Vom Fortschritt zum Übergang

Den Ampel-Parteien fehlt der Grundkonsens für eine Partnerschaft

Mit der Beschreibung der Ampel als Übergangsregierung hat Omid Nouripour die „Fortschrittskoalition“ nun offiziell ad acta gelegt. Auch wenn sich andere Beteiligte verhalten wehren und eine Fortsetzung für möglich halten, diese eingeläutete Abkehr von der Fortschrittskoalition hat der Bundesvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen aus gutem Grund und nicht etwa zufällig gewählt. Gleichwohl hat ihn der Mut zur Herstellung völliger Transparenz einer unzulänglichen Regierungsarbeit verlassen, weil das Ampel-Bündnis eben kein Bündnis ist. Der Erklärungsversuch, dass die Nach-Merkel-Zeit eben erstmal einen Übergang brauche, verfängt jedenfalls nicht. Da könnten vielmehr Übergangsphänomene wie die Coronakrise, die Inflation und der Ukrainekrieg als Beleg für erschwertes Regieren herhalten.

Auch wenn objektiv in den vergangenen Jahren viele Krisen und Schwierigkeiten zu bewältigen waren und nicht alle Projekte geglückt sind, ist diese Regierung nicht wegen mangelndem Ehrgeiz oder dem Unvermögen wegweisende Entscheidungen zu treffen zur Übergangsregierung geworden: Diese Koalition ist an sich selbst gescheitert!

Selbst in einer Koalition sind Partner immer Konkurrenten um Macht und Erfolg. Als wichtigstes Erfolgsrezept gilt allerdings: „Man muss auch gönnen können“ und damit den Erfolg der anderen Partner akzeptieren oder ertragen, um im Gegenzug ebenfalls einen Erfolg in eigener Sache verbuchen zu können. Diese einleuchtende Formel für ein gedeihliches Zusammenarbeiten hat diese Ampel nicht internalisiert. Es gibt keinen Grundkonsens zu Fragen wie: Wie regieren wir? Was gönnen wir wem?  Wann spielt wer die größte Geige?  Und wie helfen wir einander? 

Und immer fehlt der Dirigent. Olaf Scholz hat das Pult nie wirklich betreten: Seinen Spruch: Wer Führung bestellt, wird sie bekommen, hat er nicht eingelöst. Mag sein, dass das Kabinett nie Führung bestellt hat – aber Scholz hat nicht erkannt, dass die Bürgerinnen und Bürger schon lange Führung bestellt haben und bis heute vergeblich darauf warten.

Die Ampel ist implodiert

Würde man eine Familienaufstellung machen, ergäbe sich folgendes Bild: Vater Scholz interessiert sich nicht sonderlich für den Zustand seiner Familie. Habeck, der älteste Sohn, bemüht sich dann und wann, in die Bresche zu springen. Er möchte die Transformation voranbringen und kann deshalb nur sporadisch die Familienführung übernehmen. Annalena Baerbock scheint in der Ampel nicht sonderlich beliebt zu sein, möchte offensichtlich mit der Familie nicht verwandt sein und bleibt so lange wie möglich in der Ferne. Genauso wie Boris Pistorius. Auch der scheint in der Ampel keine hohen Beliebtheitswerte zu bekommen. Dass die Bevölkerung ihn als besten Politiker kürt, interessiert in der Ampel niemanden.

Christian Lindner ist das „enfant terrible“, der Störenfried, der sich mit jedem und jeder anlegt, sich grundsätzlich nicht an Regeln oder Absprachen hält. Eigentlich kann ihn keiner richtig leiden. Alle übrigen Familienmitglieder gehen ihm lieber aus dem Weg, als mit ihm richtig in Streit zu geraten. Sie bleiben lieber in Deckung, weil sie in den ständigen Familienzwist nicht hineingezogen werden wollen.  Aber selbst jene, die sich wie Entwicklungsministerin Svenja Schulze im Hintergrund halten, sind nicht davor gefeit, mit einem Frontalangriff von Linder rechnen zu müssen.

Das Finanzministerium hat nur eine Mission: die Einhaltung der Schuldenbremse. Innovativ und produktiv ist das nicht. Auch wenn sich die FDP gerne als fortschrittlich präsentieren möchte. Da hilft auch der weitschweifige und gestelzte Lindner-Sprech nicht. Er hat eine strategisch wichtige Position und kann somit alles blockieren. Er hat auch einen destruktiven Habitus, weil er in der Eindimensionalität seiner politischen Arbeit grundsätzlich keine Lösungsvorschläge auf den Tisch legt.

Dazu kommt auch noch, wie bei seinem für den Verkehr zuständigen Parteikollegen Volker Wissing, dass mit dem Ressort eigentlich keine ehrgeizigen Ziele verbunden werden, sondern Rückwärtsgewandtheit, statt Inspiration und Erneuerung. Aufmerksamkeit wird nicht durch Leistung erzielt, sondern durch Provokation.

