Weitgehend unbemerkt wächst in Offenbach ein Risiko für Lebensqualität und Zukunft. Die Auswirkungen des Baus des Frankfurter Fernbahntunnels auf die Nachbarstadt stehen denen der Landebahn Nord kaum nach. Strukturen auch in Offenbach könnten sich mit der Einweihung des Baus langfristig und grundlegend verändern. Wie wird Offenbach in den schnellen Schienenverkehr der Region eingebunden oder wird der Hauptbahnhof endgültig zur Provinzposse? Neben drei Einflugschneisen und zwei Durchgangsstraßen noch mehr Lärm bei Tag und Nacht in Wohngebieten? Wie kann eine Verkehrswende gelingen, die Pendlern ein schnelles Umsteigen zwischen Bahn und Bus ermöglicht? Kann Offenbach durch einen kurzen Zugang zum neuen Tunnelbahnhof in Frankfurt vom künftigen Drehkreuz profitieren? Die vorliegenden Planungen lassen befürchten: Offenbach wird ähnlich wie für den Flughafen und als Eingangstor für den PKW-Verkehr die Lasten der wirtschaftlichen Prosperität der Region stemmen, ohne adäquat vom Nutzen zu profitieren. #bloghaus.eu hat die Bahn, den Bundesverkehrsminister, den Hessischen Verkehrsminister Tarek Al-Wazir, den Rhein Main Verkehrsverbund (RMV) und das Verkehrsdezernat des Stadt Offenbach zur Zukunft des Offenbacher Hauptbahnhofs befragt. Die Antworten gaben in allen Fällen die jeweiligen Pressestellen.
Kein Zug nach Nirgendwo
Ausgerechnet der Wahlkreis, den Verkehrsminister Tarek Al-Wazir für die Grünen eroberte; ausgerechnet die Stadt, in der die Ökopartei seit ewigen Zeiten mitregiert und das Verkehrsdezernat verantwortet. Ausgerechnet Offenbach mit seinen 143.000 Einwohnern zählt zu den drei größten Städten dieser Republik ohne ICE-Anschluss. Leverkusen und Neuss die beiden Mitbewerber im Kampf um den Titel „OF – Ohne Fernzug“ sind immerhin im dichten Takt in das schnelle Regionalbahnnetz von Nordrhein-Westfalen eingebunden. Eine Qualität, die der Fahrgast im Offenbacher Hauptbahnhof schmerzlich vermisst. Einmal pro Stunde per Regionalexpress nach Fulda, ab und zu nach Würzburg und als Zugabe zwei Duzend Bummelbahnen im Stolpertakt. Drei Zügen im kurzen Abstand Richtung Frankfurt folgen vierzig lange Minuten der Warterei. Eine Stadt in der Kategorie „Oberzentrum“ ist auf wenige schnelle Verbindungen reduziert.
Spötter vermuten im Vorbeirauschen der windschnittigen Triebwagen einen Gnadenakt der Bahn. Sie wolle den Ankömmlingen das trostlose Bild der einst prächtigen Halle ersparen. Seit über fünfzig Jahren überbrückt die Heimatzeitung das Sommerloch mit Geschichten über Graffitibeschmierte Wände, verklebte Bodenbeläge, Uringestank, abgerissene Fahrpläne und zerstörte Vitrinen. Kiosk und Zeitungsladen flohen längst aus dem ungastlichen Bau.
Bahnvorstände suchen dagegen die Schuld für den Niedergang bei der 1995 eingeweihten S-Bahn. Sie verläuft im Norden in 800 Metern Entfernung unter der Innenstadt und befördert Pendler und Kunden Richtung Frankfurt. Mit der Entscheidung für die City Trasse habe die Stadt, so ein Sprecher des Transportunternehmens schon 1989 in der „Offenbach-Post“, selbst gegen die Fernzughalte votiert. Eine etwas verquere Logik. Richtig ist: Mit der S-Bahn-Führung abseits des Hauptbahnhofs gingen die Umsteigemöglichkeiten zwischen dem Fern- und dem Regionalverkehr verloren. Davon auch betroffen: Rund 180.000 Menschen aus den benachbarten Kreisgemeinden.
