Im Käfig ist’s kuschelig

Alle rufen nach Entbürokratisierung. Nein, im Würgegriff von Paragrafen, Verordnungen, Vorgaben, Dokumentations- und Berichtspflichten schreien sie vielmehr nach einem Befreiungsschlag. Erste Eckpunkte für ein Bürokratieentlastungsgesetz hat die Ampel in Berlin zwar beschlossen. Bis zu einem spürbaren Auslichtungsschnitt im Vorschriftendschungel wird es aber noch dauern, auch weil die Regierung immer neue Vorschriften ersinnt, die die Handlungsfreiheit des Einzelnen einschränken. Das wird immer wieder von der Opposition gegeißelt, die dabei vor allem die Grünen als „Verbotspartei“ im Fokus haben. 

Der Kampf gegen Verbote und Bürokratie ist zwar populär, steht aber zugleich im Widerspruch zur weit verbreiteten Sehnsucht nach einer alles regelnden Obrigkeit. So sind doch die Bürger selbst schnell mit neuen Verbotsforderungen zur Hand, wenn ihnen etwas nicht passt; die Online-Petitionsplattformen sind voll damit. Und dann scheint der Deutsche gerade in unruhigen, unübersichtlichen Zeiten gerne Untertan zu sein. Gewünscht werden vor allem Verbote, die querbeet auf alles und jeden zielen. Das trifft sich gut mit den bei Politikern beliebten Verbotsforderungen, denn die sind preisgünstig produzierbar und bekommen in der Regel Zustimmung. Ob Grundschulverbot für Kinder mit ungenügenden Deutschkenntnissen oder Kopftuchverbot gegen die Unterdrückung, der Applaus der Massen ist den Initiatoren sicher. 

Klare Ansage … Foto: segovax / pixelio.de

Ungesunde Lebensmittel gehören ebenso untersagt wie das Klonen oder rechts- wie linksradikale Parteien. Auf der Streichliste finden sich auch hochprozentiger Alkohol, das Rauchen oder das Glücksspiel. Wer will es den Menschen verdenken, dass sie ihr Leben in dieser hektischen Welt gut behütet sehen wollen. Der Staat soll es in geregelte Bahnen lenken, Parkverbot und Tempo 30 vor der Haustür inklusive. Und er soll die Einhaltung seiner Vorgaben gefälligst mehr kontrollieren. „Verbieten verboten!“ So hieß es mal in den autoritätskritischen 70er-Jahren, als der in uns wurzelnde Wunsch nach Selbstbestimmung in der Masse zum Ausbruch kam. Das hat sich grundlegend geändert. 

Aber warum nur wollen sich die Menschen heute wieder mehr via Obrigkeit vor sich selbst schützen? Es ist entgegen weitläufiger Meinung in aller Welt doch wohl nicht so, dass den Deutschen der Wunsch nach staatlicher Reglementierung in die Wiege gelegt, die Akzeptanz von Verboten quasi genetisch angelegt wurde. Der Versuch, sich dem Phänomen von der siebten Sohle her zu nähern, bringt kein überzeugendes Resultat: Auto waschen, Tauben füttern, Müll abladen – hier und da oder überhaupt verboten! Hunde dürfen hier nicht rein und dort ihr Geschäft nicht verrichten. Warum darauf unter Androhung von Ordnungsstrafen hingewiesen werden muss, gibt gleichwohl zu denken. Es ist schon ein merkwürdiges Verständnis von bürgerlicher Freiheit, wenn selbst Dinge verboten werden sollen, die man freiwillig unterlassen sollte. 

Klare Ansage? Foto: Joujou / pixelio.de

Offensichtlich herrscht die Meinung vor, dass immer weniger Menschen es schaffen, sich so zu benehmen wie ihr guter Nachbar. Die soll also der Staat zur Räson bringen, indem, er öfter ins Privatleben eingreift. Dabei ist der deutsche Alltag doch schon zur Genüge geregelt – eher bierernst denn mit einem Augenzwinkern. So sind denn Hinweise der lockeren Art wie „Vernünftige fahren hier nicht mit dem Fahrrad, anderen ist es verboten“ äußerst selten. Ähnlich amüsant und kein Witz ist dieser Hinweis einer Wohnungsbaugesellschaft: „Es ist verboten, Personen in Aufzügen zu transportieren, in denen das Transportieren von Personen verboten ist.“ So etwas fand man zumindest früher in den Bundeswehrvorschriften. 

Der Wunsch nach Verboten gründet sich in der Entdeckung von Missständen oder Zumutungen. Denen fühlen sich viele offensichtlich nicht gewachsen, sehen die Lösung für die Befreiung von den Lasten ihrer Mündigkeit im Verbot derselben. Ein dirigistischer Eingriff kann vielen offensichtlich Halt geben in einer immer komplexeren Welt, in der zudem immer mehr traditionelle Werte untergepflügt werden. Mehr Bürger als viele glauben sind unselbstständig und brauchen die Bevormundung, wollen von der Verantwortung für ihr Denken und Handeln befreit sein nach dem Motto:  Im von Vater Staat behüteten Käfig ist’s kuscheliger. 

Dass gewisse Dinge vom Staat reguliert und auch verboten gehören, ist selbstverständlich. Aber warum bloß, wollen viele ihre Freiheit freiwillig eingrenzen? Und warum muss erst hochoffiziell untersagt werden, was mit etwas Verstand einer Selbstbeschränkung zum Opfer fiele? Und ist es nicht merkwürdig, dass der laute Ruf nach Regeln so gar nicht mit der Bereitschaft zu deren Einhaltung korrespondiert? Der Widerstand gegen von außen auferlegte Beschränkungen ist oft irrational. Wie kann es denn sonst sein, dass ein Überqueren der Straße bei roter Ampel oder das Nichteinhalten von Tempolimits von vielen als lässliches Vergehen betrachtet wird? 

Für die Unfreiheit im sich kümmernden Staat muss ein hoher Preis gezahlt werden. Doch selbst eine Übergriffigkeit der Regierung wie während der Corona-Pandemie war kein großes Thema. Der Schriftsteller Werner Bergengruen hatte offenbar vor vielen Jahren recht mit seiner Prognose: „Der künftige Staat wird sich seine Bürger halten und sich um sie kümmern wie um Haustiere – und ich fürchte, sie werden es mögen.“  

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