Vergelt´s Gott! Warum die Kirche ein Vermögen kostet

Deutschland ist kein Kirchenstaat! Seit dieser Festlegung zur Republikgründung vor mehr als 100 Jahren hat der Gesetzgeber deshalb den Auftrag, die staatlicher Alimentierung der Kirchen zu beenden. Der Passus zur „Ablösung“ der Zahlungen in der damaligen Weimarer Reichsverfassung, die auch die Kirchensteuer zur Finanzierung der Kirchen festlegte, wurde 1949 mit Artikel 140 ins Grundgesetz übernommen. Passiert ist seither trotz dieses schwergewichtigen Gebots nichts. Jahr für Jahr zahlen 14 der 16 Bundesländer brav Hunderte Millionen an die Kirchen – ein Relikt jahrhundertealter Verträge und deren fragwürdiger Auslegung. Aber 100 Jahre Verfassungsbruch sind genug.

Die Ampel hat nun dem Verfassungsauftrag gemäß im Koalitionsvertrag endlich vereinbart, zusammen mit Ländern und Kirchen einen Fahrplan zur Ablösung dieser Staatsleistungen aufstellen zu wollen. Weil es um eine äußerst komplexe Materie, juristisch höchst umstrittene hohe Ansprüche geht und die Politik trotz eines enormen Vertrauensverlustes der Bevölkerung in die Kirche weiterhin eine extreme Kirchenhörigkeit an den Tag legt, dürfte die Revolution aber wohl wieder vertagt werden. Schließlich tut sich die Politik ungeachtet einer zunehmend pluralen säkularen Gesellschaft immer noch schwer mit der längst überfälligen Durchforstung anachronistischer Gesetze und Subventionen mit Kirchenbezug. Danach ist Deutschland ein Kirchenstaat!

Wissen Sie, was das größte Problem der Kirche in Deutschland ist? Sie hat zu viel Geld.

Joseph Kardinal Ratzinger in „Die Welt“ vom 29. September 2011

Die Staatsleistungen gehen zurück auf Gesetze und Rechtstitel der Kirchen zur Entschädigung für enteignetes Vermögen, die schon vor 1919, der Geburtsstunde der ersten deutschen Demokratie, bestanden.  1803 hatte die Reichsdeputation in Regensburg im letzten bedeutenden Gesetz des Heiligen Römischen Reiches die alte Reichskirche mit ihrem enormen Besitz enteignet, um die weltlichen Fürsten dafür abzufinden, dass ihnen während der Revolutionskriege linksrheinisch Besitz an Frankreich verloren gegangen war. Zum Ausgleich zahlten die Fürsten etwa für Baulasten oder die Besoldung des Klerus. Daraus entwickelten sich die jährlichen Zahlungen aus der Staatskasse. Bei den Protestanten war schon die Reformation im 16. Jahrhundert ursächlich für eine Art Vorvertrag. Mit der Auflösung von Klöstern und der Absetzung von Bischöfen fielen große kirchliche Güter an die Landesherren, die dafür Geistlichen alimentieren und den Erhalt der Kirchengebäude übernehmen mussten. Im 19. Jahrhundert wurde die Unterstützung dann vertraglich festgehalten. 

Der Anspruch der Kirchen auf die Staatsleitungen wurde bis heute nie infrage gestellt. Professor Horst Herrmann, Experte für Kirchenrecht: „Das Kaiserreich hat gezahlt, die Weimarer Republik hat gezahlt, Hitler hat gezahlt und die Bundesrepublik zahlt immer noch.“ Dass die Ablösung seit mittlerweile 103 Jahren nicht realisiert wurde, beruhe auf einer Entwicklung, dass die Kirchen sich umgehend in den Gesetzgebungsprozess eingemischt und erreicht hätten, dass die Staatsleistungen gleichsam als Ewigkeitsrente mit Bestandsgarantie gesehen würden und dass für eine Beendigung der Zahlungen „freundschaftliches Einvernehmen“ Voraussetzung sein solle. Diese Bedingung klingt wie ein Ausschlusskriterium. Wie soll denn mit den Kirchen Einvernehmen erzielt werden, wenn es um deren finanzielle Substanz geht? 

