Die Klimakrise – auch eine Frage von Krieg oder Frieden

Von unseren Gastautoren Prof. Dr. Peter Brandt, Reiner Braun und Michael Müller

Die Covid-19-Pandemie, die zu einem weltweiten Schreckgespenst wurde, und der Ukraine-Krieg, der sich zu einem geostrategischen und geopolitischen Konflikt ausgeweitet hat, machen die Verletzlichkeit des menschlichen Lebens im globalen Zeitalter deutlich. Nach nicht einmal drei Jahren in den 20er Jahren ist zu befürchten, dass wir in einem „Jahrzehnt der Extreme“ leben, in dem sogar diese beiden tiefen Einschnitte letztlich nur das Vorspiel in dem großen globalen Drama der heraufziehenden Klimakrise sind. Im neoliberalen Kapitalismus muss die Menschheit beweisen, dass sie zur sozialen und ökologischen Gestaltung des Zusammenlebens fähig ist, global, gemeinsam und sofort. Andernfalls droht ein Jahrhundert erbitterter Verteilungskämpfe und eskalierender Gewalt.

Seit Beginn des Industriezeitalters belasten die menschlichen Eingriffe die Öko-Systeme um mehr als das Hundertfache, ist der Ressourcenverbrauch in den Industrieländern um das Zwanzigfache gestiegen, stieg die Weltbevölkerung von 800 Millionen Menschen auf heute acht Milliarden.  Die Naturvergessenheit der Industrieländer, die nachholende Industrialisierung großer Erdregionen und die ungleiche Verteilung der Lebenschancen beschleunigen die Überlastung der Öko-Systeme und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Wir haben längst die Tragfähigkeit unseres Planeten überschritten. Die Eingriffe in die Natur überschreiten ökologische Grenzen des Wachstums. Sie erreichen kritische Grenzwerte im Erdsystem. Die globale Erwärmung steuert dabei auf Kipppunkte zu, die die Klimakrise unaufhaltsam beschleunigen werden und irreversible Schädigungen möglich machen.

Die Alarmzeichen zeigen sich in der Zunahme von Wetterextremen. Dürren, Hitze, Stürme und Starkregen nehmen zu. Wüstenbildung, Überschwemmungen und die Zerstörung der Biodiversität schreiten voran. Zahlreiche Länder sind von Wasserknappheit bedroht, landwirtschaftliche Systeme brechen in den ärmsten Ländern Afrika zusammen. In Asien müssen sich Länder vor Überflutungen retten. Im Pazifik verschwinden erste Staaten von der Landkarte. Die Folgen, für die es keinen Präzedenzfall gibt, sind Massenmigration und Destabilisierung von Staaten. 

Die Selbstvernichtung der Menschheit ist denkbar geworden

Der Human Development Report der Vereinten Nationen warnt: „In der Geschichte der Menschheit gibt es keine Situation, die sich mit der Dringlichkeit der mit der Klimakrise ausgelösten Probleme vergleichen ließ.“ Das 21. Jahrhundert droht durch die Erderwärmung zu einem Jahrhundert erbitterter Verteilungskämpfe zu werden. Mehr noch: Die Selbstvernichtung der Menschheit ist denkbar geworden. 

Schon Mitte unseres Jahrzehnts werden wir uns nicht mehr innerhalb der erhofften Grenzen des Pariser Vertrages befinden, die von der 21. Weltklimakonferenz noch als verträglich für die Menschen bewertet wurden. Eine globale Erwärmung um mehr als 1,5 Grad Celsius ist nicht mehr zu verhindern. Tatsächlich war jedoch auch Paris kein Durchbruch für den Schutz der Erdatmosphäre. Die dort von den knapp 200 Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention vorgelegten Selbstverpflichtungen würden immer noch zu einer globalen Erwärmung um 2,8 bis 3,2 Grad Celsius führen, viel zu hoch, nicht zu verantworten und selbst ihre Nichteinhaltung kann nicht sanktioniert werden.

