Wann ist jetzt?

– Der tödliche Messerangriff in Mannheim hat eine Debatte über Abschiebungen von Straftätern ausgelöst –

Das war dann mal eine klare Ansage des Bundeskanzlers. In seiner Regierungserklärung sprach Olaf Scholz sich dafür aus, Asylanten, die in Deutschland schwere Straftaten begehen, auch nach Syrien oder Afghanistan abzuschieben. Hintergrund für diese Aussage war die Messerattacke eines 25-jährigen Afghanen gegen sechs Männer während eines Vortrags der rechtspopulären Bürgerbewegung Pax Europa auf dem Marktplatz von Mannheim. Zu den Opfern gehört auch ein zur Hilfe herbeigeeilter Polizist, der nach wenigen Tagen seinen schweren Stichverletzungen erlegen ist. Bei ihren Ermittlungen gehen die Behörden von einem islamistischen Motiv aus. Der mutmaßliche Täter soll sich selbst radikalisiert haben.

Die Bluttat von Mannheim hat vor allem eine Debatte über die Abschiebepraxis in unserem Land befeuert. Wut und Trauer über den Mord an dem Polizeibeamten vermischten sich mit markigen Worten oder Forderungen zur Frage der Abschiebungen auch in sogenannte unsichere Länder. 
Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Friedrich Merz, warf dem Kanzler in seiner Erwiderung zu dessen Regierungserklärung Untätigkeit vor und sagte, dass die Zeit des Warnens und des Verurteilens, des Abwiegelns und der Ankündigungen jetzt vorbei sei. Recht hat er, mag man spontan zu dieser Feststellung sagen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das die Formulierung „jetzt“ auch schon einige Jahre früher hätte greifen können. 

  • „Jetzt“ hätte sein können nach dem furchtbaren Attentat vom 19. Dezember 2016 als ein islamistischer Attentäter mit einem Lkw, den er zuvor entwendet und dabei den Fahrer erschossen hatte, in den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz fuhr. Dabei kamen zwölf Menschen zu Tode und fast 170 Menschen wurden – teils schwer – verletzt. Damals wurde massive Kritik an den Sicherheitsbehörden laut, da der Attentäter, der Tunesier Amri, der zuvor monatelang von den Sicherheitsbehörden überwacht worden war, weil er bereits Monate zuvor wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren Straftat abgeschoben werden sollte. Dazu kam es aber wegen verschiedener Versäumnisse der Sicherheitsbehörden, Mängeln beim Informationsaustausch und der Koordination zwischen den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder nicht. 
  • „Jetzt“ hätte sein können nach dem Messerattentat 2020 in Dresden, als ein zuvor als Gefährder eingestufter syrischer Asylbewerber in Dresden ein homosexuelles Paar mit einem Messer angriff und dabei eine Person tötete. Auch diese tödliche Messerattacke befeuerte seinerzeit die Asyldebatte und eine Prüfung des damaligen Innenministers Seehofer, ob Abschiebungen nach Syrien in sogenannte befriedete Gebiete möglich seien. Eine frühere Abschiebung des Täters war aufgrund des Abschiebestopps nach Syrien nicht möglich. 
  • „Jetzt“ hätte auch schon Ende 2018 sein können, als innerhalb der Union ein Streit zur Frage der Abschiebungen von schweren Straftätern und Gefährdern nach Syrien entbrannt war. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter hielt nach einem Bericht von „Zeit online“ Rückführungen nach Syrien seinerzeit für nicht möglich, weil „Syrien an sich weder ein freies Land noch rechtsstaatlich gesichert ist“. Dagegen vertrat der damalige baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl die Auffassung, dass kein Mensch verstehe, warum Personen, die die Sicherheit in Deutschland gefährden, nicht nach Syrien abgeschoben werden können. Damals hatte Horst Seehofer nach übereinstimmenden Berichten von „Zeit online“, „dem Redaktionsnetzwerk Deutschland“ und „FAZ“ schon einmal eine entsprechende Prüfung zugesagt. 

„Schwieriges Terrain“

Nun erleben wir aktuell die gleiche Debatte, nur ist „jetzt“ sechs Jahre später. Jetzt will der Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) erneut prüfen lassen, ob Abschiebungen in unsichere Länder wie Afghanistan oder Syrien möglich sind und hat deshalb einen Antrag zu Abschiebungen in die Innenministerkonferenz (IMK) eingebracht, wonach Personen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, auch nach Afghanistan und Syrien abgeschoben werden können. Nach seiner Auffassung wiegt das Sicherheitsinteresse Deutschlands schwerer als das Schutzinteresse des Täters. Derzeit sind Abschiebungen in beide Länder wegen der dortigen Sicherheitslage ausgesetzt. Mit diesem Antrag – für dessen Einbringung sich der Bundeskanzler laut FAZ ausdrücklich bedankte – reiht sich Andy Grothe ein in eine Phalanx von politisch Verantwortlichen, die auch wegen des noch mutmaßlich islamistischen Hintergrundes der Messerattacke von Mannheim ein härteres Vorgehen der Behörden bis hin zu rigorosen Abschiebungen fordern, wohlwissend, dass ein solches Vorgehen rechtlich zumindest sehr schwierig, wenn nicht gar nahezu unmöglich ist. 

