Gastbeitrag von Michael Konken
Es ist eine dramatische Entwicklung, die allerdings kaum in der Öffentlichkeit, auch nicht in der medialen, registriert wird: 10,55 Prozent verlor die Gesamtauflage der gedruckten Tageszeitungen im 1. Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum[1]. Das bestätigt die bereits 2012 von Prof. Klaus Meier (Universität Eichstädt) errechneten, kontinuierlich sinkenden Auflagen. 2034 ist nach seiner Prognose das Ende der gedruckten Zeitungen zu erwarten. Berechnungen, die sich bisher jährlich exakt bestätigten. 2034 ist mittlerweile eine optimistische Annahme. Spätestens Ende der 20erJahre werden auf lokaler, etwas später auf regionaler Ebene, die letzten gedruckten Zeitungen erscheinen. Die aktuellen Quartalszahlen beweisen den rasanten Niedergang, auch bei den großen Zeitungstiteln. Nur noch 17,4 Prozent der Menschen lesen laut Statista mehrmals in der Woche eine Zeitung. Je jünger, umso weniger[2].
Für Springer Konzernchef Mathias Döpfner hat die gedruckte Zeitung „keine Zukunft mehr“. Die Bild-Zeitung sei mittlerweile unter eine Million Auflage gefallen, sagte er im März dieses Jahres. Der Bund Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) sieht die Zukunft der Lokalzeitung ebenfalls bedrohlich. Lokalzeitungen, so der BDZV im vergangenen Jahr, werden in 40 Prozent aller Kommunen in fünf Jahren nicht mehr wirtschaftlich sein. In 4.400 Gemeinden drohe das Sterben der Lokalzeitungen. 2014 seien sie noch in allen 11.000 deutschen Gemeinden betriebswirtschaftlich zustellbar gewesen. In diesem Jahr in 720 Gemeinden nicht mehr. Bis 2025, schätzt der BDZV, betreffe der Versorgungsengpass 4.400 Kommunen, also 40 Prozent aller Städte und Gemeinden. Eine Situation, die zu existenzbedrohenden Abo-Verlusten führen wird.
Die aktuellen Gründe für den Auflagenverlust sind vielschichtig. Zu guten Zeiten konnte sich die Tageszeitung noch zu zwei Dritteln aus Anzeigen, also Werbeeinnahmen, finanzieren. Dieser Wert liegt aktuell teilweise deutlich unter 40 Prozent. Folge: Die Abo- und Einzelverkaufspreise werden kontinuierlich erhöht. Eine finanzielle Todesspirale, da als Reaktion Abonnenten kündigen, der Einzelverkauf weiter schwindet. Der Niedergang der Lokalzeitungen beschleunigt sich. Die Auflagen werden Ende dieses Jahrzehnts so niedrig sein, dass eine wirtschaftliche Basis nicht mehr vorhanden ist. Eine überlebenswichtige staatliche, staatsferne Förderung (Beispiel: Skandinavische Staaten) ist nicht zu erwarten. Politik, aber auch Journalisten- und Verlegerverbände haben fahrlässig und verantwortungslos dieses Thema nicht öffentlich gepuscht. Für eine staatsferne finanzielle Förderung ist es jetzt zu spät.
Wer kontrolliert Verwaltung und Politik?
Die inflationäre wirtschaftliche Situation der Privathaushalte beschleunigt den Auflagenverlust. Um Geld zu sparen, wird zuerst das Zeitungsabo gekündigt. Auf Seiten der Verlage sind Preissteigerung für Papier und Energie erhebliche Kostentreiber, ebenfalls turnusmäßige Tariferhöhungen, aber auch der steigende Mindestlohn für die zudem noch schwierig zu rekrutierenden Zusteller*innen, die zu morgendlicher Stunde die Lokalzeitung verteilen. Ist die aber nicht zu morgendlicher Stunde zugestellt, folgen weitere Abo-Kündigungen. Wie sollen künftig Menschen in Städten, Landkreisen und Gemeinden kommunalpolitische Informationen erhalten? Auf welcher Informationsbasis ihre Wahlentscheidungen treffen? Wer soll Politik und Verwaltung kontrollieren?
