Mehr Markt, weniger Medizin

Das Recht des Menschen auf eine angemessene medizinische Versorgung wird von Artikel 1 des Grundgesetzes erfasst. Was aber, wenn kranke Menschen auf ein krankes Gesundheitssystem treffen? Die dritte Folge von www.bloghaus.eu zur Mammutaufgabe „Klinikrettung“.

Der Patient ist das Krankenhaus selbst. Finanzspritzen allein werden ihm nicht helfen. Stefan Bayer/Pixelio

Die Umstellung der Finanzierung von der Selbstkostendeckung über tagesgleiche Pflegesätze auf diagnosebezogene Fallpauschalen hat im Ergebnis also zu einem Paradigmenwechsel im medizinischen und pflegerischen Alltag geführt, der bis heute nachhaltige Auswirkungen auf die gesamte stationäre Krankenbehandlung hat. Wenn betriebswirtschaftlichen Kennzahlen zu einer der wichtigsten, wenn nicht gar zur alles dominierenden Zielsetzung jeder Klinikleitung avanciert, führt dies unweigerlich zu einem Konflikt zwischen betriebswirtschaftlicher Nutzenerwägung und medizinischer Vernunft zum Wohle der einzelnen Patienten. Dies beeinträchtigt auch das für die Behandlung so wichtige Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Ärzten sowie Pflegekräften.

Kritiker der Fallpauschalen bemängeln unter anderem, dass in diesem Diagnose-System insbesondere Menschen mit mehreren Grunderkrankungen sowie chronisch Kranke nicht ausreichend berücksichtigen werden. Außerdem würden die Möglichkeiten einer an den einzelnen Patienten angepassten Behandlung beschnitten mit der Folge, dass die Verweildauern für chronisch Kranke und Patienten mit schlechter Konstitution oft zu kurz sind. Da Patienten aufgrund der Pauschalierung ohne Rücksicht auf ihren Zustand entlassen würden, drohten in der Folge eine erneute Wiederaufnahme und damit zusätzlichen Kosten. Andernfalls würden die Verantwortung und Kosten für eine Weiterbehandlung in die hausärztlichen Praxen verschoben. 

Die durchs Fallpauschalen-System provozierte Ökonomisierung der Krankenhäuser hat dazu geführt, dass diese möglichst viele und vor allem lukrative Fälle abrechnen möchten. Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung hat die Zahl von Knie- oder Hüftgelenkoperationen zugenommen, sobald diese höher vergütet wurden. Der Leiter der Regierungskommission zur Reform der Krankenhausversorgung, Prof. Tom Bschor, hat darauf hingewiesen, dass in Deutschland aufgrund dieser Vergütungsanreize 50 Prozent mehr Behandlungen anfallen als in den Kliniken der europäischen Nachbarländer. 

Die Folge dieses durch die Fallpauschalen provozierten Produzierens von immer mehr Behandlungsfällen ist eine Überversorgung mit zum Teil unnötigen Operationen und eine Unterversorgung bei der Pflege. Denn für jede Pauschale ist eine maximale Aufenthaltsdauer vorgesehen mit der Konsequenz, dass mit jedem zusätzlichen Tag sich der Fall weniger rentiert. Außerdem hat sich herausgestellt, dass die Krankheitsbilder oft zu komplex sind und sich kaum durch die 1.200 Positionen adäquat abrechnen lassen. Finanzielle Verluste sind hier unvermeidlich.

Gespart wird bei der Pflege

Deshalb stehen Krankenhäuser unter dem ständigen Druck, bei der Behandlung nicht mehr Kosten zu verursachen, als durch die DRGs erstattet werden. Also richtet sich das Augenmerk jeder Geschäftsführung besonders auf die kostenintensiven Personalkosten, weil diese für über 60 Prozent der gesamten Kosten eines Krankenhauses verantwortlich sind. Da Ärzte für die erlösrelevanten Aufgaben im Behandlungsprozess zuständig sind, wird in dieser Berufsgruppe wenig gespart. So betreffen die Personalkürzungen hauptsächlich Pflegekräfte. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass allein zwischen 2002 und 2006, also rund um die Einführung der Fallpauschalen, circa 33.000 Vollzeitstellen in der Pflege an deutschen Akutkrankenhäusern wegfielen. Aktuell fehlen etwa 100.000 Vollzeitstellen. 

