Das Ergebnis der SPD bei der Landtagswahl muss sich für Spitzenkandidatin Nancy Faeser und die hessische Sozialdemokratie mindestens so schlimm anfühlen, wie für Fans von Eintracht Frankfurt, wenn sie in einem Pokalfight gegen Kickers Offenbach eine hohe Niederlage ihrer Mannschaft hätten miterleben müssen. Aber was im Fußball gilt, gilt auch in der Politik: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel und so muss die hessische Sozialdemokratie ihren Blick nach vorn richten.
Noch haben die Wahlgewinner, die hessische CDU mit ihrem Ministerpräsidenten Boris Rhein, nach erfolgten Sondierungsgesprächen sowohl mit den Grünen als auch der SPD keine Entscheidung darüber getroffen, mit welcher Partei sie in konkrete Koalitionsverhandlungen treten wollen. Stattdessen hat Rhein sich und seiner Partei zunächst eine Auszeit oder wie er es genannte hat „Reflexionswoche“ verordnet. Zumindest kann man daraus ablesen, dass für den Ministerpräsidenten und seine Partei längst nicht klar ist, dass sie die seit zehn Jahren bestehende Koalition mit den Grünen fortsetzen wollen.
Vorbehalte gegen grünen Partner
Das Zweckbündnis hat zwar auch in schwierigen Zeiten nach außen hin ohne größere Streitigkeiten oder Zerwürfnisse funktioniert und war auch getragen von dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Tarek al Wazir und Volker Bouffier. Aber zuletzt knirschte es in dieser Koalition deutlich. Beispielsweise gingen die Grünen im Juli auf Distanz zum hessischen Innenminister Peter Beuth wegen dessen Auftreten im Hanauer Untersuchungsausschuss. Der Minister wurde kritisiert, weil er nach Auffassung der Grünen Fehler bei der Aufarbeitung des rassistischen Attentats in Hanau hätten klarer benennen und öffentlich eingestehen müssen.
Auch innerhalb der CDU-Fraktion scheint es zunehmend Vorbehalte gegen eine Fortsetzung der Koalition mit den Grünen zu geben. Wenn man den Spekulationen in der Presse Glauben schenkt, sind Fraktion und Basis zunehmend genervt über den zu starken Einfluss der Grünen in den vergangenen Jahren und fordern mehr „klare Kante“ von ihrer Partei vor allem in innenpolitischen Fragen.
Nach einem von „ZDF heute“ und von Politikwissenschaftlern betreuten Koalitionsnavigationstool, mit dem bei den hessischen Kandidaten inhaltliche Überschneidungen oder auch Differenzen erforscht wurden, vertreten vor allem in den Bereichen Inneres und Migration CDU und Grüne grundsätzlich abweichende Positionen, während bei diesem Thema zwischen CDU und SPD mehr Gemeinsamkeiten bestehen. Dies gilt nach dieser Studie im Übrigen für den Bereich Energie, Klima und Mobilität.
Aber unabhängig von solchen Studien ist davon auszugehen, dass sowohl ein Koalitionsvertrag mit den Grünen als auch mit der SPD sicher zustande käme, aber sehr deutlich die Handschrift der CDU tragen beziehungsweise sich das hervorragende Wahlergebnis der CDU in einem neuen Koalitionsvertrag nachhaltig niederschlagen wird.
Hessisches Signal nach Berlin?
Für Boris Rhein könnten aber auch weitere Erwägungen bei der Frage nach dem künftigen Koalitionspartner eine Rolle spielen. Eine Koalition mit den Grünen würde ein „Weiter so!“ bedeuten, während mit einem Bündnis mit der SPD erstmals ein gänzlich neuer Weg in Hessen beschritten werden würde. Dies wäre dann aktuell auch die einzige Schwarz-Rote Koalition in einem Flächenland. Für Boris Rhein wäre dies die Chance, sich von seinem Vorgänger Volker Bouffier abzugrenzen und gleichzeitig ein eigenes Profil zu entwickeln. Gleichzeitig könnte er mit einem solchen Bündnis mittelfristig auch ein Signal nach Berlin senden und für eine Neuauflage einer Koalition aus CDU und SPD auch im Bund werben. Markus Söder und Friedrich Merz lassen grüßen.
Das Risiko für Rhein ist allerdings, dass er derzeit nicht sicher sein kann, wie stabil die SPD in Hessen künftig sein wird. Nach dem desaströsen Wahlergebnis muss sich die Partei erstmal neu sortieren und orientieren. Dabei könnte ein Bündnis mit der CDU allerdings durchaus auch hilfreich sein, böte dies nach einem knappen Vierteljahrhundert in der Opposition die Chance endlich wieder in Regierungsverantwortung zu gelangen und würde die Gefahr minimieren, dass sich die Partei in der erneuten Oppositionsrolle zu sehr mit sich selbst beschäftigt und vielleicht auch zerfleischt. Dann bestünde die Gefahr, dass die Hessen SPD einen ähnlichen Absturz erlebt wie die SPD in Bayern oder Baden-Württemberg. Denn letztlich haben die vielen Jahre in der Opposition insbesondere nicht zu einer dauerhaften personellen Neuorientierung und Stabilität geführt.
