„Riecht bisschen nach Stasi“

Wenn der Staat seine Bürger als Ordnungshüter einsetzt

Grundsätzlich sind Meldestellen nichts Neues. Es gab sie schon immer. Wer Straftaten anzeigen wollte, konnte das bei der Polizei tun – oder beim Finanzamt. Bei Kindesmisshandlungen in der Nachbarschaft war es möglich, das Jugendamt einzuschalten. In den letzten Jahren verändert sich aber etwas Entscheidendes. Es werden spezielle Meldestellen etabliert, mit denen zum „amtlich kultivierten Denunziantentum“ (FAZ) eingeladen wird. So entwickelt sich auf juristisch zudem strittiger Grundlage allmählich eine Verdachtskultur, die das Vertrauen in Menschen aus der unmittelbaren Umgebung erschüttern kann. Für die Demokratie ist das gefährlich, wie Erfahrungen aus dem zweiten Deutschland beweisen.

Die Schlagzeile aus der örtlichen Tageszeitung lässt aufhorchen: „Portal boomt: In Offenbach können Bürger Falschparker online anzeigen“. Per Smartphone können Beweisfotos von Fahrzeugen, die vermeintlich falsch parken, direkt ans Ordnungsamt gesendet werden. Handelt es sich um ein Vergehen, erhält der Halter ein Knöllchen per Post. 

Offenbach ist mit dem Meldeportal in der kommunalen Familie nicht allein. Viele Städte verkaufen die neue Errungenschaft euphorisch, völlig überrascht vom durchschlagenden Erfolg der Meldebereitschaft in der Bevölkerung, die damit städtische Mitarbeiter entlastet und über die skalierte elektronische Erfassung die Bearbeitung der Anzeigen beschleunigt. Nicht zu vergessen: Neben Recht, Sicherheit und Ordnung geht es auch um nicht unerhebliche Mehreinnahmen.

 „Riecht ein bisschen nach Stasi“ schreibt @dart444 auf einem der sogenannten sozialen Kanäle. Wer aber glaubt, diese seien ob harscher Kritik am geförderten Meldewesen verstopft, der irrt. Die große Mehrheit der Kommentatoren rechtfertigt das Vorgehen der Behörden nach dem Motto: „Wer korrekt parkt, hat nichts zu befürchten. Wer andere behindert – was oft bei nicht-legalem Parken gerade in Städten der Fall ist – sollte zurecht mit den Konsequenzen leben.“ (@edhoc2) 

Oder: „Das Auto ist anderen Verkehrsteilnehmenden rechtlich nicht überlegen und wenn die Kommunen nicht hinterherkommen, dann ist es doch nur gut, wenn man unterstützen kann. Der öffentliche Raum ist kein rechtsfreier Raum und ohne Konsequenzen machen doch viele, was sie wollen, ohne Rücksicht auf andere.“ (@thejackimonster9689) 

Die große Zustimmung wiederum provoziert aber auch Reaktionen jener Art: „Gemessen an der überwiegenden Anzahl der Kommentare, scheint das Potenzial für Blockwarte und informelle Mitarbeiter immer noch recht hoch. So erklärt sich die deutsche Geschichte ganz vorzüglich.“ (@martinu.6921)

Staatliches Gewaltmonopol

Die Behörden führen zur Rechtfertigung ihrer Meldetools unter anderem an, dass diese ja nur einen Prozess vereinfachten, der den Betroffenen als privaten Sammlern von Beweisen ja ohnehin zustünde. Deshalb gebe es auch keine rechtlichen Bedenken für die Nutzer dieser Plattformen. Diesen Gedanken etwas überspitzt weitergesponnen könnte es bald also auch möglich sein, Verstöße gegen Ruhezeiten an Sonn- und Feiertagen mit recht wenig Aufwand zur Anzeige zu bringen oder Fotos von Fußgängern mit einer Anzeige zu verknüpfen, weil diese bei Rot über die Straße gelaufen sind. Ist ja schließlich kein rechtsfreier Raum…

Diesen richtig zu betreten und zu ordnen ist juristisch eine recht knifflige Angelegenheit, zumal höchstrichterlich noch nicht entschieden. Unter diesem Aspekt ist erst einmal festzuhalten, dass Verkehrsahndung und dessen Überwachung Teil des staatlichen Gewaltmonopols ist, das seine verfassungsrechtliche Grundlage im Rechtsstaatsprinzip findet. Sie zählt zum Kernbereich hoheitlicher Tätigkeit, und ihre Ausübung unterliegt strengen Grenzen. Den Behörden allein obliegt die Entscheidung, ob und gegen wen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Und sie müssen die Kontrolle über die Ermittlungsdaten haben; sie dürfen nicht verfälscht werden können. Und wo bleibt der Datenschutz? Schließlich landen Fotos auf privaten Servern.