Staat und Kirchen sind Komplizen

Die Kirchen gehören zur Kultur in Deutschland und die ist Ländersache.  Derzeit zahlen also die Bundesländer – ausgenommen Hamburg und Bremen – den Kirchen jährlich insgesamt etwa 600 Millionen Euro. Ihn einem Gutachten für den Bundestag hat die Fakultät der Rechtswissenschaften der Sigmund Freud Privatuniversität Wien errechnet, dass die Staatsleistungen in den vergangenen 100 Jahren den Wert des früheren Kircheneigentums um das 194-fache übersteigen. 

Strikt zu trennen von den Staatsleistungen sind die von den Finanzämtern eingetriebenen Kirchensteuern und die milliardenschweren Zuschüsse für kirchliche Einrichtungen, die zu einem großen Teil auf den verschiedensten Gebieten für den Staat einspringen. Rein rechtlich ist die Ablösung dieser 600 Millionen Euro kompliziert. Der Bund selbst zahlt zwar nichts, muss aber gleichsam als Moderator in einem Grundsätzegesetz die Rahmenbedingungen schaffen. Seit August 2022 hat sich eine Arbeitsgruppe der Ampel dieser Aufgabe angenommen. Ein erster Austausch mit den Ländern Ende März 2023 zeigte sogleich auf, welche Herkulesaufgabe mit der geplanten Aufgabe von uralten Gepflogenheiten zu bewerkstelligen ist.  

Wie nicht anders zu erwarten, geht es an vorderster Stelle um Geld. So stellt die Berechnung des Finanzvolumens zur Ablösung der Staatsleistungen den heikelsten Punkt der Verhandlungen dar. Dabei will sich die vom Bund eingesetzte Arbeitsgruppe am Äquivalenzprinzip orientieren. Der Vorschlag kommt dabei auf den 18,6-fachen Wert der jährlich zu leistenden Zahlungen, wobei das Jahr 2020 zugrunde gelegt werden soll. Das ergäben insgesamt rund zehn Milliarden Euro als Einmalzahlung – zusätzlich zu den Jahreszahlungen in bisheriger Höhe, die noch für zwei Jahrzehnte weiterlaufen sollen, was etwa 21 Milliarden Euro kosten würde.  Der Widerstand der Länder war programmiert, eine solche Lösung würde selbst bei angebotener Ratenzahlung die meisten Haushalte überfordern. Denkbar ist somit, dass die Staatsleistungen auch in Zukunft weiterlaufen. Weil es für die Länder politisch attraktiver und aktuell viel günstiger wäre, pro Jahr einige Millionen zu zahlen, als einen großen Einmalbetrag aufzubringen, der ihnen die jährlichen Millionen erst Jahre später erspart.

Ein später im Parlament gescheiterter Gesetzentwurf von FDP, Grünen und Linken wollte schon 2021 durch ein Grundsätzegesetz die notwendigen Rahmenbedingungen für Vereinbarungen zwischen den zahlenden Bundesländern und den Diözesen und Landeskirchen schaffen und dabei die Leistungen sukzessive einstellen. Dabei wollten die Länder über das im Entwurf verankerte Stöckchen nicht springen, wonach die Ablösung nicht allein durch Geldleistungen, sondern auch durch die Übernahme bestimmter Aufgaben oder Verpflichtungen der Kirche durch den Staat erfolgen sollte. So attraktiv ist diese Variante freilich nicht, denn schon heute zahlt der Staat den Löwenanteil der in kirchlicher Trägerschaft befindlichen Einrichtungen. 

