Die Axt an der Altersversorgung

Wer macht wann den 2004 beschlossenen „Renten-Klau“ rückgängig?

Gebetsmühlenartig wird die Bevölkerung von Politikern jeglicher Couleur regelmäßig zu privater Altersvorsorge animiert. Wer sich im Vertrauen auf stabile politische und ökonomische Rahmenbedingungen darauf eingelassen hat, steht unter Umständen letztlich ziemlich nackt da. So haben Ulla Schmidt (SPD), Horst Seehofer (CSU) und die Grünen auf Vorschlag von Olaf Scholz (SPD) zu Beginn des Jahres 2004 Direktversicherte und Betriebsrentner mit dem rückwirkend gültigen Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) gesetzeskonform enteignet. Die „Bild“-Zeitung brachte es damals mit der Schlagzeile „Renten-Klau“ auf den Punkt. Die Ungerechtigkeit haben SPD, CDU und Grüne zwar erkannt, haben mit dem Kanzler an der Spitze auch eine Korrektur versprochen, allein an der Umsetzung hapert´s.

Rot-Grün unter Kanzler Gerhard Schröder brauchte Anfang der 2000er Geld, um die klammen Krankenkassen zu sanieren und sah – toleriert von CDU/CSU – den einzigen Ausweg in einer extremen Belastung der betrieblichen Altersvorsorge. Durch einen Zusatz im Sozialgesetzbuch ist die Krankenkassenpflicht damals von laufenden Renten auch auf Einmalzahlungen erweitert worden; mit der Folge, dass auch hier Beiträge fällig werden, obwohl diese schon während der Einzahlung zur gesetzlichen Krankenversicherung entrichtet werden müssen (der Versicherte bzw. der Betrieb also doppelt zahlt). Seitdem sabotiert dieses Gesetz das ursprünglich auf Anreize zur Vorsorge ausgerichtete System, zahlen die Betroffenen doch knapp ein Fünftel ihrer Altersvorsorge an ihre Krankenkassen – obwohl diese schon während der Ansparphase bedient wurden. Das frisst die Rendite.

Ein Teil dieser geschätzt etwa 6,3 Millionen Altersvorsorgegeschädigten hat sich im Verband der Direktversicherungsgeschädigten (DVG) organisiert, der seit Jahren und bisher erfolglos ein Ende der sogenannten Doppelverbeitragung fordert, weil das ja einer Enteignung gleichkommt. Die letzte Hoffnung der Betroffenen nach vielen verlorenen Gerichtsverfahren liegt derzeit auf einem Versprechen zur Korrektur von Bundeskanzler Olaf Scholz, ausgerechnet also auf jenem Mann, der diesen rückwirkend geltenden staatlichen Willkürakt einst mit ersann. Es gab damals für bereits seit vielen Jahren bestehende Direktversicherungen keinen Bestandsschutz. Durch das Gesetz wurden im Nachhinein die Rahmenbedingungen für Direktversicherungen zulasten der Versicherten verschlechtert – ein schwerer Vertrauensbruch des Staates gegenüber seinen Bürgern. Denn die hatten beim Abschluss der Direkt-Policen darauf vertraut, dass auf den Auszahlungsbetrag keine Kassenbeiträge fällig werden.

Mit dem seinerzeitigen Maßnahmenpaket habe der Gesetzgeber vorgeblich systemwidrige Ungleichbehandlungen und Umgehungsmöglichkeiten bei der Verbeitragung von Betriebsrenten und Versorgungsbezügen korrigieren bzw. beseitigen wollen, schreibt die Finanzjournalistin und Sachverständige im Bundesausschuss für Gesundheit Barbara Sternberger-Frey. Insgesamt sollten die Maßnahmen dazu führen, dass auch Rentner mit Versorgungsbezügen „in angemessenem Umfang an der Finanzierung der Leistungsaufwendungen für sie“ beteiligt sind, so die Gesetzesbegründung. Zudem sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass die eingeführten Regelungen zu einer „für alle gerechten Belastung“ führen und nur Rentner, die „über Versorgungsbezüge…. als zusätzliche ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit steigernde Einnahmen verfügen“ eine Mehrbelastung im Vergleich zu den bisherigen Regelungen tragen müssen, so Sternberger-Frey.