Auf der wärmer werdenden Erde werden soziale Ungleichheiten und ökonomische Krisen in erster Linie meteorologische Ursachen haben. Mit höchster Dringlichkeit stellt sich die Frage: Sind wir zu einer Weltinnenpolitik fähig, zur Gestaltung der globalen Transformation, die soziale Gerechtigkeit und ökologische Tragfähigkeit miteinander verbinden muss? Diesem Ziel waren wir in den 1980er Jahren konzeptionell schon deutlich näher. Damals legten die Vereinten Nationen die Konzepte für ein Gemeinsames Überleben der Menschheit durch eine Nord-Süd-Partnerschaft, für eine Gemeinsame Sicherheit durch Abrüsten und Sicherheitspartnerschaft sowie für eine Gemeinsame Zukunft durch Nachhaltigkeit vor. Diese drei Reports, auch bekannt geworden als UN-Reports von Willy Brandt, Olof Palme und Gor Harlem Brundtland, müssen als Einheit gesehen werden. Sie sind noch immer die wichtigsten Wegweiser für eine gute Zukunft.

Doch die UN-Berichte scheinen in Politik und Öffentlichkeit vergessen zu sein. Heute passiert nämlich das Gegenteil, nicht zuletzt verstärkt durch den unsäglichen Ukraine-Krieg: Neue Ausgrenzung, Blockbildung und Aufrüstung. Auf der überlasteten und zerbrechlichen Erde sind neue Gewalt, erbitterte Verteilungskämpfen und nationalistische Gegenströmungen die Folge. Es riecht nach einem „großen“ Krieg.

Wir leben im Zustand der Grenzüberschreitungen

Schauen wir genauer hin, was wir wissen und was auf uns zukommt. Der Kohlenstoffgehalt in der Troposphäre, der unteren Luftschicht der Atmosphäre und großen Wettermaschine unseres Planeten, nimmt immer zu. Das Klimasystem gerät aus dem Lot. Eiskernbohrungen belegen, dass in den letzten 800.000 Jahren vor dem Beginn der Industriellen Revolution zu Ende des 18. Jahrhunderts die Konzentration von Kohlenstoff zwischen 180 und 210 ppm (parts per million) in Kaltzeiten und zwischen 280 bis 310 ppm in Warmzeiten variierte. Im Holozän, der erdgeschichtlichen Epoche der letzten 12.000 Jahre, lag der Wert stabil bei 280 ppm. 

Mit der Erfindung der Dampfmaschine stieg jedoch der Mensch zur stärksten Naturgewalt auf und verändert auch das Klimasystem. Den konkreten Beleg liefert seit Mitte des 20. Jahrhunderts der Chemiker Charles David Keeling. Er begann 1958 mit kontinuierlichen Messungen des troposphärischen COin 3.297 Meter Höhe auf Mauna Loa (Hawai). Sein Datensatz, die Keeling-Kurve, bestätigte den Zusammenhang zwischen Kohlenstoffkonzentration und Klimaschwankungen. 

Heute hat der Mensch das Erdsystem bereits so stark verändert, dass wir von einer neuen Erdepoche sprechen. Im Anthropozän ist die Menschheit zum maßgeblichen geologischen Faktor geworden. Mit der „Lüge von der unbegrenzten Verfügbarkeit der Güter unseres Planeten“, wie Papst Franziskus in der Öko-Enzyklika Laudato Si‘ die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen beklagt, gerät die Menschheit an die ökologischen Grenzen des Wachstums. Infolge dieser rücksichtlosen Ausbeutung läuft sie Gefahr, die Natur zu zerstören und selbst zum Opfer dieser Zerstörung zu werden.

Bereits 1979 warnte die Wissenschaft vor einer vom Menschen verursachten Klimakatastrophe. Die „Studiengruppe Kohlendioxid und Klima“ des Nationalen Forschungsrates der USA rechnete vor, dass eine Verdoppelung des Kohlenstoffgehalts in der Troposphäre gegenüber der vorindustriellen Zeit zu einer Erderwärmung um 3 Grad Celsius führen würde. Seitdem sind 43 Jahre vergangen, 43 für den Klimaschutz verlorene Jahre. 

Die damalige Berechnung war richtig und stimmt noch heute. Die erste Weltklimakonferenz der UNO, angestoßen von den Warnungen der Wissenschaft, fand 1979 in Genf statt. Das erste wichtige Ergebnis dieser UN-Konferenzen war 1988 die Gründung des Weltklimarates (IPCC), der seitdem die Sachstandsberichte über den Zustand des Klimas organisiert.