Was in dem damaligen Gesetzentwurf religionsfeindlich anmutet, wurde selbst vom Direktor des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands, Ansgar Hense, nicht so eingestuft. Er forderte aber wie andere Experten, den Umfang der abzulösenden Leistungen genauer zu definieren. Das betreffe etwa den Umgang mit „negativen Staatsleistungen“ – also der Befreiungen der Religionsgesellschaften von Steuern und Abgaben – oder mit kommunalen Staatsleistungen. Er sprach sich auch für eine größere Flexibilität beim Ablösezeitraum aus, um der Leistungsfähigkeit der Bundesländer gerecht zu werden. Letztlich fand der Entwurf von FDP, Grünen und Linken aber keine Mehrheit. Vertreter von Union und SPD würdigten aber die Vorlage und beteuerten, das von der Verfassung seit über 100 Jahren geforderte Vorhaben nach der Bundestagswahl zu verwirklichen. 

Stets wird bei diesem Themenkomplex betont, dass zwischen Staat und Kirchen ein „freundschaftliches Einvernehmen“ hergestellt werden müsse – was in der Praxis heißt, wenn die Kirche (seit 100 Jahren) nicht will, geht gar nichts. Mit welcher Massivität kirchliche Lobbyarbeit auf dieses freundliche Einvernehmen drängt, lässt sich Art. 5 Abs. 5 des Schlussprotokolls des Hessischen Kirchenvertrages von 1960 ablesen: „Das Land wird eine Ablösung ohne Zustimmung der Kirchen nicht durchführen.“ Mit dem Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen hat diese Vorgabe zum Einvernehmen nichts zu tun, da 1919 eine Mitwirkung der Kirchen vom Verfassungsgeber nicht vorgesehen war.

Gibt diese Art der Komplizenschaft zwischen Staat und Kirche schon wenig Grund für Optimismus zur Lösung der Staatsleistung, so setzt Berlin, das bis 2022 noch letzte Konkordat-freie Bundesland mit dem Abschluss eines Staatsvertrags mit dem „Heiligen Stuhl“ einen Dämpfer drauf, sichert sich die katholische Kirche auch in Zukunft zahlreiche Privilegien und ihren Einfluss, vor allem im pädagogischen und schulischen Bereich. So ist ein an der staatlichen Humboldt-Universität gegründetes „Zentralinstitut für Katholische Theologie“ ebenfalls Gegenstand des ersten katholischen Staatsvertrags des Landes. Dort sollen das „Studienangebot, die organisatorische Verankerung des Instituts an der Universität sowie die Berufung von Professorinnen und Professoren“ fortan unter Federführung der christlichen Organisation stattfinden. Das Verfassungsgebot, das eine Trennung von Kirche und Staat verlangt, wird von der rot-grünen Landesregierung ignoriert. Hat jemand empört aufgeschrien? Natürlich nicht, es geht ja um die Kirchen! Es geht um jene Kirchen, die sich weigern, Verantwortung für die Gräueltaten der vergangenen Jahrhunderte zu übernehmen. Da soll sich der Staat an jahrhundertealte Verträge gebunden fühlen?

Die Kirchen haben sich ins Abseits manövriert. Hier auch postalisch in Korbach-Lengefeld. Foto: Dennis-Schmidt / pixelio.de

Ist so viel Rücksichtnahme angebracht? Die großen Kirchen in Deutschland haben schließlich abgewirtschaftet. Der skandalöse Umgang mit dem Missbrauchsskandal, riskante Finanz- und Immobiliengeschäfte, zuletzt starre Reformverweigerungen auf dem Synodalen Weg, die katastrophale Außenwirkung führender Kirchenleute wie von Erzbischof Rainer Maria Wölki oder vom als Legat in die Römische Kurie abgeschobenen früheren Limburger Protz-Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst haben massiv Vertrauen und Glaubwürdigkeit gekostet. Auch deshalb erreicht die Zahl der Austritte in beiden Konfessionen immer neue Rekordhöhen – ein Beleg dafür, dass nur noch ein Bruchteil der Bevölkerung hinter den Kirchen und ihren gelebten Glaubenssätzen steht. Schon wird offen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der Kirchen gefordert. 

