Was für ein Auftritt bei Maischberger! Da hat einer etwas zu sagen, hat eine Botschaft und spricht noch Klartext. Was spielte es für eine Rolle, dass Bernie Sanders dreimal beim Anlauf aufs US-Präsidentenamt gescheiterter Linksaußen unter den Demokraten in Washington nicht mehr in der vordersten Reihe steht? Als Mitglied des US-Senats ist er aber ein Insider eines demokratischen Systems, dass er vor allem in den USA extrem gefährdet sieht; nicht nur durch Republikaner-Star Donald Trump, sondern auch durch die zunehmende Ungleichheit und Ungerechtigkeit zulasten des Mittelstands, der sich immer öfter nicht mehr in der Lage sieht, mit seiner Hände Arbeit ein auskömmliches Leben zu finanzieren. Früher hätten Firmenchefs im Durchschnitt 30- bis 40-mal so viel wie ihre Angestellten verdient, heute sei es das Vierhundertfache, schimpft Sanders.
Es ist okay, wütend auf den Kapitalismus zu sein
Bernie Sanders,
Tropen Verlag Stuttgart,
ISBN 9783608502206
„Über-Capitalism“ nennt er die systemimmanente Gier und Verachtung für alle Regeln des Anstands in seinem neuesten Buch „Es ist okay, wütend auf den Kapitalismus zu sein“. Der inzwischen 82-jährige Autor mehrerer Bestseller nimmt darin die Superreichen und Oligarchen aufs Korn, die nach seiner Ansicht die Welt in unter sich aufteilen könnten, weil der Kapitalismus eben nicht funktioniere. In diese seine Theorie webt Sanders auch andere Krisen dieser Tage wie den Rechtspopulismus, die Migration oder die Kriege ein.
„Es gibt nichts Amerikanischeres, als ein System, das uns im Stich gelassen hat, zu hinterfragen , um die Gesellschaft aufzubauen, die wir und zukünftige Generationen verdienen“, schreibt Sanders im Vorwort. Sanders, der in USA gefeiert wird wie ein Popstar, wiegelt die Leserschaft auf. Es sei an der Zeit, gesamtgesellschaftliche Fragen zu stellen. Darum geht es in diesem Buch, in dem Sanders ein Konzept vorstellt für schrittweise Veränderungen hin zu einer Wirtschaftsdemokratie mit mehr Mitspracherechten für die Beschäftigten. Konkret wird Sanders beispielsweise bei der Job-Beschaffung, der Gesundheitsfürsorge, dem lebenslangen Lernen, dem Einebnen ungleicher Einkommen mithilfe eines progressiven Steuersystems, das vor allem Reichen und Großunternehmen „einen fairen Beitrag“ abverlangt.
Das Buch ist ein eindrucksvolles Zeugnis seines politischen Lebenswerks und ein kämpferischer Appell an die nächste Generation, das hyperkapitalistische System grundsätzlich in Frage zu stellen. Im sowohl lässigen wie aufmunternden Titel „Es ist okay, wütend auf den Kapitalismus zu sein“ hat Sanders seine persönliche Sicht auf die Ereignisse und seine persönliche Agenda für eine bessere Zukunft durch eine Graswurzelbewegung formuliert. Dass Sanders, wie in den Wahlkämpfen bewiesen, das Zeug zum Menschenfänger hat, dürfte jeder erfahren, der sich mit seinem neuesten Buch beschäftigt. Es wird freilich auch jene geben, die den utopischen Geist und Veränderungswillen von Sanders als naiv abtun werden. Doch es tut gut zu lesen, wie sich ein weiser, alter Mann im Kampf für eine gerechtere Welt treu bleibt.