In der Migrationsfalle

Mal ehrlich, wer hatte etwas anderes als diesen Minimalkompromiss nach der Ministerpräsidentenkonferenz zur Migration erwartet? Bei der Finanzierung der Administration rund um die Flüchtlinge bringt sich der Bund jetzt gemäß seiner Verantwortung endlich etwas mehr ein. Ansonsten wird beispielsweise mit schnelleren Asylverfahren und Bezahlkarten statt Bargeld für Flüchtlinge ein wenig an verschiedensten Stellschrauben in der vagen Hoffnung gedreht, dass damit die Attraktivität Deutschlands für Asylzuwanderer abnimmt. 

Vom „Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik“, den die Ampel zum Start formuliert hat, will heute niemand mehr etwas wissen. Die Debatte läuft heute auf allen Ebenen ziemlich einseitig auf die Themen Überlastung und Abschottung hinaus. Zurecht ruft die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus die demokratischen Parteien zu einem gemäßigteren Ton in Flüchtlingsfragen auf. Es werde von „Zahlen“ gesprochen, die „runter müssen“, als ginge es „um eine mittelschwere Matheaufgabe“. „Wer von Migration redet, redet von Menschen. In perfider sprachlicher Verdrehung wird aus den Ertrinkenden die Flut gemacht und aus den Schiffbrüchigen die Welle, die angeblich uns überschwemme.“ Das Wort Migranten werde „beinahe unisono“ mit den Adjektiven „illegal“ oder „irregulär“ verbunden, obwohl die Mehrheit von ihnen einen Schutzstatus erhalte. Die Ratsvorsitzende betont erneut, sie lasse sich „Barmherzigkeit nicht ausreden“ und wehrt sich vorsorglich gegen den Vorwurf, die Kirche vertrete in der Flüchtlingspolitik einen naiven Idealismus. 

Von jeglichem Idealismus befreit stuft der Kanzler unterdessen die jetzt beschlossene Verschärfung des Asylrechts als „sehr historisch“ ein. Den so geadelten Beschluss zieren aufgrund eines aktuell fehlenden Wagemuts Freiraum schaffende Prüfaufträge für Maßnahmen, die mit Blick auf juristische Zwänge, Durchsetzbarkeit und Wirkung schon jetzt kaum noch Fragen offen lassen. Die Ampel verabreicht mit großem Tamtam Placebos und setzt auf Zeitgewinn, weshalb ihr auch die Partnerschaft der CDU beim angestrebten Deutschlandpakt versagt bleibt, was der „Spiegel“  in Anspielung auf Olaf Scholz als „historisches Versagen“ beider Seiten geißelt. 

Jenseits aller taktischer Spielchen auf beiden Seiten dürfte die Opposition jedoch richtig liegen, wenn sie bemängelt, dass der Zustrom von Migranten auf dem bisher eingeschlagenen  Weg wohl nicht nennenswert eingedämmt werden kann. Dabei war es doch gerade erklärtes Ziel des Gipfels, Maßnahmen zur raschen und deutlichen Reduzierung von Zuzugszahlen zu ergreifen. Dieses Ziel einer spürbar neuen Asylpolitik als Antwort auf den AfD-Höhenflug und die zunehmende Überforderung des deutschen Sozialstaats durch Massenmigration war aber nicht erreichbar. Einmal sind SPD und Grüne beim Thema Asyl  noch zu sehr in alten ideologischen Traditionen verhaftet. Und dann agiert die CDU-Opposition recht kopflos und aktionistisch, macht sie doch teils Vorschläge, die eine Verfassungsänderung bedingen und dann bei Umsetzung zwingend den EU-Austritt zur Folge hätten. 

Wer kann da ernsthaft erwarten, dass SPD und Grüne unterm selbst gewählten Rubrum „Voraussicht und Verantwortungsbewusstsein“ mitspielen?  Beides dürfen allerdings alle im Bundestag vertretenen Parteien mit Tradition nicht für sich in Anspruch nehmen. Denn sie agieren ohne Plan und mit Panikattacken auf immer neue Umfragehöhen der Rechtsextremen. 

Der Erfolgsdruck ist groß, die Asylzahlen müssen irgendwie sinken, weil sonst die Stimmung im Lande zu kippen droht. Damit hat sich die Regierung aber in eine Falle manövriert. Denn was passiert, wenn der Flüchtlingsstrom auch mit den jetzt eingeleiteten Maßnahmen nicht signifikant eingedämmt werden kann? Dann wird jenen ein weiterer Grund dafür geliefert, AfD zu wählen, die in einfachen, zupackenden, zur Not auch völkischen Lösungen den Ausweg aus der aktuellen Zuwanderungskrise sehen. 

CDU/CSU haben sich via Friedrich Merz und Markus Söder nur vermeintlich strategisch klug von der Verantwortlichkeit für Flüchtlingszahlen abgekoppelt. Denn für diese Hardcore-Klientel bleibt die Union nicht wählbar, sieht diese die Lösung der Problematik doch in einer Militarisierung der EU-Außengrenzen und dem Schleifen von Menschenrechten für Geflüchtete. Das geht auch der Union (noch) zu weit.

Frank Pröse

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