Kanzler Olaf Scholz hat die Lieferung von Kampfpanzern in die Ukraine genehmigt, schon werden aus Kiew Forderungen nach Lieferungen von Kampfjets und U-Booten laut. Lässt sich die Aufrüstungsspirale noch stoppen?
Nach wochenlangen Diskussionen liefert Deutschland Leopard 2-Panzer in die Ukraine. Es ist der Abschluss einer medial aufgerüsteten Debatte, in der die Diktion an Schärfe und Dramatik immer mehr zugenommen hat. Bemerkenswert hierzu sind die Ausführungen von ARD-Redakteur Georg Schwarte, der unter der Überschrift „Reden vom Krieg“ auf die Nachdenkens werte sprachliche Differenzierung hinweist: Ist Europa im Krieg – oder ist Krieg in Europa? Wenn dann „Verteidigungspolitiker“ von „Kriegsfähigkeit“ der Bundeswehr schwadronieren oder aus deren Reihen ein Umschwenken der deutschen Produktion auf „Kriegswirtschaft“ gefordert wird, dann steht das im Gegensatz zum bisher unwidersprochenen Prinzip, dass Deutschland nicht Kriegspartei ist und nicht sein soll, auch wenn es von diesem Krieg betroffen ist. Oft wird in diesem Zusammenhang auch von der Einmaligkeit der Situation in Europa gesprochen und dabei vergessen, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan noch nicht so lange her sind.
Mit der Wortwahl und dem sprachlichen Ausdruck verbunden ist natürlich auch eine politische Profilierung. Hier ist eine Antwort zu finden, wie sich die Bundesrepublik positioniert in einer Phase, in der das menschliche Leid so nah erfahrbar ist. Es ist völlig unstrittig, dass Deutschland den Menschen in der Ukraine humanitäre Hilfe zukommen lässt. Wie sieht es aber aus bei der Unterstützung mit Waffen? Hier scheiden sich die Geister, zumal keine roten Linien zu erkennen sind. Bleibt es denn nun bei militärischer Ausrüstung für Soldaten, Flugabwehrraketen, Haubitzen, Schütze- und Kampfpanzern? Schon dreht sich wie vielfach befürchtet die Aufrüstungsspirale weiter. Denn kaum ist die Lieferung von Leopard-Panzern verkündet, melden die nächsten schon Forderungen nach der Lieferung von Kampfflugzeugen und U-Booten an. Dabei wird die Frage „wann beginnt bei uns der Kriegseintritt“ immer weiter verschoben, wie Thomas Fischer in der Kolumne im „Spiegel“ feststellt.
Aufschlussreich ist, dass ein großer Teil der Bevölkerung skeptisch bis ablehnend der Frage von Lieferungen schwerer Waffen gegenübersteht, ausgenommen die Wählerschaft der Grünen, die nach den Umfragen mehrheitlich dafür ist. Das Ergebnis ist bemerkenswert angesichts des Drucks, den Politiker via Medien aufgebaut haben, um den Kanzler umzustimmen.
Die zentrale Frage lautet, ab wann wird Deutschland zur Kriegspartei? Thomas Fischer weist zu Recht darauf hin, dass das verschwurbelte „Russland müsse besiegt werden“, der Bevölkerung nicht klar gemacht wird – auch mit allen Konsequenzen. Außenministerin Annalena Baerbock hat schon im Mai letzten Jahres in der „taz“ vor Kriegsmüdigkeit gewarnt. Das der Überbietungswettbewerb von politischen Akteuren zu immer größeren Waffenlieferungen, ein Instrument ist, gegen Kriegsmüdigkeit zu wirken, ist offenkundig, zumindest bei vielen Medien und in der politischen Diskussion.
Geostrategische Aspekte
Eine andere Ebene in diesem Konflikt sind die geostrategischen Aspekte dieser Auseinandersetzung. Handelte es sich ursprünglich um eine Rivalität zwischen Russland und der USA, so hat sich die strategische Fokussierung seitens der USA schon seit längerer Zeit verändert. Europa und der Mittelmeerraum sind nicht mehr primär im strategischen Focus der USA. Washington hat vielmehr China und den südostasiatischen, pazifischen Raum im Blick. Seit Obama ist das schon viel offensiver formuliert worden. Deshalb wollen die Amerikaner in Europa den Rücken frei bekommen.
Besonders nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch des Sowjetblocks sehen sich die Amerikaner als die allein bestimmende Ordnungsmacht auf dieser Erde. Das konnten die anderen großen Mächten nicht akzeptieren. So war es nur eine Frage der Zeit, bis die Spannungen wieder größer wurden. Weder Russland noch China akzeptieren die Vorherrschaft der USA.
