– Diffamierung, Hass und Hetze aus Angst vor Veränderung und eigenem Versagen –
Mit der Politik der Ampel sind die Deutschen unzufrieden. Nun gehören zum Bündnis drei Parteien, aber nur die Grünen dienen neben dem Kanzler als Projektionsfläche für geharnischte Kritik bis unter die Gürtellinie. Sie trifft eine abgrundtiefe Verachtung, die die Spitze der allgemein verfallenden politischen Sitten darstellt, die die Parteien auch einem Teil der Bevölkerung sukzessive eingepflanzt haben. Kein Wunder, wenn sie von der Unionsspitze noch vor der AfD als „Hauptgegner“ eingestuft werden. Dabei lenken alle mit ihrem Grünen-Bashing vom eigenen Versagen ab.
Was für ein Absturz! Wähnten sich die Grünen vor nicht allzu langer Zeit schon auf dem Weg zur Volkspartei mit 30 Prozent Zustimmung und Aussicht auf den Einzug ins Kanzleramt, so geht die Parteiführung nun nach einer Serie von bitteren Wahlniederlagen und aufgrund anhaltend mieser Umfragewerte bis in den einstelligen Bereich hinein in Sack und Asche: Omid Nouripour und Ricarda Lang werden mitsamt dem restlichen Vorstand konsequent Platz für neue Gesichter machen und so auch etwas Druck von den angeschlagenen grünen Figuren in der Regierung nehmen, Robert Habeck und Annalena Baerbock, beide wenig taugliche Vertreter deutscher Wirtschafts- beziehungsweise Außenpolitik.
Der angekündigte Rückzug passt so gar nicht in diese Zeit, denn die Übernahme von Verantwortung für eine verfehlte Politik oder dafür, dass Personal und Programm bei Wählerinnen und Wählern nicht ankommen, ist nicht selbstverständlich. Oder hat sich etwa die SPD-Spitze angesichts der Serie verheerender Wahlniederlagen schon einmal ernsthaft selbst in Frage gestellt? Die FDP-Führung ist noch unerschütterlicher von sich und einer Politik überzeugt, die von Wählerinnen und Wählern nur noch in homöopathischen Dosen honoriert wird. Sie vermeidet vielleicht auch mit Rücksicht auf fehlende Alternativen eine Personaldiskussion und lenkt dafür lieber die Aufmerksamkeit auf ihre selbst besetzte Rolle als Verkünder eines Haltbarkeitsdatums des Ampel-Bündnisses.
Mit den Themen Klimaschutz und Gerechtigkeit wollte die grüne Doppelspitze beim Eintritt in die Ampel-Koalition dereinst reüssieren. Doch die Schönwetter-Träume der Grünen zerschellten – ehrlicherweise ebenso wie die der damals so locker-flockig geposteten fröhlichen Bündnis-Partner – an einem riesigen Berg von Krisen, angefangen beim Ukraine-Krieg, der in der Folge sprunghaft teurer gewordener Energie, dem selbst verursachten Debakel mit dem Heizungsgesetz, der „größten Transformation seit der industriellen Revolution“ (Kanzler Olaf Scholz) ,peinlichen bis dämlichen Auftritten von Robert Habeck, Annalena Baerbock und Ricarda Lang bis hin zu Schuldsprüchen für alles, was schiefgelaufen ist.
Die Grünen scheiterten eben nicht nur daran, dass sie sich in Regierungsverantwortung zu sehr von ihrem Markenkern entfernten und auf diesem Weg durch Entfremdung von ihrer früheren Politik einen Teil ihrer Basis verloren. Das hat ja den Vorstand des Grünen-Nachwuchses jetzt sogar veranlasst, der Partei den Rücken zu kehren und eine neue linke Bewegung zu gründen, während die Strategen in der Mutterpartei überlegen, ob sich eine konservativere und stromlinienförmigere Ausrichtung nicht lohnen könnte. Und das, obwohl unter anderem mit den in staatstragender Verantwortung befürworteten Waffenlieferungen an die Ukraine oder der Zustimmung zur Verschärfung des Asylrechts Mitglieder wie bisher treue Anhänger der Grünen verschreckt wurden. Mit dem gleichen Problem kämpft übrigens auch die SPD, die nach Ansicht eingefleischter Sozialdemokraten mit zu wenig Leidenschaft nach Friedenslösungen sucht.
