Vor dem Schreiben dieses Textes stellt sich die Frage, ob man wieder über eines der vielen populistisch verkleideten Stöckchen springen sollte, das die Söder-CSU dem Volk ständig hinhält. Entwickeln die zumeist nur heiße Luft enthaltenden Tiraden aus Bayern doch erst durch die öffentliche Beachtung die ihnen zugedachte Wirkung. Im Moment befinden wir uns jedoch im Wahlkampf. Und da dürfte es hilfreich sein, den mehr oder minder gehaltvollen Output der Propaganda-Abteilungen der Parteien zur Meinungsbildung heranziehen zu können – zumal bei den Powerthemen Asyl, Flüchtlinge und
Migration, wobei da gerne nicht so genau differenziert wird.
Also beschäftigen wir uns mit dem jüngsten CSU-Vorstoß, das Bleiberecht von Migranten an ein „auskömmliches Einkommen“ koppeln zu wollen. Wörtlich heißt es in dem Migrations-Papier, das weit über das gemeinsame Wahlprogramm mit der CDU hinausgeht und mit dem die CSU ihre Botschaft des „Sicherheits-Plans für ein Law-and-Order-Deutschland, im Außen verortet: „Wer dauerhaft in Deutschland leben will, muss für seinen Lebensunterhalt eigenständig sorgen und darf nicht auf Sozialleistungen angewiesen sein.“ Die Partei mit dem „C“ im Namen will schutzbedürftige Menschen also auf ihren ökonomischen Status degradieren. Ganz nebenbei: In diesem Papier ist das Recht, sprich law, mit Blick auf die Gesetzeslage unterbelichtet. Bleibt offenbar nur noch die „order“, also die willkürliche Maßnahme ohne rechtliche Überprüfung. Das würde jedoch geradewegs in den Unrechtsstaat führen.
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz wollte das Thema Flüchtlinge/Migration aus dem Wahlkampf möglichst heraushalten. Wie das kaum anders zu erwarten war, schert diese Ansage Unionsfreund und öfter mal -feind Markus Söder nicht. Er verschiebt genau diesen Diskurs immer ein Stück weiter ins Extreme. Deutschland brauche eine „harte Kurskorrektur in der Migrationspolitik“, heißt es aus der Parteizentrale. So will die CSU unter anderem den Subsidiärschutz abschaffen. Dieser gilt für Menschen, die zwar nicht als Asylberechtigte anerkannt sind, in ihrem Heimatland aber durch Krieg oder Verfolgung bedroht werden. Zudem sollten Ukraine-Flüchtlinge kein Bürgergeld mehr bekommen.
Und was sagt Merz zum neuen Querschuss der Freunde aus München? Nichts! Da will einer Kanzler werden und meint angesichts dümpelnder Umfragewerte mit stiller Zustimmung zur „neuen Härte in der Migrationspolitik“ (war schon „Spiegel“-Titel 2023) punkten zu können. Warum auch nicht?! Schließlich haben sich für alle Parteien die Abkehr von Grundrechten und Humanität, der Rechtsbruch, die Abschottung und Militarisierung der quasi zum rechtfreien Raum mutierten EU-Außengrenzen in Stimmenzuwächsen ausgezahlt. Dass die Pushbacks auf See und an den Grenzen völkerrechtswidrig sind, stört offensichtlich niemanden von politischem Gewicht. Ebenso wenig, dass nach dem europäischen Asylkompromiss von Ende 2023 sogar Kleinkinder an den Grenzen inhaftiert und Menschen ohne Anhörung in ihr Land zurückgeschickt werden dürfen. Auch das ist ein offener Bruch der EU mit dem geltenden Völkerrecht. Gleiches gilt für die Weigerung einiger EU-Staaten, anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten den Zugang zu Lebensmitteln und Wohnraum zu erschweren, um den vermeintlichen „Pullfaktor“ kleinzuhalten.
