Der Diplomatie ne Chance II

Kritiker der Ukraine-Politik machen es sich zu leicht

Die aktuelle Politik der Bunderegierung zum Krieg in der Ukraine steht von vielen Seiten in der Kritik. Den einen war und ist sie nicht entschieden genug in der Unterstützung der Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen die russische Aggression. Gar nicht so wenig andere dagegen verurteilen Waffenlieferungen und fordern „Verhandlungen“ mit Russland, um den Krieg und das damit verbundene Leid der ukrainischen Bevölkerung, aber auch der zu Zehntausenden in diesem Krieg zu Tode kommenden oder verletzten Soldaten schnellstmöglich zu beenden. Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer riefen zu Demonstrationen gegen den Krieg auf. Ganz Linke und ganz Rechte sind sich einig darin, dass die Fortsetzung dieses Krieges hauptsächlich im Interesse der USA liegt und Deutschland sich mit der Unterstützung der Ukraine zum Büttel der Interessen des amerikanischen Hegemons macht. Auch die Wirtschaftssanktionen gegen Russland werden von vielen abgelehnt. Sie schadeten in erster Linie der deutschen Bevölkerung, und nutzten letzten Endes auch nur dem aus Washington gesteuerten Imperium des Westens. 

Man distanziert sich verbal zwar vom russischen Angriffskrieg, nennt diesen völkerrechtswidrig und gelegentlich sogar brutal. Dann wird aber gleich ein großes „Aber“ nachgeschoben. Auch die USA hätten doch jede Menge völkerrechtswidrige Angriffskriege durchgeführt – in Afghanistan, in Libyen, in Syrien, in Serbien und im Irak. Wer diese Kriege nicht verurteile, müsse auch zu russischen Aggression in der Ukraine schweigen. Zumindest mache er sich unglaubwürdig. 

Schon diese Gleichsetzung von angeblichen „Angriffskriegen“ des Westens kann man so nicht stehen lassen. Was war wirklich los?

Die Intervention in Afghanistan war eine Reaktion auf die Terroranschläge des 11. September 2001 auf das World-Trade-Center in New York mit tausenden Toten, die von Afghanistan aus gesteuert worden waren. Hier war sogar der Verteidigungsfall im Sinne der NATO-Statuten gegeben. Dass die Afghanistan-Mission für den Westen nicht gut ausging, steht auf einem anderen Blatt. Da gibt es an der Politik des Westens ohne Zweifel viel zu kritisieren. Aber ein „Angriffskrieg“ war es nicht.

In Syrien versuchten die USA (und andere westliche Staaten) den Terrorregimen des Diktators Assad und des Islamischen Staates etwas entgegenzusetzen und die Bevölkerung zu schützen. Eine Intervention, über die man diskutieren kann, aber kein Angriffskrieg. 

Bei Serbien schließlich möge man sich an das Massaker von Sebrenica im Jahre 1995 erinnern, als serbische Milizen 8000 muslimische Bosnier ermordeten – unter den Augen niederländischer UN-Friedenstruppen, die nicht eingriffen. Diese furchtbaren Ereignisse bilden den Hintergrund des amerikanischen Eingreifens, als im Kosovo ähnliche Gefahren für die Bevölkerung erkennbar wurden. Auch das war kein Angriffskrieg, sondern eine humanitäre Intervention, auch wenn hier aufgrund des Vetos der serbischen Verbündeten Russland und China keine UN-Mandat vorhanden war. 

Legenden der Kriegsgegner

Allein den Irak-Krieg kann man als Angriffskrieg bezeichnen und sicher auch als großen Fehler. Es wurde damit zwar der blutrünstige Diktator Saddam Hussein gestürzt, der seine eigene Bevölkerung mit Giftgas angegriffen hatte. Aber es gelang nicht, im Irak einen stabilen demokratischen Staat zu errichten. Ja, man hat durch die Destabilisierung des Landes den Iran gestärkt, der nun auch im Irak großen Einfluss bekommen hat. Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte sich damals übrigens geweigert, sich an diesem amerikanischen Abenteuer zu beteiligen. 

Aber selbst all diese kritischen Punkte in Rechnung gestellt, ist es absolut billig, diesen Fehler der USA mit dem aktuellen Angriffskrieg Russlands aufzurechnen, gewissermaßen nach dem Motto „was den USA recht ist, sollte auch Russland billig sein“. Nicht zu vergessen – im Irak ging es gegen einen brutalen Diktator, in der Ukraine geht es gegen ein Land mit einer demokratischen gewählten Regierung. 

