Zurück zur Qualität

Das Recht des Menschen auf eine angemessene medizinische Versorgung wird von Artikel 1 des Grundgesetzes erfasst. Was aber, wenn kranke Menschen auf ein krankes Gesundheitssystem treffen? Heute beleuchtet www.bloghaus.eu die Bemühungen, die Medizin in den Vordergrund zu stellen und nicht die Ökonomie.

Operationen sind ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor im Krankenhaus. Foto: Bergmann / pixelio

Die aktuell von Gesundheitsminister Karl Lauterbach und der für die Reform der Krankenhausversorgung eingesetzten Regierungskommission – mehr Wissenschaftler und Juristen, denn ausgewiesene Praktiker! – will Fehlentwicklungen der letzten Jahre korrigieren. Insbesondere sollen Patienten künftig in deutschen Krankenhäusern weniger nach wirtschaftlichen und stärker nach medizinischen Gesichtspunkten behandelt werden. Dabei soll im Kern ein System geschaffen werden, bei dem Qualität wieder wichtiger ist als Gewinn. „Die Medizin wird wieder in den Vordergrund der Therapie gestellt und folgt nicht der Ökonomie“, verspricht der Gesundheitsminister. Tatsächlich sieht die Reform eine Beibehaltung des Fallpauschalen-Systems zumindest für Teile der künftigen Vergütung vor.

Im Prinzip sollen Patienten sich künftig darauf verlassen können, dass es eine wohnortnahe Krankenhausversorgung gibt, ohne dass die einzelnen Kliniken immer mehr Fälle behandeln müssen, um zu überleben. Die Behandlung soll ausschließlich aus medizinischen Gründen erfolgen. Es soll weiterhin sichergestellt sein, dass schwierige Eingriffe nur in Kliniken durchgeführt werden dürfen, die darauf spezialisiert oder entsprechend zertifiziert sind. Die Kommission schlägt künftig drei Sorten von Kliniken vor: Lokale, regional und überregionale Krankenhäuser, deren Finanzierung aus Vorhaltepauschalen je nach Versorgungsstufen und Leistungsgruppen sowie aus Fallpauschalen bestehen. 
Neben der fallabhängigen Vergütung nach DRG-Pauschalen (60 Prozent) sollen zukünftig für das Vorhalten von Personal, einer Notaufnahme oder notwendiger Medizintechnik feste Beträge (40 Prozent) fließen.

Die Regierungskommission empfiehlt außerdem, künftig einen festen Beitrag als Vorhaltekosten zu definieren. Diesen erhalten die Krankenhäuser je nach ihrer Zuordnung in Versorgungsstufe und Leistungsgruppe. Anders als heute sollen Krankenhäuser in drei Versorgungsstufen eingeordnet und entsprechend gefördert werden: die der Grundversorgung für die medizinisch und pflegerische Basisversorgungdie der Regel- und Schwerpunktversorgung,die im Vergleich zu Grundversorgern weitere Leistungen anbieten, die der Maximalversorgung, wie z.B. Universitätskliniken. Somit würde die Reform auch dazu führen, dass etwa kleine Kliniken keine komplizierten Eingriffe mehr machen müssten, für die sie nicht spezialisiert sind, sagt Lauterbach: „Die Menschen überleben bei gleichem Krebs besser und länger, wenn sie in einem Zentrum operiert worden sind.“ Außerdem sollen Fachabteilungen der Kliniken sogenannten Leistungsgruppen zugeordnet werden, um sicherzustellen, dass nur solche Häuser bestimmte Behandlungen abrechnen können, die sich auskennen und ausreichend dafür ausgestattet sind.

Der starke finanzielle Druck, unter dem viele Kliniken bisher noch arbeiteten, verschärfe auch die Personalnot, sagt Lauterbach. Viele junge Ärzte und Pflegekräfte wollten so nicht mehr arbeiten und hätten das Gefühl, dass manche Eingriffe „nicht aus medizinischen Gründen, sondern zumindest auch in der Grauzone aus ökonomischen Gründen gemacht“ werden. Dies frustriere viele Beschäftigte. Die Reform solle deshalb auch helfen, die Flucht vieler Fachkräfte aus dem Kliniksystem zu verhindern.

Kritik an Reformplänen

Der vorgelegte Reformentwurf wird unterschiedlich bewertet. Es ist ein den vielen Lobbygruppen im Gesundheitswesen entsprechend vielstimmiger Chor, den die Länder-Gesundheitsminister anführen, die – wie könnte es anders sein – durch eine Zentralisierung des Krankenhaus-Systems eine Aushebelung ihrer Kompetenzen fürchten. Man dürfe keine Bundesschablone über die Häuser legen, schließlich hätten die Länder das Krankenhausplanungsrecht, heißt es nehezu unisono. Das kritisiert auch die Deutsche Krankenhaus Gesellschaft (DKG) am Beispiel der bundeseinheitlich definierten Versorgungsstufen und Leistungsgruppen. „Dieser sehr weitgehende Eingriff in das Krankenhausplanungsrecht der Bundesländer dürfte mit den dort Verantwortlichen kaum zu konsentieren sein“, prophezeit Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß. Ein Konsens, den Karl Lauterbach nach den ersten Gesprächsrunden mit den Ländervertretern „verspürt“ haben will, sieht anders aus. Und schon steht die Finanzierung der Reform auf tönernen Füßen, da die Länder für die höhere Beteiligung an den Krankenhaus-Investitionen eingeplant sind. 