Damit ist der Handlungsdruck gestiegen, ist die Komplizenschaft zwischen Staat und Kirchen angesichts des gesellschaftlichen Bedeutungsverlusts doch nicht mehr zeitgemäß und gehört beendet; zumal die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle durch die Justiz keine wirkliche Trendumkehr erwarten lässt. Gemessen an der Vielzahl der Fälle sexueller Gewalt in der Kirche kommt es nur selten zu Verurteilungen. Das liegt daran, dass sich die Kirche völlig ungeniert über den Rechtsstaat stellt. Zumeist entscheiden die Bistümer selbst, ob sie Anklage erheben oder auf Anfrage Täternamen preisgeben. Dabei ist die Aufklärung Aufgabe der Justiz, die sich mit der Duldung der Bistumspraxis der Beihilfe zur Vertuschung schuldig macht. Die Staatsanwaltschaften aber schrecken davor zurück, sich mit Durchsuchungsbefehlen hinter schweren Kirchentüren Beweismittel zu sichern. Was beim DFB, bei Deutscher Bank oder bei VW nicht infrage gestellt wird, scheint bei der Kirche problematisch zu sein. Die im Februar 2022 erfolgte Durchsuchung im Zusammenhang mit dem in diesen Tagen eingestellten Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs im Erzbistum München Freising war die erste ihrer Art. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller sah sich dazu veranlasst, von einer „Zeitenwende im Verhältnis von staatlicher Justiz und den Kirchen“ zu sprechen. Endlich zeige der Rechtsstaat beiden Kirchen die Zähne. 

Intransparenz lässt nur Schätzungen zu

Die finanziellen Verflechtungen von Staat und Kirche sind vielschichtig. Von den Staatsleistungen strikt zu trennen sind die von den Finanzämtern kostenfrei eingetriebenen Kirchensteuern, die zusätzlich mit fast 13 Milliarden Euro pro Jahr zu Buche schlagen. Diese Einnahme subventioniert der Fiskus zusätzlich durch die Kostenübernahme bei der Eintreibung der Steuer, durch den Einnahmeverzicht des Staates wegen der Absetzbarkeit der Kirchensteuer sowie wegen der großzügigen Steuerbefreiung der Kirchen. Sie zahlen keine Einkommensteuer, Körperschaftssteuer, Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Grundsteuer, Grunderwerbssteuer, Umsatzsteuer, Kapitalertragssteuer, keinen Solidaritätszuschlag, keine Gebühren für Grundbucheinträge und sie sind von Justizkosten beziehungsweise Gerichtsgebühren sowie Beurkundungs- und Beglaubigungsgebühren befreit. Alles zusammen schätzen Expertenmeinung in Summe auf mindestens 8 Milliarden Euro Vorteilsnahme.  

Schätzen ist das Stichwort: Die Kirchen arbeiten in Konzernstrukturen, lassen sich aber nicht entsprechend dem Pendant in der freien Wirtschaft kontrollieren. Der Öffentlichkeit präsentierte „Bilanzen“ verschleiern gerne mal die wahren Werte ihres Immobilienbesitzes, Angaben zu den Geldtöpfen zur Finanzierung des Bischöflichen Stuhls der katholischen Diözesen beispielsweise fehlen vollständig. Nur der Bischof und seine engsten Vertrauten kennen diesen Schattenhaushalt, kein Finanzamt darf Einblick nehmen und die Ein- und Ausgaben stehen in keinem kirchlichen Haushaltsplan. Und das alles legal. Niemand sonst darf solche dunklen Konten führen, nur die Kirche.

Der Staat lässt sich diese Intransparenz gefallen und zahlt dennoch brav auch für Belange der Kirche, die nicht von der Allgemeinheit in Anspruch genommen werden können. Ob Bischofsgehälter, die Ausbildung kirchlichen Personals oder Missionswerke – konfessionslose und andersgläubige Bürgerinnen und Bürger zahlen alle kräftig mit. Die Empfänger der Gehälter finden das nicht unangebracht, sondern selbstverständlich: Georg Ratzinger, katholischer Priester und verstorbener Bruder des inzwischen auch verstorbenen Papstes, sagte gegenüber SPIEGEL TV, dass es „natürlich“ angemessen sei, dass kirchliche Würdenträger vom Staat bezahlt werden. Schließlich habe der Staat auch die Kirche „geplündert“ und ihr „viel gestohlen“. Außerdem würden die Bischöfe dem allgemeinen Wohl dienen.