Unterlassene Investitionen in der Zeit eines börsenfixierten Vorstandschefs Hartmut Mehdorn haben sicher beigetragen, Offenbach von seinem Hauptbahnhof zu entfremden. Aber die eigentlichen Ursachen für den Bedeutungsverlust scheinen tiefer zu liegen. Sie sind symptomatisch für die bundesdeutsche Verkehrspolitik. Priorität bei der Bahn haben Hochgeschwindigkeitsstrecken. Die Zentren gewinnen so an Attraktivität und boomen. Im Schatten leben die Verlierer. Hier der Wunsch nach raschen Verbindungen mit wenigen Halten, dort Städte, die abgehängt werden. Nun droht der Bau des Frankfurter Fernbahntunnels die Probleme für Offenbach zu verschärfen.
Vom Verkehrsknoten zur Provinz
2003 klassifizierte die Bahn alle ihre Stationen in elf Stufen. Offenbach, so die Lokalzeitung am 7. Januar 2003, erreichte Kategorie acht, also etwa das Niveau von Wanne-Eickel-Ost. Noch in der 1980er Jahren konnten die Offenbacher täglich mit 25 D- und 40 Eilzügen vom Hauptbahnhof beispielsweise direkt nach Kiel und Konstanz fahren. Eine Reise nach Dortmund und Passau war ohne Umsteigen möglich. Damals existierten noch Fahrkartenschalter in dem denkmalwürdigen Bau an der Kaiserstraße. Die blau uniformierten Beamten drinnen warben mit 14 Telefonnummern für den Kundenservice vor Ort. Als die Bahn vor drei Jahrzehnten ihre Schnellzüge durch Intercitys ersetze, strich sie die Fernverkehrshalte in Offenbach und begann, den Regionalverkehr auszudünnen. Fast mit jedem Fahrplanwechsel hielten weniger Eilzüge. Bahnsprecher begründeten die Einschränkungen in den Medien offen mit mangelnden Kapazitäten. Jeder Halt eines Regionalzuges koste wertvolle Minuten in denen die Trasse für einen ICE blockiert ist.
Ein letztes Aufbäumen
Nach dem Bau der S-Bahn erlebte der Offenbacher Hauptbahnhof eine letzte Scheinblüte. Die Stadt hatte mit der Bahn parallel ein Paket zu seiner Aufwertung ausgehandelt. Das Angebot verbesserte sich spürbar. Offenbach war für sieben Jahre in das nationale ICE und Interregio-Netz eingebunden. Der Regionalexpress kompensierte einst gestrichene Eilzughalte. Mit dem Ende des Interregio nahm die Deutsche Bahn alle Verbesserungen zurück. Begründung: zu geringe Nutzung. Auch das Versprechen einer Generalüberholung des Gebäudes an Dach und Fach cancelte das soeben aus dem Staatsdienst entlassene Unternehmen bald. Vergebens wartet Offenbach seitdem auf Basics wie Aufzüge und Toiletten. Seifenblasen auch der angekündigte italienische Stardesigner, der der Station ein neues Gesicht geben oder die jungen Trainees, die hier einen Ausbildungsbahnhof managen sollten.
Die ganze Stadt wehrte sich ein letztes Mal. IHK, Gewerkschaften, Gastronomen verschickten Protestnoten. Immerhin leben im direkten Umkreis der Station über 30.000 Menschen. Vergeblich. Pro Bahn zählte an sieben Tagen der Woche doppelt so viele Fahrgäste wie von den Bahnmanagern behauptet. Es folgten Jahre des Abstiegs zu einer Provinzhaltestelle. Quasi mit jedem neuen Intercity zwischen Frankfurt und Hanau strich die Bahn eine Regionalverbindung in Offenbach. Die Hälfte der schnellen Regionalzüge aus Würzburg und Aschaffenburg hielt nicht mehr hier sondern umfuhr die Stadt über Frankfurt Ost.
Mitte der 1990er Jahre war Offenbach auch an eine Südosttangente angebunden. Auch diese schnelle Verbindung zum Flughafen wurde zugunsten einer nordmainischen Trassenführung geopfert. Gegen diese Abbestellungen durch den Rhein-Main Verkehrsverbund (RMV) gab es noch nicht einmal mehr Proteste aus Offenbach in dessen Aufsichtsrat. Mitglied dort ist der Verkehrsdezernent, fast immer von den Grünen vorgeschlagen. Die Stadt verliebte sich stattdessen in die Idee, den Hauptbahnhof in ein Stadtteilzentrum umzuwandeln. Die verkehrliche Bedeutung der Station besonders für Pendler geriet aus dem Blickwinkel.
