Probleme an der Heimatfront

Der Ruf nach Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg ist zuletzt lauter geworden. Dass solche Gespräche von den Kriegsparteien angestoßen werden, ist zurzeit höchst zweifelhaft. Und die weiteren am Konflikt beteiligten Regierungen sind außenpolitisch gehandicapt, sie haben mit innenpolitischen Restriktionen zu kämpfen.

Die Welt sehnt sich nach einem Friedensprozess im Ukrainekrieg. In Deutschland sprachen sich bei einer im Februar von der Deutschen Presse-Agentur in Auftrag gegebenen Umfrage 67 Prozent der Befragten dafür aus, dass Russland und die Ukraine Gespräche über die Beendigung des Krieges aufnehmen sollen. Offensichtlich fällt es aber schwer, einen ernsthaften Verhandlungsprozess zu starten. Das liegt einmal an fehlender Gesprächsbereitschaft auf Seiten des Aggressors Wladimir Putin wie auf Seiten des ums Überleben seines Volkes kämpfenden ukrainischen Präsidenten Wlodymyr Selenskyj. Beide eint der Unwille, auf Vorbedingungen zu verzichten: Die Ukraine verlangt eine vollkommene Entfernung der russischen Föderation von ihrem Territorium, Russland eine Anerkennung territorialer Gewinne. Beides wird nicht passieren. Dann spielen noch militärische Strategien und Überlegungen zu geostrategischen Machtfragen für mögliche Friedensgespräche eine Rolle. Wir wollen den Blick aber einmal auf die innenpolitische Situation der an diesem Konflikt beteiligten Akteure lenken, ein Gesichtspunkt, der in der Berichterstattung noch nicht prominent beleuchtet wurde.
 
Russlands Präsident Putin, der diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg befohlen hat, steht nach der Ankündigung, es handele sich bei dem Angriff auf die Ukraine um eine Sonderaktion, im eigenen Land unter Erfolgsdruck. Seine Vorstellung von einer Blitzaktion, weil seine Truppen in der Ukraine aus seiner Sicht als Befreier willkommen sein würden, hat sich nicht erfüllt. Innenpolitisch fühlt sich Putin in die Zange genommen von denjenigen, denen der Kriegseinsatz nicht entschieden genug durchgeführt wird, aber auch von jener Minderheit, die sich gegen das militärische Engagement beim Brudervolk wenden. Putin kann es sich als Oberbefehlshaber zum derzeitigen Stand kaum erlauben, in Verhandlungen zu treten, ohne einen Gesichtsverlust in der eigenen Bevölkerung zu riskieren. Der mit westlicher Hilfe verstärkte Widerstand der Ukrainer und die damit verbundenen hohen Verluste an Menschenleben und Material machen es sehr unwahrscheinlich, dass sich Putin zum jetzigen Zeitpunkt auf ernsthafte Verhandlungen einlässt. Ein Ausweg wäre vielleicht eine gesichtswahrende Variante, wie etwa durch die Vermittlung eines von beiden Seiten akzeptierten Mediators (vielleicht auch China) oder durch Gespräche mit den Großmächten (zum Beispiel dem amerikanischen Präsidenten).

Wer bestimmt den Verhandlungsprozess?


In der Ukraine dreht sich alles, zumindest in der Öffentlichkeit um den Präsident Wolodymyr Selenskyj, der sich in diesem Jahr der Wiederwahl stellen muss. Wenn auch viele demokratische Prozesse aufgrund der Kriegswirtschaft und Herrschaft in der Ukraine zurückgestellt sind, so ist doch festzustellen, dass die Verhandlungsbereitschaft von Selenskyj nicht unwesentlich bestimmt wird durch die politische Situation in der Bevölkerung der Ukraine. Der Spielraum für den Präsidenten vor der Wahl ist denkbar gering, Kompromisse gegenüber dem russischen Regime lassen sich nicht durchsetzen. Da der ukrainische Präsident beziehungsweise sein Land vollständig abhängig sind von finanziellen und militärischen Lieferungen aus dem Westen, stellt sich die Frage, ob es den Ukrainern überlassen bleiben soll, zu entscheiden, wie der Verhandlungsprozess gestaltet wird, oder ob der Westen mit der Führungsmacht USA, klare Anforderungen an die Ausgestaltung der Verhandlungen  mit Russland vorgibt.
 
Die USA haben ein strategisches Interesse daran, den Konflikt in der Ukraine auf der europäischen Ebene zu regionalisieren. Sie wollen den Rücken frei haben für ihre strategischen Interessen im chinesischen/pazifischen Raum. Das zeichnete sich schon während der Regierungszeit von Präsident Barack Obama ab, und setzt sich unter Präsident Joe Biden weiter fort. Jetzt steht in den USA die Entscheidung an, wer die Demokraten und die Republikaner in der nächsten Wahl anführt. Präsident Biden, der eine starke Unterstützung der Ukraine vorantreibt, ist noch nicht als Kandidat für die nächste Wahlperiode gekürt. Bei den Republikanern, bei denen es eher skeptische Positionen zur weiteren Unterstützung der Ukraine gibt, ist die Spitzenposition auch noch nicht besetzt. Die schlechten Umfragewerte für den Präsidenten und die Ungewissheit bei den Republikanern lassen eine stabile Prognose nicht zu. Deutlich wird aber, dass der Fokus auf einer sich verschärfenden Auseinandersetzung mit China liegt.
 
