Wie kann „gute Politik“ gelingen?

Können Städte Labore für die erfolgreiche Bewältigung der vielfältigen Menschheitskrisen sein? Ja, sagt Peter Kurz. Aber damit das gelingt, müsse die Politik gründlich umgekrempelt werden, gerade auch in Deutschland. 

Kurz war von 2007 bis 2023 Oberbürgermeister der Stadt Mannheim. Darüber hinaus war er Mit-Initiator des Global Parliament of Mayors (Weltparlament der Bürgermeister) und ab 2019 dessen Präsident. Auch auf europäischer Ebene hatte er Funktionen in kommunalen Gremien und war viele Jahre Präsident des Bundesverbandes Wohnen und Stadtentwicklung (VHW). Als Oberbürgermeister der vom Strukturwandel geprägten und keineswegs einfachen Stadt Mannheim hatte der Sozialdemokrat, wie Kommunalexperten und Oberbürgermeisterkollegen bescheinigen, in vieler Hinsicht durchaus ein gutes Händchen. Ein Blick auf die Entwicklung wirtschaftlicher Kennziffern der Stadt in seinen beiden Amtsperioden bestätigt das. Die Stadt hatte mit Universität, einer interessanten Kunstszene und der international bekannten Pop-Akademie allerdings auch gute Voraussetzungen, die Wende von einer grauen Industriestadt zum Standort wissensbasierter Wirtschaft erfolgreich anzugehen. 

Gute Politik

Was wir dafür brauchen,

Peter Kurz,

Frankfurt am Main 2024,

S. Fischer-Verlag,

111 Seiten, 20 Euro,

ISBN 978-3-10-397663-2


Wenn Peter Kurz nun in einem schmalen Bändchen seine Idee von „guter Politik“ thesenhaft vorstellt, sollte man also hinschauen. Folgt man ihm, ist Deutschland, was das Regieren angeht, keineswegs gut aufgestellt, ganz unabhängig von der Couleur der jeweils regierenden Koalitionen in Bund und Ländern. Das Land mache zu wenig aus dem Pfund der dezentralen Struktur seines Mehrebenensystems des Regierens. Es verheddere sich in föderalen Verflechtungsfallen und verkenne vor allem die produktive Kraft der Städte, die man mit immer mehr Aufgaben finanziell überfordere und bei den wichtigen politischen Weichenstellungen regelmäßig übergehe. Städte könnten Integrationsmaschinen einer immer vielfältigeren Gesellschaft sein, sie können soziale Innovationen antreiben und die Orte im politischen Geflecht der Republik sein, an der die Herausforderungen, aber auch die Lösungskorridore für die Probleme der Gesellschaft greifbar werden. Hier begegne der Staat seinen Bürgern direkt. Hier komme auch das zusammen, was auf den höheren Ebenen des Staates oft nebeneinander und schlecht koordiniert in verschiedenen Ressorts bearbeitet werde. Schließlich seien es die Kommunen gewesen, die bei Flüchtlingswellen, Corona und manch anderer Krise für den Staat die Kohlen aus dem Feuer geholt und durch beherztes Handeln das Ärgste verhindert hätten. 

Das Hauptproblem sieht Kurz jedoch in der überbordenden Bürokratie und Regelungswut. Das ist zwar inzwischen fast zum Allgemeinplatz geworden. Aber es ist doch eindrucksvoll, wenn Kurz aus der Mannheimer Praxis berichtet, dass inzwischen 35 Prozent der Kosten für den Schulbau in den Brandschutz gesteckt werden müssen, um all die vom Streben nach absoluter Sicherheit getriebenen Bauvorschriften zu erfüllen. Würde man hier ein paar Abstriche machen, wäre wesentlich mehr drin bei der Infrastruktur für Bildung. 

Es werde hier ein Grundproblem des staatlichen Handelns in Deutschland sichtbar. Man konzentriere sich auf Standards und nicht auf die Wirkung politischer Entscheidungen. Die Politik erlasse immer komplexere Normen beim Bauen, im Datenschutz, bei den sozialen Themen, steigere damit die Komplexität des staatlichen Handelns und mache das System damit langsam und vor allem sehr teuer. Kurz fordert eine Umkehr. Die Politik, auch in den Kommunen, müsse lernen, über Wirkungen zu steuern, dafür die notwendigen Daten zu bereitzustellen und sich darin üben, Ziele klar festzulegen, sie fest im Auge zu behalten, beim Einsatz der Mittel aber wesentlich offener und flexibler zu werden. Vielleicht könne man das Ziel, keine Schüler durch Brände zu Schaden kommen zu lassen, auch mit anderen Mitteln als der Maximierung des Aufwands für technische Brandschutzeinrichtungen erreichen. 