Warten auf Godot
Auf die Frage nach Plänen zur besseren verkehrlichen Anbindung des Offenbacher Hauptbahnhofs, eine durchaus wichtige Weichenstellung, formulierte das Amt für Öffentlichkeitsarbeit der Stadt in Vertretung der zuständigen grünen Verkehrsdezernentin Sabine Groß: „Zu den verschiedenen Fragen können wir derzeit keine Informationen liefern“. Das solle, so die schriftliche Antwort, demnächst jemand hauptamtlich in Vollzeit tun. Man habe deshalb eine Stelle ausgeschrieben. Für Fragen in dieser Detailtiefe empfiehlt die Stadt, sich an den RMV direkt zu wenden. Sobald die neue Stelle besetzt sei, könne man „in Zukunft sicher detailliert Auskunft geben“.
Im aktuellen Nahverkehrsplan fehlen gute Ideen, das lokale Angebot eng mit dem schnellen Regionalverkehr zu verknüpfen, um das Fahrgastpotential zu erweitern. Eine Voraussetzung, um mit der Bahn über eine Verbesserung des Zugangebots zu verhandeln. Selbst Zahlen zur Nutzung des Offenbacher Hauptbahnhofs kann die Stadt nicht liefern, obwohl für diesen zentralen Ort solche Daten Grundlage für den Nahverkehrsplan sein sollten. Bei der Offenbacher Busgesellschaft NIO / OVB gebe es umfangreiche Fahrgastzählungen, so die Stadt, „allerdings nicht am Hauptbahnhof, weil hier die Bahn zuständig ist“.
Wenig Hoffnung auf mehr Halte in den kommenden Jahren macht der Rhein Main Verkehrsverbund. Er vertröstet auf die Zeit nach der Fertigstellung des Fernbahntunnels. Eine Erweiterung oder Verbesserung des Fahrplanangebots , so ein Sprecher, sei mit dem heutigen überlasteten Schienennetz ausgeschlossen. Bis zur Fertigstellung des Fernbahntunnels entspreche „der heutige Fahrplan – mit teilweise aufgrund der Überlastung des Schienennetzes in Frankfurt Süd endenden Zügen, Verspätungsanfälligkeit …..- über mindestens eine weitere Generation dem Künftigen“. Es bleibt also bis zum Jahr 2040 so miserabel wie es heute schon ist. Selbst der vom RMV versprochene Hessenexpress wird frühstens Mitte dieses Jahrhunderts in Offenbach halten, wenn -so der Hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir in einer Antwort an die Landtagsabgeordnete Nadine Gersberg (SPD)- der Korridor Frankfurt-Fulda-Gerstungen endgültig ausgebaut ist.
Immerhin macht der Hessische Verkehrsminister Hoffnung auf eine Verbesserung der baulichen Zustände im Offenbacher Hauptbahnhof. Die Vorplanung für eine Sanierung sei beendet, die Finanzierung gesichert, im zweiten Halbjahr 2024 solle das Genehmigungsverfahren eingeleitet werden.
Fernbahntunnel: Erster Entwurf
Am 6. November 2018 nahm das Bundesverkehrsministerium überraschend den Bau eines sieben Kilometer langen, zweigleisigen Fernbahntunnels von Niederrad über den Frankfurter Hauptbahnhof bis zum Kaiserlei in den „vordringlichen Bedarf“ des Bundesverkehrswegeplans für das Jahr 2030 auf. Nur so könne der neue Deutschlandtakt realisiert werden.
Der erste Planentwurf verortete die Fortführung der Tunnelstrecke im Osten der Region ausschließlich auf Offenbacher Gebiet. Die Trasse sollte mitten durch die Stadt „geprügelt werden“, wie es ein User im Eisenbahnforum „Drehscheibe“ formulierte. Der vorhandene Bahndamm sollte um zwei Gleise verbreitert werden, so im Jahr 2021 beschlossenen Konzept des Bundesverkehrsministers nachzulesen. Nur so könnten ausreichend Kapazitäten für den Hochgeschwindigkeits-, Regional- und Güterverkehr und die als Südosttangente geplante S-Bahn von Dudenhofen zum Terminal 3 geschaffen werden.
