Es ist vollbracht! Vier Wochen hat es seit den Unterschriften unter den schwarz-grünen Koalitionsvertrag gebraucht, bis der hessische Ministerpräsident Boris Rhein seine neue Ministerriege in dem prachtvollen Festsaal der altehrwürdigen Wiesbadener Casino-Gesellschaft der Öffentlichkeit vorstellen konnte. Die Mitglieder des CDU-Teams wurden bereits in der letzten Woche nach und nach bekannt. Die SPD tat sich mit ihrer Mannschaftsaufstellung fürs neue Kabinett im Landtag schwerer. Bis zum Freitag wurde mit harten Bandagen um die drei Posten gekämpft. Das Ergebnis des internen Gerangels dürfte allseits überrascht haben; nicht zuletzt auch Boris Rhein, der nach den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen mit anderen Personalvorschlägen für die SPD-Ministerposten gerechnet haben dürfte.
Auf Distanz zu Bouffier
Zunächst ein Blick auf die Zusammensetzung der CDU-Riege, mit der sich Rhein zu seinem Vorgänger Volker Bouffier abgrenzt: Nur drei Minister aus dem bisherigen Kabinett gehören auch dem neuen an. Neuer Innenminister für den freiwillig ausgeschiedenen Peter Beuth wird der bisherigen Justizminister Roman Poseck, der ehemalige Kultusminister Alexander Lorz übernimmt das Finanzministerium, Kristina Sinemus bleibt Ministerin für Digitalisierung und Innovation. Die weiteren CDU-Ressorts übernehmen Politikerinnen und Politiker, die bisher nicht im Kabinett vertreten waren. Das Justizressort leitet künftig Christian Heinz, bisher Fraktionsvize und rechtspolitische Sprecher der CDU. Der bisherige Bundestagsabgeordnete Ingmar Jung wird Minister für Landwirtschaft und Umwelt. Diana Stolz, bisher Erste Beigeordnete des Kreises Bergstraße, soll das neu geschaffenen Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege anführen. Der Bundestagsabgeordnete Armin Schwarz, Bundeswehrexperte und ausgebildeter Oberstudienrat, wird neuer Kultusminister. Der bisherige CDU-Generalsekretär Manfred Pentz wird für seine bisherigen Verdienste mit dem Ministerposten für den Bund, Europa, Internationales und Entbürokratisierung belohnt.
SPD opfert Rudolph
Bei der SPD hat es etwas länger gedauert bis bekannt wurde, wer die von ihr zu besetzende Ministerien übernehmen wird. Erst am letzten Freitag sickerte durch, dass die bisherigen Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden der SPD-Bezirksverbände Hessen Süd und Hessen Nord, Kaweh Mansoori und Timo Gremmels sowie die bisherige Landtagsvizepräsidentin Heike Hofmann „das Rennen gemacht haben“.
Bleibt die Frage nach Günther Rudolph. Der bisherige Fraktionsvorsitzende schaut in die Röhre, wurde schlicht von jetzt auf gleich aufs Altenteil gesetzt, und das, nachdem er den Koalitionsvertrag maßgeblich mit ausgehandelt hatte. Zudem hatte dessen besonderes Vertrauensverhältnis zu Rhein, der Rudolph als „wichtige Brücke“ zur CDU bei den Koalitionsverhandlungen bezeichnete, entscheidenden Anteil daran, dass die CDU überhaupt mit der SPD in Verhandlungen getreten ist.
Das nennt man dann gelebte Solidarität bei den Sozialdemokraten.
Rudolph soll, wie die SPD-Landesvorsitzende laut „Frankfurter Rundschau“ anlässlich der Vorstellung der Ministerriege erklärte, auch künftig die SPD-Fraktion weiterführen. Ob die SPD- Fraktion diesem Vorschlag von Nancy Faeser tatsächlich folgt, steht auf einem anderen Blatt. Mit Lisa Gnadl und Tobias Eckert stehen zwei jüngere Angeordnete bereit, denen ebenfalls Interesse an diesem Amt nachgesagt wird. Gnadl kandidierte bereits gegen Rudolph, als nach dem Wechsel von Faeser nach Berlin der Fraktionsvorsitz neu besetzt werden musste. Sie unterlag ihm damals nur sehr knapp mit einer Stimme. Es bleibt deshalb offen, ob Rudolph erneut um den Vorsitz der SPD-Fraktion kandidieren wird, um zu vermeiden, sich eventuelle eine weitere Schmach anzutun.