Außenministerin Baerbock will Putin vor ein Tribunal stellen und ihn für seine Taten zur Rechenschaft ziehen lassen. Nur erkennen nicht nur Russland, sondern die USA und China die Legitimität des Gerichtshofs nicht an. Hier bricht sich der Wunsch nach Bestrafung an den real existierenden Machtansprüchen der Hegemonen. Zumal in diesem Zusammenhang die Frage zu stellen ist, wie mit Verantwortlichen anderer völkerrechtswidriger Kriege wie im Irak umzugehen ist.
Da es sich nach wie vor in vielen kriegerischen Auseinandersetzungen immer noch um die Konkurrenz zwischen den sich selbst als Großmächte definierten Staaten handelt, ist der Blick über den Tellerrand auf die daraus resultierenden Folgen für Deutschland angebracht. Wenn Amerika sich immer stärker auf die Auseinandersetzung mit China fokussiert, mit den entsprechenden Auswirkungen Folgen für den pazifischen Raum, dann muss das Verhältnis von Deutschland zu China in den Blick genommen werden.
Schon gibt es eine recht ausführliche Debatte zur Neuausrichtung der Beziehungen Deutschlands zu China mit der Zielrichtung einer Entflechtung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Sollte sich die Konfliktlage zwischen den USA und China zuspitzen, so kennen wir schon die Eskalationsdynamik aus dem Konflikt Russlands mit den westlichen Staaten respektive mit den USA.
Bewundernswert ist jedoch der amerikanische Pragmatismus bei der Festlegung von Sanktionen. Amerika achtet sehr stark darauf, dass die Sanktionen dem Gegner schaden und nicht dem eigenen Land und seiner Wirtschaft. Dabei werden die USA schon mal übergriffig gegenüber den eigenen Verbündeten. Die Europäer gehen nicht so pragmatisch vor wie die amerikanische Administration. Hier wurden Sanktionen verhängt, die auch den eigenen Volkswirtschaften im beträchtlichen Ausmaß schaden. Die astronomisch gestiegenen Energiekosten sind ein Beispiel dafür.
Neben den geostrategischen Interessen sollte auch die Kommunikationsstrategie beleuchtet werden. Nicht nur, dass die Europäer Waffen in die Ukraine liefern sollen, sondern die Wortwahl regionalisiert die kommunikative Seite. Der Begriff „Ramstein Format“ ist nur ein Beleg für die aktive kommunikative Einbindungsstrategie von Deutschland bei diesem Konflikt. Die Begrifflichkeiten – übrigens von den Deutschen Leitmedien völlig unkritisch übernommen- werden immer stärker fokussiert und auch verschärft. Dies führt zu semantischen Unschärfen und zur oben angesprochenen Frage: Ist Europa im Krieg oder ist Krieg in Europa?
Hier dreht sich eine Eskalationsspirale immer schneller. Auf die Zusage für Kampfpanzer-Lieferungen folgt die Forderung nach Kampfflugzeugen und U-Booten. Was ist die nächste Stufe – deutsche Soldaten? Dabei führt jede weitere Eskalation einer Seite zu eine weiteren Eskalationsstufe der anderen Seite. Daraus entsteht eine pathogene Situation. Paul Watzlawick (Psychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler) beschreibt ausführlich, das derlei Strukturen nicht auflösbar sind, indem man immer mehr desselben „drauflegt“ (er nennt das lineare Kausalität). Dies aber ist zurzeit genau die Logik, nach der die aktuellen Akteure handeln. Diese Strukturen müssen durchbrochen werden, damit nicht die selbsterfüllenden Prophezeiungen eines großen Krieges entsteht.
Kissingers Friedensplan
Möglicherweise könnten die Vorschläge von Henry Kissinger ein solche laterale Konfliktlösung sein. Zu seinem Plan gehört das Einfrieren des Frontverlaufs entlang der Linie im Donbas. Die anschließend möglichen Friedensverhandlungen könnten zum Ergebnis haben, dass Russland die Krim und den Donbas erhalte, im Gegenzug die Ukraine aber der NATO beitreten könne. Wie es heißt, wird der Vorschlag sowohl in Kiew als auch in Moskau und Washington ernst genommen.