Die offizielle Begründung kann ihrer Auffassung nach aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Staat seinerzeit ohne Vorwarnung, ohne Übergangs- und Vertrauensschutzregelungen und ohne Rücksichtnahme auf rentennahe Jahrgänge rückwirkend in bereits bestehende Verträge eingegriffen hat. Mit einem Federstrich sei so die Altersvorsorgeplanung vieler Bürger zunichte gemacht worden. Insbesondere Betriebsrentner mit Altverträgen, die in Form einer einmaligen Kapitalabfindung ausgezahlt werden, mussten von einem Tag auf den anderen hinnehmen, dass die Auszahlleistung – allein durch den Eingriff der Sozialversicherungsträger – fast um ein Fünftel gekürzt wurde.

Die Empörung der Betroffenen erscheint daher mehr als verständlich. Denn der Gesetzgeber macht so nicht nur die Planung der Altersvorsorge für seine Bürger zu einem Vabanquespiel. Vor dem Hintergrund des Umbaus im Alterssicherungssystem sind derart gravierende Einschnitte in das Versorgungsniveau auch von sogenannten rentennahen Jahrgängen sozialpolitisch vielmehr geradezu ein Skandal, haben die – anders als jüngere – doch überhaupt keine Möglichkeit mehr, auf derartige Eingriffe zu reagieren und die Verluste eventuell noch auszugleichen.

„Ich bin bestraft worden“

Die wichtigste Paragraphen des GMG sind § 229 und § 248 SGB V. In § 229 heißt es: „Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden, gilt ein Einhundertzwanzigstel (1/120) der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für einhundertzwanzig Monate“.

Mit dem gleichen Streich wurden Direktversicherungen kurzerhand als „Wege der betrieblichen Altersversorgung“ umgetauft, obwohl sie aus eigenen Mitteln der Versicherten finanziert wurden und werden. Das heißt, Direktversicherte zahlen zehn Jahre lang Krankenkassen- und Pflegebeiträge (annähernd 20 Prozent ihrer Altersvorsorge) für Kapitalabfindungen (Einmalzahlung vor Versorgungsbezügen), die vor der Auszahlung vereinbart oder zugesagt worden waren. Damit ist die Kapitalauszahlung der Kapitalabfindung gleichgestellt worden. Der § 248 SGB V regelt die Höhe des Beitrags.

Auch wenn die Doppelverbeitragung von Direktversicherungen nicht verfassungswidrig ist, so sorgt sie doch für Ungerechtigkeiten. Während das Bundesverfassungsgericht nur Grundrechtsverstöße prüft, obliegt es dem Deutschen Bundestag die soziale Gerechtigkeit zu wahren. So stellt sich unter anderem die systemische Frage, warum staatlich geförderten Verträge der betrieblichen Altersvorsorge doppelt mit Beitragszahlungen zur Sozialversicherung belastet werden. Ein anschauliches Beispiel: Herr Müller zahlt nahezu sein gesamtes Berufsleben die Höchstsätze zur Sozialversicherung. Sein Einkommen oberhalb der sogenannten Beitragsbemessungsgrenze ist sozialversicherungsfrei – es sei denn, er investiert einen Teil dieses Geldes in seine Altersvorsorge! Dann wird er nach Auszahlung seiner Versicherung zehn Jahre lang jeden Monat durch Abbuchung des Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrags an das Unrecht erinnert, das ihm da widerfahren ist.

