Die Steigbügelhalter

– Auch politische Kontrahenten und Medien stehen für den Erfolg der AfD –

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Thüringer und Sachsen haben die Republik mit ihren Voten für AFD und BSW gerade erst erschüttert, schon richten sich die bangen Blicke nach Brandenburg. Aus unerfindlichen Gründen wollen etliche Parteien erst nach dem dortigen Urnengang politische Konsequenzen ziehen – als ob das AfD/BWS-Beben dort noch verhindert werden könnte.

Erklärungsversuche zum jüngsten Wahlerfolg vor allem der AfD im Osten Deutschlands gibt es allerhand. Mal sind sie vorwiegend soziologisch angehaucht, mal gewinnen ökonomische Aspekte die Überhand. Mal geht es in einer nicht enden wollenden Empörungswelle um Befindlichkeiten und Protest, kämpfen Rechtsradikale mit untauglichen Mitteln wie Aufmärschen unter Fackeln und Übergriffen auf Flüchtlingsheime und Farbige, Schwule oder Punks um Anerkennung des schweren Schicksals, das die angeblich von allen im Westen gewohnten Annehmlichkeiten abgehängten Menschen im Osten zu erleiden haben. Selten werden politische Unzulänglichkeiten und strategische Fehler der sogenannten etablierten Parteien ins Feld geführt – so ehrlich machen sich nur wenige.

Noch seltener wird eine Erkenntnis der Forsa-Demoskopen genannt, wonach die Mehrheit der AfD-Wähler selbstverständlich jenseits jeder Rechtsradikalität mit den politischen Vorstellungen dieser Partei übereinstimmt und das aktuelle politische System ablehnt. Das stellt sich ja nun auch nicht gerade in gutem Licht dar. Die Partner in der Regierung – darf man sie noch so nennen? – haben es geschafft, dass nicht einmal mehr 18 Prozent der bei einer für das ARD-Politbarometer Befragten ihr vertraut. Ein historisch niedriger Wert, der sich hauptsächlich aus dem Unverständnis gegenüber ständigen Kappeleien und veritablen Streitereien und dem Eindruck speist, dass Kanzler Olaf Scholz die offerierte und daraufhin bestellte Führung eben doch nicht liefern kann.

Der Realität entrückt

Schon dringen aus Reihen der SPD und der Grünen erste Überlegungen an die Öffentlichkeit, nach den Debakeln bei den Landtagswahlen und dem vollzogenen Schwenk in der Asylpolitik durch einen Austausch des Führungspersonals Vertrauen zurückgewinnen zu wollen. Von einem solchen Schritt, der durchaus befreiend wirken kann, hält die SPD-Parteispitze freilich wenig. Sie unterstützt vielmehr des Kanzlers Ansinnen, im nächsten Jahr noch einmal zu kandidieren. Co-Chefin Saskia Esken erwartet sogar die Wiederwahl von Olaf Scholz. Man sei vor der letzten Bundestagswahl in einer ähnlichen Situation gewesen. Wie damals werde es der SPD auch dieses Mal gelingen, in den letzten Monaten den Wind zu drehen. Das sind exakt die Worte ihres Kanzlers, der sich zuletzt der Realität völlig entrückt immer öfter auch öffentlich darüber beschwert, dass seine Politik so gar nicht gewürdigt wird.

Nur der Vollständigkeit halber und um die für den miesen Ruf des Kabinetts mit verantwortlichen Oppositionellen in der Regierung zu würdigen: Wie die Ampel-FDP mit ihrem Rutsch in die Bedeutungslosigkeit im Osten umgeht, kann sie gut verbergen. Der Schenkelklopfer vom Wahlabend: FDP-General Bijan Djir-Sarai, der ob seiner zum Teil erzkonservativen Vorschläge die Frage provoziert, wie er sich bei selbst ernannten liberalen Partei fürs Dirigentenpult empfehlen konnte, macht die Ampel für den Absturz seiner FDP verantwortlich. Mit dem Fingerzeig gen Berlin weisen aber doch wohl mehr Finger auf den Strategen des Bündnispartners selbst…

Apropos verbergen: Im Wahlkampf waren sowohl SPD und Grüne als auch die FDP auf dem Land so gut wie gar nicht präsent, während vor allem die AfD dort nicht selten sogar mit von ihr organisierten Volksfesten für Stimmung sorgte. Wer sich nicht vor Ort engagiert, wird eben nicht gewählt. So einfach lässt sich der verheerende Wahlausgang für die Ampelparteien im ländlichen Raum eben auch erklären.