Im Mai 1992 beschlossen die Vereinten Nationen die UN-Klimarahmenkonvention, die auf dem Erdgipfel Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro von der internationalen Staatengemeinschaft unterzeichnet wurde. Ziel der Konvention ist es, den Klimawandel zu stoppen, die vom Menschen verursachten Treibhausgase zu reduzieren und die Folgen der Erderwärmung zu mildern (Artikel 2). Doch die jährlichen UN-Klimakonferenzen (COP) blieben weitgehend folgenlos, denn seit Rio hat sich die CO2-Konzentration verdoppelt.

Auf der letzten Klimakonferenz in Glasgow im Dezember 2021 (COP 26) gab es einen großen Anzeigewürfel, auf der die Zahl 416 zu sehen war. Sie zeigte die aktuelle CO2-Konzentration an, die derzeit um 2,28 ppm (Teile auf eine Million Luftteile) jährlich ansteigt. Spätestens Anfang 2024 wird demnach mehr als 420 ppm und damit die Treibhausgaskonzentration für eine Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius erreicht sein, auch wenn es aufgrund des komplexen Anpassungsmechanismus des Klimasystems noch einige Jahre dauern wird, bis die 1,5 ° C real messbar werden. Das Überschreiten der ersten kritischen Schwelle ist aber nicht mehr zu verhindern. Pazifischen Inselstaaten droht der Untergang. Die Überflutung großer Küstenregionen in Asien, der Zusammenbruch landwirtschaftlicher Systeme vor allem in Afrika, die Vernichtung wertvoller Öko-Systeme sind kaum noch zu stoppen.

Wir leben derzeit in einem Zustand der „Grenzüberschreitungen“ (Jorgen Randers), neue Tatsachen werden bereits geschaffen. Die verheerende Flutkatastrophe am 14. Juli 2021 in der Eifel war ein eindringliches Warnsignal. Ihre Ursache ist auch auf ein Abschwächen des thermohalinen Windbands über dem Nordatlantik zurückzuführen, einem der befürchteten Kipppunkte.

Satellitendaten belegen, dass der brasilianische Amazonaswald dabei ist umzukippen, weil große Teile der Baumbestände durch die Hitzeperioden austrocknen. Die Permafrostregionen der Erde – insbesondere in Sibirien – speichern fast 50 Prozent des im Boden gelagerten Kohlenstoffs. Mit ihrem zu beobachtenden Auftauen werden sie zu einer gewaltigen Quelle von Treibhausgasen. Das IPCC erwartet schon bei einer Erwärmung um mehr als 1,8 Grad Celsius einen nahezu kompletten Verlust der tropischen Korallenriffe, dem Lebensraum für ein Viertel aller Pflanzen- und Tierarten im Meer.

Sind die Eliten zur Solidarität mit den Armen fähig?

Das Fatale der globalen Klimakrise ist, dass ihre Auswirkungen sich durch die Trennung von Emissionsquellen und Folgen noch längere Zeit auf tragisch höchst ungerechte Weise auf die verschiedenen Regionen der Erde und die Gesellschaftsschichten verteilen werden. Die Hauptverursacher richten die größten Schäden in den armen Erdregionen an, die über die geringsten technischen und finanziellen Möglichkeiten verfügen, sich schützen zu können. Auf das reichste Prozent der Weltbevölkerung entfallen weit mehr als 10 Prozent der globalen Treibhausgase. Aber die Folgen tragen sie nur in einem sehr geringen Ausmaß. Daraus ergibt sich die Konfliktlinie der Zukunft, die nur entschärft werden kann, wenn es weltweit zu mehr sozialer Gerechtigkeit und zu einem erweiterten Verständnis von gemeinsamer Sicherheit kommt.

Das Kyoto-Protokoll, die erste Haltlinie im anthropogenen Klimawandel, hat keine messbaren Ergebnisse für den Schutz der Erdatmosphäre gebracht. Unsere Erde, die in den letzten 12.000 Jahren die Heimat der Menschen war, befindet sich in einem Abwärtsstrudel. Sie existiert immer weniger in der uns bekannten Form. Um weitere radikale Umwälzungen vor allem in den Bereichen Ökologie, Wasservorkommen und Landwirtschaft zu verhindern, sind schnell tiefgreifende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft notwendig, zu dem ein grüner Neoliberalismus nicht in der Lage ist. 