Nach außen wirkte der grüne Politikstil jenseits bündnistreuer Beschlüsse oft, als wären dessen Protagonisten der Wirklichkeit entrückt. In der Flüchtlingspolitik war ihnen die Einhaltung korrekter Verhaltensregeln wichtiger als die Diskussion über Möglichkeiten von Anpassungen an nicht akzeptable Auswüchse, weil man damit ja den Rechten in die Karten spielen würde. Nach den Wahldesastern in Thüringen und Sachsen konnte sich Ricarda Lang gar nicht vorstellen, dass bei der Wahlentscheidung Migrationspolitik eine Rolle gespielt hat. Die Frau war des Öfteren der Wirklichkeit entrückt, ihre Unkenntnis über die deutsche Durchschnittsrente legt darüber Zeugnuis ab. Parteifreundin und Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt machte unterdessen Russlands Desinformationskampagnen fürs schlechte Abschneiden ihrer Partei in Thüringen und Sachsen verantwortlich. Und nach der Brandenburg-Wahl war allgemein Alles-oder-nichts-Woidke an allem schuld, nur nicht die eigene Politik – und deren Protagonisten. Wer zudem einen aus Frust über das ihm verweigerte Landwirtschaftsressort vom Vorzeigelinken zu einem der vehementesten Befürworter der Waffenlieferungen an die Ukraine mutierten Anton Hofreiter in seinen Reihen weiß, der jetzt sogar Friedenskundgebungen als Unterstützung für Kriegsverbrecher Putin uminterpretiert, der muss sich nicht wundern, wenn ihm gerade in Ostdeutschland die letzte Sympathisanten abhandenkommen.
Wenn der Gegner zum Feind wird
Umweltministerin Steffi Lemke hat unterdessen auf einen Aspekt des Grünen-Niedergangs hingewiesen, wonach gezielte Diffamierung, Lügen und Hass eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben. Grünen-Bashing ist – angefeuert von CDU/CSU, AfD, BSW und quasi wohlwollend begleitet vom Bündnispartner FDP – zum „Volkssport“ geworden, wie es Anja Reschke in Ihrer Anmoderation der „Panorama“-Sendung vom 19. April ausdrückte: „Kaum ein echtes oder vermeintliches Problem, ob schwächelnde Wirtschaft, steigende Energiepreise, Inflation, Flüchtlingszahlen, die Stimmung im Land, ja sogar das Erstarken der AfD, für das nicht den Grünen die Schuld gegeben wird.“ Die beleidigenden und hasserfüllten Rundumschläge von AfD und BSW mal außer Acht gelassen, haben vor allem Friedrich Merz und Markus Söder medial unterstützt von „Bild“, „Focus“, den „Nachdenkseiten“ und anderen lautstark und teilweise sehr verächtlich auf die Grünen eingedroschen, was im Netz dann regelmäßig Hetzkampagnen nach sich zog.
Vor allem Baum-Umarmer Söder hat zur Verrohung der Sitten beigetragen und eine Brandmauer zu den Grünen hochgezogen als wären sie Demokratiefeinde à la AfD. Nur irgendwann muss sich eine Partei, die wie die CSU die Demokratie vor rechtsradikalen Kräften schützen will, schon fragen, ob sie nicht auch Verantwortung für den Umgang mit dem politischen Gegner trägt. Die Grünen agieren schließlich in der demokratischen Mitte. Wie kommt Söder also dazu, sie in die Nähe eines Unrechtsregimes zu rücken, indem er die grüne Umweltministerin Steffi Lemke „diese grüne Margot Honecker” nennt? Oder Thüringens CDU-Chef Mario Voigt, der zu Robert Habecks Heizungsgesetz das von „Bild“ gerne übernommene Schlagwort „Energie-Stasi” lieferte. Oder die CDU-Bundestagsabgeordnete Jana Schimke, die schreibt: „Die Ampel reagiert elitär, weltfremd und abgehoben. Ein bisschen wie 89.“ Später bestätigte sie, dass sie die Ampel für vergleichbar mit den politischen Eliten in der DDR hält, also mit einem Unrechtsregime. Geht´s noch?!