Die Folgen dieser Lösung wären dramatisch: rauschten ICE in kurzen Abständen auf vier Gleisen die ICE ohne Halt durch Offenbach, nachts Güterzüge. Mit diesem ersten Vorschlag veröffentlichte die Bahn eine Fahrplanvorschau für die Zeit nach der Inbetriebnahme der Hochgeschwindigkeitsstrecke. Danach sollten alle Halte von Regionalzügen aus Richtung Aschaffenburg / Würzburg von Offenbach nach Frankfurt (Ost) verlegt werden.
Fernbahntunnel Zweiter Entwurf
Der zweite Entwurf zum Bau des Frankfurter Fernbahntunnels wird, so eine Machbarkeitsstudie, noch in der Röhre eine Teilung der Strecke Richtung Norden (Frankfurt – Ost) und Süden (Offenbach) vorsehen. Dazu der Hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir: „Ein erheblicher Vorteil dieser Doppelanbindung ist die Möglichkeit der freizügigen Verteilung der Verkehre auf die beiden Strecken, was auch zu einer günstigeren Verkehrsführung im Knoten Hanau führt“.
Diese Aussage kollidiert allerdings mit den Realitäten. In der Nachbarstadt Hanau müssen die Züge vorsortiert werden. Die Bedingungen dort lassen eine Brücke für eine kreuzungsfreie Verzweigung der Züge auf zwei Streckenäste nur im Westen des Bahnhofs zu. Hochgeschwindigkeitszüge aus Richtung Nürnberg / Wien werden primär nordmainisch geleitet, die ICE aus dem Norden in der Regel über Offenbach. Nur auf den ersten Blick eine faire Aufteilung. Mindestens zwei Drittel der schnellen Züge kommen aus Richtung Hamburg, Bremen Berlin oder Dresden. Auf vielen dier Hauptverbindungen soll sich mit der Einführung des 30-Minuten-Takts die Zahl der Hochgeschwindigkeitstriebwagen verdoppeln. Das bedeutet für den Offenbacher Hauptbahnhof: Es gibt noch weniger freie Trassen für den Regionalverkehr. Wahrscheinlich werden nach Fertigstellung des Fernbahntunnels in Offenbach nur noch Regionalzüge aus dem Kinzigtal und Fulda halten. Die bestehenden RE-Verbindungen aus Würzburg, dem Kahlgrund, dem Odenwald und der geplante direkte Expresszug aus Miltenberg, die alle künftig bis zum Frankfurter Hauptbahnhof durchgebunden werden sollen, fahren dann über Frankfurt-Ost. Offenbachs Hauptbahnhof wird mit der Fertigstellung des Fernbahntunnels zumindest im Verhältnis zu Hanau und Frankfurt-Ost weiter an Bedeutung verlieren. Der Frankfurter Osten wird zur zentralen Umsteigestation Richtung Zeil und Bankenviertel und die ICE – Station Hanau mit zusätzlichen Angeboten deutlich gestärkt.
Selbst der Hessische Verkehrsminister, der in seiner Antwort an #bloghaus.eu mehr Halte in Offenbach verspricht, gibt in der Antwort auf eine Anfrage von Nadine Gersberg zu: „Inwieweit die Führung des RE 55 nach Würzburg weiterhin über den Offenbacher Hauptbahnhof möglich sei, bedürfe noch einer Prüfung. Im Deutschlandtakt werde eine Führung über die Nordmainische Strecke angenommen.
Südosttangente: Zukunft ungewiss
Mit der Teilung der schnellen Strecken Richtung Hanau in eine Nord- und Südtrasse scheint der viergleisige Ausbau zwischen dem Kaiserlei und Hanau quer durch Offenbach vom Tisch. Nur vorläufig wie manche Kenner unken. Auch das Bundesverkehrsministerium und die Bahn erteilen der Verbreiterung des Bahndamms keine endgültige Absage und formulieren mit der Einschränkung „nach derzeitigem Planungsstand“. Die Trasse sei, bleibt es bei zwei Gleisen, bis an die Kapazitätsgrenze belastet. Es sei kein Platz für den von der Offenbacher Politik vehement vorgetragenen Wunsch nach der Wiederherstellung der Südosttangente, die Aschaffenburg / Hanau und den Offenbacher Hauptbahnhof direkt mit dem Flughafen und Rüsselsheim verbinden soll. Quasi eine Umgehungsstrecke um den Frankfurter Hauptbahnhof.