Infolge dieser massiven Stellenkürzungen hat sich die physische und psychische Belastung des Krankenhauspersonals drastisch erhöht. Daraus entstehen zusätzliche Risiken auch für die Patienten in der stationären medizinischen Versorgung. Sie erleben tagtäglich die Hektik des überlasteten Personals und trauen sich oft gar aus Mitgefühl mit den Pflegekräften nicht, ihre individuellen Anliegen zu äußern oder sind nicht in der Lage diese um Gefälligkeiten zu bitten. Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit der stationären Versorgung für die betroffenen Patienten, deren Wunsch nach Heilung, Zuspruch, Trost und Linderung ihrer Leiden, steht allzu oft im Widerspruch zur betriebswirtschaftlichen Zielsetzung des Krankenhaues und kommt dann immer zu kurz. Die Fallpauschalen wurden deshalb zum Synonym für eine Krankenhausversorgung, die sich vor allem an den Kosten orientierte und nicht am Wohl der Patienten.

Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) kommt in ihrem Report zu dem Ergebnis, dass sich die wirtschaftliche Lage in den Kliniken zuspitzt und immer mehr Häuser von Schließung bedroht seien. Die Studie verdeutlicht die Dringlichkeit einer Reform der Krankenhausfinanzierung, wenn verhindert werden soll, dass sich der Anteil der von Schließung bedrohten Krankenhäuser in den nächsten Jahren auf 70-80 Prozent erhöht.

https://www.dkgev.de/dkg/presse/details/die-wirtschaftliche-lage-spitzt-sich-weiter-zu-kliniken-immer-staerker-von-schliessung-bedroht/

Deshalb fordert DKG-Vorstandsvorsitzender Dr. Gerhard Gaß von der Politik, das DKG-System so zu ergänzen, dass die Versorgung in der Fläche auch mit gesunkenen Fallzahlen bestehen bleibt. Die Vorhaltekosten würden unzureichend abgebildet, das habe sich nicht zuletzt in der Pandemie sehr deutlich gezeigt, so Gaß. Ohne eine adäquate Vorhaltefinanzierung sei eine flächendeckende Versorgung gerade in Krisenzeiten nicht möglich. Der reine Leistungsbezug des Systems komme hier an seine Grenzen.

Ruf nach Einheitskasse

Auch das „Bündnis Klinikrettung“ sieht die medizinische Versorgung in Deutschland gefährdet und fordert deshalb in einer Petition, dass kein Krankenhaus mehr schließen dürfe. Seit 1991 sei der Bestand deutscher Kliniken bereits um 21 Prozent geschrumpft. Allein in den Jahren 2020 und 2021 hätten trotz Pandemie 29 Häuser schließen müssen. Wie prekär die aktuelle Lage ist, weisen die neuesten Zahlen des  Deutschen Krankenhaus Instituts (DKI) aus dem Dezember aus: Danach gehen 56 Prozent der repräsentativ befragten Krankenhäuser für das Gesamtjahr 2022 von einer weiteren Verschlechterung ihrer angespannten wirtschaftlichen Situation aus. 

Laut DKI wird nur noch die Hälfte der Krankenhausinvestitionen aus öffentlichen Fördermitteln bestritten. Die andere Hälfte der erforderlichen Investitionen steuern die Häuser anderweitig bei, etwa über Überschüsse aus den LeistungsentgeltenDie Unterfinanzierung der Krankenhausinvestitionen führe schließlich zu einem erheblichen Investitionsstau. Für die nächsten fünf Jahre betrage der Investitionsbedarf der deutschen Krankenhäuser etwa sieben Milliarden Euro pro Jahr. Sie öffentliche Förderquote durch die Bundesländer habe zuletzt lediglich bei 2,7 Milliarde Euro pro Jahr gelegen. Der Investitionsbedarf sei damit um das Zweieinhalbfache höher als aktuell die öffentlichen Fördermittel für Krankenhausinvestitionen.

Klaus Emmrich vom „Bündnis Klinikrettung“, ein ehemaliger Klinikvorstand, nennt die immer größeren Lücken in der Finanzierung des Gesundheitssystems „hausgemacht“. Über zwei Hebel könnten aus seiner Sicht in großem Umfang Kosten eingespart werden. Allein die 104 gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland verursachten Verwaltungskosten von elf Milliarden Euro, so Emmerich. Durch eine Einheitskrankenversicherung könnten sie erheblich reduziert werden. Für wahr, ein revolutionärer Vorschlag. Hinzu komme, so Emmrich weiter, dass Ärzte und Pflegekräfte in Krankenhäusern mittlerweile 30 Prozent ihrer Arbeitszeit für Dokumentationsaufgaben aufwenden müssten. Würde die Dokumentation auf das medizinisch Notwendige reduziert, ließen sich weitere sieben bis acht Milliarden Euro einsparen.

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