Es geht nicht um Kleinigkeiten: Die Zuwendungen der öffentlichen Hand an die Kirchen übersteigen deren Einnahmen aus der Kirchensteuer bei weitem. Und da die Kirchen steuerbefreit sind, tragen sie nichts zur Finanzierung der gesellschaftlichen Infrastruktur bei, von der sie profitieren. Schlimmer noch: Mit den staatlichen Zuwendungen engagiert sich beispielsweise die katholische Kirche über ihren Ableger Domkloster Cologne völlig ungeniert in der Steueroase Niederlande – zulasten der sie mitfinanzierenden Steuerzahler. Aufschluss gibt dazu eine ARD-Reportage, von der wir einen Teil des Titels auch für diesen Artikel verwendet haben – weil das Kreuz mit dem Geld für die Kirche gar nicht treffender ausgedrückt werden kann:

Die Milliardensubvention für die Kirchenmitgliedschaft ist im Subventionsbericht der Bundesregierung unter der Rubrik „Einkommen- und Körperschaftssteuer“ (Lfd. Nr. 5) mit einem Abstand von mehr als 2 Milliarden zum nächsten Subventionspunkt der größte Einzelposten. Keine Bevölkerungsgruppe wird in diesem Bereich großzügiger von der öffentlichen Hand gefördert. Laut dem Bericht ist die Zielsetzung der Maßnahme die „Begünstigung anerkannter Religionsgesellschaften und ihnen gleichgestellter Religionsgemeinschaften aus kirchen- und sozialpolitischen Erwägungen.“ Diesen sozialpolitischen Erwägungen würden die Milliardensubventionen für die Kirchen vermutlich mehr dienen, wenn der Staat diese statt an die Kirchen direkt zu 100 Prozent in staatliche Sozialpolitik fließen lassen würde, da laut einem Artikel von Deutschlandfunk Nova vom 12. November 2019 weniger als 10 Prozent der Kirchensteuer tatsächlich für karitative Zwecke verwendet werden: „Kirchliche Einrichtung der Caritas und der Diakonie, Altenheime und Kindergärten zum Beispiel, werden zu einem sehr hohen Prozentsatz – über 90 Prozent – staatlich bezuschusst.“, erklärt Christiane Florin aus der Redaktion „Religion und Gesellschaft“ des Deutschlandfunks. Das Geld diene in erster Linie dem jeweiligen Bistum dazu, sein Personal zu finanzieren.

Unter Berücksichtigung der Krankenkassen, Sozialversicherungsträger und Eigenleistungen der Betreuten sind die Kirchen letztlich sogar nur für zwei Prozent der Finanzierung der meisten dieser Einrichtungen verantwortlich, haben aber allein das Sagen, beispielsweise bei Personalentscheidungen und verfügen über die Ressourcen nach eigenem Ermessen.


Carsten Frerk gibt in „Kirchenfinanzen“ einen Überblick, zu welchen Gelegenheiten der Staat von den Kirchen zur Kasse gebeten wird. Er problematisiert Begünstigungen wie die Absetzbarkeit der Kirchensteuer, erläutert die Fragwürdigkeit der Staatsleistungen und fragt sich, warum die Allgemeinheit soziale Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft bezuschusst, obwohl dort die Arbeitnehmerrechte weitgehend außer Kraft gesetzt sind. Ist das nicht ein Etikettenschwindel, wenn Kirche draufsteht und auch inhaltlich praktiziert, aber nicht von der Kirche finanziert wird?