Selbst in der ersten Ursprungsvariante bei einem viergleisigen Ausbau hatten RMV und Bahn diesen Bypass abgespeckt. Statt einer Tangente von Aschaffenburg bis Rüsselsheim wollten sie nur noch eine kurze S-Bahn von Dudenhofen über den Offenbacher Hauptbahnhof zum Flughafen.
Heute knüpfen Bund und Bahn selbst an diese reduzierte Südosttangente noch an Bedingungen, die quasi ihre Beerdigung bedeuten. Auf die Frage, ob künftig zwei Gleise durch Offenbach ausreichen, erwidern Bahn und Bundesverkehrsminister gleichlautend: „Nein, für die Südosttangente Rodgau-Flughafen Terminal 3 ist im Bundesverkehrswegeplan eine separate Infrastruktur zwischen Offenbach Hbf und Frankfurt-Süd vorgesehen“. Im Klartext: Die Südosttangente kann kommen, wenn die Stadt Offenbach für die zusätzlichen Züge weitere Gleise, also eine Verbreiterung des Bahndamms zwischen Sprendlinger Landstraße, Dreieichpark und Stadtgrenze akzeptiert und den Stress und die Klagen der Anwohner aushält. Eine sanfte Form der Erpressung?
Diese Vorgaben der Bahn stehen nur scheinbar im Widerspruch zu Ausführungen des Hessischen Verkehrsministers, der in einer Antwort auf eine Anfrage der Abgeordneten Gersberg schreibt, die Bahn sei der Ansicht, dass durch den Bau eines Fernbahntunnels die Realisierung der Osttangente nicht behindert, sondern begünstigt werde. Denn auch er erklärt in einem Nebensatz wenig später kaum verschlüsselt, für die Südosttangente seien zusätzliche Infrastrukturmaßnahmen -sprich weitere Gleise-notwendig.
Der Fernbahntunnel wird das größte Infrastrukturprojekt in Hessen auf Jahrzehnte. Dennoch sieht sich das Land nicht in der Verantwortung, wenigstens Leitplanken für die Organisation des Nahverkehrs für die veränderten Rahmenbedingungen für die Region zu setzen. Für die Pressestelle des Verkehrsministers, auch für die Wirtschaft zuständig, müsse die Entwicklung zukünftiger Verkehrsangebote lokal im Rahmen der ÖPNV-Aufgabenträger beziehungsweise Aufgabenträgerorganisationen erfolgen. Kein Wort von der Notwendigkeit, die zweite Großstadt im Kern der Region, deren Impulse für Wirtschaft und Wohnen mittlerweile ein positiver Beitrag zur Entwicklung von Rhein-Main sind, zu stärken. Strukturpolitik für eine Region, die zusammenwächst und die der Turbo für die Konjunktur in Hessen sein soll?
Wie die Katze um den heißen Güterzug?
Auf den geplanten Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen Fulda und Hanau sowie zwischen Frankfurt und Mannheim sollen nachts, so auf den Projektseiten der Bahn angekündigt, Güterzüge rollen, um Italien oder die Schweiz schnell mit den Nordseehäfen und Skandinavien zu verbinden. Cargo-Verkehre werden künftig leiser sein, aber die Zahl der Verbindungen wird stark zunehmen. Das Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft geht für die Strecke nach Mannheim von nächtens dreißig schnellen Zügen im Güterverkehr aus.
Wer von Bund, Bahn oder gar dem Hessischen Verkehrsminister Tarek Al-Wasir konkrete Antworten erwartet, wie diese Güterzüge von Hanau nach Frankfurt, also von einer Hochgeschwindigkeitsstrecke auf die andere, geführt werden, kann auch dem Orakel von Delphi glauben. Bereits im Jahr 2019 hatte die Deutsche Bahn die Anwohner links und rechts des Bahndamms zu einem Gespräch über Schallschutz eingeladen. Beglückung scheinbar ohne Anlass. Wer einen Vertrag mit der Bahn über Zuschüsse schließe, so das vergiftete Angebot in der Bürgerversammlung, verpflichte sich auf spätere Klagen zu verzichten. Auf die Frage wie viele Züge künftig pro Nacht durch Offenbach fahren, nannte ein Mitarbeiter auf dem Podium die Zahl 29, ohne zu spezifizieren ob insgesamt oder je Richtung.