Politische Spielchen

Und da ist noch die CDU-Opposition mit ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, der ja die Stimmenanteile der AfD dereinst halbieren wollte, indem seine Partei Themen der Blauen besetzt und dafür demokratische Lösungen anbietet. Diese Taktik ist grandios gescheitert, einmal, weil sich die Wähler wie vorhergesagt bei den Themen Zuwanderung sowie Kriminalität und Gewaltbereitschaft beim Original AfD besser aufgehoben fühlten. Das wusste schon der frühere CSU-Generalsekretär Markus Blume: „Du kannst ein Stinktier nicht überstinken.“ Zumal es zu plump und durchsichtig ist, wenn man wie CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann „Migration, Migration, Migration“ für die drei wichtigsten Probleme des Landes hält und als Regierungspartei in Lauerstellung keine befriedigenden Antworten parat hat auf die außerdem wichtigen Befindlichkeiten im Osten in Bezug auf den Krieg in der Ukraine, den Umgang mit Wladimir Putin und Gefährdung des Friedens in Europa.

Letztlich versemmelt dann Friedrich Merz die Chance, zusammen mit der Regierung für Deutschland einen Migrationskurs zu entwickeln, der der AfD das Wasser abgraben kann. Die Ampel war bereit, ihm gegen alle Regeln des Anstands zu geben, was er im parteiübergreifenden Überbietungswettbewerb unter dem Motto „Ausländer raus“ wollte: Zurückweisungen von Migranten direkt an der Grenze; zwar mit juristischen Prüfungsaufträgen und Hinweis auf die notwendige Bereitschaft zur Kooperation der EU-Nachbarn, aber immerhin. Doch Merz ließ die Gespräche platzen. Der Vorsitzende, der sich als Kanzler im Wartestand staatsmännisch geben sollte, konnte der Versuchung nicht widerstehen, politische Spielchen zu spielen. Merz ist offensichtlich nicht an Kompromissen interessiert, will die Regierung lieber in die Selbstaufgabe zwingen. Doch der geplatzte Gipfel spielt ein weiteres Mal der AfD in die Karten. 

Deren Anhänger und die der Sahra-Wagenknecht-Partei werden sich auch nicht von der flugs verstärkten Grenzüberwachung zu einem Lagerwechsel animieren lassen, während diese Maßnahme vor allem nationalistische Regierungen ermutigen dürfte, sich ebenfalls mit Mauern zu umgeben und sich so europäischer Verpflichtungen zu entledigen. Eine Addition dieser nationalen Egoismen wäre dann letztlich die Bankrotterklärung für Europa. Die in Schengen fixierte Vision eines Kontinents ohne Grenzen hat jetzt schon jegliche Inspiration verloren.

Staatsmännisch handeln heißt eben auch, die Sachlage ohne Schärfe und Maßlosigkeit vom Ende her zu bedenken. Friedrich Merz und seine Partei dürften von vielen ihrer forschen Forderungen für die Galerie eingeholt und in die Bredouille gebracht werden, sollten sie dereinst in Regierungsverantwortung mit ihnen konfrontiert sein. Beispiele: Mit dem Dampfhammer lassen sich dann beispielsweise die CDU-Asylpläne nicht gegen EU-Recht und -Gepflogenheiten sowie den Widerstand der Nachbarländer durchprügeln. Merz´ populistische Forderung nach dem Attentat von Solingen, keine Menschen aus Syrien und Afghanistan mehr aufzunehmen, ist juristisch ausgeschlossen. In der Oppositionsrolle lässt sich damit populistisch reüssieren, in Regierungsverantwortung lassen sich solche Hürden nicht einfach ignorieren. Und mit der Ablehnung einer Anpassung der Schuldenbremse für Investitionen hat sich der CDU-Vorsitzende heute schon finanzieller Spielräume für seine mögliche Kanzlerschaft beraubt.

