Der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert äußert sich gegenüber der „Welt“ mit einer bemerkenswerten Erkenntnis zur AFD. Er fordert zu Recht mehr Rückendeckung von der demokratischen Mehrheit für diejenigen, die sich gegen rechte Anfeindungen klar positionieren. Es geht ihm um die Deutungshoheit in den Nachbarschaften und den demokratischen Kräften vor Ort. Das er diese Position am Beispiel von zwei Lehrern an einer Brandenburger Schule festmacht, ist absolut richtig. Auf den Punkt bringt es die Überschrift zu dieser Positionierung „Wut der Minderheit darf nicht zum Ohrwurm der Mehrheit werden“. Diese grundsätzliche Positionierung bezüglich rechter Anfeindungen ist in ihrer Eindeutigkeit wichtig und richtig. Es wäre aber wünschenswert, dass sich Kühnert diese Haltung auch in anderen Politikfeldern zu eigen macht.
Da böte sich zum Beispiel das Thema Gendern, über das eine heftige und emotionale Debatte entbrannt ist. Ob und in welcher Form Sprache geschlechtersensibel sein soll, darüber scheiden sich die Geister. Für die einen ist es Ausdruck der Gleichstellung, für die anderen ist es Bevormundung. Nach der jüngsten Forsa-Umfrage finden lediglich 22 Prozent der Bundesbürger das Gendern gut, aber 73 der Bundesbürger stört es, wenn mit Stolperern gesprochen oder mit Gendersternchen oder Doppelpunkt geschrieben wird. „Abgelehnt wird das „Gendern“ von einer Mehrheit in allen Bevölkerungs- und Wählergruppen mit Ausnahme der Grünen-Anhänger, die das „Gendern“ mehrheitlich gut finden“, stellt Forsa fest. Es wird also sehr deutlich, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung die Verwendung dieser Sprache in der öffentlichen Verwaltung und in deren Veröffentlichungen ablehnt, was die Politik und auch die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten freilich nicht stört, Fakten zum „Gendern“ zu schaffen.
Wenn Kühnert dafür plädiert, dass die Wut der Minderheit nicht zum Ohrwurm der Mehrheit werden darf, gibt es ihm bei diesem Thema die Möglichkeit, sich ohne programmatische Rückwärtssalti einer Mehrheitsmeinung anzuschließen, was angesichts der miserablen Umfrageergebnisse seiner Partei mal eine erfolgversprechende Strategie wäre. Beim Gendern sollte sich der Generalsekretär stärker auf von der Bevölkerung mitgetragenen Positionen orientieren. Das täte nicht weh, würde der AFD-Stimmen abgraben und gäbe der SPD die Chance, ihr Gewicht im Parteienspektrums zu erhöhen.
Gerhard Grandke