Schriftlich von #bloghaus.eu zum Thema Güterverkehr in Offenbach befragt, flüchtete sich die Bahn in einer ersten Stellungnahme in allgemeine Floskeln und erwiderte auf die Bitte um Konkretisierung: „Wie gegenwärtig wird es auch künftig auf der Nord- wie Südmainischen Strecke Güterverkehr geben. Der Personen- und Güterverkehr kann auf der heute bestehenden Infrastruktur inkl. der in FRMplus (Initiative Fernbahntunnel) und im Bundesverkehrswegeplan 2030/Deutschlandtakt vorgesehenen Maßnahmen abgefahren werden“. Auch die Pressestelle des Bundesverkehrsministeriums wirft Nebelkerzen: „Bedingt durch die Längsneigung von bis zu 25‰ im Streckenverlauf ist ein Güterverkehr durch den Fernbahntunnel ausgeschlossen“, heißt es auf die Frage nach nächtlichem Güterverkehr. Klingt konkret, verschweigt aber, dass der einzige güterzugtaugliche Abzweig zur neuen Schnellbahn Richtung Mannheim um Frankfurt nur im Umkreis des Südbahnhofs sein wird. Von Offenbach zu erreichen, ohne den Fernbahntunnel zu berühren.
Der Hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir als Offenbacher Bub mit den Örtlichkeiten vertraut, übt sich auf die Frage nach nächtlichem Güterverkehr durch Offenbach in einem Schachtelsatz, offen für jede Interpretation: „Darin ist ebenso wie auch im Fahrplankonzept für den Deutschlandtakt vorgesehen, den Güterverkehr über Hanau-Aschaffenburg – Darmstadt um den Knoten Frankfurt herumzuführen, sofern er nicht von Westen kommend auf die nach Süden führenden Strecken (Riedbahn, Main-Neckar-Bahn und in der Nacht die Neubaustrecke Frankfurt-Mannheim) geleitet wird“.
Al-Wazirs Erwiderung wirft eher Fragen auf, statt für Klarheit zu sorgen: Seine Ausführungen sind nicht kompatibel mit den Erläuterungen der Bahn, dass Güterverkehr auch über Offenbach geführt werde. Cargo ist aber nur nachts möglich, weil die Trasse tagsüber mit dem schnellen Personenverkehr voll ausgelastet ist.
Richtig an der Aussage der Pressestelle des Hessischen Verkehrsministers ist, dass die Bahn einen Teil des Güterverkehrs auf der Schiene, der sich ja in den nächsten Jahrzehnten verdoppeln soll, über Mainaschaff und Babenhausen nach Darmstadt um Frankfurt herumleiten will. Dies betrifft aber möglicherweise nur den Verkehr auf den heute vorhandenen Strecken nicht aber die nächtlichen Züge zwischen den neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken. Voraussetzung ist außerdem, dass die Bahnlinie zwischen Hanau und Aschaffenburg viergleisig ausgebaut wird. Ein umstrittenes Vorhaben, denn in den Vororten Hanaus stehen die Häuser fast bis an das Schotterbett der Gleise. Einen güterzugtauglichen Zugang zur neuen Hochgeschwindigkeitstrasse bei Darmstadt gibt es nur in Weiterstadt. Dieser kann nach den vorliegenden Planungen allerdings im Regelverkehr nur aus Richtung Westen / Mainz / Wiesbaden befahren werden. Schwierig zu erreichen für die Güterzüge die Offenbach über Hanau – Babenhausen und Darmstadt umfahren sollen.
Zudem hat die Stadt Darmstadt beschlossen, dass die Anbindung von ihrem Hauptbahnhof zur Neubaustrecke, die dann auch von den über Babenhausen umgeleiteten Cargo-Zügen benutzt werden sollte, in einen Tunnel verlegt könnte. Ex-Oberbürgermeister Jochen Patsch soll der Bahn sogar eine Klage angedroht haben, falls dieser Abzweig güterzugtauglich geplant werde. Eine Anbindung der Güterumfahrung Babenhausen quer durch die Wohngebiete Darmstadts auf den heute vorhandenen Gleisen ist angesichts dieser Abwehrhaltung kaum vorstellbar. Es wird Zeit für den direkt gewählten Offenbacher Landtagsabgeordnete Tarek Al-Wazir, sich möglichst bald in der Frage der kollidierenden Interessen im Güterverkehr zu positionieren. Dort das Ruhebedürfnis der Darmstädter Anwohner hier die Offenbacher Quartiere, deren Nachbarschaft bereits seit morgens um fünf den Fluglärm ertragen musste.
