Streitschrift gegen die woke Linke

Susanne Schröter, Professorin für Ethnologie und Direktorin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Goethe-Universität Frankfurt, setzt sich seit vielen Jahren für eine differenzierten und realistischen Blick auf den Islam ein. Sie warnt vor den Gefahren des Islamismus und kritisiert die Politik der Islamverbände, denen der Staat ihrer Meinung nach allzu oft auf dem Leim gehe. Die streitbare Professorin hat sich damit nicht nur Freunde gemacht. Linke Aktivisten sind immer wieder mit dem Vorwurf der „Islamophobie“ und des „antimuslimischen Rassismus“ zur Stelle und versuchen Tagungen und öffentliche Diskussionsrunden zu stören, die Schröter mit ihrem Forschungszentrum veranstaltet. Oft ist Polizeischutz notwendig. Schröter hat insofern eigene Erfahrungen mit einer neuen Intoleranz, die sich an den Universitäten, im Kulturbetrieb, zunehmend aber auch in der gesamten Gesellschaft ausbreitet. Eine Intoleranz, die nicht nur Begriffe tabuisiert und Vorschriften für den Sprachgebrauch erlassen will, sondern inzwischen selbst wissenschaftliche Fragestellungen für illegitim erklärt, wenn sie nicht mit den Dogmen vermeintlich fortschrittlicher Weltanschauung konform gehen. 

Der neue Kulturkampf

Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht.

Susanne Schröter

Herder Verlag Freiburg 2024, 20 Euro

ISBN 978-3-451-39710-3


In ihrem neuen Buch „Der neue Kulturkampf“ versucht Schröter zu zeigen, dass es sich bei diesen Konflikten nicht nur um ein paar Aufgeregtheiten im akademischen Milieu handelt, sondern um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das sich zunehmend zu einer Gefahr für die Freiheit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt auswächst. Es ist eine Streitschrift, erkennbar auch durch eigene Betroffenheit motiviert. Dennoch ist das Buch überaus informativ, gut und verständlich geschrieben und in der Argumentation überwiegend sehr überzeugend. 

In der Debatte um den Islam sei es, wie Schröter schreibt, konservativen Verbänden gelungen, Tabuzonen zu errichten, die Frage nach der Rolle der Frau, das Tragen des Kopftuchs und der Haltung des Islam zu Homosexualität als „antimuslimischen Rassismus“ zu diskreditieren und liberale Muslime auszugrenzen. Das Schlimme dabei, Wissenschaftler, die es eigentlich besser wissen müssten, ließen sich immer wieder vor den Karren des konservativen Islam spannen und versuchten, kritische Stimmen aus dem wissenschaftlichen Diskurs herauszuhalten. Weil Muslime als benachteiligte Minderheit angesehen werden, werden kritische Befunde zur Realität des Islam als latent diskriminierend angesehen und deshalb ausgeblendet. Wunschdenken schlägt Wahrheit. 

Wissenschaft verliert, wie Schröter zeigt, durch eine zu große Nähe zu normativen Bekenntnissen ihre Unabhängigkeit und Objektivität. Politischer Aktivismus bemächtige sich zunehmend nicht nur der immer schon diskussions- und meinungsfreudigen Sozial- und Geisteswissenschaften, sondern der Universitäten in Gänze, dies oft auf durchaus subtile Weise. Interessant ist dabei der Hinweis, dass das sehr verbreitete Formulieren von Leitbildern für Universitäten zum Einfallstor für Versuche der politischen Steuerung von Wissenschaft im Sinne der „woken“ Ideologie werden kann. Wenn in den Leitbildern ganz unverfänglich ein Bekenntnis zu Geschlechtergerechtigkeit, Diskriminierungsfreiheit und Diversität abgegeben werden, rücke naturgemäß das klassische Ziel der Universität, die möglichst ungehinderte und an der Wahrheit orientierte Suche nach Erkenntnissen in den Hintergrund. Mehr noch, Forschungsinhalte würden inzwischen mit Hinweis auf Universitätsleitbilder als illegitim abgelehnt. Die kritische Forschung zum Islam wird unter Diskriminierungsverdacht gestellt, der Hinweis auf die Erkenntnisse der Biologie zur Zweigeschlechtlichkeit höherer Lebewesen und damit auch des Menschen gerät unter das Verdikt der „Transphobie“, also irgendetwas zwischen krankhaftem Wahn und offener Bösartigkeit. Wenn die Universität sich in ihrem Leitbild zur Nichtdiskriminierung und Vielfalt bekannt hat, sei es dann nur ein kurzer Schritt, mit Hinweis auf das Leitbild das Verbot bestimmter Forschungen, Vorträge oder Konferenzen zu fordern. 