Unser Gastautor Michael Konken war von 2003 bis 2015 Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten Verbandes (DJV). Von 2007 bis 2015 Mitglied des ZDF-Fernsehrates und der deutschen UNESCO-Kommission. An der Universität Vechta lehrt er Journalismus und Politik sowie journalistisches Schreiben, Stadt- und Regionalkommunikation an der Jade Hochschule in Wilhelmshaven. Michael Konken arbeitete unter anderem für den Deutschlandfunk in Köln, für das Jeversche Wochenblatt sowie für Radio Bremen. Er war Pressesprecher der Weltausstellung „Expo am Meer“, dem Wilhelmshavener Beitrag zur Expo 2000.
Das stetig zunehmende Desinteresse an politischen Prozessen Entscheidungen, vor allem an der Kommunalpolitik, ist ein weiterer Grund für den Auflagenverlust. Eine dramatische Entwicklung, die schon seit Jahren in abnehmenden Berichten über kommunalpolitische Themen und ausgedünnten lokalen Berichten deutlich wird. Die Universität Bielefeld stellte 2022 in einer Studie un ter anderem fest, dass 75,8 Prozent der Jugendlichen den Zeitungen misstrauen, 71,6 Prozent misstrauen Journalistinnen und Journalisten und 32,8 Prozent glauben, dass Medien nur ihre eigene Meinung verbreiten. Die Medienkompetenz fehlt, um die Arbeit der seriösen Medien zu werten, von unseriösen Medien zu unterscheiden. Die schnelle, kostenlose, allerdings oberflächliche Headline Info über Social-Media, egal ob seriös oder nicht, ist einfacher, reicht vielen.
Das Sterben vieler Lokalzeitungen begann Anfang unseres Jahrtausends. Es führte zu einem Rückgang der medialen Vielfalt in den Berichten, da wirtschaftlich stärkere Verlage notleidende Lokalzeitungen aufkauften. Folge: Lokale Berichte wurden und werden zunehmend ausgedünnt, Meinungsvielfalt negiert. Die Zahl festangestellter Journalisten*innen in den Redaktionen verringert sich ständig. Waren es im Jahr 2000 noch 15.300, dürfte die Zahl aktuell nach Schätzungen des Deutschen Journalisten Verbandes (DJV) unter 10.000 liegen. Tendenz sinkend. Auswirkungen: Immer mehr Einheitsbrei in der Berichterstattung, also Vielfaltsverlust. Immer mehr Agenturmeldungen, Informationen aus Pressemitteilungen, Schreibtischjournalismus, zusätzlich, bedingt durch immer weniger Personal, ein zunehmender Qualitätsverlust.
E-Paper die Alternative?
Der Bund Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) verkündete nach einer eigenen Studie freudig, dass die Steigerungsrate von E-Paper Anfang 2022 13,9 Prozent betrug, ein Plus zum Vorjahr von 16,6 Prozent. Erfreulich: Zwei Drittel (65,8 Prozent) der Digitalleser und -innen sind unter 50 Jahre alt. Nachdenklich macht: 65 Prozent davon haben einen höheren Bildungsabschluss, sind voll berufstätig. E-Paper-Nutzer verdienen zu 43 Prozent über 3.000 Euro netto im Monat, jede/r fünfte mehr als 4.000 Euro Haushaltsnettoeinkommen. E-Paper – nur etwas für Besserverdienende?
Die Steigerung der E-Paper Zahlen ist kein Grund zum Jubeln. Die realistische Analyse der Zahlen zeigt ein anderes Bild, lässt die Jubelarien schnell verstummen. Die Auflage der Tageszeitungen lag im Jahr 2000 noch bei 24,1 Millionen, Ende 2022 betrug sie nur noch 11,4 Millionen. Die E-Paper-Nutzung Ende 2022 laut Statista bei nur 2,6 Millionen, davon 1,54 Millionen als Abonnement. E-Paper ist keine Alternative zur gedruckten Zeitung, wird sie nicht ersetzen. E-Paper wird den Abwärtstrend des Zeitungssterbens nicht aufhalten. Auch andere Paywall-Modelle wie „Freemium“ oder „Metered“ sind keine finanzielle Alternative. Künftig werden wohl nur noch der öffentlich-rechtliche und private Rundfunk, freie, seriöse Onlinezeitungen, Blogs und bedingt Influencer Mittler politischer Themen sein, in einigen Ländern vielleicht noch der nichtkommerzielle Rundfunk. Letztere sind oft kritiklose Sender, da, bedingt durch finanzielle Zuschüsse der Kommunen, die Staatsferne verloren gegngebn ist.