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat in der Debatte über die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern nochmals bekräftigt, dass diese möglich sein müsse und sagte im Deutschlandfunk, dass man ehemalige Straftäter nach Afghanistan oder Syrien abschieben werde, wenn von ihnen nach ihrer Haft in Deutschland noch immer Gefahr ausgehe, da hätten deutsche Sicherheitsinteressen einfach Vorrang. 

Eine ähnliche Auffassung vertritt auch der hessische Innenminister Roman Poseck, der auf Anfrage von bloghaus.eu mitteilte, dass unser Rechtsstaat wehrhafter und robuster werden müsse. Dazu gehöre auch, dass wir die Menschen konsequent abschieben, die bei uns als Gefährder oder Straftäter in Erscheinung treten. Und das muss unabhängig von der Herkunft, also auch für Syrien und Afghanistan gelten. Roman Poseck weist aber auch darauf hin, dass „wir politisch und rechtlich ein schwieriges Terrain betreten“. Aber jetzt nicht zu handeln, würde die Risikolage verkennen, die Gesellschaft weiter spalten und Extremen Vorschub zu leisten. Für ihn sei es richtig, „unserer Sicherheit den Vorrang vor der Sicherheit von Straftätern und Gefährdern aus problematischen Ländern einzuräumen.

Zur Rechtslage selbst führt das Rechtsmagazin „Legal Tribune Online“ (LTO) aus, dass nach einem Sachstandsbericht des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, „Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien aus Deutschland und ausgewählten EU-Mitgliedstaaten“ nach dem aktuellen Stand der Rechtslage wegen der politischen Verhältnisse in den Zielländern nicht möglich sind.

Auf Straftaten von Ausländern lässt sich mit dem Asylrecht wie mit dem Strafrecht reagieren. Foto: Gerd Altmann / Pixabay

LTO zitiert Constantin Hruschka, Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, in dem sein Leben oder seine Freiheit bedroht ist. Das gelte auch für die Abschiebung von so genannten Gefährdern oder Straftätern, die sich nach § 60 Abs. 8 Aufenthaltsgesetz nicht auf das Refoulementverbot der Genfer Flüchtlingskonvention berufen können: „In diesen politischen Forderungen werden die Fragen nach dem individuellen Schutz und der Situation in den Ländern vermischt. Als Argument werde – auch von Politikern – gerne genannt, dass Personen ihr Gastrecht verwirkt hätten. Doch auch die politisch Verantwortlichen wissen: Das Asylrecht gibt ein individuelles Schutzrecht. „Dieses Schutzrecht kann man nicht vollständig durch eigenes Verhalten verwirken“, so Hruschka gegenüber LTO. Es sei das Fundament demokratischer Gesellschaften, nicht in Foltergefahren abzuschieben.

Hürden über Hürden

Auf Straftaten könne man stattdessen mit dem Asylrecht und dem Strafrecht reagieren. So könnten neben dem Strafverfahren Duldungen ausgesprochen werden, Arbeitsverbote auferlegt oder dem Flüchtling ein konkreter Aufenthaltsort zugewiesen werden, sagt der Asylrechtler. „Wir haben die Möglichkeit, mit deutschem Recht zu reagieren, da muss man nicht das Völkerrecht verletzten.“

Pro Asyl verurteilt das Verbrechen an dem Polizisten „aufs Schärfste“. Islamisten seien eine Gefahr für die Gesellschaft und auch für Geflüchtete, die vor dem Islamismus geflohen sind. „Ein Rechtsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass gegen Straftäter mit rechtsstaatlichen Mitteln vorgegangen wird“, so die Organisation. Sie ergänzt: „So wird sichergestellt, dass die Personen ihre Bestrafung erhalten und Menschen vor ihnen geschützt werden. Eine Abschiebung von Straftätern hingegen garantiert nicht, dass der Täter einen Prozess erhält – er kommt also womöglich ungestraft davon und die Gerechtigkeit für die Opfer bleibt aus.“

Obwohl es schon bei Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze nicht möglich ist, Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien vorzunehmen, dürfte der Plan darüber hinaus auch an praktische Grenzen stoßen. Nach eigenen Aussagen der Bundesregierung sind Rückführungen nach Syrien und nach Afghanistan seit geraumer Zeit bereits aus praktischen Gründen nicht durchführbar. Der Grund: Es braucht für eine Abschiebung immer eines aufnehmenden Landes, um die Menschen in ein Land zu verbringen. Die Bundesregierung „erkennt jedoch die De-facto-Regierung der Taliban in Afghanistan nicht an und arbeitet nicht mit ihr zusammen“, so der wissenschaftliche Dienst. Und für Syrien geht das Auswärtige Amt selbst laut Medienberichten in einem vertraulichen Bericht von Februar 2024 davon aus, dass eine sichere Rückkehr nach Syrien nicht gewährleistet werden kann.