Für viele besonders informativ dürften die Ausführung zum „postkolonialen“ Denkansatz sein, mit seinem scharfen Gegensatz zwischen der Welt des kolonisierten „globalen Südens“ und den Ländern des Westens, den ehemaligen Kolonialherren. Das damit verbundene Beharren auf einer andauernden kolonialen Schuld hat sich als überaus anschlussfähig und wirksam erwiesen, vom Nahostkonflikt bis hin zu weltpolitischen Verwerfungen, bei denen Autokratien wie China und Russland im Kielwasser der Kolonialismuskritik Einfluss im globalen Süden zu gewinnen versuchen. Schröter zeigt sehr schön, dass auch dieses für das „woke“ Denken sehr zentrale Denkgebäude im Kern mehr Ideologie als Wissenschaft ist. Damit das Schwarz-Weiß-Bild des Postkolonialismus stimmt, werden schlechtes Regieren, Gewalt und Korruption in Ländern des globalen Südens ebenso ausgeblendet wie die Tatsache, dass es dort schon vor der Kolonialisierung durch die Europäer Sklavenhandel, Unterdrückung und Ausbeutung gab. Das macht es zur Ideologie – falsches Denken zu praktischen Zwecken, die man bei der „woken“ Linken durchaus auch findet, wie Schröter beschreibt. 

Eine Vielzahl von gut bezahlten Stellen im öffentlichen Dienst für alle möglichen Beauftragten, aus Steuermitteln geförderten Verbände und „Nicht-Regierungs-Organisationen“ verdanken sich durchsetzungsstarker Minderheiten- und Identitätspolitik auf allen politischen Ebenen. Auf diese Weise sei Schröter zufolge eine regelrechte „Anti-Rassismus-Industrie“ entstanden, die den gesellschaftlichen Daueralarm pflege und dabei aber doch sehr wirksam die eigenen Schäfchen ins Trockene bringe.   

„Woke“ heißt, wörtlich übersetzt „aufgeweckt“, wogegen keiner etwas haben dürfte. Politisch ist „woke“ inzwischen jedoch zum Kennzeichen einer intoleranten Ideologie geworden, die mit geradezu hysterischer Akribie nach kleinsten Zeichen der Abweichung vom normativ für richtig Gehaltenen sucht und einen für eine freiheitliche Gesellschaft tödlichen Konformitätsdruck erzeugt. Der konservative Islam, die Genderpolitik und das postkoloniale Denken haben, wie Schröter zeigt, Geltungsansprüche mit totalitären Zügen. Kritiker werden nicht beim Argument genommen, sondern es werden ihnen bösartige und feindliche Intentionen unterstellt. Die logische Antwort ist dann nicht das vielleicht bessere Argument, sondern die Verächtlichmachung der Kritiker und das „Canceln“ ihrer Aktivitäten. 

Schröters Buch zu diesen Phänomenen des Zeitgeistes ist informativ. Dass es an vielen Stellen eine Streitschrift in eigener Sache ist, schmälert seinen Informationswert nicht. Etwas mehr analytische Distanz hätte allerdings an manchen Stellen des Buches gutgetan. Wünschen würde man sich zudem Bemühungen, die von Schröter gut beschriebenen Phänomene einer intoleranten und aggressiven Bewegung in die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung einzuordnen. Wenn bestimmte Ideologien so viel Einfluss und Durchsetzungskraft entwickeln, möchte man wissen, warum sie entstanden sind und was ihnen so viel politische Kraft gibt. Ist es eine Regression in Irrationalismus oder ist es Teil einer der vielen Häutungen des Kapitalismus, die einen neuen Zyklus der Verwertung auf globaler Ebene ankündigt (Stichwort: digitaler Kapitalismus), zu dem die „woke“ Ideologie die Begleitmusik orchestriert? Dazu gibt es kaum etwas in dem Band. Vielleicht ist das der Stoff für ein weiteres Buch.  

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