OF als Terminal 2 zum Drehkreuz F
Der neue Fernbahntunnel bringt Belastungen, er kann aber auch eine Chance für die Erreichbarkeit der Stadt sein. Via Fernbahntunnel beträgt die Fahrzeit für Passagiere vom Offenbacher Hauptbahnhof bis zu den ICE-Bahnsteigen im Tunnel in Frankfurt gerade einmal fünf Minuten, bis zum Flughafen kaum mehr als eine Viertelstunde. In Bayern und Baden-Württemberg nutzen schnelle Regionalzüge die Hochgeschwindigkeitsstrecken. Auch für Frankfurt steht die Bahn der Führung von Regionalbahnen durch den Tunnel aufgeschlossen gegenüber. Zitat Gerd-Dietrich Bolte, der bei der Deutschen Bahn die Planung für den Fernbahntunnel verantwortet, auf einer Veranstaltung mit Tarek-Al Wazir: „Auch schnelle Regionalbahnen könnten mit bis zu 200 Kilometern pro Stunde durch den Tunnel fahren.
Kandidaten für eine Verbindung im 15-Minuten-Takt zwischen dem Offenbach und dem Tunnelbahnhof sind der Hessenexpress Bebra – Frankfurt aber auch der geplante Expresszug von Wiesbaden zum Flughafen, wenn er bis Offenbach oder Hanau verlängert wird. In fünf Minuten von der Offenbacher Kaiserstraße zum abfahrbereiten ICE im Frankfurter Tunnelbahnhof inklusive Umsteigen auf dem gleichen Bahnsteig wäre für Offenbach, seine Menschen und seine Wirtschaft ein einmaliger Standortvorteil in der Region. Ein solcher Shuttle wäre auch eine ideale Verbindung zwischen privaten Transporteuren wie Flixtrain, die wegen der niedrigeren Stationsgebühren in Offenbach halten, und dem Drehkreuz Frankfurt. Eine Initiative über die ein Nachdenken in der Hessischen Landesregierung loht.
Bürgerbeteiligung?
Bund, Land und Bahn wollen das Projekt Fernbahntunnel mit einer intensiven Bürgerbeteiligung begleiten. In Frankfurt, wo die Röhre weitgehend unbemerkt 50 Meter unter der Erde gebuddelt wird. Nicht aber in Offenbach, wo die doppelte Anzahl an Zügen künftig auf Höhe der Wohnzimmerfenster vorbeirauschen soll. Kein Zufall. In Frankfurt wird neu gebaut und planfestgestellt, während in Offenbach die Schienen auf einer für Bahnzwecke bereits gewidmeten Trasse verlegt werden. Es existiert dort das entsprechende Baurecht. Das gibt besonders nach der Verabschiedung des Gesetzes zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich dem Bauherrn freie Hand. Auf eine Anfrage von Nadine Gersberg zum Fernbahntunnel antwortete Tarek Al-Wazir fast zynisch: dass „die Anbindung an die südmainische Strecke …. keine infrastrukturellen Auswirkungen auf Offenbach (hat)“. Eine für einen grünen Minister ungewöhnliche Position. Sie mag formalrechtlich korrekt sein, vertuscht aber die Probleme.