Fragwürdige Medienpräsenz

Unterm Strich haben alle maßgeblichen demokratischen Parteien ihren Teil zum AfD-Beben beigetragen. Doch auch die „Vierte Gewalt“, die das Handeln des Staates beschreibenden und kontrollierenden Medien, haben in diesem Kontext Beachtung verdient. Darauf aufmerksam macht ein naher Verwandter, der den Wahlerfolg der AfD auf deren „gefühlt überproportionale Präsenz“ in Zeitungen, Fernsehen, Radio und Internet zurückführt: „Du konntest dem Thema doch gar nicht entkommen!“

Das Gefühl lässt sich durch Fakten belegen, die Marc Bartl fürs Medien-Magazin „Kress“ zusammengetragen hat. Danach haben Roland Schatz und sein Media-Tenor-Team anlässlich der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen 7.665 Berichte über Parteien und Politiker im Zeitraum Januar bis August 2024 ausgewertet. Die Analysten kommen zum Schluss, dass ARD wie ZDF der AfD „eine fragwürdige Medienpräsenz“ bieten. Das sei unter anderem die Antwort auf Fragen wie: „Wieso erhält die AfD bei ARD und ZDF in Sachen Medien-Sichtbarkeit (für Wahlkämpfer die Gold-Währung) Gesamtrang 3, obwohl sie weder im Land noch im Bund in der Regierungsverantwortung steht? Warum sind bei ZDF fünf AfD-Politiker, bei ARD vier unter den Top 15 seit Januar 2024?“.

Schatz weise darauf hin, so Bartl, dass insbesondere in der Berichterstattung über Thüringen die AfD bei ARD und ZDF lange vor dem Wahltag auf Platz 1 lag: „Medienwirkungsforschern kommt das Phänomen der Self-Fullfilling-Prophecy in den Sinn. Spätestens seit der Bayern-Wahl 2023 ist bekannt, dass vor allem der Faktor Sichtbarkeit dazu beiträgt, für wen Wähler sich interessieren“, sagt Schatz. 

Die wichtigsten Ergebnisse der Analyse laut Bartl:

  • Die Medienpräsenz der AfD ist 2024 in den TV Nachrichten von ARD und ZDF stark angestiegen.
  • In „Tagesthemen“ bzw. „Heute“ sowie „Heute-Journal“ wurde die AfD 2024 intensiver berücksichtigt als die Grünen, die immerhin im Bund sowie in beiden Bundesländern bis zum Wahltag in der Regierungsverantwortung standen.
  • Deutlich weniger berücksichtigt waren die LINKE, die in Thüringen immerhin den Ministerpräsidenten stellt.
  • Die FDP wundert sich über die katastrophalen Resultate an den Wahlurnen in Sachsen und Thüringen, aber allein beim ZDF ist das Sichtbarkeits-Verhältnis zur AfD 1:5.
  • Von Januar bis April begannen die ARD und ZDF, über die AfD bevorzugt hinsichtlich ihrer sachpolitischen Konzepte zu informieren: Die Migrations-Vorschläge wurden insbesondere auf die Vorschläge hinsichtlich „Re-Migration“ thematisiert, die Verbindungen nach Russland und China deutlich hinterfragt – in der Folge gingen die Umfrage-Werte für die AfD auf Bundesebene deutlich nach unten. Mit dem Mai änderten ARD und ZDF diesen Fokus und berichteten verstärkt über Umfragen und die Werte stiegen wieder.
  • Das Attentat von Solingen hat noch eine Woche vor der Wahl gezeigt, wie zentral das Thema Kriminalität und Sicherheit in Deutschland ist. Dass bei diesem Thema parteipolitisch zunächst einmal die SPD im Vorteil ist, weil sie die Fachministerin stellt, liegt auf der Hand. Aber die FDP stellt mit Marco Buschmann den Justizminister – dennoch erhalten die Liberalen bei ARD und DLF teilweise noch nicht einmal die Hälfte der Sendezeit, die beide Sender ausgerechnet der AfD widmen, obwohl diese weder im Land noch im Bund in der Verantwortung stehen.
  • Im Zusammenhang mit Themen rund um Zuwanderung, Asyl und Flüchtlingspolitik waren es seit Januar nicht die AfD und ihre Politiker und Politikerinnen, sondern die Unionsparteien, die von den Sendern hauptsächlich mit diesen Themen in Verbindung gebracht wurden. Besonders intensiv im DLF. Die Linke scheint zu diesem Thema keine Vorschläge unterbreitet zu haben, zumindest gab es kaum Sendezeit für sie.