Otto Stanik ist einer der 6,3 Millionen Menschen, deren Betriebsrenten auf diese Weise geschröpft werden. Der ehemalige Produktions-Mechaniker sagte gegenüber „Bild“: „Mir wurde im Jahr 2000 über den Arbeitgeber eine fondsgebundene Rentenversicherung zur Altersabsicherung empfohlen.“ 14 Jahre lang zahlte Stanik exakt 27.216 Euro ein. Es war sein Weihnachtsgeld, auf das er bereits Steuern und AOK-Beiträge entrichtet hatte. 18 Jahre später der Schock! Von der Kapitalzahlung (31 813 Euro) mit ohnehin kümmerlicher Rendite wurden Stanik beim Renteneintritt 4.976 Euro für Kranken- und Pflegeversicherung abgezwackt. Damit rutschte Stanik mit seiner firmengebundenen Altersvorsorge sogar ins Minus! Er bekam 379 Euro weniger raus, als er eingezahlt hatte. Die Geldentwertung durch 18 Jahre Inflation ist da noch nicht mal eingerechnet. Stanik: „Jetzt werde ich dafür bestraft, dass ich den Empfehlungen der Politik gefolgt bin und fürs Alter vorsorgen wollte.“

Klagen abgeschmettert

Es dürfte kaum verwundern, dass die Betroffenen von staatlich betriebenen Versicherungsbetrug sprechen, wenn Sozialabgaben abgepresst werden für eine Geldrückzahlung aus einer Versicherung, für dessen eingezahlte Prämien bereits sämtliche Abgaben entrichtet wurden. Es ist und war Geld, jahrzehntelang zur Altersvorsorge aufgebracht, das nachträglich im Handstreich einkassiert wurde.

Die Folge der 2004 erfolgten Gesetzesänderung sind unwidersprochen eine weitaus geringere Rendite und erhebliche wirtschaftliche Nachteile bei der Betriebsrente.  Wer dagegen klagt, laufe in der Regel gegen eine Wand, heißt es beim Verband der Direktversicherungsgeschädigten (DVG) in Olsberg: „Die Gerichte schmettern die Klagen in allen Instanzen ab und verhängen teilweise sogar “Mutwillgebühren” gegen Direktversicherte, die sich juristisch gegen dieses Unrecht wehren. Hintergrund: Da Klagen am Sozialgericht gebührenfrei sind, gibt es im Sozialrecht das Mittel der Mutwillgebühr, um die Gerichte vor unnötigen Klagen zu schützen. Beitragspflicht aus der Direktversicherung oder aus Versorgungsbezügen wurde sowohl vom Bundessozialgericht wie auch vom Bundesverfassungsgericht als rechtmäßig bestätigt, obwohl eine weitere Ungerechtigkeit hinzukommt: Die Krankenkassen-Abzüge auf die Versicherungsprämie belaufen sich auf zirka 20 Prozent, weil die Rentner zum Arbeitnehmer- auch noch den Arbeitgeberanteil schultern müssen.

Wie argumentieren die Gerichte? Sie verweisen darauf, dass das Sozialversicherungsrecht – und damit auch das hier konkret angesprochene Beitragsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung – einen Grundsatz der Vermeidung von „Doppelverbeitragungen“ nicht kennt. Der dem Steuerrecht entlehnte Grundsatz sei demnach nicht auf das Beitragsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung übertragbar. Ein Versorgungsbezug im Sinne des § 229 SGB V löse in der Krankenversicherung Beitragspflichten bemessen nach dem Zahlbetrag der Leistung aus, und dies unabhängig von der Frage, in welcher Weise dieser Versorgungsbezug finanziert wurde. Das Bundessozialgericht hat in diesem Sinne wiederholt entsprechend geurteilt (vgl. u. a. BSG vom 21.09.2005 – B 12 KR 12/04 R – mit Hinweis auf weitere Urteile).

