SPD-Hessen braucht den Neuanfang

Von Norbert Schmitt

Das Debakel der SPD in Hessen war vorherzusehen. Regierungsparteien auf Bundesebene haben es in Mitte der Legislaturperiode immer schwer, ihre Anhängerschaft zu mobilisieren oder gar zusätzliche Wähler und Wählerinnen anzusprechen. Das ist eine fast feststehende Gesetzmäßigkeit in Demokratien. 

In dieser Ausgangslage mit Nancy Faeser eine Bundesinnenministerin zu nominieren, war mutig, aber gleichzeitig auch hochriskant, wenn nicht sogar politisches Harakiri. Und diese Feststellung muss man unabhängig davon treffen, dass die Spitzenkandidatin ihren Job als Innenministerin insgesamt gesehen gut macht. Mit dieser Entscheidung der Hessen-SPD war aber völlig klar, dass bundespolitische Themen und insbesondere das Migrationsthema in den Mittelpunkt des Wahlkampfes rücken würden. 

Ähnlich wie das Würfel-Logo der SPD in Berlin hat die Partei in Hessen Rost angesetzt. Foto: Alexander Hauck / pixelio.de

Zentraler Fehler war es, dass Faeser parteiintern niemals eine offene Diskussion über die Chancen und Risiken ihrer Kandidatur ermöglicht hat. Diese Struktur ist für eine lebendige Partei völlig inakzeptabel und muss rasch geändert werden. Es hätte eine offene Diskussion darüber stattfinden müssen, ob erfolgreiche, kompetente und bürgernahe Kommunalpolitiker/innen, insbesondere aus der Reihe der zahlreichen hervorragenden sozialdemokratischen Oberbürgermeister und Landräte in Hessen, nicht die richtige Alternative zu Schwarz-Grün gewesen wären.

Außerdem war die hessischen SPD-Spitze nicht in der Lage, ein eigenständiges Thema zu setzen. Neben der Bildungspolitik hätte sich die soziale Gerechtigkeit angeboten. Zwar wurde mit Plakaten das Thema angesprochen, doch Aussagen wie „ Zeit für 25.000 neue Pfleger“ oder „7500 neue Ärztinnen“ waren völlig unglaubwürdig, weil sie nicht einmal ansatzweise durch eine Realisierungsstrategie unterlegt waren. Gerade nach dem auf Bundesebene zerronnenen Versprechen des Baus von 400.000 Wohnungen jährlich, sind Bürgerinnen und Bürger äußerst misstrauisch angesichts solcher Wahlversprechungen.

Fehler über Fehler

Weder das Bildungsthema noch die Frage der sozialen Gerechtigkeit waren in einer durchgeplanten, zugespitzten Kampagne in den Wahlkampf eingebracht worden. Nur die Zuspitzung und Konzentration auf typisches landespolitisches Versagen von Schwarz-Grün (es hätten ein, zwei Beispiele genügt) hätte den Wahlkampf in eine andere Richtung bringen können. Dann auch hätten Verweise der CDU auf die Bundespolitik als Ablenkungsmanöver von eigenem schwarz-grünen Versagen erfolgreich thematisiert werden können. 

Hinzukamen erhebliche Fehler und Mängel im Wahlkampf (Großflächenplakate, misslungener Angriff wegen „Brandmauer“ gegen Ministerpräsident Boris Rhein, kommunales Wahlrecht für Migranten im Wahlprogramm usw.). 

Auch die Spitzenkandidatin selbst hat durch vermeidbare Fehler der üblen Kampagne der „Bild“-Zeitung und von CDU und AfD in die Hände gespielt. Die Vorgänge um die Abberufung des BSI-Präsidenten Arne Schönbohm wurden erst zum Skandal, weil sich Faeser zweimal weigerte, dem zuständigen Parlamentsausschuss Rede und Antwort zu stehen. 

