Die traditionellen Parteien sind in heller Aufregung: Wie nur lässt sich der anhaltende Erfolg der ultrarechten AfD bei den Umfragen erklären, wie sieht ein Gegensteuern aus? Vor allem bei den Sozialdemokraten liegen die Nerven blank, seit sie fürchten müssen in der Parteien-Rangliste eben hinter der AfD auf den dritten Platz abzurutschen. Aber auch Grüne und FDP in der Regierung, wie Union und Linke in der Opposition beunruhigt die hohe Zustimmung für die Alternativen am rechten Rand.
Die Partei scheint plötzlich für Menschen wählbar, die sich vorher dafür geschämt hätten. Sie stört es offenbar wenig, wenn – ganz aktuell – Thüringens AfD-Landesvorsitzender und einflussreicher rechtsextremistischer Stichwortgeber der Partei Björn Höcke anlässlich des 70. Jahrestags des Volksaufstandes in der DDR mit Hinweis auf die Corona-Politik die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik in Zweifel zieht: „Deshalb muss man eben feststellen, dass die Bundesrepublik Deutschland kein voll entwickelter Rechtsstaat mehr ist, sondern ein Gesinnungsstaat.“ Demokratie, Rechtsstaat und Freiheit seien „so bedroht wie noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Wir müssen auf der Hut sein, wir müssen wachsam sein – auch das ist die Botschaft der Helden von 1953.“ Höcke will ausgerechnet das Gedenken an den Volksaufstand gegen ein autoritäres Regime für seine Partei erobern, obwohl in deren Ideologie ein autoritäres Staatsverständnis angelegt ist.
Hetze gegen „DDR 2.0“
Das ist die schon bekannte perfide Strategie der AfD, will sie doch davon ablenken, dass sie die eigentliche Bedrohung der Demokratie ist. Obwohl das auf der Hand liegt, scheint dies nicht allzu viele zu stören. Vor allem im Osten der Republik, wo man es eigentlich besser wissen sollte, lässt sich die Bevölkerung aufhetzen. Für die Rechtspopulisten ist das SED-Regime von damals die Bundesregierung von heute – und die Berliner Republik eine „DDR 2.0“. Fraktionschefin Alice Weidel bezeichnet Wirtschaftsminister Habeck und sein Heizungsgesetz als „Heizungs-Stasi“, und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vergleicht die Fraktion mit der „DDR-Nomenklatura“.
Das Umfragehoch der AfD irritiert vor allem, weil es in der Wahrnehmung der Bevölkerung keine politischen Kontrollverluste á la 2015 gibt und die Alternativen bei keinem der toxischen Krisenthemen Inflation, Flüchtlinge und Klima so richtig auf die Pauke gehauen haben. Allein die Union setzt aufs kollektive Gedächtnis mit Bildern von langen Flüchtlingsschlangen und schlägt der Regierung in schöner Regelmäßigkeit und öffentlichkeitswirksam Versagen beim Krisenmanagement und kleinteilige Klientelpolitik um die Ohren.
Die AfD stichelt hier und da, hält aber im Vergleich zu früheren Zeiten lieber die Füße still, vermeidet so, potenzielle Sympathisanten über ihre Überzeugungswähler hinaus mit allzu dummdreisten Statements abzuschrecken. Das gelingt ihr auch deshalb, weil die Regierung sich nicht einig ist, keine überzeugenden Problemlösungen präsentiert und damit Verunsicherung schürt. Wer meint, das liege vor allem an einer miserablen Kommunikation, der greift wieder mal nach dem letzten Rettungsanker, um nicht zugeben zu müssen, dass die Regierung zumindest bei der Migrationspolitik oder der Umsetzung der Energiewende an einer sehr deutlichen Mehrheit der Bevölkerung vorbei agiert. Die FDP liegt dazwischen, wird von den einen als Bremser und den anderen als Korrektiv gesehen.
Das ist die Mischung, die die AfD als Immer-dagegen-Partei nach Auffassung von Politikwissenschaftler Karl-Rudolf-Korte enttäuschte Wähler der anderen Parteien aus „Misstrauensgemeinschaften“ einsammeln lässt. Neu sei „eine Uneinigkeit in der Regierung, wie es das vorher nicht gab – zumal über private Details: die Klimakrise im eigenen Heizungskeller“, sagt Korte gegenüber der „Zeit“. Nur zehn Prozent aller Wähler seien harte, auch ideologisch gefestigte Protestwähler. Der Rest wähle die AfD aus Angst.