Die Kirchen finanzieren sich also über garantierte Staatsleitungen, die Kirchensteuer und den Verzicht des Staates auf Steuern, über Subventionen und Zuschüssen. Zuwendungen erhalten kirchliche Schulen, Hochschulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Pflegeheime, Beratungsstellen. Vergessen werden sollten auch nicht die Ausgaben des Staates und der Länder für den Religionsunterricht, die theologischen Fakultäten und die Militärseelsorge, für Kirchentage oder Kirchenredaktionen in den Landes-Rundfunkanstalten.

Das zum allgemeinen Überblick. Aktuell geht es aber um die 600 Millionen Euro staatlicher Zahlungen nach dem napoleonischen Konkordat, auf die die Kirchen nach Meinung vieler Staatsrechtler nach Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung ebenso zwingend einen Anspruch haben wie auf eine Entschädigung bei Ablösung dieser Zahlungen. Allerdings sind die Experten für Staatskirchenrecht in den kirchlichen Verwaltungen und Gremien sowie an staatlichen Hochschulen in der Regel nicht nur Mitglieder der Amtskirchen, sondern sind den Kirchen außerdem häufig durch Gutachteraufträge, Beratungs- und Vertretungsmandate etc. auch finanziell verbunden. Neutrale Gutachten sind angesichts dieser Abhängigkeit in der Regel wohl nicht zu erwarten.

Aber es gibt durchaus abweichende Meinungen. Aus dem Wortlaut unseres Grundgesetzes ergibt sich nach Auffassung des Juristen Johann Albrecht Haupt dieser Anspruch der Kirchen nicht, sondern genau das Gegenteil: Es werde gerade nicht von der Weiterzahlung der Staatsleistungen gesprochen und schon gar nicht über einen Zeitraum von über 100 Jahren, sondern ausschließlich von ihrer Ablösung. Auch von einer abschließenden Entschädigungszahlung sei in diesem Verfassungsartikel nicht die Rede, sagt Haupt, der dem Beirats der Humanistischen Union angehört, die sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt. Wer sich an dieser Stelle auf die Verfassung berufe, ernte häufig nur ein „müdes Lächeln“ seitens sogenannter Experten, konstatierte der Jurist. Man müsse – so werde dann von diesen „Experten“ aufgefordert – die Verfassungsbestimmungen natürlich „richtig“ interpretieren und auch berücksichtigen, was der Verfassungsgeber sich dabei gedacht und was er im Sinn gehabt habe.

Dem Humanistischer Pressedienst, einem Verein zur Förderung säkularer Rechtspolitik, geht es zu weit, wenn im Jahr 2023 Rechtsansprüche aus Vorgängen abgeleitet werden, die über 200 Jahre zurückliegen oder gar aus Zeiten der Reformation stammen. Auch andere gesellschaftliche Gruppen hätten in diesem Zeitraum gewaltige Verluste erlitten und Umwälzungen, Kriege, Vertreibung, staatliches Unrecht erlebt, ohne dass der Staat in fürsorglicher Art diesen Gruppen stets anwachsende Leistungen hätte zukommen lassen, sagt Haupt. Die Rechtsgrundlage für die Weiterzahlung der Staatsleistungen sei durch Zeitablauf und durch das seitdem geschaffene und wirksame Kirchensteuersystem längst entfallen. Ein stabiles System zur Eigenfinanzierung der Kirchen sei seit langem etabliert: Die Kirchen seien seit Jahrzehnten in der Lage, ihren eigenen Finanzbedarf zu erwirtschaften durch die Kirchensteuer und durch Erträge aus eigenem Vermögen. Einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren als Übergangsregelung hätten die Verfassungsgeber entgegen der „Experteninterpretationen“ sicher nicht im Sinn gehabt.