Die Regelungen zur Heranziehung sowohl von gesetzlichen Renten als auch von der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge) zur Beitragspflicht beruhen insgesamt auf einem Begriff der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der grundsätzlich allein auf die aktuell zufließenden Einkünfte abstellt, heißt es weiter. So seien auch auf alle Rentenzahlungen der gesetzlichen Rentenversicherung Krankenversicherungsbeiträge zu entrichten (§ 237 Satz 1 Nr. 1 SGB V), unabhängig davon, ob und inwieweit die Rentenanwartschaften auf Einzahlungen beruhen, die aus bereits mit Krankenversicherungsbeiträgen belasteten Einkommen geleistet wurden. Der Ansatz, zur Erfassung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei versicherungspflichtigen Rentnern an die jeweils aktuell zufließenden Einkünfte anzuknüpfen, stehe im Einklang mit den Strukturprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung. Insoweit sei es unerheblich, aus welchen Einnahmen vor dem Renteneintritt Beiträge gezahlt wurden. Denn im umlagefinanzierten System der gesetzlichen Krankenversicherung gebe es keinen Transfer von beitragsrechtlichen Positionen in die Zukunft (vgl. BSG vom 10.05.2006 – B 12 KR 5/05 R -).

Diese Feststellungen hat das Bundessozialgericht dahingehend ergänzt, dass ein Grundsatz, demzufolge selbstfinanzierte Versorgungsbezüge der Beitragspflicht überhaupt nicht oder jedenfalls nicht mit dem vollen Beitragssatz unterworfen werden dürfen, im Beitragsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht existiert; insbesondere ist darüber hinaus nicht danach zu unterscheiden, ob auf die eingesetzten finanziellen Beiträge bereits Krankenversicherungsbeiträge erhoben wurden (vgl. BSG vom 25.04.2007 – B 12 KR 25/05 R -).

Gerhard Klußmeier vom DVG stellt nach Jahren seines persönlichen Rechtsstreits vor sämtlichen zuständigen Gerichten eine berechtigte Frage: „Wenn denn Einmalzahlungen aus privat finanzierten Lebensversicherungen zusätzliches und mit Sozialbeiträgen zu belastende Zusatzeinkommen sind, wie es die Krankenkassen und die ihnen hörigen Sozialgerichte behaupten, weshalb erhebt denn das Finanzamt auf diese Einkommen keine Steuer? Wahrscheinlich deshalb nicht, weil die Finanzämter dafür keinen Passus aus dem Gesetz für sich auslegen lassen können. Denn: Einmalzahlungen aus Lebensversicherungen sind genau so wenig Zusatzeinkommen wie Auszahlungen aus mit Banken oder Sparkassen vereinbarten Sparverträgen.“

Trotz der höchst richterlichen Entscheidungen wird eben diese Rechtsprechung von den Versicherten als schweres Unrecht empfunden. Wenn mit Hinweis auf die Rente die Doppelverbeitragung der Direktversicherungen und Versorgungsbezüge gerechtfertigt wird, so besteht nach ihrer Auffassung doch zumindest Korrekturbedarf auf der Ebene der Beitragshöhe. Hierbei stehen sie im Einklang mit dem Sozialverband Deutschland (SoVD), der in einer Anhörung die Beseitigung dieses „Sonderopfers“ verlangt hat. Der Verband bemüht dazu einen Vergleich mit der gesetzlichen Rentenversicherung, die gemäß § 249a Satz 1 SGB V trägt bei der Rente die Hälfte des allgemeinen Krankenkassenbeitragssatzes trägt.

Eine solche Entlastung findet für die gesetzlich krankenversicherten Empfänger von Versorgungsbezügen nicht statt. Letztere haben vielmehr seit dem 1.1.2004 die Beiträge aus den Versorgungsbezügen in Höhe des allgemeinen Beitragssatzes im vollem Umfang allein zu tragen, bis dahin war es die Hälfte. Seit der Gesetzesänderung haben sie nunmehr in der Leistungsphase deutlich höhere Beiträge als vergleichbare Versicherte zu zahlen. Ihnen sei ein beitragsrechtliches „Sonderopfer“ auferlegt worden, das auch nicht durch die Beitragsfreiheit bis zu vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der Ansparphase kompensiert werde, so der SoVD. Aus dessen Sicht lässt sich die Beseitigung des nach wie vor bestehenden Missstandes durch die Rückkehr zur hälftigen Beitragspflicht aus den Versorgungsbezügen erreichen. Schließlich sollte die gesetzliche Krankenversicherung einheitlich und solidarisch finanziert werden. 