Chinas Präsident Xi Jinping hat zu Kenntnis genommen, dass die amerikanische Strategie China im Visier hat. Das hat bestimmt Auswirkungen auf die chinesischen Haltungen in ihren Bündnisfragen. Der chinesische Präsident hat zwar seine Machtposition weiter ausgebaut. Aber die chinesische Regierung hat nach enormen Widerständen in der Bevölkerung gegen ihre harten Corona-Maßnahmen ihre Position um 180 Grad verändert. Gleichzeitig zeigt sie Stärke in der Taiwanfrage und positioniert sich in der internationalen Politik als Hegemonialmacht gegenüber der eigenen Bevölkerung und dem Westen. Die engere Verbindung mit einem geschwächten Russland als internationalem Bündnispartner und gleichzeitig kostengünstigem Energielieferanten wird mit einer aktiven Außenpolitik verknüpft, die weitere Bündnisse gegenüber der westlichen Welt ermöglicht. Der Ansatz eines Friedensplans für den Ukrainekonflikt stützt ihre Strategie.

England ist ebenfalls ein sehr aktiver Teil in der Unterstützung der Ukraine. Hier wird die außenpolitische Stärke besonders in den Vordergrund gestellt. Dies kann von den innenpolitischen Problemen ablenken, mit denen der britische Premierminister Rishi Sunak durch die negativen Auswirkungen des Brexits auf die Inflation und die schwierige soziale Lage in der britischen Bevölkerung zu kämpfen hat. Darüber hinaus sind die innerparteilichen Auseinandersetzungen mit den Anhängern von Boris Johnson noch nicht endgültig ausgestanden.

Wahlen schränken Spielräume ein


Die Regierung Polens hat in diesem Konflikt auf verschiedenen Komponenten Rücksicht zu nehmen. Einerseits haben die Polen mit der Ukraine eine gemeinsame Grenze und partiell auch eine gemeinsame Geschichte. Darüber hinaus haben sie Angst vor einem übergriffigen Verhalten von Russland. Auf der anderen Seite kämpft die regierende PIS-Partei mit allen Mitteln für den Gewinn der Wahlen in diesem Jahr. Dafür schürt sie zum einen wie gewohnt Ressentiments gegenüber Deutschland, schärft jedoch auch den Fokus auf die Bedrohungslage durch den russischen Angriffskrieg gegen die Nachbarn in der Ukraine. Dabei ist das Verhalten ambivalent. Auf der einen Seite drängt die polnische Regierung Deutschland zu mehr Waffenlieferungen, fordert die Führungsrolle von Deutschland, will aber zugleich die Gewichtung von Deutschland nicht zu stark sehen.

Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich positioniert, obwohl er eher zu den zögernden Protagonisten in dem Ukrainekonflikt gehört. Er geht sehr zurückhaltend mit der Lieferung von Waffen um, nimmt auch immer wieder diplomatische Anläufe, um einen Friedensprozess in Gang zu setzen. Bedauerlich ist nur, dass sich Frankreich und Deutschland noch nicht auf eine gemeinsame Verteidigungsstrategie einigen konnten. Das liegt wohl an den unterschiedlichen Auffassungen, welche Form der Zusammenarbeit bei der Atomwaffenfrage gefunden wird. Darüber hinaus muss Präsident Macron seine innenpolitischen Probleme in den Griff bekommen, die Streiks wegen seiner Rentenreform, die Bekämpfung der Inflation und die schwache Umfrageergebnisse sind da an vorderster Stelle zu nennen.

In der Türkei hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan ebenfalls Wahlen zu bestehen. Seine Umfrageergebnisse sind schlecht, seine Leistungsbilanz im Inneren ist nicht berauschend. Hohe Inflation, bescheidenes Management in der Erdbebenregion, Unterhöhlung von rechtsstaatlichen Prinzipien machen ihn zu einem unkalkulierbaren Akteur auf der außenpolitischen Bühne. Er versucht seinen Nutzen aus diesem Konflikt zu ziehen, sowohl mit der russischen Seite wie auch mit der westlichen Gemeinschaft.

> Und Deutschland wird – in eine Führungsrolle gedrängt – von allen Seiten in den Fokus genommen. Bei den Forderungen nach Waffenlieferungen wurde die Eskalationsschraube immer weitergedreht. Eine Reihe zunächst gezogener Grenzlinien wurden sukzessive überschritten, über Helme, gepanzerte Mannschaftstransporter, Haubitzen bis zu Kampfpanzern. Damit hat sich die Bundesregierung immer weiter in diesen Konflikt hineinziehen lassen, obwohl man auf keinen Fall Kriegspartei werden will. Dies ist auch für Kanzler Olaf Scholz eine schwierige Situation, weil die Ampelkoalition mit ihrer Heterogenität in dieser Frage, ein starkes Auftreten als Einheit vermissen lässt. Vor allen Dingen Repräsentanten von den Grünen, hier im Wesentlichen Anton Hofreiter, Annalena Baerbock, Robert Habeck, aber auch von der FDP mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann und aus den SPD-Reihen Michael Roth sprechen sich für immer weitere Waffenlieferungen aus. Bemerkenswert dabei ist, dass die drei Protagonisten Hofreiter, Strack-Zimmermann und Roth gerne in das Kabinett eingezogen wären, aber nicht zum Zug gekommen sind. Ergänzt wird diese Gruppe von Norbert Röttgen von der CDU, der in den letzten Jahren auch nicht zum Zug gekommen ist. Das alles macht das Regieren schwierig und führt dazu, dass die Regierung so zögerlich erscheint.

Unterm Strich lässt sich also durchaus der Eindruck gewinnen, dass mancher außenpolitische Zug eines Landes nicht nur von der internationalen Lage abhängig ist, sondern durch innpolitische Konstellationen stark beeinflusst sein kann. Deshalb ist es notwendig, seine eigene Position und Haltung klar zu definieren, und seine Interessenlage in der internationalen Politik einzubringen. Sich weniger von Äußerungen von außen abhängig zu machen, ist dafür ein notwendiger Schritt.

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