Werden nun diese Entwicklungen und Mechanismen auf die strategischen Interessenlagen der Amerikaner gegenüber China projiziert beginnend mit der Taiwan-Frage, so sind schon heute bestimmte Entwicklungsschritte abzuschätzen, die auch massive Auswirkungen auf Deutschland haben werden. Sollte der Konflikt in Asien eskalieren, werden die USA von ihren Verbündeten Sanktionen eingefordert werden. Bei den vielfältigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China kann das weitreichende Einflüsse auf die deutsche Wirtschaft haben. Und schließlich stellt sich die moralische Frage: Müssen die Verbündeten die Interessen der USA in dieser Region aktiv unterstützen. Dem würde unverzüglich die Frage der militärischen Unterstützung und damit verbunden eine Neudefinition der NATO folgen, so wie es im Ukraine-Konflikt ebenso um ein Nicht-NATO Mitglied handelt.
Europa muss sich mit diesen Zusammenhängen auseinandersetzen, denn sie haben weitreichende Auswirkungen auf Ökonomie und Gesellschaft. Es gab ja schon Beispiele in der jüngsten Vergangenheit, bei denen Deutschland Auswege gesucht hat, die US-Sanktionen zu umgehen, wenn auch mit mäßigem Erfolg.
Hier gibt es unterschiedliche Interessen zwischen USA und Europa. Gabor Steingart weist in einem „Focus“- Artikel auf die positiven wirtschaftlichen Effekte für die amerikanische Wirtschaft hin, zum Beispiel durch den Verkauf von Fracking Gas an Deutschland und von militärischem Gerät an die Ukraine. Europa muss eine gemeinsame Linie finden mit der zentrale Achse Frankreich-Deutschland unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der osteuropäischen NATO-Länder.
Um die Eskalationsspirale anzuhalten, ist es erforderlich, alle Gesprächskanäle offen zu halten. Reagan hat mit Gorbatschow, Kennedy mit Chruschtschow, Brandt mit Breschnew, Kohl mit Jelzin gesprochen und verhandelt. Sie sind damit zu vernünftigen Ergebnissen, trotz unterschiedlicher Systeme und Machtinteressen gekommen.
Deutschland hat kein Interesse, dass der Konflikt weiter eskalierte und es nicht zu einer Situation kommt, von der Jörn Fleck (leitender Direktor des Europa Center des Atlantic Council) im „Stern“ schreibt: „Ob auf deutschem Boden gekämpft wird, kommt auf die Eskalationsspirale an“.
Auch wenn eine Reihe von Politikern den Anspruch formulieren Deutschland solle Führungsmacht in Europa sein, dann aber nicht für Krieg sondern für den Frieden!
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Lieber Gerhard! Nach diesem Beitrag habe ich den Eindruck, Du bist wieder zu Deinen jugendlichen Gedankengängen zurückgekehrt. In dem Beitrag ist viel Fantasie und Wunschdenken. Auch Pazifisten wie Franz Alt vrtreten jetzt die Meinung in aller Öffenlichkeit: Statt Frieden schaffen ohne Waffen —-Frieden schaffen mit Waffen!!!!! Im übrigen sind Deutschland, Europa und die USA erst dann Kriegspartei, wenn sie auch Bodentruppen einsetzen. Das ist übrigens nicht nur meine Meinung.
Das meint einer Deiner früheren Lehrer.
Im Hintergrund wallen die alten Vorwürfe der Linken: die USA versteht sich als vorherrschende Weltmacht, ohne Bereitschaft, andere Ordnungsmächte anzuerkennen; Europa wird von den USA in absehbaren Auseinandersetzung mit China hineingezogen; in diesen Auseinandersetzungen (hier zunächst die ökonomischen Sanktionen betreffend) schonen die USA ihre eigenen Interessen, sind aber übergriffig bei denen der Verbündeten.
Diese Anlayse ist nicht falsch, sie bietet aber weder politische, wirtschaftliche noch moralische Orientierung für die Art, wie Deutschland sich in diesem aus der Zeit gefallen zu scheinenden Ukraine-Konflikt positioniert.
Ein Psychopath als politischer Führer, ein alle Grundwerte unserer Gesellschaft in den Schlamm der ukrainischen Erde stampfender Despot, ein menschenverachtender Kriegsutilitarist, der tausende Landsleute in den sicheren Tod schickt, erfordert klares Handeln mit nachhaltiger Erfolgschance.
Lieber Herr Grandke, Sie argumentieren hier in der Tat als alter Linker ohne Bezug zur veränderten Realitäten und verändertem Wissen über historische Abläufe.
Dies ist in der Tat „no country for old men“. Als alternativen Film empfehle ich “The Man in the HighCastle”