wolgograd und Buchara in Usbekistan zwei Menschen begegnet, die dort nicht nur unsere Sprache erlernt haben:
14. November 2016, Wolgograd
Wolgograd vermitteltem mir auch einen spannenden Blick auf das junge Russland. Nach einem Spaziergang entlang der Wolga (schmaler als in meiner Vorstellung) habe ich ein Cafe besucht. Hier bedient Vladimir. Vielleicht neunzehn oder zwanzig Jahre alt. Nachdem er bemerkt, dass ich kein Wort seiner Begrüßung in Russisch verstehe, fragt er: „Sind Sie Deutscher?“ und beginnt mit mir ein Gespräch in meiner Muttersprache. Akzentfrei und ohne Grammatikfehler. Er hat Deutsch im Goethe-Institut gelernt. Er weiß noch nicht, ob er seinem Bruder nach Dresden folgen will. Nächste Woche geht es erst einmal für 14 Tage nach Österreich. Aber dann wieder zurück. Später will er vielleicht einmal auf Work-and-Travel-Tour. Das Cafe in dem er arbeitet, hätte in jeder deutschen Stadt seinen Platz. Modern eingerichtet, viel weiß lasiertes Holz, bequeme Sessel, angenehme Musik und ein wirklich guter Obstkuchen. „Und man spricht deutsch“ wie mir Vladimir zum Abschied zuzwinkert.
Vladimir steht für das junge Wolgograd mit seinen vielen Studenten, die wahrscheinlich bestens qualifiziert sind. Die andere Seite sieht man auf den Märkten, wo Männer und Frauen bei Minusgraden stehen, um zwei Glas Honig oder einige Nüsse verkaufen, um den nächsten Tag zu überstehen.
Ich habe in den letzten Jahren bei meinen Touren in vielen Ländern diese Vladimirs und dessen weibliche Kolleginnen getroffen. Es gibt in Russland nicht nur rechtsradikale Jugendliche, wie gelegentlich suggeriert wird, sondern viele Heranwachsende, die neugierig auf diese Welt sind, den Austausch mit anderen Kulturen suchen. Die daraus lernen und gleichzeitig stolz auf ihre Heimat sind. Aber die Vladimirs brauchen eine Perspektive jenseits des Säbels mit dem der große Vladimir rasselt.
Volgograd: Beklemmung und Hoffnung
Samstag, 19. November 2016, Bucharas
….Danach ein Blick in eine Koranschule. Betreten werden darf nur die Vorhalle am Eingang zum Hof. Auf großen Tafeln werden die Lerninhalte in Englisch beschrieben. Neben den Lehren Allahs wird sehr viel Wert auf Sprachen, Physik und Mathematik gelegt. Nach dem Besuch diverser Moscheen und eines mittelalterlichen Studentenwohnheims mit schmalen Kammern steige ich hoch auf die Burg. Hier treffe ich Olebruck, so habe ich seinen Namen verstanden.
Olebruck spricht perfekt Deutsch, ohne Akzent. Eigentlich unterrichtet er an der Musikschule. Er spielt Stehgeige. 2010 gastierte er mit der Gruppe Karavan in der Berliner Philharmonie, ein Konzert, das von der UNESCO organisiert wurde. Auf dem Handy hat einige Stücke gespeichert, die er mich hören lässt. Traurige usbekische Weisen.
Deutsch hat Olebruck im Goethe-Institut gelernt. Er erzählt mir, wie wichtig eine solche Einrichtung für ein Land wie Usbekistan sei. Hier habe er Zugang zu Literatur, zu Filmen, zu Zeitschriften. In der Hauptstadt Toshkent und in der Filiale in Buchara werde hervorragende Arbeit geleistet. Er selbst kann vom Musikunterricht nicht leben, deshalb sein Nebenjob im Museum. Hinter der Tür auf dem Foto hat er sich in einem etwa 1,5 Quadratmeter großen Raum eingerichtet. Stuhl, Tisch, Regal. Dort lernt er jetzt Chinesisch.
https://matthiasmueller1950.com/2016/11/21/samstag-19-november-2016-buchara/