Nachdem schon in den Tagen zuvor kräftig darüber spekuliert wurde, dass es in der SPD bei der Rangelei um die Ministerposten kräftig gescheppert haben soll, hat sich nun schlicht der Parteienproporz durchgesetzt. Der als überaus machtbewusst und ehrgeizig auftretende Vorsitzende der SPD Hessen Süd hat sich durchgesetzt. Der 35-jährige und zum linken Flügel der Partei gehörende Jurist Mansoori wird der neue starke Mann in der SPD und bereits als Nachfolger von Nancy Faeser für den Landesvorsitz der SPD gehandelt. Er übernimmt nicht nur das große und wichtige Ressort für Wirtschaft, Verkehr, Energie und ländlichen Raum, sondern wird außerdem auch der Stellvertreter des Ministerpräsidenten.
Da war es nur folgerichtig, dass auch der Vorsitzende des Bezirksverbands Hessen Nord Timon Gremmels nicht zurückstehen durfte und Minister für Wissenschaft und Kunst wird. Mit diesem Themenbereich hatte der 48-jährige Politikwissenschaftler bisher eher weniger zu tun. Im Bundestag ist er Mitglied im Ausschuss für Klimaschutz und Energie und hat unter anderem das heftig umstrittene sogenannte. Heizungsgesetz mit ausgehandelt. Er gilt als eher führungsschwach und hat bei dem unsäglichen Streit in der nordhessischen SPD, ausgelöst durch den Konflikt mit dem ehemaligen Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle, keine wirklich aktive lösungsorientierte Rolle ausfüllen können.
Da nach der Parteiarithmetik dem großen Bezirk Hessen Süd zwei Ministerposten zustehen und auch die Frauenquote erfüllt sein musste, kam Heike Hofmann für das neu geschaffene Ministerium für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales zum Zuge, auch weil die Fraktion natürlich in irgendeiner Form berücksichtigt werden musste.
Nancy Faeser verliert an Macht
Es hat den Anschein, dass bei dem Gerangel um die Besetzung der Ministerposten in der SPD der Landesvorsitzenden Nancy Faeser die Entscheidungsmacht nach und nach entglitten ist, sie nicht mehr Herrin dieses Prozesses war. Der Umstand, dass die Fraktion bei der Auswahl offensichtlich gar keine Rolle gespielt zu haben scheint, ist da eher nebensächlich. Sicher auch, weil die Entscheidung über die Besetzung der Ministerposten von der Partei und nicht der Fraktion getroffen werden.
Ein Blick auf dieses rote Personaltableau wirft aber die Frage auf, ob bei dieser Ausgangsposition der hessischen SPD – desaströses Wahlergebnis, trotzdem „Glück“, dass Boris Rhein sich für die hessischen Sozialdemokraten als künftigem Koalitionspartner entschieden hat – nicht sinnvoller gewesen wäre, nach Politikern zu suchen, die für die Leitung eines Ministeriums über hilfreiche Verwaltungserfahrung verfügen. Das hätte der angeschlagenen Hessen SPD neues Profil in einer von der CDU dominierten Regierung verleihen können. Warum konnten beispielsweise sozialdemokratische Politiker wie der als fachlich sehr versiert geltende langjährige ehemalige Landrat des Werra-Meißner-Kreises und aktuell geschäftsführende Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes, Stefan Reuß, oder die ebenfalls als fachlich sehr kompetent eingeschätzte Kulturdezernentin Ina Hartwig nicht für die Übernahme für die von der SPD zu besetzenden Ministerposten gewonnen werden? Wurden sie überhaupt in Erwägung gezogen?