So halten es auch andere europäische Länder: Dänemark, Griechenland, Estland oder Lettland führen keine Abschiebungen nach Syrien oder Afghanistan aus. Schweden ist differenzierter: In Syrien müsse man die Binnenflucht prüfen, in Afghanistan seien einige Regionen zu gefährlich und die Lage insbesondere für Frauen und Mädchen seit der Machtübernahme der Taliban problematisch.

Die Tendenz der obergerichtlichen Rechtsprechung geht dahin, dass es im Einzelfall besonderer begünstigender Umstände bedarf – zum Beispiel ein besonderes soziales Netz oder Familie im Zielland oder entsprechendes Vermögen –, damit selbst ein alleinstehender Mann in diese Länder abgeschoben werden dürfte. Was Afghanistan betrifft, gehen sogar die meisten Obergerichte gehen davon aus, dass es auch einem gesunden Mann ohne Unterhaltspflichten kaum möglich ist, in Afghanistan zu überleben.

Das Bundesinnenministerium hat jetzt den Auftrag zu prüfen, wie man den Abschiebestopp umgehen kann. Eine Lösung könne sein, so die Bundesinnenministerin, die Menschen über Nachbarländer zurückzubringen. Verhandlungen mit dem Taliban-Regime lehnte Feaser dagegen ab. Dazu geraten hatte ihr laut einem Bericht von Stern, der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel, indem er sagte: „Die Bundesregierung muss Verhandlungen selbst mit den Taliban versuchen, um Abschiebungen nach Afghanistan gerichtsfest zu machen“. Und weiter: „Sie muss Kabul überprüfbare Garantien abverlangen, dass Abgeschobene nicht gefoltert oder getötet werden.“

Nun darf man auf die Ergebnisse dieser Debatte, den Prüfergebnissen des Bundesinnenministeriums, die offenbar auf der Innenministerkonferenz in der kommenden Woche vorgestellt werden sollen, gespannt sein. Bei allem Verständnis dafür, dass das Attentat von Mannheim auch die Politik emotional aufwühlt, sollte gleichsam trotzdem einem besonnenen Vorgehen, einer besonnenen Abwägung Vorrang eingeräumt werden. Es wäre fatal, wieder einmal hohe oder falsche Erwartungen zu wecken, denen keine konkreten Handlungen folgen, das „Jetzt“ also abermals in die ferne Zukunft verlagert wird. Auf die möglichen Folgen hat der hessische Innenminister hingewiesen.

Strafe vor Abschiebung


Aber man darf sich keinen Illusionen hingeben: Unabhängig von der Frage, welche konkreten Maßnahmen hoffentlich jetzt getroffen werden, Mannheim, Dresden oder Berlin waren Einzeltaten, die auch in Zukunft nur schwer zu verhindern sein dürften. Der Mannheimer Attentäter zum Beispiel hielt sich legal in Deutschland auf, ist mit einer Deutschen verheiratet, mit der er zwei Kinder hat. Er hat sich offenbar unbemerkt radikalisiert, das passiert immer wieder in allen Gesellschaftsteilen und wird deshalb auch künftig nur schwer zu verhindern sein. Deshalb ist es auch notwendig, weitere begleitende Maßnahmen ins Auge zu fassen. Dazu gehören eine kontrollierte Einwanderung, die Verhinderung von islamistischer Propaganda und Hetze in den sozialen Medien sowie eine bessere Integration unter Einbeziehung der Islamverbände und Moscheevereine.

Apropos: Leider gab es von dieser Seite bisher keine erwähnenswerte Reaktion zum Mannheimer Attentat. Das Wort „Islamismus“ fällt bei keinem der Verbände. Das sollte es aber. Die Politik kann die Radikalisierung junger Muslime in Deutschland nicht allein bekämpfen. Das gelingt nur, wenn deutsche Muslime ihre Reihen gegen Extremisten schließen. Der Islam gehört zu Deutschland und Europa, der Islamismus nicht. Ein deutliches und konsequentes Auftreten der Islamverbände ist essenziell in diesem Zusammenhang – ansonsten werden Kräfte in diesem Land gestärkt, die in einer freiheitlichen Demokratie ebenso wenig zu suchen haben wie gewalttätiger Fundamentalismus. Zu fürchten ist allerdings auch, dass diese Verbände die religiösen Psychopaten gar nicht erreichen.

Im konkreten Fall, und da kann man der Bundesinnenministerin nur zustimmen, sollten unsere rechtsstaatlichen Mittel greifen. Der Attentäter muss vor Gericht gestellt werden und im Falle einer Verurteilung seine Strafe verbüßen. Abschieben kann man ihn dann immer noch, wenn denn die Bedingungen so sind, dass eine Abschiebung vertretbar ist. Eine sofortige Abschiebung hätte unter Umständen zur Folge, dass der Attentäter ungestraft davonkäme. Dies würde einfach nicht unseren rechtsstaatlichen Prinzipien entsprechen.


Titelfoto: Tim Reckmann / pixelio.de

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