Hier hat Kurz einen wichtigen Punkt. Neben dem Bauen ist das Soziale ein Hauptkostentreiber bei den Kommunen. Wenn man sich auch hier stärker an den Wirkungen von Maßnahmen und nicht mehr nur an der Einhaltung von Standards orientieren würde, könnte man in der Tat einiges gewinnen. Allerdings müsste die Politik den Umsetzern in den Verwaltungen, Bildungseinrichtungen und bei sozialen Trägern mehr Spielräume lassen, dafür aber viel genauer hinschauen, was bei den in aller Regel teuren Maßnahmen tatsächlich herauskommt, Wirkungen messen und auf dieser Basis neue Entscheidungen zu treffen. „Evidenzbasierte Politik“ nennt man das im Fachjargon. Beschworen wird sie immer wieder, umgesetzt bisher allerdings eher selten. 

Einen erfrischend nüchternen Blick wirft Peter Kurz auf die vielfach als Patentrezept für „gute Politik“ beschworene Bürgerbeteiligung. Hier ist er zu Recht skeptisch und sieht die Gefahr der Delegitimierung und Schwächung der repräsentativen Demokratie, wenn Entscheidungen immer mehr an den Parlamenten vorbei ablaufen. Das nutze dem Zusammenhalt der Gesellschaft entgegen den Intentionen der Beteiligungsprozesse nicht, sondern nähre eher das Misstrauen gegenüber den Institutionen der Demokratie, zudem in den Beteiligungsprozessen oft nur kleine und besonders artikulationsstarke Gruppen das Sagen hätten.

Loyalität müsse im Übrigen in einer von Migration und Vielfalt geprägten Gesellschaft neu definiert werden. Kurz berichtet von einem türkischstämmigen deutschen Jugendlichen, der bei einem Länderspiel im Fußball zwischen Deutschland und der Türkei zur türkischen Mannschaft hält. Spiele aber einmal Mannheim gegen die Türkei, dann stehe er natürlich auf der Mannheimer Seite. Ob sich daraus ableiten lässt, dass lokale und regionale Bindungen irgendwann an die Stelle von nationaler Zugehörigkeit treten können, mag offenbleiben. Kurz hat aber recht, wenn er die Bedeutung der Kommunen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt betont. Zur Wahrheit gehört dabei natürlich auch, dass die Kommunen ohne ein halbwegs geordnetes Staatswesen und funktionierende Politik im Bund und in den Ländern nicht lebensfähig wären. Städte können in mancher Hinsicht modellhaft zeigen, wie „gute Politik“ aussehen könnte. Aber überziehen sollte man das Argument nicht. Es gibt auch auf kommunaler Ebene jede Menge Misswirtschaft und Stümperei. 

„Gute Politik“ braucht für Peter Kurz vor allem mehr Ehrlichkeit und Klartext. Die Seiten, die er diesem Thema widmet, sind die stärksten seines kleinen Bandes. Wenn man die Klimatransformation schaffen wolle, habe es einen Preis, den man den Bürgern nicht verschweigen dürfe. Die Fixierung auf Decarbonisierung und technische Problemlösungen sei falsch. Wenn man zwar sparsame Motoren konstruiere, aber dafür immer mehr fahre und die Autos größer werden, werde der CO2-Fußabdruck nicht kleiner, sondern größer. Auch der Umstieg auf Elektromobilität ändere daran nichts, wenn der Strom weiter mit fossilen Brennstoffen hergestellt werde, ganz abgesehen von den vielfältigen Eingriffen in die Natur, die auch die Elektrifizierung mit sich bringe. Wenn man wirklich etwas für die Bewältigung der ökologischen Krise tun wolle, müsse man vielleicht einfach mit weniger Autos auskommen. Ohne Änderungen an der Lebensweise werde sich die ökologische Krise nicht bewältigen lassen. Gerade in den Städten könne und müsse man zeigen, wie das geht, mit vielen kleinen Maßnahmen, aber den Blick stets aufs Ganze gerichtet. Peter Kurz gibt in seinem Bändchen interessante Anstöße zum Weiterdenken.

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