Professor Jasmin Riedl, Politikwissenschaftlerin an der Universität der Bundeswehr in München, in der „Panorama“-Sendung vom 19. April: „Harte politische Auseinandersetzungen gab es immer schon. Aber man hat dem politischen Gegner nie die demokratische Legitimation sozusagen versucht abzusprechen. Die Angriffe im Sinne einer Delegitimierung des politischen Gegners, die haben eine neue Qualität, weil sie zum einen sehen wir sie erst in dieser Häufigkeit und Intensität, so seit 2021, seit die Grünen mit in der Bundesregierung sind. Und sie kommen eben zunehmend auch aus der politischen Mitte.“ Und weiter: „Das eine Partei attackiert wird für ihre Grundüberzeugungen, das macht den Unterschied aus bei den Grünen im Vergleich zur AfD, weil diese Grundüberzeugung bei der AfD in Teilen verfassungsfeindlich sind und eben nicht vereinbar mit der Demokratie. Wohingegen die Grundüberzeugungen der Grünen vielleicht sehr liberal herüberkommen, aber sie sind immer auf dem Boden der Verfassung. Das macht einen Unterschied.“ Unterm Strich ist es einfach: Demokratie beruht darauf, die demokratische Konkurrenz anzuerkennen. Tut man das nicht, hilft man ihren Feinden.
In ihre Opferrolle haben sich die Grünen aber mit ihrer Art von Selbstgerechtigkeit auch selbst manövriert. Schließlich kommt der Ruf der ideologiegetriebenen Bevormundungs- und Verbotspartei nicht von ungefähr. Die Forderungen nach einem Veggie-Day stammen von 2013, sind aber bis heute nicht vergessen, zumal Ampel-Minister Cem Özdemir aktuell kontrollieren will, was auf den Teller kommt und dabei mit einer Fleisch-Steuer droht. An der Zielsetzung, dass die Bevölkerung weniger Fleisch, weniger zuckerhaltige Lebensmittel, dafür mehr Obst und Gemüse essen soll, ist nichts einzuwenden. Ein zentrales Anliegen des grünen Ministers ist es aber, durch ein breiteres Angebot an vegetarischen Gerichten und Salat – beispielsweise in Kantinen – eine gewisse Form von „gesundheitsbewusster Umerziehung“ auf den Weg zu bringen. Da fehlt Fingerspitzengefühl wie bei den Kommunikationskatastrophen rund um den Heizungskeller.
Der Reflex, die Grünen wollten „allen alles immer nur“ verbieten, greift selbst dann, wenn sie gar keine Verbote fordern. Annalena Baerbock wurde unterstellt, sie wolle Kurzstreckenflüge verbieten. Doch sie hat lediglich erklärt, das Angebot der Bahn so verbessern zu wollen, dass Kurzstreckenflüge überflüssig werden. Anton Hofreiter musste sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, er wolle den Deutschen ihr Eigenheim verbieten. Das hat er nicht gesagt. Er hat nur seine Vorstellungen zu neuen Bebauungsplänen erklärt, die nicht besonders radikal sind und sogar von einigen CSU-Kommunalpolitikern unterstützt werden.
Ja auch die Grünen machen Fehler und laden Entscheidungen gerne viel zu ideologisch auf. Damit sind sie in der Ampel allerdings nicht allein. Die FDP verfährt so mit Steuerfragen, die SPD mit Instrumenten der sozialen Absicherung. Die Grünen sind aber oft eben die einzige Partei, die sich mit dem Blick aufs Ganze, beispielweise den die Menschheit bedrohenden Klimawandel und die Rettung unserer Lebensgrundlagen sowie die biologische Vielfalt nicht scheut, Zumutungen zu formulieren.
Kritisch darf man dazu zwar anmerken, dass einige Vorstöße in die Kategorie Symbolpolitik mit Absolutheitsanspruch gehören, als dass sie auch nur halbwegs Sinnvolles für den Umweltschutz bringen. Gleichwohl sind die Grünen die Einzigen, deren Vorschläge sich an international abgestimmten Vorgaben (Paris/Montreal) anlehnen. Die anderen Parteien ignorieren diese Abkommen, nehmen sie augebnscheinlich nicht ernst. Union und FDP reden wieder verstärkt über den Bau von Atomkraftwerken, also für eine sündhaft teure Energiequelle, deren Abfallmanagement ungeklärt ist und die den Strombedarf erst dann abdecken kann, wenn die Energiewende schon längst vollendet sein muss. Die Botschaft lautet: Irgendwann wird eine neue Technik dafür sorgen, dass von den Grünen formulierte Notwendigkeiten obsolet werden. Mit diesem derzeit lediglich auf Hoffnung beruhenden Finger-in-den-Wind-halten wird die Akzeptanz für die Energiewende unterminiert.