Obwohl das alles mit christlichen Werten nicht vereinbar ist, stört das die Christsozialen in der Union nicht. Sie fühlen sich ob des international gebilligten Rechtsbruchs wohl auch ermuntert, zur Befriedigung von zuvor beim Publikum geschürten niederen Instinkten den Schutz vor Krieg und Verfolgung verfassungswidrig an ein Einkommen koppeln zu wollen. Denn laut Grundgesetz ist das Asylrecht ein sogenanntes individuelles Recht. Die Gewährung des humanitären Schutzes hat Vorrang und darf nicht quantitativen oder finanziellen Vorbehalten untergeordnet werden. Bei Flüchtlingen mit Duldungsstatus, die dauerhaft bleiben wollen, verlangt das Aufenthaltsgesetz schon heute eine „überwiegende Sicherung des Lebensunterhalts durch Erwerbstätigkeit“. Bei den meisten Geduldeten gibt es in der Regel Abschiebehindernisse wie soziale Härten oder fehlende Reisedokumente. „Ein fehlendes Einkommen ändert an diesem Befund nichts“, heißt es aus dem Flüchtlingsministerium in NRW. Also geben die CSUler die Marktschreier, obwohl sie wissen sollten, dass ihre Pläne nach der derzeitigen Gesetzeslage nicht umsetzbar sind.
Und es grenzt schon an böswillige Ignoranz der Söder-Truppe, den Leuten über das Asylrecht (AsylG § 61 (1) Erwerbstätigkeit) das Arbeiten zu verbieten, aber eine Aufenthaltserlaubnis vom Einkommen abhängig machen zu wollen. DAs ist die Realität: Gut ausgebildete Ärzte aus der Ukraine haben auch im dritten Jahr ihres Aufenthalts noch keine Arbeitserlaubnis, gute, in Deutschland ausgebildete Handwerker werden abgeschoben. Anstatt dringend benötigte Arbeitskräfte zu generieren und sich darüber vor allem Gedanken zu machen, wird die ganze Zeit darüber nachgedacht wie man Deutschland wieder germanisiert. Demnächst gehen eine Menge syrischer Ärzte und Akademiker, die wir dringend brauchen, zurück in ihre Heimat. Aber Hauptsache man macht ein paar idiotische Populistensprüche in der Hoffnung den deutschen Michel für seine Partei zu gewinnen.
Und wenn das Gesetz geändert würde, was hätte das für Folgen? Ein Migrant dürfte dann auch bei einem schlechtbezahlten Job für die Arbeitslosenversicherung einzahlen, müsste aber im Falle der Arbeitslosigkeit ausreisen, da das Arbeitslosengeld allein nicht zum Überleben reichen würde. Finde den Fehler!
Ungeachtet des Hinweises auf die Verfassungswidrigkeit des CSU-Vorstoßes findet dieser erstaunlich viele Sympathisanten. Offensichtlich ist die „neue Härte“ bereits tief in unserer Gesellschaft verankert. Das verführt zu Phrasen, mit denen es sich leicht auf der Klaviatur der Relativierung universaler Rechte spielen lässt. Eine Arbeitspflicht als Voraussetzung fürs Bleiberecht festzulegen, darauf kann nur kommen, wer völlig vergessen hat, warum und wie die Grundrechtsdokumente nach dem Zweiten Weltkrieg zustande gekommen sind.
Sukzessive werden die Sollbruchstelle der europäischen Werte- und Realpolitik verschoben, um möglichst große Distanz zwischen „uns“ und „denen“ zu schaffen, schreibt Judith Kohlenberger in ihrem Buch „Gegen die neue Härte“. Dabei steht nationalstaatliches Eigeninteresse am Schutz der Grenzen vermeintlich über dem Recht der Schutzsuchenden. Immer weniger Bürgers stören sich daran, dass sich der Fokus verschoben hat. Im Zentrum steht heute der Schutz von Grenzen, nicht der Schutz von Schutzsuchenden, deren mit „neuer Härte“ zu maßregelndes Verhalten darin besteht, sich nach Sicherheit und Freiheit zu sehnen. Bedenken wie Überfremdung und Islamisierung haben Vorrang vor dem Sicherheitsbedürfnis der Vertriebenen, ihrer Not und ihrem Elend. Das sind keine guten Vorzeichen fürs neue Jahr.