Wenn der Patient die Rendite versaut

Das Recht des Menschen auf eine angemessene medizinische Versorgung wird von Artikel 1 des Grundgesetzes erfasst. Was aber, wenn kranke Menschen auf ein krankes Gesundheitssystem treffen? Ein Dossier zur Misere soll über den Diskussionsstand aufklären. 

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will das bisherige Finanzierungssystem der Krankenhäuser über Fallpauschalen auf den Kopf stellen. Dabei vollzieht er einen Paradigmenwechsel und spricht deshalb gar von einer Revolution des Versorgungssystems der Krankenhäuser. Man ist geneigt zu sagen – mal wieder – denn bei der „revolutionären“ Einführung der sogenannten Fallpauschalen gehörte Karl Lauterbach seinerzeit zu den Befürwortern dieses Systems und zu den engsten Beratern der damaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt.  Mit der Einführung des Fallpauschalen-Systems sollten nicht nur die Kosten gesenkt, sondern insbesondere auch mehr Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern möglich werden. Mehr Markt, das war en vogue! 

Es lohnt der Blick auf die damals eingeführten DRGs (Diagnosis Related Groups oder diagnosebezogene Fallgruppen), die eine Vielzahl unterschiedlicher Diagnosen-Kombinationen zu Gruppen mit vergleichbarem ökonomischem Aufwand in möglichst auch medizinisch-klinisch homogenen Gruppen zusammenführten. Der Denkfehler: Die Grundidee dieser Fallpauschalen liegt in der Erstattung von Durchschnittskosten. Aber die Krankenhäuser sind nicht gleich groß, nicht gleich ausgelastet und weisen unterschiedliche Profile auf: Hier ländliche Grundversorger, dort Maximalversorger, oft auch Anwender innovativer Behandlungsmethoden und andernorts wieder Spezialkliniken. Es gibt also wenige Durchschnittskrankenhäuser, die mit einer Erstattung von Durchschnittskosten über die Runden kommen können.

Die Folgen sind Schließungen von Krankenhäusern, die von der Politik als Strukturbereinigung (zu viele Betten) durch die Hintertür sogar begrüßt wurden. Allerdings gerieten auch Universitätskliniken in Schieflage, von denen 70 Prozent 2021 Verluste auswiesen. Die Gefährdung der Flaggschiffe der Krankenhauslandschaft hat dann Karl Lauterbach auf den Plan gerufen. Die Leitlinie seiner Reformpläne verläuft diametral zur bisherigen Maxime: Der wirtschaftliche Druck auf die Kliniken soll verringert und der Fokus der Reform weniger auf Ökonomie, sondern mehr auf der Medizin liegen. Eine Rückkehr zum Prinzip „bezahlt wird, was gefordert wird“, also zur Kostendeckung wie sie früher praktiziert wurde, die wird es nicht geben. Denn dann wird das System nicht nur teurer, sondern es wird nicht mehr bezahlbar sein.

Über die Notwendigkeit einer Reform des Fallpauschalen-Systems besteht weitgehend Einigkeit. Zu offenkundig sind die Probleme in den Krankenhäusern, die durch die Corona-Pandemie nochmals verstärkt wurden bzw. aktuell zusätzlich durch Influenza und Erkältungsviren, insbesondere auch in den Kinderkliniken, dramatisch sichtbar geworden sind:

  • Krankenhäuser, die sich finanziell nur noch mühsam über Wasser halten, selbst wenn sie die therapeutischen Maßnahmen nicht ausreizen, um so Überschüsse zu erwirtschaften;
  • falsche Anreize für Behandlungen und Bettenbelegung durch die Fallpauschalen, die offenlegen, dass Versorgungsqualität und Streben nach Profit vielleicht doch nicht so gut zusammenpassen, wenn es darum geht, möglichst viele Behandlungsfälle zu produzieren;
  • der stetige Personalmangel in den Kliniken, der zur Überforderung des Klinikpersonals und einer hohen Arbeitsdichte führt. 

All dies prägt die aktuelle Notlage in den Krankenhäusern, deren Ursache insbesondere auf die Einführung des Fallpauschalen-Systems zurückgeführt wird.

Was bedeutet es nun, wenn kranke Menschen auf ein Gesundheitssystem treffen, das selbst dringender Behandlung bedarf? Auf www.bloghaus.eu werden wir in loser Folge die wichtigsten Problemlagen im deutschen Gesundheitssystem skizzieren und beleuchten, was sich in unserem Gesundheitssystem ändern solle und welche Lösungsansätze angedacht sind. Dabei geht es auch um die grundsätzliche Frage, ob Bestrebungen nach einer Verwertungslogik noch einen Platz haben dürfen, wenn man Gesundheit als ein universelles Grundrecht begreift. 

  • Die erste Folge wird zunächst die Entwicklung der Finanzierung der Krankenhäuser skizzieren und die jetzt aktuellen Reformvorschläge von Karl Lauterbach darstellen. 
  • In einem weiteren Beitrag werden die Probleme der Privatisierung von Krankenhäusern näher beleuchtet. Dabei soll insbesondere auf die Frage eingegangen werden, ob es ethisch überhaupt verantwortbar ist, die öffentliche Verantwortung für die Gesundheitsgewährung der Bevölkerung in die Hand privater Träger zu geben, deren spezifisches Eigeninteresse es ist, am Markt zu bestehen und ihr Handeln ausschließlich am Prinzip der Gewinnmaximierung auszurichten. Gilt die These einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit von Profit und Patientenwohl oder gilt, wie die privaten Träger argumentieren, dass sie auf Dauer die Krankenhauslandschaft und damit die Versorgung der Menschen sicherstellen, indem sie öffentliche Kliniken übernehmen, die sich sonst nicht mehr halten könnten? 
  • Und schließlich stellt sich die Frage: Welchen Systemwechsel braucht unser Gesundheitssystem, um dauerhaft die Versorgung sicherzustellen?

LesenSie auch:

https://bloghaus.eu/am-anfang-gab-es-pflegesaetze/

: Wenn der Patient die Rendite versaut

Ein Gedanke zu ”Wenn der Patient die Rendite versaut

  1. So verständlich die Argumente sind, so möchte ich auf die Wirtschaftlichkeit hinweisen und wir sollten uns doch mehr mit Daten und weniger mit Emotionen befassen.
    Unser Gesundheitssystem ist in Europa das teuerste. Fast 11% des BSP geben wir aus. Effizienz ohne Verlust an Qualität muss eine Maxime sein. Das kann eine Reduktion von Betten bedeuten und eine Konzentration. Sicherlich ist die Digitalisierung ein wichtiger Beitrag. Vor mehr als 20 Jahren war die digitale Krankheitsakte konzipiert. Sie ist heute noch nicht eingeführt. Das Effizienzpotenzial wird auf 30% der Gesundheitskosten eingeschätzt!!!!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Zurück nach oben