Da Klagen wegen der aufgeführten Besonderheiten im Sozialversicherungsrecht offensichtlich nur geringe Aussicht auf Erfolg haben, arbeitet der DVG primär an einer politischen Lösung. Er erinnert Politiker und Parteien immer wieder an den auch dort gesehenen Handlungsbedarf, geht mit seinen Mitgliedern auf die Straße (zuletzt im September beim Protestmarsch in Wiesbaden, die Red.) und organisieren Info-Veranstaltungen, um die breite Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren.

Was die Parteien sagen

Im Wesentlichen ruhen die Hoffnungen des DVG auf der SPD und auf Bundeskanzler Olaf Scholz. So hat dessen Partei in ihrem Wahlprogramm versprochen, die Doppelverbeitragung zu stoppen. Und vor der Bundestagswahl im September 2021 versprach der damalige Kandidat Scholz beim Wahlkampf in Münster: „Wir wollen das ändern – und darauf können Sie sich verlassen.“  Das wiederholte er in Amt und Würden noch einmal im September 2022 in Essen während einer Veranstaltung der Reihe „Kanzlergespräch“. Aber: Aus der letzten schriftlichen Antwort aus dem Kanzleramt auf eine DVG-Nachfrage geht nach Verbandsangaben hervor, dass es in dieser Legislaturperiode mit der von Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigten „fiskalischen Lösung“ doch nichts mehr werden wird.

Man hat wohl kein Geld dafür. Denn auf Anfrage räumt auch die SPD ein, dass sie zu viel versprochen hat. „Wie Sie sicherlich wissen, müssen wir aktuell aber ein strukturelles Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung bekämpfen. Unser vorrangiges Ziel ist dabei die Vermeidung von Leistungskürzungen im Interesse aller Versicherten. Zu unserem Bedauern können wir Ihnen daher weitergehende Erleichterungen bei den Beitragszahlungen noch in dieser Wahlperiode momentan nicht in Aussicht stellen. Die weitere Entwicklung der Wirtschaft und Beschäftigung in Deutschland bleibt abzuwarten.”  Es sei bei den Koalitionsverhandlungen für die Ampel nicht gelungen, die doppelten Kassenbeiträge abzuschaffen. Ein Sprecher: „Wir suchen nach neuen Spielräumen für eine Reform des Beitragsrechts.“ Die Einlassung, dass es derzeit der gesetzlichen Krankenkassen an liquiden Mitteln fehlt und die Zeit für den Stopp aktuell ungeeignet sei, grenzt an eine Verhöhnung der Beitragszahler. Die konnten sich auch nicht aussuchen, ob sie bezahlen oder nicht – ihnen wurde das Geld einfach abgezogen.

Auch die CDU stimmt grundsätzlich den DVG-Forderungen zu. So wurde auf dem Parteitag 2018 in Hamburg “einstimmig beschlossen”, die Doppelverbeitragung (DV) wieder abzuschaffen. Weil der Parteivorstand sich ein Jahr lang nicht gekümmert hat, wurde der Vorstand auf dem CDU-Parteitag 2019 in Leipzig erneut „einstimmig“ aufgefordert, die Beschlüsse zur Direktversicherung aus 2018 endlich “umzusetzen”. Im April 2019 hat der Bundesrat eine Gesetzesinitiative der bayrischen Staatsregierung zur Abänderung der Direktversicherung per einstimmigen Beschluss an den Bundestag zur Ausarbeitung einer Gesetzesänderung weitergeleitet. Der CDU-Parteivorstand und die damalige GroKo unter Angela Merkel und Olaf Scholz haben diese Beschlüsse ganz einfach ignoriert. Und dennoch wurde nicht nichts gemacht. So hat die schwarz-rote Koalition zum 1. Januar 2020 einen Freibetrag von 169,75 Euro eingeführt. Erst ab diesem Betrag werden Direktversicherungen und Betriebsrenten voll beitragspflichtig.

