Eiskalt abserviert vom langjährigen Koalitionspartner CDU mussten sich die Grünen in Hessen erst dreimal schütteln, ehe sie Bedeutungs- und Machtverlust realisieren konnten. Zu positiv war die gemeinsame Bilanz zum Abschluss der Legislaturperiode und noch vor der Landtagswahl ausgefallen, als dass sich der Juniorpartner nach der Wahl vorstellen konnte, gegen die SPD ausgetauscht zu werden. „Renaissance der Realpolitik“: So hat Hessens CDU-Ministerpräsident Boris Rhein im neuen Landtag die Ziele seiner ebenfalls neuen schwarz-roten Koalition umrissen. Fragt sich die Allgemeinheit, was für eine Politik Schwarz-Grün denn stattdessen verfolgt hat. Und den Grünen fällt nichts anderes ein, als ihrem Ex-Partner Stimmungsmache vorzuwerfen. Der Schock sitzt eben tief. Die Partei ist noch nicht wieder neu sortiert. Deshalb bietet sich die Frage an: Wie geht es den Grünen – übrigens auch denen in Berlin?
Nun steht die neue Landesregierung in Hessen – ohne Regierungsbeteiligung der Grünen. Die sind jetzt da, wo Mist ist; in der Opposition und nicht mal dort in der ersten Reihe. Erst musste die Dezimierung der Landtagsmandate verkraftet werden und dann auch noch der abrupte Kurs- und Partnerwechsel von Boris Rhein und der hessischen CDU. Auch Tarek Al-Wazir als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten angetreten, hat auf der harten Oppositionsbank Platz nehmen müssen.
Da ist es für die Grünen auch keine Genugtuung, wenn schon der Start in die neue Regierung seitens der SPD recht holpernd beginnt – oder Boris Rhein, sich deshalb vielleicht schon jetzt zu den von ihm selbst einst geschätzten geräuschlos und verbindlich agierenden Grünen zurücksehnen sollte. Es kann sie auch nicht trösten, dass im neuen Kabinett nur noch drei Posten für den Juniorpartner der CDU ausgewiesen sind. Also bleibt nur die Überraschung über den steilen Abwärtstrend. Schließlich haben die Grünen fünf Prozent der Wählerschaft in der Landtagswahl verloren und sind nur auf Rang unter allen Parteien gelandet. Das muss verkraftet werden. Während die Grünen in den großen Städten kaum Wählerschaft verloren, mussten sie im ländlichen Raum und in den kleineren Städten und Gemeinden größere Einbußen zu verzeichnen – genau dort, wo die AfD den Großteil ihrer Wählerschaft rekrutiert.
Auf Spurensuche
Konnten sich die Grünen anfangs noch geehrt fühlen, dass die AfD gerade sie zum Hauptgegner erklärt hatte, mussten sie aber im Wahlkampf hinnehmen, dass andere Mitbewerber es in dieser Frage der AfD gleich taten. Da erklärte der CDU-Fraktionsvorsitzende plötzlich die Grünen zum Hauptgegner und die sich ebenfalls im Wahlkampf befindliche CSU in Bayern machte ebenfalls Front gegen die Grünen – mit denen sie auf keinen Fall eine Regierung bilden würden. Die Freien Wähler mit Parteichef Aiwanger stiegen gar auf den Jargon der AfD ein, indem sie die Grünen als „Schnitzel-Verbotspartei“ an den Pranger stellte. Und Sahra Wagenknecht, der ihre eigenen ihre Linken schon viel zu grün waren, heizte ebenfalls die Gegnerschaft zu den Grünen an. Fehlt noch Georg Maßen, der gerade dabei ist, eine neue Partei namens Werteunion zu gründen – gibt als Begründung für diese Initiative an, er wolle die herrschende Öko-Diktatur beenden.
Wie die AfD deklarierten auch andere Parteien plötzlich den Wunsch nach irgendeiner Normalität und versprachen ein Gendern-Verbot, Schnitzel statt Vegetarismus, Familie statt Transgender und Gasheizung statt Wärmepumpen. Wie die AfD bedienten sie sich gerne populistischer Methoden und heizten die Polarisierung an. Eine hohe Emotionalisierung der Wahlkämpfe in Hessen und Bayern sorgte dafür, dass sich kaum jemand mehr für Argumente, Fakten und Sachverhalte interessierte.
Grüne in der Defensive
Die Ampelregierung mit dem starken Wirtschaftsminister Habeck und dem von ihm initiierten und zunächst verunglückten Heizungsgesetz trugen erheblich zum Wahlverlust bei. Ein Kanzler, der allzeit meinungslos schweigt und es versäumt, die Richtung der gemeinsamen Koalition zu betonen und zu erklären, hat den Gegnern die Meinungsbildung ohne Not überlassen und zur Schwächung der Koalition beigetragen. Selbst dann, wenn Ampel oder Grüne keinesfalls Ursache eines Problems waren, wurden sie dafür verantwortlich gemacht und somit zunehmend zum Opfer. Die Unfähigkeit und der Unwillen der FDP, ihre Bedenken in der Koalition zu klären und Aufmerksamkeit über öffentlichen Streit mit den Grünen zu erzielen, trugen zum Stimmenverlust bei. Die Grünen ja – aber auch die Ampelparteien insgesamt gerieten immer weiter in selbstverschuldeten Misskredit. Die rechten und konservativen Kräfte fanden selbst in den schweren Krisen nicht zu einer unterstützenden Form, sondern heizten die Diskreditierung weiter an. Das führte dazu, dass die Ampel-Parteien, einen jähen Absturz in den Wahlergebnissen und Umfragen erlitten.