Auch die Landtagsfraktion hatte – von wenigen löbliche Ausnahmen abgesehen – wenig inhaltliche Impulse gesetzt, auf die man im Wahlkampf hätte zurückgreifen können. Mit der Wahl eines Vorsitzenden, der sicherlich keine Zukunftsoption war, hatte die Fraktion zudem der Partei und der Öffentlichkeit signalisiert, dass nicht auf Aufbruch und Innovation gesetzt wird. Mit einem Fraktionsvorsitzenden, der politisch nur den Holzhammer kennt anstelle eigenständige Impulse zu setzen und inhaltliche Alternativen aufzuzeigen, wurde das parlamentarische Potenzial verspielt. Damit wurde es auch verpasst, deutlich zu machen, dass die hessische SPD die besseren Konzepte hat, um Hessen in einer schwierigen Zeit zu regieren.

Als dann auch noch in der letzten Phase des Wahlkampfes das Signal ausgegeben wurde, dass es nur noch darum geht, Juniorpartner der CDU zu werden, wurde jede Motivation in der eigenen Partei und jede Mobilisierungschance genommen. Natürlich muss es immer Ziel sein, Regierungsverantwortung im Land zu erreichen, gerade weil Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Hessen über viele Jahrzehnte gezeigt haben, dass sie erfolgreiche soziale Gerechtigkeit, ökologische Verantwortung und wirtschaftliche Stärke verbinden können. Aber das darf doch nicht aus einer fast unterwürfigen Position heraus erfolgen.

Mit 15,1 Prozent hat die hessische SPD ihr weitaus schlechtestes Ergebnis eingefahren. Sie hat zudem keinen einzigen Wahlkreis direkt gewonnen. Das ist mehr als eine Blamage. Natürlich hat die Bundespolitik die entscheidende Rolle gespielt. Es war eine Denkzettelwahl für die Berliner Ampelkoalition, die am Ende zum Verlust bei allen drei Berliner Regierungsparteien geführt hat. Die notwendigen Berliner Konsequenzen liegen auf der Hand: Olaf Scholz wird seine Politik besser erklären und seine Führungsrolle als Kanzler deutlicher machen müssen. Zudem wird die Bundesregierung geschlossener auftreten müssen, sonst werden alle drei weiter an Zustimmung verlieren.

Aber Berlin allein erklärt den tiefen Absturz der hessischen SPD nicht. Denn als Fazit muss man leider feststellen: Es gab in Hessen von Anfang an bis hin zum Schluss zu viele Fehler: Das begann bei der Personalauswahl, setzte sich fort bei der mangelnden strategischen Planung des Wahlkampfs, bis hin zur Organisation und am Ende auch in der Durchführung des Wahlkampfs. 

Wieder offene Diskussion ermöglichen

Die hessische SPD wird sich erneuern müssen. Erfolgreiche bürgernahe Kommunalpolitiker/innen sollten nun gebeten werden, ihre Erfahrungen und ihren politischen Schatz in die Partei einzubringen und für eine Neuausgestaltung zu sorgen. Wichtig dabei ist, dass endlich wieder die Kleiderordnung der Partei eingehalten wird, offene Diskussionen auch in schwierigen Fragen stattfinden und die Landtagsfraktion wieder als Ort der inhaltlichen, parlamentarischen Arbeit wahrgenommen wird.

Um 2028 wieder die Führungsrolle in Hessen übernehmen zu können, wird sich die hessische SPD neu aufstellen müssen. Sie wird dabei anknüpfen müssen an die Jahre, in denen die Partei eine große inhaltliche Innovation erbracht hat, zum Beispiel bei der Verbindung von sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Verantwortung. Sie wird auch schon jetzt eine Kommunikationsstrategie entwickeln müssen, wie sie dieses Profil – auch durch Zuspitzung – den Wählerinnen und Wählern vermitteln will. 

Dies alles gilt unabhängig davon, ob die hessische SPD in Regierungsverantwortung kommt oder in der Opposition verbleibt. Gerade aber in einer schwarz-roten Koalition wird sie nur erfolgreich künftige Wahlen bestreiten können, wenn sie ihr Profil verstärkt. Sonst droht ein weiterer Absturz. Und genau dies gilt es durch eine inhaltliche und personelle Neuaufstellung, die jetzt aber auch erfolgen muss, zu verhindern.