Da ist sie wieder, die „German Angst“. Die deutsche Debatte ist angesichts von Inflation, Rezession und Warnungen vor Deindustrialisierung vor allem geprägt von Verlustängsten. Allerorten herrscht Mangel, bei Arzneien, Facharbeitern, Energie, Wasser etc. Vor allem aber mangelt es an Mut, weil die politische Riege wenig Mut macht und die ökonomische Elite sich in Verzagtheit ergeht. Wenige Ausnahmen bestätigen die Regel.
Alltagssorgen versus Klimawende
Auch die AfD macht nicht gerade Mut. Sie profitiert auch von der Angst, die ja durchaus eine Grundlage hat, weil in nahezu allen Lebensbereichen ein Versagen des Staates zu registrieren ist. Stichworte: Sanierungsstau im öffentlichen Raum, Wohnungsbau, Bildung, Gesundheitswesen, Altenpflege, Überforderung der Justiz, Lieferkettenprobleme. Alle diese Themen werden vom Kampf gegen die Klimawandel überlagert, sie sind den Wählerinnen und Wählern aber immer noch näher als die Rettung des Weltklimas. Das hat selbstverständlich alle Aufmerksamkeit verdient, gleichwohl gehört vorrangig die Abwärtsspirale gestoppt, auf der sich diese Gesellschaft befindet. Viel zu viele Alltagssituationen lassen die Zukunft dunkel erscheinen. Die AfD kann da wohl kaum für Lichtblicke sorgen. Wer regieren und etwas verändern will muss Lösungen anbieten. Die Abschaffung von Gesetzen als Programm gegen die etablierten Parteien, sind keine Lösungen, sondern ein simples Versprechen, dass man sich quasi per Federstrich in die gute alte Zeit zurückbefördern kann. Dieses Versprechen, bei der AfD mit der Zeile „Deutschland. Aber normal.“ überschrieben, zerschellt spätestens an der Realität.
Alle, die vermeintlich aus Angst oder Protest gegen ein schlecht funktionierendes Gemeinwesen eine Partei wie die AfD wählen wollen, sind entweder auf einem Auge blind, was die Folgen ihrer Wahl betrifft, oder sie geben nur vor, aus Protest zu wählen, haben aber überhaupt kein Problem mit den Parolen, dem Programm und der Verrohung, für die diese Partei steht, was ja nicht außer Kraft gesetzt wird, nur weil ihre Funktionsträger jetzt disziplinierter auftreten und sich nicht mit ekelhaften Forderungen als dummdreiste Rechtsaußen outen.
Die AfD hat in ihrer Gefährlichkeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung mittlerweile einen Grad erreicht, sodass sie gemäß Artikel 21 Grundgesetz (GG) durch das Bundesverfassungsgericht verboten werden könnte.
Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte
Protest an der Wahlurne kann doch nicht heißen, eine offen demokratiefeindliche und rechtsnationale Partei zu wählen; das ist entweder grob fahrlässig oder gewünscht. So ehrlich sollte die Diskussion geführt werden. Alles andere ist Augenwischerei. Nur aus Frust oder Verlustängsten die AfD zu wählen, befreit niemanden von der Verantwortung für die Folgen, die man damit übernimmt. Diese Zusammenhänge müssen die ob der jüngsten AfD-Umfrageerfolge ratlosen Parteien bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufzeigen.
Das Institut für Menschenrechte hat dazu gerade eine ähnlich lautende Empfehlung gegeben. In dessen Analyse mit dem Titel „Warum die AfD verboten werden könnte, Empfehlungen an Staat und Politik“ heißt es: „Es ist von elementarer Bedeutung für die Verteidigung der unabdingbaren Grundlagen der Menschenrechte und damit der freiheitlich demokratischen Grundordnung, dass das Bewusstsein für die Gefahr, die von der AfD ausgeht, sowohl gesamtgesellschaftlich als auch auf staatlicher Seite zunimmt und staatliche und politische Akteure entsprechend handeln.“ Dieser Gefahr könne nur effektiv begegnet werden, „wenn sich die anderen Parteien auf der Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen unmissverständlich von der AfD abgrenzen“.