Zu den Legenden der Kriegsgegner gehört auch die Behauptung, letzten Endes habe der Westen mit der Aggression begonnen, indem er die NATO nach Osten entgegen den Absprachen mit der damaligen Sowjetunion ausgedehnt habe. Ob es diese Zusagen des Westens überhaupt gegeben hat, ist umstritten. Schriftlich niedergelegt wurden sie auf jeden Fall nie. Auch das Bild der „Ausdehnung“ der NATO ist schief. Schließlich haben die ehemaligen Ostblockstaaten und die baltischen Länder aus freien Stücken und nach demokratischen Abstimmungen, oft sogar nach besonderen Volksbefragungen die Mitgliedschaft in der NATO beantragt, nicht zuletzt weil sie bei den brutalen Tschetschenienkriegen Russlands gesehen, was auch ihnen evtl. blühen könnte, wenn sie auf sich alleine gestellt blieben. Was ist das auch für ein Verständnis von nationaler Unabhängigkeit und Demokratie, wenn man aus der bloßen Nachbarschaft zu Russland eine Einschränkung der Souveränität dieser Länder und eine dauerhafte Existenz in Unsicherheit ableitet? So hat man vielleicht im 19. Jahrhundert denken können, als kleine Staaten mit einer gewissen Selbstverständlichkeit als Spielball der Großen und Mächtigen angesehen wurden. In eine auf Recht und Verträge aufgebaute Weltordnung passt ein solches Denken auf jeden Fall nicht. 

Was ist das Ziel von Verhandlungen?

Gerne wird auch immer wieder das Bild der „Einkreisung“ Russlands bemüht, wenn sich Georgien dem Westen gegenüber öffnet und die Ukraine und Moldawien in die EU streben. Was soll das sein – „Einkreisung“? Die Tatsache, dass die Bevölkerung dieser Länder ihr Schicksal selbst bestimmen wollen und nicht zuerst in Moskau fragen, was ihnen erlaubt ist? In Wahrheit ist es nicht „Einkreisung“, sondern die Entstehung offener und demokratischer Gesellschaften vor der eigenen Haustür, die Putin und den Seinen Angst machen. Sie wollen nicht, dass ihre eigene Bevölkerung sieht, dass es sich in einer offenen Gesellschaft besser lebt, als in einer Autokratie. 

Was allerdings am meisten an der Argumentation der antiwestlichen Kriegsgegner ärgert ist, dass sie kaum darüber sprechen, was ihre Vorstellungen eines Verhandlungsfriedens sind. Ist es die Abtretung der besetzten ukrainischen Gebiete einschließlich der Krim an Russland? Das wäre ein einzigartiger Kotau vor der Gewalt. Zudem würde dieser Frieden Putin sicher nur Appetit auf mehr machen. Schließlich hat er auch im Osten Moldawiens Truppen stehen. Und auch die Unabhängigkeit dieser ehemaligen Sowjetrepublik ist ihm ein Dorn im Auge. 

Wenn es um konkrete Lösungswege geht, werden die Kriegsgegner stets sehr allgemein und unbestimmt. Verhandeln sei allemal besser als schießen, sagen sie. Mag sein, aber was soll bei den Verhandlungen herauskommen? Eine halbierte, neutralisierte und schutzlose Ukraine? Und will Russland überhaupt ernsthaft verhandeln? Hier geht Argumentation meist in Geschwurbel über und man spricht lieber wieder von weiteren Schandtaten des Westens. Das ist fruchtlos und inzwischen auch zunehmend ärgerlich. 

Dem globalen Süden eröffnen sich Chancen

An einer konsequenten Unterstützung der Ukraine mit wirtschaftlichen, humanitären und militärischen Mitteln führt bis auf Weiteres kein Weg vorbei. Dass viele Staaten des sogenannten „globalen Südens“ die Politik des Westens kritisch sehen, muss man allerdings auch zur Kenntnis nehmen. Indien, Südafrika, Brasilien und natürlich auch die direkt unter russischem Einfluss stehenden Staaten Afrikas sehen den Krieg in der Ukraine als ein Problem Europas an, in das sie nicht hineingezogen werden wollen. Mit Russland wollen sie es sich nicht verderben. Zu verlockend ist im Übrigen die Vision einer „multipolaren“ Welt, in der sich auch für die großen Länder des „globalen Südens“ Möglichkeiten eröffnen, eigene Einflusszonen zu schaffen, in denen sie zum eigenen Vorteil die Spielregeln festlegen. 

Die vielen Fehler des Westens in seiner kolonialen Geschichte und in der von den USA nach dem zweiten Weltkrieg beherrschten Großmachtpolitik sollen nicht kleingeredet werden. Man sollte aber auch nicht so tun, als wäre die Idee des Westens, nämlich die Verteidigung demokratischer und offener Gesellschaften durch diese Fehler erledigt. Nur in einer offenen Gesellschaft kann über solche Fehler gesprochen und gestritten werden. Und nur dadurch ergibt sich die Option, diese Fehler zu korrigieren. Um die Verteidigung dieser Idee geht es, in Europa, in Asien, in Afrika. 

Foto: Tim Reckmann / pixelio.de

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