Der Jurist Norbert Schmitt, geboren am 11. Juli 1955, war

1987 bis 1989 Juso-Landesvorsitzender in Hessen,

von 1991 bis 1997 Geschäftsführer des SPD-Landesverband Hessen,

Von 1995 bis 2018 Landtagsabgeordneter in Hessen, Schwerpunkt Haushalts- und Finanzpolitik sowie Energiepolitik,

von 2003 bis 2009 Generalsekretär der Hessischen SPD.

Schmitt ist Mitglied der SPD-Kontrollkommission und hat seit vielen Jahren ein kommunales Mandat im Kreis Bergstraße.

3 Gedanken zu „SPD-Hessen braucht den Neuanfang

  1. Der Analyse kann ich voll zustimmen. Frau Faeser hätte es aber in der Hand gehabt, das entscheidende Migrationsthema positiv zu besetzen, auch wenn viele in der Partei das voraussichtlich in Schwierigkeit gebracht hätten.

    Die Kommunikation der Wahlplakate war katastrophal. Forderungen ohne irgendeine Chance der Realisierung aufzustellen ist einfach nur dämlich.

  2. Von einer Innenministerin erwartet man, dass sie den Menschen angesichts der Migration das Gefühl vermittelt, im Sinne von Sicherheit und Ordnung eine Politik anbietet und (als sozialdemokratisch menschenfreundlich) erklärt. Stattdessen blieb eine Art Aussitzen und mit der Rückversicherung ihres Postenbeibehaltens in Berlin im Falle derWahlniederlage der fatale Eindruck, es gehe ihr mehr um die eigene soziale Absicherung als um die Sicherheit der Bevölkerung.

  3. Ja, es war sicherlich auch eine Denkzettelwahl, aber dies ist keine Entschuldigung für diese Blamage. Vor fünf Jahren lag die SPD bundesweit in den Umfragen bei etwa 14-15% und erreichte in Hessen knapp 20%. Jetzt erreichte die SPD in Hessen rund. 15% und liegt in Umfragen auf Bundesebene bei „immerhin“ etwa 17%.
    Dazu beigetragen hat ganz sicher die lange Liste handwerklicher Fehler, die sich unsere „besten Kräfte für Hessen“ wie von Norbert Schmitt dargestellt von Anfang bis Ende im Wahlkampf geleistet haben. Aber das sind nur Symptome.
    Oberhalb der lokalen Ebenen erkennen viele unserer Funktionäre (übrigens genauso wie viele Medien) nicht, was reale Probleme sind, die die Menschen bewegen. Wie kommt das Versprechen kostenloser Kita-Plätze bei jungen Eltern an, die gerade die zehnte Absage eines Kita-Trägers für ihr Kind erhalten haben oder bei Eltern, die fürchten müssen, ihr Kind außerplanmäßig wegen Personalmangels früher von der Kita abzuholen? Ein zusätzlicher Feiertag als eines der fünf wichtigsten Instrumente zur Behebung des Fachkräftemangels? Das hat wenig Überzeugungskraft und viele Organisationen sind da in ihren Konzepten viel weiter.
    Die Hessen-SPD braucht meines Erachtens mehr Menschen, die vor Ort bei den Menschen erspüren, was diese wirklich aktuell bewegt. Ein Blick in die Wahlkreisergebnisse lässt erahnen, dass auf den ersten 25 Listenplätzen zu viele für die innerparteiliche Balance wichtige „Persönlichkeiten“ sitzen und zu wenige, die keine Angst vor den Wählerinnen und Wählern haben.
    Das wichtigste jedoch: Die SPD wird ihre ganzen kuscheligen Gewissheiten und Versatzstücke aus den Vor-Corona- und Vor-Ukraine-Zeiten endgültig ins Geschichts-Archiv legen müssen. Sie muss in Land und Bund durch das mühsame Tal einer grundlegenden Diskussion mit Bürgerinnen und Bürgern sowie Expertinnen und Experten und ein neues strategisches Leitbild für ein soziales, klimabewusstes, sicheres Land in gefährlichen Zeiten entwickeln, das plausibel ist und überzeugen kann.
    Auf dieser Basis lässt sich dann auch die Meinungsführerschaft in Wahlkämpfen (ohne handwerkliche Fehler) bei Medien und Bürgerinnen und Bürgernwieder erringen. So jedenfalls meine Hoffnung.

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