Völlig unsinnig ist es, sich wie CDU-Chef Friedrich Merz an gegenderten Nachrichtensendungen abzuarbeiten. Ansonsten gilt in Sachen bei der CDU auch nach dem Kleinen Parteitag in Berlin: Die Brandmauer zur AfD steht, mehr Strategie ist nicht, zumal es Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günthers (CDU) Geheimnis bleibt, welche Angebote seine Partei „den Leuten“ machen soll. Das ist wenig für eine Partei, deren Vorsitzender mit dem Versprechen angetreten war, die AfD zu halbieren.
In der SPD verfestigt sich unterdessen die Meinung, aufgrund der verheerenden Außenwirkung der Arbeit in der Ampel müsse man regierungsseits endlich „ehrlich kommunizieren“. Grünen-Chefin Ricarda Lang bläst ins gleiche Horn: „Da müssen wir uns auch als Ampel selbst an die eigene Nase fassen“. Man müsse mehr über Lösungen sprechen und weniger über den Streit miteinander.
Anbiederung an den „Volkswillen“
Den hat vor allem die FDP rund ums Heizungsgesetz zu verantworten. Mit ihrer Vertrauen vernichtenden Kampagne gegen den zunächst mit beschlossenen Entwurf haben die Liberalen den Höhenflug der AfD mit zu verantworten. Das weisen diese zwar entschieden zurück. Wer sich jedoch wie ihr Bundestagsmitglied Frank Schäffler der Ausdrucksweise der Rechtsaußen bedient, indem der Heizungsgesetzentwurf als „Atombombe für dieses Land“ und das Vorgehen der Grünen als „Erziehungsdiktatur“ deklariert, hat sich entschieden, der AfD auf ihren Feldern ab und an nach dem Mund zu reden.
Auch dieses Anbiedern an das AfD-Wählerklientel macht Angst, zumal auch in Bayern wieder einmal versucht wurde, die „Alternativen“ mit dem Kopieren intellektuellen Schwachsinns rechts zu überholen. Bei einer Demonstration gegen den vom Boulevard gehypten „Heizungs-Hammer“ verstieg sich Bayerns Vizeministerpräsident und Vorsitzende der Freien Wähler Hubert Aiwanger dieser Tage zur Aufforderung: „Jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss (…).“ Das Schlimme ist, der Satz ist Aiwanger nicht mal eben so rausgerutscht. Die Anleihe beim früheren AfD-Hetzer Alexander Gauland ist aus purer Verzweiflung wohl kalkuliert! Es ist der vor allem bei den Stammtischverstehern in Bayern immer wieder zu beobachtende Versuch, über das wider besseren Wissens verfolgte Plagieren der vom Umfrage-Champion gesetzten Themen entlang des „Volkswillens“ in die Erfolgsspur zu kommen. Erbärmlich!
Ein ausgezeichneter Artikel. Kommt auf den Punkt. Merci!
Mein lieber Frank,
Deinen letzten Absatz kann ich nicht so ganz unwidersprochen stehen lassen. Der FDP kann ich vorwerfen, dass sie den Gesetzentwurf überhaupt ins Parlament durchgelassen hat. Was ich aber für bedenklicher halte, ist die Tatsache, dass der Bundestag jetzt über ein Gesetz berät, das überhaupt nicht ausformuliert ist. Über was diskutieren die eigentlich.
Es kann m.E. auch nicht sein, dass man nichts sagen darf, was irgendwann mal ein AfDler geäußert hat. Damit verbietest Du einiges mit dem CDU/CSU und FW auch berechtigterweise argumentieren könnten und auch sollten (meine Meinung).
Was hältst Du eigentlich von dem Post eines grünen, bayrischen MdLs, dass dort ein rechtsradikaler Mob demonstriert hätte, wo Hubsi seine Äußerung tätigte.
Es gibt übrigens ein große bis sehr große schweigende Mehrheit in der Bevölkerung, die gegen da GEG und gegen das Gendern ist.
Zu Deiner Beruhigung: ich werde nicht AfD wählen.
Gruß
Ebbi