Beweislast bei den Kirchen

Also stehe noch die Forderung nach einer Beendigung der Staatsleistungen gegen Zahlung einer Entschädigung im Raum, so Haupt.  Doch wer eine Entschädigung beansprucht, müsse zunächst darlegen, welche Rechtstitel 1919 existierten und wie dies heute zu bewerten sei. Es sei völlig unbekannt, von welchen Rechtstiteln aus der Zeit vor 1919 überhaupt gesprochen werde. Stattdessen werde in der Diskussion auf die Staatskirchenverträge der Länder mit dem Heiligen Stuhl und den Evangelische Landeskirchen und auf die Höhe der dort vereinbarten Beiträge und deren Fortschreibung rekurriert. Diese Verträge seien sämtlich nach 1919 – zum Teil zu Weimarer, zum Teil zu bundesrepublikanischen Zeiten – geschlossen worden. Haupt: „Die Verfassung sagt aber nicht, dass die Staatsleistungen wie in den Staatskirchenverträgen vereinbart abzulösen sind, sondern dass die Staatsleistungen, die 1919 existierten, in ihrem damaligen Bestand abzulösen sind.“ Dieser Bestand sei jedoch heute kaum noch feststellbar. 

Haupt sieht den Anspruch der Kirchen noch aus einem anderen Grund skeptisch. Wenn behauptet werde, dass die Staatsleistungen ihren Ursprung in den Vermögensverlusten der Kirchen nach der Reformation oder als Folge der Säkularisierung nach 1801 hatten, dann müsse es doch verblüffen, dass ausgerechnet in Sachsen-Anhalt die Staatsleistungen besonders hoch sind, vor allem da dort die Vermögensverluste eher gering waren im Vergleich zum Rheinland. Auch die Unterschiede in den heutigen – aus dem Land Preußen hervorgegangenen – betroffenen Bundesländern erscheine dann nicht nachvollziehbar. Es fehle an Plausibilität und zudem an Nachweisen durch die Ansprüche stellenden Kirchen, dabei liege die Beweislast bei den Anspruchstellern.

Für den Juristen Johann Albrecht Haupt ist die Sachlage klar: Etwaige Entschädigungsansprüche sind durch die über hundertjährige Zahlung längst erfüllt, sogar übererfüllt worden und damit erloschen. Die Anrechnung der bereits geleisteten Zahlungen sei allerdings bislang von politischer Seite empört als verfassungswidrig zurückgewiesen worden. In letzter Zeit gebe es aber wohl Stimmen aus dem Bereich der Staatskirchenrechtslehre, die eine Anrechnung der bisherigen Zahlungen auf die Höhe der Ablöse-Entschädigungen für immerhin „denkbar“ und durchaus auch wünschenswert halten, sagt Haupt. Eines Ablösungsgesetzes bedarf es nach seiner Ansicht nicht. Der Gesetzgeber müsse feststellen, dass die Zahlung der Staatsleistungen sofort einzustellen ist. Eine Ablösungsentschädigung sei nicht erforderlich. Diese juristische Expertise entspricht allerdings so gar nicht der von Kirchenrechtlern unterstützten Auffassung der handelnden politischen Akteure.

Haupt ist jedoch nicht der einzige kritische Geist in dieser Causa. Der Politologe und Kirchenfinanzexperte Carsten Frerk,  der sich zuletzt in seinem  Buch „Kirchenrepublik Deutschland“ mit dem Thema Staatsleistungen und kirchlichem Lobbyismus befasst hat, sagte gegenüber dem Humanistischen Pressedienst, es sei  die Krönung des kirchlichen Lobbyismus´, zwar die Zeichen der Zeit erkannt zu haben, dass die Staatsleistungen nicht mehr als legitim vermittelbar seien, aber die Klärung der Situation auf 25 Jahre verschieben zu wollen und das Ganze mit einer üppigen Einmalzahlung zu krönen.

Es sei die Behauptung der katholischen Kirche, dass die Staatsleistungen die „Pachtersatzleistungen“ für Enteignungen seien. Die Grundflächen dieser behaupteten Enteignungen seien bisher niemals tatsächlich benannt worden. Wenn es sich um Enteignungen von Kirchenbesitz handeln würde, könne es sich nur um die „Mensalgüter“, also  den persönlichen Dispositionsbesitz der Bischöfe handeln, aus deren Erträgen sie die Finanzierung und Ernährung ihres Hofstaates realisierten. Dafür seien jedoch im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 keinerlei Regelungen enthalten, es sei nur der staatliche Erhalt der hohen Domkirchen vereinbart worden, so Frerk.  Zudem sei der Grundbesitz der Kirchengemeinden unangetastet geblieben. 