Waren die Grünen in Hessen nach zwei Legislaturen Schwarz-Grün und dem Anspruch auf das Amt des Ministerpräsidenten schon auf dem Weg zur Volkspartei, sind Sie nun als Folge der Bundespolitik zurückgeworfen auf die ehemalige Programmpartei mit grüner Klimaschutz-Ideologie und übertriebenem Engagement für Minderheiten.
Gleiches gilt für die Regierungsbeteiligung der Grünen in Berlin. Noch kurz vor dem Eintritt in die Ampel waren Annalena Baerbock und Robert Habeck so stark und so beliebt, dass gar schon der Sprung in das Kanzleramt für möglich gehalten wurde. Von dieser Aufbruchsstimmung und Beliebtheit ist momentan nicht mehr viel übrig – die Grünen sind in die Defensive geraten. Auch wenn Andreas Röder in der „FAZ“ wortreich schon das Ende der grünen Hegemonie beschwört, liegt er darin falsch. Froh können wir sein, dass durch die massenhaften Demonstrationen hoffentlich bald die Hegemonie der AfD in unserm Land beendet wird.
Überall grüne Themen
Die Grünen sind die maßgebliche Partei der gestaltenden Transformation. Sie haben die Ideen und die Kraft dafür und ein Personalangebot. Transformation ist unbequem und führt nicht zur alten Normalität, sondern unausweichlich in eine neue Zukunft. Digitalisierung, Fluchtbewegungen oder die Veränderung des Klimas und der Umwelt finden mit und ohne Gestaltung statt. Die Grünen wollen die Gestaltung zugunsten unserer Gesellschaft. Sie bekennen sich dazu – als einzige Partei. Dafür sind sie in eine Zukunftskoalition eingetreten. Allerdings waren die Voraussetzungen dafür offensichtlich noch nicht geschaffen. Zu ängstlich sind die Partner oder in einer neoliberalen Ideologie verhaftet, wie beispielsweise die FDP.
Die Notwendigkeit von Klimaschutzanpassung und Transformation ist aber unausweichlich. Das wissen die meisten Menschen, sie bekennen sich sogar dazu. Was das aber in der Umsetzung konkret bedeutet, birgt für die Mehrheit zu viel Ungewissheit und zu viel Überraschung. Auch Transformation muss für die Menschen kalkulierbar und berechenbar bleiben. Das war für viele nicht gegeben und selbst die grünen Regierungsmitglieder schienen von der einen oder anderen Auswirkung selbst überrascht zu sein.
Auch die Grünen können nicht für sich in Anspruch nehmen, für alle Zukunftsfragen die einzige richtige Antwort parat zu haben. Den Diskurs führen trotz Zeitknappheit, rechtzeitig aufzuklären und die Menschen mitzunehmen – sind das Gebot der Stunde. Für die einen ist die Regierung mit den Grünen zu langsam, für die anderen zu schnell. Auch darüber, wie die Transformationserfordernisse sozial ausgewogen gestaltet werden können, sind bisher alle Parteien eine Antwort schuldig geblieben.
Das Ende der Grünen und ihrer Themen ist nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil! Die Grünen werden ihre Lernkurve in der Bundesregierung schnell erhöhen. Seit mehr als 40 Jahren werben sie für Umwelt- und Klimaschutz und wurden dafür früher schon genauso diskreditiert wie heute. Sie haben die größte Expertise für die anstehenden Fragen und eine klare Haltung zu den Konflikten unserer Zeit. Mit Robert Habeck dazu noch einen stellvertretenden Kanzler, der, wenn der gewählte mal wieder schweigt, in die Bresche springen kann, wie seine viel beachtete Stellungnahme zum Überfall der Hamas auf Israel, gezeigt hat.
Politik nachjustieren
Ja, es geht denn Grünen momentan nicht so gut. Aus der Defensive müssen sie sich erst wieder herausarbeiten. Die Umstände in der Regierung sind schwierig, das gesellschaftliche Umfeld desaströs. Die Partei selbst ist einig und stabil. Sie muss nacharbeiten im ländlichen Raum und in den kleineren Städten. Sie muss ihre Politik sozial ausgewogen gestalten und die unterschiedlichen Wirkungen der Klimapolitik im städtischen und ländlichen Umfeld stärker in den Blick nehmen, die unterschiedlichen Problemlagen differenzierter betrachten und darauf reagieren. Wenn dann die multiplen Krisen die Gesellschaft nicht überfordern und die Partner in der Regierung nur etwas zukunftsfähiger agieren, werden die Grünen der wichtigste Partner für die Transformation bleiben.
Die Grünen sind wichtiger denn je, gerade wenn sich im rechten und konservativen Spektrum ein neues Sammelbecken rückwärtsgewandter Zeitgenossen unterschiedlicher Couleur ein Stelldichein geben und die Linken von der Bildfläche verschwunden sind. Mal sehen, ob die hessischen Grünen sich auf ihrem Parteitag an diesem Samstag dieser Verantwortung stellen. Sie wollen die Wahlschlappe analysieren und beraten, wie sie sich nach dem Verlust der Regierungsbeteiligung mit einem neuen Landesvorstand aufstellen.