Wichtig ist auch, dass die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit nach dem Opportunitätsprinzip erfolgt. Das heißt, es muss weiterhin gewährleistet sein, dass nicht jedes kaum bedeutsame formale Fehlverhalten geahndet werden muss, um gefährlichere Zuwiderhandlungen nachdrücklich verfolgen zu können. Für den Alltag heißt das: Ein Stadtpolizist kann und soll stets abwägen, ob er eine Anzeige erfasst oder lediglich mündlich verwarnt. Dass dieses Prinzip bei einer durch eine Privatperson bereits vorbereiteten Auswertung eingehalten wird, scheint doch recht fraglich.Vielfach verweisen Juristen auch auf eine mögliche Verletzung der verfassungsrechtlichen Vorgabe, wonach Hoheitsauf­gaben nur von Behörden durchgeführt werden dürfen. 

Juristische Feinheiten

Grundsätzlich ist es jedem möglich, vermeintliches Fehl­verhalten anderer zu melden. Allerdings sollte die systematische Aus­lagerung der Anzeigenaufnahme auf Privatpersonen mit dem Ziel, Personalkosten zu sparen und die Einnahmen zu steigern, doch unzulässig sein. Höchstrichterlich ist das noch nicht entschieden. Es gibt aber bereits eine Entscheidung vom Verwaltungsgericht Ansbach zum Datenschutz. So wurden zwei Männer vom Bayerischen Landesamt für Datenschutzaufsicht verwarnt. Sie hatten regelmäßig Fotos von im Halteverbot und auf Fahrradwegen parkenden Autos an die Polizei geschickt und die Halterinnen und Halter der Autos angezeigt. Die Behörde warf ihnen vor, dass das Fotografieren und Verschicken der Bilder gegen das Datenschutzrecht verstoßen, unter anderem weil auch andere Autos zu sehen waren. Dagegen hatten sie vor dem Verwaltungsgericht Ansbach geklagt und Recht bekommen. Das Verschicken der Fotos an die Behörden sei eine rechtmäßige Datenverarbeitung, so das Gericht. Das Gericht stellte klar, dass die Betroffenen nicht selbst vom Falschparken betroffen sein müssen. Sie haben ein berechtigtes Interesse daran, dass die Straßenverkehrsordnung eingehalten wird und Ordnungswidrigkeiten prinzipiell auch privat angezeigt werden können. Dem Versuch der Falschparker, ihr Unrecht auf das Zuparken von Gehwegen, Radwegen, Feuerwehrzufahrten, Busspuren, Zebrastreifen, Fußgängerampeln mit dem Datenschutz zu verteidigen erteilte das Gericht so eine eindeutige Absage. 

Aber: Ein OLG-Urteil aus 2020 lässt aufhorchen: Danach dürfen private Dienstleister nicht im städtischen Namen Verwarngelder gegen Falchparker verhängen. Sämtliche Verwarngelder, welche die Stadt Frankfurt seit 2018 ausgestellt hatte, erklärte das dortige Oberlandesgericht (OLG) für ungültig. Ein Hinweis zur Dimension: Es ging allein im Jahr 2018 um 700.000 Parkverstöße mit einem Sanktionswert von über zehn Millionen Euro.

Geklagt hatte ein Autofahrer, gegen ein Verwarngeld von 15 Euro wegen unerlaubten Parkens in einem eingeschränkten Halteverbot. Das Amtsgericht hatte das Verwarngeld für rechtens erachtet und sich dabei auf einen Zeugen berufen, der als Leiharbeiter eines privaten Dienstleisters von der Stadt Frankfurt als Stadtpolizist bestellt worden war. Dieses Urteil hob das OLG mit seiner Entscheidung auf und erklärte die Praxis, private Dienstleister zur Verkehrsüberwachung des ruhenden Verkehrs einzusetzen, für gesetzwidrig. Nur der Staat, konkret die Polizei, habe das Recht, Ordnungswidrigkeiten zu ahnden, hieß es zur Begründung Das beziehe sich sowohl auf den ruhenden als auch den fließenden Verkehr. Die Bestellung von Privatpersonen zu Hilfspolizisten der Ortspolizeibehörden sei verboten, urteilten die Richter.

Sogar EU und Bund mischen mit

Es gibt inzwischen ein staatlich finanziertes Netz von Meldestellen, bei denen Bürger „Hass und Hetze“ melden können. Auf diesem Weg sollen staatliche Instanzen aktiviert werden, die dann gegen die gemeldeten Inhalte vorgehen. Und im Kampf um ein sauberes Internet hat die EU  staatlich zertifizierte Meldestellen eingerichtet.

Vorweg: Das Melden von hetzerischen Inhalten oder Hasskommentaren und -Posts im Internet ist keine Denunziation. Denn: Das Denunzieren von Menschen geschieht zum eigenen Vorteil, das Löschen von Hatespeech – manchmal auch nur vermeintlich zum Schutz einzelner, von Bevölkerungsgruppen und der ganzen Gesellschaft – alles auf Basis der demokratischen Grundwerte. Gleiches gilt übrigens für das Aufzeigen von Meldestellen wie Korruption oder Veruntreuung. Illegale Inhalte und Taten zu melden, egal, ob in der analogen oder digitalen Welt, ist nicht mit der Denunziation innerhalb totalitärer Regime gleichzusetzen. Dennoch kann die Demokratie gefährdet sein, wenn die Regeln uneindeutig sind und nicht streng auf das staatliche Gewaltmonopol geachtet wird.