Vom Recht auf Anmaßung

Ungeachtet der juristischen Einschätzung stellen immer mehr Menschen die Frage nach der Herkunft der Kirchenvermögen, für die bis heute Kompensationen eingefordert werden. Im historischen Kontext gehören die Kirchen schließlich zu den größten Verbrechern der Menschheitsgeschichte. So wurde zunächst die Bevölkerung enteignet, durch Raub, Mord und Erpressung. Missioniert wurde überwiegend mit dem Schwert. Genau betrachtet gehört der Besitz der Kirchen also dem Volk, das für seine Enteignung aber noch brav zahlen darf. Folgendes Zitat stammt aus dem Brockhaus-Lexikon von 1824 zum Stichwort „Säkularisation“: „Die Säkularisation enthält, aus rechtlichem Gesichtspunkt betrachtet, durchaus nichts Ungerechtes, da die geistlichen Regenten nicht durch den Willen der von ihnen regierten Völker, sondern durch bloße Anmaßung zu ihrer Herrschaft gelangt waren, mithin kein wohl erworbenes Recht hatten.“ Noch deutlicher schreibt es das seriöse bürgerliche Mayers Konversationslexikon 1851. Darin heißt es, dass die geistlichen Regenten in der Regel wider den Willen der von ihnen regierten Völker durch Anmaßung, Erbschleicherei, List und Betrug und dergleichen zu ihrer Herrschaft und zu ihren Reichtümern gelangt seien.


Die Weltkirche schwimmt in Geld. Über Jahrhunderte hat sie ein stattliches Geld-, Beteiligungs- und Immobilienvermögen angehäuft, in etlichen Ländern ist sie über ihre Werke, Trägerschaften und Organisationen sogar der größte Land- und Immobilienbesitzer und natürlich wichtiger Unternehmer, Arbeitgeber und Wirtschaftsfaktor. Hans-Lothar Merten wirft in seinem Buch „Scheinheilig“ einen kritischen Blick hinter die Kulissen des Geld- und Finanz-Labyrinths der Weltkirche.


Noch einmal hilft der Blick zurück auf die Ursprünge, mit denen die Kirchen ihre Ansprüche unterlegen. Diese staatlichen Milliardenausschüttungen an die deutschen Großkonfessionen gehen zu einem Teil zurück auf das Jahr 1803. Damals hatte Napoleon die Grenze Frankreichs bis an den Rhein ausgedehnt, zu Lasten deutscher Landesfürsten. Den deutschen Fürsten des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ bot Napoleon im Gegenzug aber an, sich östlich des Rheins dafür einen Ausgleich zu holen, woraufhin sich die deutschen Landesherren die bisherigen Reichslehen der Fürstbischöfe aneigneten. Die Kirche wurde also überhaupt nicht „enteignet“, es wurden lediglich staatlich gewährte Lehen neu verteilt, welche niemals im Eigentum der Kirche waren. 

In den vergangenen hundert Jahren haben Abermillionen von Menschen, zigtausende Gewerbetreibende, Handwerker, Kaufleute und Unternehmer durch Inflation, Krieg und Währungsreformen sehr vieles, manche so gut wie alles verloren und mussten, sofern es gelang, von vorne anfangen. Der Klerus wird – wie noch im Kaiserreich „von Gottes Gnaden“ -, vom Staat bezahlt und zum Abschied will er noch einmal in die Vollen langen. Das schreckt ab und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der 103 Jahre alte Verfassungsbruch noch lange Jahre geduldet und die einmal begonnene Säkularisierung nicht vollendet wird. Deutschland bleibt vorerst ein Kirchenstaat!

Aufmacherfoto: Esther-Stosch / pixelio.de

Zum Thema aus dem Blog „Bruchstücke“: 11. Gebot: Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen

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