Damit stellt sich die Frage, ob die Länder und Akteure, die das klimatische Gleichgewicht der Erde im Holozän zerstört haben, im Anthropozän radikal umdenken und zu einer sozialen und ökologischen Gestaltung der Transformation fähig werden? Und sie müssen auch die notwendigen Mittel bereitstellen, um weltweit zu einer wirksamen Anpassung an die Folgen der Klimakrise zu kommen.  

Laut Schätzungen wird es mehr als 50 Billionen US-Dollar kosten, den Ausstoß von Treibhausgasen bis Mitte des Jahrhunderts zu halbieren. Das ist nur möglich, wenn sofort in den ökologischen Umbau investiert wird und nicht länger in Wolkenkratzer, Militär, Spekulationsgewinne und Megaausschüttungen an Aktionäre und Vorstände. Militär ist auch ein Klimakiller. Es muss durch eine schnelle Abrüstung und die Abschaffung der Atomwaffen abgebaut werden.

Doch bislang ist kein Umdenken zu erkennen, dass die reichen Länder und Gesellschaftsschichten die eigenen Interessen zugunsten einer aufgeklärten Solidarität zurückstellen, für die es keine Vorbilder gibt. Zu erwarten ist vielmehr, dass die Erdbewohner der ersten Klasse ihren Lebensstil mit allen Mitteln bewahren wollen. 

Die Klimakrise wird die Eliten der Welt wahrscheinlich schlicht und einfach dazu veranlassen, sich rigoros abschotten. Ihr Ziel wäre dann die Einrichtung grüner, streng bewachter Oasen des Wohlstands auf einer unwirtlich werdenden Erde. 

Umso wichtiger ist es, dass es zu einer sozial-ökologischen Gegenbewegung kommt. Andernfalls drohen die absehbaren Verteilungskämpfe in Gewalt und Krieg zu enden. Mit Sorge sehen wir, dass es vor allem in den reichen Staaten zu einer neuen Hochrüstung kommt. Auch Deutschland ist kräftig dabei. Dreiviertel der weltweiten Militärausgaben entfallen auf nur 10 Länder.

Dieser Ausblick ist dunkel. Die geographische Trennung von Emissionsquelle und sozialen und ökologischen Folgen steht einer aktiven Solidarität entgegen. Im Gegenteil: Statt die Prinzipien von Vernunft und Gemeinsamkeit nach vorne zu stellen, werden sich die Spannungen zwischen Arm und Reich, zwischen Nord und Süd verschärfen.

Deshalb müssen wir alles tun, die Klimakrise zu stoppen und zwar sozial gerecht, damit unsere Gesellschaft nicht auseinanderbricht. Weltweite Abrüstung gehört dazu. Die Gefahr eines „Klimakrieges“ wächst, je länger wir warten. Umso mehr brauchen wir eine breite Bewegung für die sozial-ökologische Gestaltung der Transformation, die sonst die Menschheit in die tiefste Krise ihrer Geschichte führen wird.

Prof. Dr. Peter Brandt ist Historiker und Publizist. Er leitete bis März 2014 den Arbeitsbereich bzw. das Lehrgebiet „Neuere Deutsche und Europäische Geschichte“ (jetzt: Lehrgebiet „Geschichte der Europäischen Moderne). 2003-2017 Direktor des interdisziplinären Dimitris-Tsatsos-Instituts für Europäische Verfassungswissenschaften (DTIEV). Ehrendirektor des Dimitris-Tsatsos-Instituts für Europäische Verfassungswissenschaften seit 2017. Peter Brandt hat 1973 an der Freien Universität Berlin mit einer Dissertation über die Rekonstruktion der deutschen Arbeiterbewegung 1945/46 am Beispiel Bremens promoviert und sich 1988 an der Technischen Universität Berlin mit einem Werk über die Vor- und Frühgeschichte der Burschenschaft im Rahmen der Entstehung der deutschen Nationalbewegung im frühen 19. Jahrhundert habilitiert.

Reiner Braun ist Co-Vorsitzender des Internationalen Friedensbüros. Er studierte Deutsche Literatur, Geschichte und Journalismus. Er war aktiv am „Krefelder Appell“ der Friedensbewegung in den 80er Jahren beteiligt. Braun war langjähriger Geschäftsführer der „NaturwissenschaftlerInnen-Initiatve – Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit“ und ist Geschäftsführer der IALANA sowie Co-Präsident des International Peace Bureau.

Michael Müller ist Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands

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