Die kreuzungsfreie Einfädelung der Gleise aus dem Fernbahntunnel in die Strecke Frankfurt (Süd) – Offenbach macht zudem ein mächtiges Bauwerk vor den Toren der Stadt erforderlich. Kompliziert und wuchtig, weil aus 40 Meter Tiefe heraus eine S-Bahn sowie eine Autobahn gequert werden müssen und eine nicht niveaugleiche Kreuzung mit der heutigen Bahnlinie Hanau – Frankfurt notwendig wird. Auch wenn dieses Bauwerk auf Frankfurter Terrain steht, sind die Menschen zwischen der Oberräder Kleingartenanlage und dem Dreieichpark betroffen. Eine Bürgerbeteiligung könnte klären, wie nahe der Klotz an die Stadtgrenze rückt, ob die Frischluftschneise bleibt oder ob der Bahndamm, der heute hier steht, verschoben werden müssen, weil die S-Kurve am Kaiserlei Geschwindigkeiten von 120 bis 160 Kilometer in der Stunde nicht zulässt. Bislang ist nicht bekannt, dass der Offenbacher Planungsdezernent Paul Gerhard Weiß (FDP) oder die Grüne Verkehrsdezernentin Sabine Groß, beide im Rathaus zuständig, eine Bürgerbeteiligung von der Bahn gefordert haben.
Alternative: Tunnel unter Offenbach
Am Beginn der Planungen für den Deutschlandtakt gab es bei den Verantwortlichen wohl auch Überlegungen, den Tunnel bis Hanau zu graben. Eine Röhre wenigstens bis zum Güterbahnhof ist anders als in Darmstadt in Offenbach nie im Rathaus debattiert worden. Offenbach würde nicht nur von durchrauschenden Zügen verschont, sondern auch Platz für eine neue Mitte gewinnen. Der Tunnel quasi als urbane Reset-Taste für eine neue Perspektive, die Platz für Wohnungen, Freiflächen und langfristig auch für einen Fahrrad-Schnellweg bietet. Offenbach könnte sich so in seiner Mitte neu erfinden.
Auch wenn der Bund auf nicht finanzierbare Kosten verweisen sollte, es gibt Gegenbeispiele. Für den Ausbau der Rheinstrecke zur Schnellbahn wird Offenburg (60.000 Einwohner) auf elf Kilometer für den Güterverkehr untertunnelt. In Rastatt (47.000 Einwohner) spendiert die Bahn eine vier Kilometer lange Röhre unter der Stadt. Kosten circa 700 Millionen Euro.
Lesen Sie dazu den Kommentar „Offenbach muss Dampf machen“ in der Rubrik Skizzen-Blog
Inzwischen hat die Wählervereinigung Ofa (Offenbach für alle) einen Antrag ans Stadtparlament eingereicht.
Titelgrafik: Ergebnisse der Machbarkeitsstudie als Grundlage für die weitere Planung für den Fernbahntunnel (Juni 2021) [Quelle: DB Netz AG]
Mir fallen spontan mehr Großstädte (Siegen, Solingen, Remscheid, Trier und es gibt sicher noch mehr) ein, die keinen ICE-Verkehr haben.
Daß der Hauptbahnhof in. Offenbach zum Haltepunkt mutieren würde, habe ich 1968 auf einem SPD-Parteitag ausgeführt, nachdem mein Antrag, die S-Bahn auf der Bahntrasse zu führen, abgelehnt wurde. Meiner Folgerung, die Stadtplanung nun Richtung Ostbahnhof zu orientieren und den Ostbahnhof als Umsteigeknoten zwischen Nah-, Regional- und Fernverkehr zu etablieren, wurde ebenfalls nicht gefolgt. Die Citytrasse war kein Gewinn für die Stadt, weil sie nur einen kleineren Teil der Stadt für den Regionalverkehr erschloss, sie war aber ein absehbarer Verlust für die Innenstadt.
Nun sollten wir gegen den Tunnel am Hauptbahnhof in Frankfurt sein. Der ist teuer, wenig problemlösend, verbunden mit einem Rattenschwanz an Folgeproblemen. Andere Lösungen mit Portalbahnhöfen im Osten, Süden, Westen und Norden und einem hochverdichteten Nahverkehrsnetz dazwischen bieten für die Reisenden viele Vorteile: kürzere Reisezeiten, verbesserte Konnektivität und schafft die Voraussetzung der Einbindung des Offenbacher Hauptbahnhofs in dieses neue und zukunftsfähige, schnelle und vertaktete S-Bahnnetz. Die Bahnstrecke vom Ostbahnhof in OF bis zu zum untertunnelten Südbahnhof braucht für einen störungsfreien Verkehr drei bis vier Gleise, deren Ausbau dann auch verbunden ist mit einem qualifizierten Lärmschutz. Das schreibe ich als Anwohner der Bahnstrecke in Augenhöhe und 50 Meter entfern vom ersten Bahngleis.