Dies wäre aber im Falle einer Regierungsverantwortung durchaus möglich, weil damit die Chance bestünde, sich für Ministerämter auch um qualifizierte Seiteneinsteiger, beispielsweise aus dem gewerkschaftlichen oder kommunalen Umfeld, auf dem die SPD ja durchaus noch erfolgreich ist, zu bemühen.
Und warum sollte Nancy Faeser nicht Landesvorsitzende bleiben können? Die Wahlniederlage ist ihr sicher nicht allein anzulasten, auch wenn sie persönlich Fehler begangen hat und durch ihre Kandidatur in ihrer gleichzeitigen Funktion als Bundesinnenministerin das Thema Migration im hessischen Wahlkampf besonders in den Fokus geraten ist. Aber letztlich war es eine Niederlage der gesamten Partei und auch hier gilt die Fußballregel: Man gewinn gemeinsam und verliert gemeinsam.
Was würde ein Rücktritt von Nancy Faeser als Landesvorsitzende – einmal ganz abgesehen davon, dass sich in der hessischen SPD derzeit niemand für dieses Amt zwingend aufdrängt – für ihre Stellung als Bundesinnenministerin bedeuten? Sie würde dadurch weiter geschwächt und daran kann derzeit niemand in der SPD ein Interesse haben. Außerdem hat Faeser als Verhandlungsführerin die Sondierungsgespräche mit der CDU geführt und ihr wird zudem auch ein sehr gutes und vertrauensvolles Verhältnis zu Boris Rhein nachgesagt. Für die CDU wäre die Landesvorsitzende deshalb ein wichtiger Stabilitätsfaktor für eine denkbare Koalition aus CDU und SPD.
Personelle Erneuerung in der Regierung
Den hessischen Sozialdemokraten ist anzuraten, nach dieser Wahlniederlage keine „Schnellschüsse“ abzugeben, sondern mit „heißem Herzen und kühlem Verstand“ die Chance einer Koalition mit der CDU einzugehen, wenn sie sich denn bietet. Diese Konstellation könnte dann auch gleichzeitig die Möglich für eine „sanfte“ personelle Erneuerung sein, denn mit den erfolgreichen SPD-Oberbürgermeistern wie beispielsweise in Frankfurt, Darmstadt oder Offenbach, die aber allesamt noch relativ neu in ihren Ämtern tätig sind, stünden gegebenenfalls langfristig neue Führungspersönlichkeiten für die Landespartei zur Verfügung. Gleichzeitig könnte die Partei dann auch nachhaltiger inhaltlich agieren und sich gegebenenfalls auch organisatorisch neu ausrichten und beispielsweise über die Frage eines einheitlichen Landesverbandes statt zwei Bezirksverbänden in Süd- und Nordhessen nachdenken.
Ein Schwarz-Rotes Bündnis böte damit – trotz gewisser Risiken – einige Chancen für beide Parteien.
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Herzlichen Dank für diese Analyse und die Schlussfolgerungen, die ich voll und ganz unterschreiben und teilen kann.
Es geht sicherlich nicht nur um ein „Signal nach Berlin“, sondern insbesondere um stabile Verhältnisse in Hessen. Und die sind nur zu erreichen, wenn CDU und SPD ihre Schnittmengen ausloten und hier sehr schnell feststellen werden: gemeinsam „Hessen vorn“! Eine starke CDU auf Landesebene und eine starke kommunale SPD sind eher ein Garant dafür, dass die Probleme des Landes gelöst werden als „basisdemokratische Grüne“, die einen Koalitionsvertrag in einer Urabstimmung beschließen wollen. Die Probleme, die neunmal auf dem Tisch liegen, fordern geradezu eine Zusammenarbeit von CDU und SPD! In der Region Südhessen – und hier schlägt nun mal der Herzmuskel des Landes – arbeiten CDU und SPD seit vielen Jahren eng und vertrauensvoll zusammen; hier soll die Fortschreibung des Regionalplans und des regionalen Flächennutzungsplanes in den nächsten Jahren gemeinsam beschlossen werden. Kaum vorstellbar, dass dann ein grüner Wirtschaftsminister für die Genehmigung zuständig wäre. Dies nur als ein Beispiel. Beiden Parteien ist dringend anzuraten, pragmatisch und lösungsorientiert die Dinge anzupacken; dann profitieren beide Parteien- aber vor allem das Land Hessen!!!
Martín Herkströter
Wenn es so kommt, dann kommt der Offenbacher Felix für den Offenbacher Tarek. Wetten?