Und deshalb muss auch die Frage erlaubt sein, ob bei der SPD Handelnde persönlichen Machtwillen, Egoismus oder persönliche Eitelkeit, vielleicht auch fehlende Selbsteinschätzung über die Interessen der Partei und des Landes gestellt haben. Da hätte man sich durchaus ein Beispiel an Boris Rhein nehmen können, als er nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten den damaligen Präsidenten des Oberlandesgerichts und Präsidenten des hessischen Staatsgerichtshofs Roman Poseck als sogenannten Quereinsteiger zum Justizminister ernannte. Poseck gilt als fachlich kompetenter Jurist und sehr erfahrene und umsichtige Führungspersönlichkeit, der das unter der glücklosen Vorgängerin Eva Kühne-Hörmann ins Taumeln geratene Schiff Justiz in knapp eineinhalb Jahren wieder in ruhigeres Fahrwasser führte. Er dürfte auch im neuen Kabinett als künftiger Innenminister eine tragende Rolle spielen.
Vertrauen muss erst wachsen
Und so ist es nicht verwunderlich, dass Presse und „Hessenschau“ in der Analyse der SPD-Riege zu einer eher zurückhaltenden, wenn nicht gar skeptischem Ergebnis kommen und zu Recht auch die Frage stellen, ob Boris Rhein sich bei den Erfolgsaussichten der künftigen schwarz-roten Koalition „vielleicht verrechnet hat“, weil die tragenden Personen, die für die SPD die Koalition mit der CDU ausgehandelt haben, nicht dieselben sind, die für die Partei als Minister und Ministerin ins Kabinett einziehen. Klar war, dass Nancy Faeser für ein Amt in der hessischen Regierung nicht zur Verfügung stehen würde. Dass aber Günther Rudolph, der für Rhein verlässliche und stabile Partner innerhalb der SPD, nicht dem Kabinett angehört, dürfte den Regierungschef überrascht haben und könnte auch mittelfristig zu einem Problem für die Koalition werden.
Günther Rudolph ist zwar bereits 67 Jahre alt, aber seine Ernennung zum Minister hätte seine Leistung für die hessischen Sozialdemokraten gewürdigt und er hätte ja auch von sich aus zu Beispiel nach der Hälfte der Legislaturperiode freiwillig ausscheiden können. Bis dahin aber hätte er einen wichtigen Beitrag für das Zusammenwachsen dieser Koalition leisten können. Dies zeigt ja auch der Blick auf die Vorgängerregierung: Das besondere Vertrauensverhältnis des ehemaligen Ministerpräsidenten Volker Bouffier und seines Stellvertreters Tarek Al-Wazir hat entscheidend mit dazu beigetragen, dass Schwarz-Grün relativ geräuschlos regieren konnte. Ein solches belastbares Vertrauensverhältnis von Boris Rhein zu der jetzt ernannten SPD-Riege existiert zumindest noch nicht. Ob es sich jemals entwickeln wird, sei dahingestellt.
Die SPD hat somit eine große Chance vertan, mit der Ernennung von fachlich erfahrenen und versierten Politikern und Politikerinnen zu zeigen, dass sie das Regierungsgeschäft beherrscht und damit ihr Profil zu schärfen. Bleibt nur noch zu hoffen, dass über die Staatssekretärsebene mehr Erfahrung ins Boot geholt wird, damit Schwarz-Rot in Wiesbaden nicht in der Weise durch die Legislaturperiode taumelt wie das Ampelbündnis in Berlin.
Zum Thema im Skizzen-Blog: Faeser hat die SPD nicht im Griff
Karrieren gelingen in der SPD meist nur denen, die die innerparteiliche Macht-Aritmetik beherrschen und die das sensible Parteiseelchen optimal zu streicheln wissen. Kriterien, die beim Wahlvolk allerdings unter ferner liefen rangieren. Die Hessen SPD hat die Chance versäumt, wenigstens ein Teil ihres Führungspersonals aus der (besonders in der Region Rhein Main) durchaus erfolgreichen kommunalen Riege zu rekrutieren. Ebenso fatal. Mit dieser Art von Aritmetik wird das überkommen System der Bezirke auf Ewigkeit zementiert. Besser wäre die knappen Mittel zu dezentralisieren, in die Unterbezirke. An die unmittelbare Schnittstelle zu den Bürgerinnen und Bürgern.
Tja, da greift wieder mal das alte Bonmot:
Was ist die Steigerung von Feind?
Feind – Erzfeind – Parteifreund.
Die Beiträge im Bloghaus suchen in Sachen Qualität ihresgleichen! Weniger Wiederkauen von Altbekanntem, stattdessen Tiefgang durch Expertise.
Machen Sie weiter so!
M.Eschenauer