Volksempfänger TikTok

Die Frage nach der Beachtung von Gleichbehandlungsgrundsätzen im öffentlichen Rundfunk darf da schon mal gestellt werden. Es scheint, als seien die Redaktionen von der AfD geschickt mit Aufregerthemen getriggerte Berichterstatter, denen sie eine hohe Nachfrage beim Konsumenten zumessen.

Es läuft also für die AfD, die sich in der Medienarbeit höchst professionell von den anderen Parteien abgesetzt hat.  Dabei hat das Medienkonzept der AfD zum Ziel, dass die Blauen keine Berichterstattung in und damit keine Auseinandersetzung mit den öffentlich-rechtlichen Medien mehr benötigen. Kommunikation mit Mitgliedern, Sympathisanten und Wählern soll nurmehr über eigene stark professionalisierte Kanäle stattfinden. 

Die Blauen haben verstanden, wie der Medienmarkt funktioniert. Dabei sei TikTok ist der neue Volksempfänger der AfD, sagt Social-Media-Stratege Philipp Jessen, CEO und Co-Gründer von Storymachine im Podcast ToMorrow: „TikTok ist unfassbar politisch geworden. Das geht so weit, dass einige Politiker ihre Reden im Bundestag gar nicht mehr nutzen, um vor Ort zu diskutieren – sondern nur noch als Bühne für ihre TikTok-Posts.“

Ohne TikTok gehe es aktuell in der Politik nicht: Die Waffe TikTok sei mittlerweile so mächtig, dass man sich als Politiker entscheiden könne, ob man mitmache und versuche, so viel wie möglich herauszuholen oder die Plattform ignoriere und dann eben die Wahl verliere. Die AfD sei mit Abstand die erfolgreichste Partei auf TikTok, hebt Jessen – noch vor der Europa- und Kommunalwahlen – hervor. Sie mache es auch einfach besser auf TikTok, „systemisch, nicht inhaltlich“. Politiker der Partei hätten sich dort eine Fanbase aufgebaut. Jessen nennt als Beispiel Maximilian Krah, „der auf TikTok seine Inhalte einfach auf den Punkt bringt. Das ist hochsuggestiv und -manipulativ. Aber die anderen finden kein Mittel dagegen Bundeskanzler Olaf Scholz bespiele neuerdings ebenfalls einen TikTok-Channel, sagt Jessen. Sein Team gebe sich „wahnsinnig Mühe, aber du siehst: Der fühlt sich unwohl mit diesem Medium. Er fremdelt damit, er will es nicht. Es ist ein Kopfthema für ihn und kein Herzthema.“ Wenn Scholz auf TikTok Süßkartoffeln ranke und sich mit seiner Aktentasche unterhalte, werde das nicht funktionieren. „Es überzeugt keinen und es ist sogar streckenweise peinlich.“

Auch dieses Beispiel zeigt wieder, dass die Strategien der AfD in der Vergangenheit nicht exakt ausgelesen und ausgewertet wurden. Weil sich die etablierten Parteien entgegen anderslautenden Ankündigungen nicht ernsthaft mit den von den Blauen in Ostdeutschland forcierten Themen auseinandergesetzt und sie lieber pauschal in die rechte Schublade gesteckt haben, weil sie es versäumt haben, den Social Media-Kampagnen der Rechten ein professionell erstelltes und betreutes Pendant entgegenzustellen, haben sie der AfD zu ihrem Mega-Erfolg verholfen. Dass auch die öffentlich-rechtlichen Medien die Blauen überproportional sichtbar gemacht haben und dadurch auch zu deren Steigbügelhaltern gehören, zählt wohl zu den systemischen Fehlern, die sich im Umgang mit der AfD in dieser Republik eingeschlichen haben.


Titelfoto: Stefan Erdmann / pixelio.de

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