Die zahlreichen Meldestellen ermutigen zur Anzeige. Wer möchte nicht etwas Gutes für die Allgemeinheit tun und „Hass und Hetze“ bekämpfen? Was aber fällt unter dieses Rubrum? „Hass und Hetze“ sind anders als Polemik und Satire juristisch nicht vordefiniert. So kann jeder Hass und Hetze aus dem Bauch etikettieren? Ein unhaltbarer Zustand, der der juristischen Aufarbeitung bedarf, zumal der Staat nach dem Bestimmtheitsgrundsatz festlegen muss, was er von seinen Bürgern will. Unscharfe Begriffe sind ihm verboten, denn die Bürger sollen wissen, welche Grenzen das Recht zieht, damit zum Beispiel niemand willkürlich angezeigt werden kann.  Das nämlich geht auf Kosten der Freiheit, schüchtert ein und macht misstrauisch. 

Nun sind „Hass und Hetze“ nicht nur juristisch nicht vordefiniert, sie werden im Meldestellenwahn politischerseits begrifflich erweitert, sodass auch „Meinungsäußerungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ unter diesem Oberbegriff protokolliert und ausgewertet werden können. Aus den erhobenen Daten sollen später Schlüsse für die staatliche Interventions- und Präventionspolitik gezogen werden. Konkret soll es bei den Meldestellen um die Erfassung von Diskriminierungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze gehen. Dabei kommt es erneut und ganz bewusst zu einer Vermischung staatlichen Handelns mit den Interessen privater NGOs, die zur Datenerhebung und zur Bestimmung der Kriterien dieser Erfassung im Vorfeld herangezogen werden.

Wenn schon die Gesinnung interessiert

Ausgedacht hat sich dies das NRW-Familienministerium unter Ministerin Josefine Paul (Grüne). Es ist Teil eines Konzepts für vier neue Meldestellen, die derzeit im Aufbau sind:  Eine für „antimuslimischen Rassismus“, eine für „Antiziganismus“, eine, die „anti-Schwarzen, antiasiatischen und weitere Formen von Rassismus“ protokollieren sollen. In der Ankündigung findet sich die erwähnte fragwürdige Formulierung. Auch „Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ sollen dokumentiert werden. Unabhängig von der Frage, was das für Vorfälle sein sollen, irritieren die offensichtlich nach Ermessenssache zur systematischen Erforschung erhobenen Daten, weil sie doch gar nicht strafbar sind. Den Staat interessieren also unliebsame Meinungen. Das ist Gesinnungsschnüffelei, wie wir sie aus dem anderen deutschen Staat noch gut kennen. 

Einer großen Anfrage der AfD in Nordrhein-Westfalen ist zu entnehmen, dass bereits im Vorfeld der geplanten einjährigen Aufbauphase  starke Bedenken an den Meldestellenplänen geäußert wurden. „Selbst aus den Reihen von CDU-Kommunalpolitikern“ sei von „Übergriffigkeit des Staats“, einer „Blockwartmentalität“ und gar einem „Spitzelsystem nach Stasi-Manier“ die Rede gewesen. 

Deutliche Kritik kam auch von einem früheren Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs für Nordrhein-Westfalen, der ein Fehlen „grundlegender rechtsstaatlicher Anforderungen“ bemängelte und die Gefahr sah, dass sich die Meldestellen „zu Denunziationsstellen in privater Hand“ entwickeln. Problematisch sei die Tatsache, dass es sich bei den „Trägern um private Vereine handelt, die von ihrem Selbstverständnis her nicht neutral sind, sondern auf der Seite der potenziell Diskriminierten stehen.“

Kritisch äußerte er sich auch in Bezug auf das Melden von Vorgängen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze: „Darüber, ob eine Diskriminierung strafbar ist oder nicht, entscheiden in einem Rechtsstaat nicht private Vereine, sondern der Staat in dafür vorgesehenen Verfahren bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht. Letzteren obliege auch die Prüfung, ob und inwieweit eine vermeintliche Diskriminierung unter Umständen vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist.“

Im Sinne des Rechtsstaatsprinzips der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist die Ausweitung der Melderstellen unter privater Mitwirkung mehr als bedenklich und erfordert umso mehr unser aller Achtsamkeit.

Ein Gedanke zu ”„Riecht bisschen nach Stasi“

  1. Gibt es eigentlich auch schon eine Meldestelle für die Verbreitung von Klassenhass (gegen „Superreiche“), wie er gerne von Rot-Grün verbreitet wird?

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