Die von den Grünen postulierten Zumutungen treffen so auf eine von den anderen Parteien für die Beibehaltung ihrer Pfründe konditionierte Gesellschaft, die sich wie ein störrisches Kind an der Supermarktkasse verhält und wie gewohnt unbedingt ihren Lolli haben will. Und die Grünen, die in weiten Teilen als einzige politische Kraft verstanden haben, dass ein „Weiter so“ in vielen Politikfeldern nicht möglich ist, erleben dafür den Klassiker: Der Überbringer der schlechten Nachricht wird geköpft. Sie werden nicht für das angefeindet, was sie falsch machen, sondern vor allem für das, wofür sie stehen und für ihre spezielle Form von Verantwortungsethik, die so leicht zu kritisieren ist.
So sind die Grünen von ihren politischen Kontrahenten zur Verbots- und Verzichtspartei stilisiert worden, die unser Leben einschränken will. Dieses Narrativ ist vor allem seit der Pandemie sehr erfolgreich, da man eine Erschöpfung in der Gesellschaft spürt: Niemand will sich mehr etwas verbieten lassen, alle haben von Einschränkungen genug. Da wird jede der Grünen-Aussagen im Sinne des Umwelt- und Klimaschutzes als Einschränkung des eigenen Lebens umgedeutet.
Kampf zwischen Gut und Böse
Die Partei wird von allen Seiten angegriffen. Dabei fällt auf, dass Kritik an grüner Politik verbal äußerst aggressiv vorgetragen wird und die Hemmschwelle für persönliche Beleidigungen gesunken ist. Da kommen die „unsozialen“ Medien ins Spiel, über die auch noch Lügen und Verschwörungserzählungen verbreitet, Aussagen der Grünen umgedeutet und falsch dargestellt werden. Das hat unterm Strich dazu geführt, dass die Grünen bei der jüngeren Generation keinen Stich bekommen, weil diese sich ja hauptsächlich über diese Medien informiert.
Freilich kommen auch der von den Grünen oft angeschlagene moralisierende Unterton nicht gut an, ebenso die teils aggressive Dünkelhaftigkeit, mit der sie sich über Andersdenkende erheben. Allzu oft wandeln sie den Austausch der Interessen in einen Kampf zwischen Gut und Böse um. Angreifbar machen sich die Grünen vor allem deshalb, weil kaum ein Bereich der privaten Lebensführung verschont bleibt, weder Nahrung noch Wohnen, Urlaubsreisen, Fortbewegung und Heizen oder Freizeitgestaltung. Ständig wird ans schlechte Gewissen appelliert. Und niemand hat es gern, wenn sich Politiker ein moralisches Urteil mit zeitgleicher Übergriffigkeit über die eigene Lebensführung erlauben. Und weil die Grünen die Bevölkerung wie trotzige Heranwachsende behandelt, benimmt sich die auch so. Im neuen Vorstand sollte die angekündigte Neuausrichtung der Grünen sich denn auch an der Erkenntnis ausrichten, dass die Partei keinerlei Erziehungsauftrag hat. Davon muss die überwiegend aus Lehrern und höheren Beamten bestehende Klientel unbedingt überzeugt werden, sonst fällt die avisierte Trendwende von vorneherein aus.
Die Grünen müssen sich den Realitäten stellen, wie es die Gesellschaft tun muss, die dem allgemeinen Kulturverfall mit Respekt gegenüber allen Parteien zu begegnen hat. Der herrschende Furor, die eskalierende Wut und der Aufstieg der Rechtspopulisten lassen sich nur mit einer politischen wie kommunikativen Wende bekämpfen, bei man sich an der Wirklichkeit orientiert, keine leeren Versprechungen macht und sich davon verabschiedet, die übermächtigen Krisen ohne Zumutungen für die gewohnte Lebensweise lösen zu wollen. Wir alle können uns nicht weiter mit der gewohnt heimischen Behaglichkeit räkeln. Das haben die Grünen mehr verinnerlicht als die anderen Parteien. Also stehen sie näher am Abgrund der aktuellen Wirklichkeit, weil es der Mehrheit gelingt, sich der Realität mit immer höherem Aufwand zu verweigern. Mit der Zeit wird das aber nicht mehr gelingen…