Der Fall des stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, Marius Weiß, der derzeit die Staatsanwaltschaft in Wiesbaden und natürlich auch die Presse beschäftigt, wirkt nur auf den ersten flüchtigen Blick wenig spektakulär. Es geht um einen offenbar gefälschten Ausweis für das Parkhaus des Hessischen Landtags. Weiß soll den Ausweis für seine im Landtag beschäftigte Ehefrau kopiert und anschließend laminiert haben, damit diese auch während der sonst für sie gesperrten Sitzungswochen im Parkhaus des Landtags parken darf. Der Vorwurf lautet nun auf Urkundenfälschung, deshalb ermittelt nun auch die Staatsanwaltschaft. Soweit kurz und bündig der bisher bekannte Sachverhalt.
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) betitelt den Fall mit „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher“ und nimmt damit Bezug auf George Orwells Roman „Farm der Tiere“.
Nun sei dahingestellt, um man diese satirische Streitschrift, die sich ja im Wesentlichen gegen den Stalinismus und vor allem gegen dessen Zerstörung der sozialistischen Ideale richtet, bemühen muss, um eine Verbindung zu dem Fall Marius Weiß herzustellen. Sicher geht es in dieser Fabel auch um Gleichheit und Gemeinschaft, um die Frage, wie Gemeinschaften aufgebaut und strukturiert werden sollten. Und natürlich geht es darum auch der SPD, indem sie die „Vision von einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft“ vertritt. Ob aber die Frage von Gleichheit, die, wie in dem Artikel der FAS zutreffend festgestellt wird, sicher zur DNA der SPD gehört, um den Fall Weiß angemessen zu beschreiben, sei dahingestellt. Und vielleicht ist es denn auch der Ehre zu viel, auf diesem berühmten und sicher hochpolitischen Roman im Falle von Marius Weiß zu verweisen.
Ohne die Brisanz des Falles herunterzuspielen, geht es sicher auch eine Nummer kleiner:
Das Verhalten von Marius Weiß ist schlicht eine Frage der Haltung, die sich dahinter verbirgt:
Fehlender Anstand und Respekt, Gier, der nonchalante Umgang mit Regeln und Gesetzen, um nicht zu sagen, deren bewusste Missachtung, sicher auch fehlender Respekt vor den Werten der Partei, vielleicht auch verlorengegangene Bodenhaftung – und das vom Vorsitzenden des Hanau-Untersuchungsausschusses, auf dessen Integrität sowohl die Hinterbliebenen des Anschlags als auch die politischen Weggefährten vertrauen. Für die SPD enthält die vermeintliche Petitesse um den gefälschten Parkausweis zusätzliche Sprengkraft im Kontext zu den novh nicht lange zurückliegenden Fällen des ehemaligen Wiesbadener Oberbürgermeisters Sven Gehrich, den Skandal der Frankfurter AWO oder den des abgewählten Frankfurter Oberbürgermeisters Peter Feldmann.
Und deshalb geht es im Fall Weiß auch schon längst nicht mehr um die Frage von Schuld im juristischen Sinne. Es mag sein, dass diese am Ende nicht festgestellt oder sich der Vorwurf der Urkundenfälschung nicht erhärtet. Es geht um mangelnde Wertehaltung von gewählten Volksvertretern. Denn wenn diese nicht mehr als Vorbild für unsere Wertegemeinschaft stehen, dann ist dies die eigentliche Gefahr für unser demokratisches Gemeinwesen: Dass die Wähler, die solche Ereignisse sehr sensibel wahrnehmen entweder gar nicht mehr zur Wahl gehen oder, was noch sehr viel brisanter für unsere Demokratie ist, sich zunehmend extremistischen Parteien zuwenden.
Und wenn man vor diesem Hintergrund George Orwells Roman betrachtet und diesen als dystopische Fabel sieht, bleibt die bittere Erkenntnis, dass sie nichts von ihrer Aktualität verloren hat
Deshalb sollte die SPD-Landesvorsitzende Nancy Faeser, auch im Sinne ihrer eigenen Glaubwürdigkeit und die der Partei, ein klares Zeichen setzen und Marius Weiß nicht mehr mit einem sicheren Listenplatz ausstatten. Denn mit seiner Haltung hat er nichts mehr im Hessischen Parlament zu suchen.