Die Grünen sehen in dieser Lösung der Vorgängerregierung „zumindest eine teilweise Entlastung“, kritisieren aber, dass diese Entlastung ausschließlich von den Versicherten der gesetzlichen Kassen aufgebracht wird. „Uns ist bewusst, dass diese Lösung immer noch von denjenigen als ungerecht empfunden wird, die vor 2004 einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen und diesen aus ihrem Nettoeinkommen finanziert haben. Das Problem ist, dass die Verträge, in die vor 2004 aus dem Nettolohn eingezahlt wurde, nicht von denjenigen Verträgen getrennt werden können, in die Beiträge aus dem Bruttolohn eingezahlt wurden, da die Versicherungen über keine geeignete Datengrundlage verfügen. Deshalb hat sich die Grüne Bundestagsfraktion bereits im Vorfeld des Gesetzesentwurfs für die Freibetragslösung eingesetzt, die im Jahr 2020 in Kraft trat.
Uns ist bewusst, dass diese „kleine Lösung“ insbesondere für diejenigen, die vor 2004 eine Direktversicherung „aus eigener Tasche“ finanziert haben, eine nicht vollständig befriedigende Lösung darstellen mag. Gleiches gilt für Menschen, die sich mit dem Eintritt in den Ruhestand ihre Betriebsrente auf einen Schlag auszahlen lassen“, so Barbara Fuchs, bayerische Landtagsabgeordnete der Grünen und Mitglied im Ausschuss für Staatshaushalt und Finanzfragen.

Die Kosten

Weil angeblich die Finanzen einer Gesetzeskorrektur entgegenstehen, hat sich der DVG nach eigenen Angaben „zur Herstellung zweifelsfreier Fakten“ die unabhängige Finanzjournalistin
Frau Barbara Sternberger-Frey mit der Aktualisierung Ihres alten Gutachtens aus dem
Jahr 2019 beauftragt. Nach den Daten per Jahresende 2023 beläuft sich der jährliche Einnahmeausfall bei Abschaffung der Doppel- und Mehrfachverbeitragung auf maximal 111 Millionen Euro. Das ließe sich bei etwas gutem Willen sicher verkraften angesichts eines geschätzten Budgets der Krankenkassen von 315 Milliarden Euro in 2024. Und selbst kumuliert sind die Zahlen nicht furchteinflößend, läge die Gesamtschadenssumme für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge aus Direktversicherungen seit 2004 beträgt insgesamt bei maximal 12,3 Milliarden Euro.

Soll das Vertrauen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in die betriebliche Altersversorgung gestärkt beziehungsweise wieder zurückgewonnen werden, muss eine Gleichbehandlung aller Formen der betrieblichen Altersversorgung im Sozialversicherungsrecht gewährleistet sein. Die ist derzeit nicht gegeben. Vielmehr bestehen unzählige sozialversicherungsrechtliche Stolperfallen, die die betriebliche Altersversorgung für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber gleichermaßen unattraktiv machen.

Um eine echte Gleichbehandlung aller Betriebsrenten zu erreichen, ist allerdings eine umfassende Reform notwendig. Denn dieses Ziel lässt sich nur erreichen, wenn die Sozialabgabenfreiheit bei Entgeltumwandlung wieder abgeschafft wird, so dass Beiträge nur in der Ansparphase belastet werden und die Leistungen im Rentenbezug beitragsfrei bleiben. Dieses Regelung ist aber nur für betriebliche Riester-Renten umgesetzt worden. Fragt sich nur: Warum?


Titelbild: Mit einem Federstrich hat der Staat die Altersversorgung vieler Bürger zunichte gemacht. Foto: Alexas / Pixabay

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