Das Desinteresse an der Ampel selbst hat den Partnern geschadet und es bleibt ein Rätsel, weshalb sich niemand der Erosion der Regierung entgegengestellt hat.

Wo war und ist eigentlich in dieser ganzen Zeit Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt? Er hätte die Paraderolle gehabt, für seinen Kanzler einzuspringen, die notwendigen Fäden in der Hand zu halten und die Regierungsfähigkeit sicherzustellen. Seine Aufgabe ist es doch, vertrauensbildende Maßnahmen in alle Richtungen zu entwickeln und Regeln aufzustellen, die für ein gedeihliches Zusammenregieren notwendig sind.

Aber dafür ist es jetzt zu spät und damit ist die Definition der Übergangsregierung richtig. Nicht nur die Wählerschaft will sie loswerden, auch die Ampelpartner können sich nicht mehr mit ihr identifizieren, auch wenn die SPD uns glauben machen will, ein „Weiter so“ wäre für sie möglich. Da helfen auch die eiligst verkündeten Kanzlerkandidaturen von Scholz und Habeck nicht. Sie zeugen aber davon, dass der Wahlkampf bereits begonnen hat. Die Beziehung zwischen Grünen und FDP ist sicher auf lange Zeit beschädigt, denn diese Partei provoziert und diskreditiert die Grünen sogar während der gemeinsamen Regierungszeit. Zuletzt mit der Idee, den Autoverkehr in die Innenstadt zu holen, um den Einzelhandel zu beleben. Allerdings dürfte diese Rückwärtsgewandtheit der FDP mehr schaden als den Partnern SPD und Grünen.

Es ist deshalb folgerichtig, eine Übergangszeit bis zum Ende der Ampel zu nutzen und zu schauen, welche Konstellationen für die bald ehemaligen Partner in Zukunft erstrebenswert und möglich sind. CDU und Grüne, auch SPD und Grüne sind weiterhin realistische Optionen, auch wenn die Führung der CSU dagegen argumentiert. Wahrscheinlich werden Koalitionen zwischen CDU und SPD mit FDP oder Grünen oder BSW. Sowohl CDU als auch SPD können sich wohl ein Bündnis mit dem BSW vorstellen. Deshalb ist es möglich, dass sich SPD, BSW und FDP oder CDU/CSU, BSW und FDP als neue Bündnispartner finden könnten.

Interessant werden die Regierungsbildungen in Sachsen und Thüringen. Da treten sich die rechtsextreme AFD und die konservativen Parteien CDU und BSW quasi auf die Füße. Auch können sich manche vorstellen, die AFD als Mehrheitsbeschaffer zu akzeptieren. Das BSW hat außerdem offensichtlich keine Probleme damit, künftig AFD-Anträgen zuzustimmen. Dabei steht der BSW der SPD inhaltlich, näher als der CDU. Deshalb hat auch Klaus von Dohnanyi, ein Urgestein der SPD, zur Wahl des BSW aufgerufen. Es ist aber ziemlich klar, dass die Grünen im Zuge dessen bald ihr Label als Ideologie getriebene Partei an das BSW abgeben werden dürften.

Die FDP hat Christian Lindner bei der Sonntagsfrage in Sachsen und Thüringen erfolgreich unter dem Rubrum „Andere“ platziert. Das muss man als eine Regierungspartei erstmal hinkriegen. Und dann dürfen wir gespannt sein, ob das BSW bald Lieblingspartnerin von CDU und SPD wird und wie lange. Jenseits der FDP haben die Grünen momentan die wenigsten produktiven Optionen für eine Regierungsbildung in Bund und Land. Denn AFD, BSW und FDP werden für die Grünen keine potenziellen Bündnispartner werden und die Linken als möglicher dritter Partner ist derzeit zu schwach.

Aber bis zur nächsten Bundestagswahl im Herbst 2025 ist es bekanntlich noch ein weiter Weg.


 Beitragsbild: Die Ampelfarben verblassen wie hier bei einem Übergang in Maastricht. Foto: Melissa Faust / Pixabay

Ein Gedanke zu ”Vom Fortschritt zum Übergang

  1. Es ist interessant, dass wie so oft mal wieder Hauptsächlich auf die FDP eingedroschen wird. Es wird, was inzwischen auch der politisch uninteressierteste gemerkt hat, festgestellt, dass Demenz-Olaf null Führungsqualität besitzt und ansonsten sehr leichter Tadel für ein paar grüne und rote Regierungsmitglieder. Mir fehlt irgendwie das Lob für so engagierte Familienmitglieder wie Heiner, der so intensiv für die Drogenfreigabe kämpfe und jetzt für ein gutes Herz, oder Nancy, die vehement fordert, dass islamistische Messerattentate nur noch mit Messern mit maximal 5 cm Klingenlänge durchgeführt werden dürfen, oder Saskia, die jedes Bäuerchen von Demenz-Olaf als weltverbesserndes Ereignis bejubelt. Naja Hauptsache überparteilich.

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