Wer informiert künftig wie die Einwohner?
Für die künftige Information von Seiten der Kommunen stellt sich die Frage, mit welchen Kommunikationskanälen sie ihre Einwohner*innen erreichen. Der Bundesgerichtshof (BGH) wertete im vergangenen Jahr kommunale Öffentlichkeitsarbeit als „Pflicht zur Information“. „Städte müssen zeitgemäß digital kommunizieren“, stellte der BGH im Hinblick auf moderne Kommunikationskanäle fest. Nur so würden sie der Erwartung der Bürgerinnen und Bürger nach Transparenz der Arbeit von Verwaltungen gerecht und ermöglichten den Dialog über die Politik der Städte[3].
Social Media ist mittlerweile das meistgenutzte Angebot der Information. Unterschiedliche Social-Media-Kanäle erreichen verschiedene Altersgruppen. Die der 10- bis 19-Jährigen bevorzugt vor allem die Social-Media-Kanäle TikTok und Instagram. 14- bis 29-jährige Instagram, TikTok und Facebook. 30- bis 49-jährige Facebook und Instagram und über 50-jährige Facebook und Instagram. 47 Millionen Menschen nutzen in Deutschland Facebook, Instagram 32 Millionen, TikTok 15 Millionen und den Newcomer Reddit bereits 15 Millionen[4]. Eindrückliche Zahlen, die belegen, dass Social Media zur täglichen Kommunikations- und Informationsplattform geworden ist. Eine in allen Altersgruppen mittlerweile hohe Akzeptanz von fast 100 Prozent. Aber auch Newsletter, kommunale Apps, die eigene Homepage, die eigene Stadtzeitung sowie LED-Wände im Stadtbild etc., werden im Mix unverzichtbar für die kommunale Informationsarbeit sein. Doch Vorsicht. Es sind staatsnahe, also in eigener Regie betriebene subjektive Medien.
Gefährliche PR-Instrumente
Es ist höchste Zeit, dass sich Kommunen, wenn nicht bereits geschehen, intensiver als bisher auf die Social-Media Kommunikation und andere Kommunikationsmöglichkeiten umstellen. Sie müssen alle Plattformen zielgruppenspezifisch nutzen, um auch künftig die Menschen ihrer Stadt und Region zu erreichen. Ihre Pflicht und Verantwortung liegen in einer möglichst objektiven Information. Hörfunk und Fernsehen, egal ob öffentlich-rechtlich oder privat, werden auch künftig über lokale und regionale Ereignisse informieren, werden ihre Kontrollfunktion ausüben. Onlinezeitungen, auch alternative Onlineangebote, werden, wo vorhanden, die lokale und regionale Informationsvermittlung ergänzen. Die lokale Berichterstattung durch die altbewährte lokale Tageszeitung als Printversion oder als E-Paper wird wegfallen. Die eigene Stadtzeitung, das Amtsblatt oder die eigene Homepage sind allerdings keine staatsfernen Informationen im Sinne einer funktionierenden Demokratie. Sie sind immer, verständlicherweise, nur PR-Instrumente. Gefährlich dann, wenn sie zum Spielball rechts- oder linksextremer Parteien werden.
[1] IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V.)
[2] (Verbrauchs- und Medienanalyse (VuMA); 11/21; veröffentlicht bei Statista; Victoria Pawlik, 12/2022)
[3] BGH vom 14. Juli 2022; Az: I ZR 97/2.
[4] eigene Auswertung Statista, ZDF, TikTok, 2023
Titelfoto: Lupo / pixelio.de
Der Beitrag „Lokalzeitungen vorm Aus…“ ist interessant zeigt aber keinen Ausweg aus der Problematik auf. Eine Änderung/Besserung kann aus meiner Sicht nur herbeigeführt werden durch ein „Medien- und Kommunikationsfach“ in allen Schulen. Das kann helfen. Genau so wichtig wäre auch ein Fach „Ernährung“. Damit sollte man schon in den Kindergärten anfangen.