„Der Grundkonsens der Kommission war, dass eine reine leistungs- und mengenorientierte Vergütung nicht mit dem Auftrag der Krankenhäuser der Daseinsvorsorge vereinbar ist“, sagte Irmtraud Gürkan, Kommissionsmitglied und Aufsichtsrätin der Charité. Prof. Christian Karagiannidis führte aus, dass mit dem Reformkonzept die Schere aus Über- und Unterversorgung geringer werden soll. Die Einführung von Vorhaltung nehme zudem den Anreiz, „immer mehr zu machen“.


Zur Vertiefung:
https://www.dki.de/barometer/krankenhaus-barometer

https://taz.de/Plaene-zur-Krankenhausreform/!5896808/

https://www.kma-online.de/aktuelles/politik/detail/krankenhaus-reformvorschlaege-werfen-kritik-und-fragen-auf-48959


Was die Investitionskostenfinanzierung betrifft, würde die Kommission aus Sicht der DKG viel zu kurz springen und den eklatanten Mangel bei der Investitionsförderung der Länder nicht beseitigen. Die unzureichende Investitionsförderung  – das Zweieinhalbfache wäre laut Deutschem Krankenhaus Institut erforderlich –  sei aber eine der Hauptursachen für die angespannte wirtschaftliche Lage vieler Häuser und die dünne Personaldecke. 

Klar ist: Die Reform betrifft nur die Betriebskosten der Krankenhäuser. Das Problem, dass die Bundesländer viel zu wenig von den Investitionskosten der Krankenhäuser finanzieren, bleibe bestehen, stellt auch der Bundesgesundheitsminister fest. 

Unterfinanzierter Reformstaat

Klar ist auch, auch dies kritisiert die DKG, dass die Reform nach Vorstellung der Kommission die aktuellen Mittel nur umverteilen soll. Grundlage sind die Zahlen aus dem Jahr 2021. Damit basiert die Finanzreform aber bereits auf einer strukturellen Unterfinanzierung und ist damit schon zu Beginn zum Scheitern verurteilt“, urteilt DKG-Vorsitzender Gaß. Das Erlösvolumen der Krankenhäuser müsse zum Start der Finanzierungsreform sachgerecht und vollständig ausfinanziert werden. 

Dr. Susanne Johna, die Vorsitzende des Marburger Bundes, spricht sich dafür aus, alle notwendigen Personalkosten der direkten Patientenversorgung auszugliedern und als Vorhaltekosten zu finanzieren. Personalengpässe würden sich nicht allein auf die Pflege beschränken, sondern betreffen auch den ärztlichen Dienst. Zum Teil würden ärztliche Stellen nicht nachbesetzt, weil sich dadurch Kosten einsparen ließen. Eine Herausnahme der ärztlichen Personalkosten aus den DRGs sieht der Reformvorschlag nicht vor, „dabei wäre dies nach Ausgliederung der Pflegepersonalkosten der nächste folgerichtige Schritt, um sicherzustellen, dass in der direkten Patientenversorgung ausreichend Personal zur Verfügung steht“.

Für die privaten Investoren könnte die Reform bedeuten, dass sich keine fetten Gewinne mehr im Krankenhaussystem machen ließen und sich manche von ihnen zurückziehen. Entsprechend negativ äußert sich der Asklepios-Konzern wenn er feststellt, dass die vorgestellte Reform das System weder produktiver, noch effizienter noch wirtschaftlicher und auch nicht besser machen würde. Deshalb seien die Empfehlungen weder revolutionär noch verdienten sie das Wort Reform.“

Der Vorschlag muss erst noch in einen Gesetzentwurf gegossen werden, den Bundestag und Bundesrat passieren und soll dann in einem Übergangszeitraum von 5 Jahren schrittweise eingeführt werden. Unabhängig davon, wie das künftige Gesetz der Krankenhausversorgung letztlich aussehen wird: Das System wird teurer und die aktuelle Krise, die jetzt vor allem die Krankenhausversorgung der Kinder gefährdet und in der fast die Hälfte aller Kliniken insolvenzgefährdet sind, bleibt davon unberührt. Vielleicht wäre es auch ratsam, zunächst weniger Zahlen und Statistiken zu folgen, sondern den Leitlinien konstruktiver Kritik. Gilt es nicht, auf politischer Ebene zunächst die Grundsatzfrage zu klären? In welchem Gesundheitssystem wollen wir künftig leben? 

Nächste Folge: Krankheit als Mehrwert

Bisher erschienen:

Wenn der Patient die Rendite versaut

Am Anfang gab es Pflegesätze

Mehr Markt, weniger Medizin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Zurück nach oben