Ein Koffer bleibt in Berlin

Wahlkämpfende SPD-Spitzenkandidatin in Hessen und SPD-Ministerin in Berlin – geht das gleichzeitig? Zumindest bis zur Landtagswahl im Herbst will Nancy Faeser diese Doppelrolle einnehmen. Ist der Tanz auf zwei Hochzeiten eine kluge Entscheidung? Erhöht sich dadurch ihr Risiko, am Ende vielleicht alles zu verlieren: Die Wahl und auch ihr derzeitiges Amt? Und was bedeutet dies alles für die hessischen Sozialdemokraten?

Nancy Faeser fährt zweigleisig. Wo ihr Koffer letztlich landet, entscheiden die Wähler in Hessen. Foto: Bettina Heiroth  / pixelio.de  

Als Nancy Faesers ihre Bereitschaft erklärte, zur Landtagswahl gegen den amtierenden CDU-Ministerpräsidenten Boris Rhein anzutreten, um als erste Frau Ministerpräsidentin des Landes Hessen zu werden, hat das niemanden überrascht. Welche ernstzunehmende Alternative hätte es denn in der Hessen-SPD zur Vorsitzenden Nancy Faeser gegeben? Schließlich wurde niemand für die Rolle des Herausforderers/der Herausforderin aufgebaut. Blutdrucksteigernd wirkte in der Republik dann aber Fasers forsche Ankündigung, auch während des Wahlkampfs Bundesinnenministerin bleiben und im Falle einer Wahlniederlage ihr derzeitiges Amt in der Bundesregierung behalten zu wollen.

Wie einst bei Marlene Dietrich soll also ein Koffer in Berlin bleiben. Und so schlugen die Wellen hoch in einer äußerst emotional geführten Debatte: Das Amt der Bundesinnenministerin vertrage keine Doppelrolle, keine „Teilzeitministerin“ – jedenfalls nicht in diesen schwierigen Zeiten. Forderungen nach sofortigem Rücktritt wurden erhoben. Der innenpolitische Sprecher der CDU warf Faeser in seinem Furor gar vor, ihren Amtseid zu brechen. Das tut sie natürlich nicht. Mit Blick aufs Publikum wurde dann von der CDU listig die Frage gestellt, was das denn überhaupt für eine Haltung sei, im Falle einer Niederlage das Amt als Bundesinnenministerin behalten zu wollen, statt wieder die Rolle der Oppositionsführerin im hessischen Landtag zu übernehmen – alles nach dem Motto: Entweder „Hessen vorn“, um einen alten Wahlspruch der SPD aufzunehmen, oder es ganz lassen.

Nach einer vom „Spiegel“ in Auftrag gegebenen Umfrage bewerten 56 Prozent der bundesweit Befragten Faesers Kandidatur negativ, 19 Prozent positiv, ein Viertel ist unentschieden. Auch in Hessen liegt die Ablehnungsquote bei 56 Prozent, 24 Prozent bewerten sie positiv und ein Fünftel der Befragten ist unentschlossen. Ebenso negativ fällt das Urteil der Befragten gegenüber Faesers Vorhaben aus, bei einer Wahlniederlage nicht nach Hessen zurückkehren beziehungsweise im Falle einer Niederlage ihr Amt behalten zu wollen. 

Die Rollen sind klar verteilt: Scharfe Kritik von der CDU und von Teilen der Grünen, Lob vom Bundeskanzler und der gesamten SPD, aber auch von Teilen der FDP. Vielleicht ist es typisch für unser Land, solche Debatten zu führen nach dem Motto: Das was Nancy Faeser tut, ist im moralisch-sittlichem Sinn verwerflich, das ist nicht gut! So befeuert man ganz einfach die emotionale Seite einer Debatte. Die lässt sich aber auch ganz nüchtern betrachten, indem nämlich die politische Komponente in den Vordergrund gestellt wird.

Zunächst: Wahlkampf ist ein wichtiger Teil des politischen Geschäfts. Politiker müssen ständig ihr Handeln und ihre Absichten verkaufen. Amt und Wahlkampf gehören also zusammen, müssen miteinander verbunden werden. Wahlkämpfe, besonderes natürlich von Spitzenpolitikern, werden häufig aus dem Amt geführt, wie denn sonst! Niemand hat jemals beispielsweise öffentlich die Doppelrolle der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel oder anderer Minister mit gleichzeitigem Parteivorsitz hinterfragt. Und solche Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Niemand hat bisher daraus eine Vernachlässigung der Aufgaben des Amtes abgeleitet. 

Außerdem: Dass Wahlkämpfe im Vergleich zu früheren Jahren anders geführt werden und hierbei die sozialen Medien eine wichtige Rolle spielen, dürfte bekannt sein. Man darf vom politischen Spitzenpersonal doch die Fähigkeit zum Multitasking erwarten. Eine unbedingte und ständige Präsenz von Nancy Faeser in Hessen ist nicht demnach zwingend notwendig. Warum auch? Sie ist inzwischen bundesweit bekannt und kann von Berlin aus völlig problemlos ihre vielfältigen Botschaften kommunizieren. 

Hessen-SPD gefordert

Und für die SPD in Hessen ist dies gleichzeitig auch die Chance neue Impulse zu aktivieren, ihrem Leitbild der Solidarität wieder ein Gesicht zu geben, indem sie Nancy Faeser mit allen Mitteln unterstützt. Also muss die Partei selbst Präsenz zeigen, wenn die Spitzenkandidatin nicht ständig in Hessen touren kann. Letztlich geht es doch wohl hoffentlich nicht nur darum, Gesicht zu zeigen, sondern zu vermitteln, in welche Richtung Hessen entwickelt werden soll. Verpackung und Inhalt müssen stimmen, darauf kommt es an. Dies haben die Berliner Sozialdemokraten schmerzlich mit ihrem desaströsen Ergebnis bei der wiederholten Wahl erfahren müssen: Die Regierende Bürgermeisterin (SPD) wurde hart abgestraft und der relativ unbekannte Spitzenkandidat der CDU konnte insbesondere mit dem Thema innere Sicherheit punkten. Die Vorkommnisse während der Silvesternacht, in der in Berlin aggressives Verhalten gegenüber Sicherheitskräften und offen zur Schau gestellte Missachtung gesellschaftlicher Werte besonders krass zum Ausdruck gebracht wurde, waren für die CDU ein dankbares Thema. 
Nun ist die Berliner Situation mit Hessen nicht vergleichbar, im Gegenteil: Hier sitzen die Sozialdemokraten seit mehr als 20 Jahren auf den harten Oppositionsbänken. Deshalb kommt es sehr darauf an, welche Lösungen insbesondere Nancy Faeser zum sensiblen Thema „Einwanderung“ und „Migration“ präsentiert. Gerade dieses hochemotionale Thema wird sie während des gesamten Wahlkampfes begleiten, auch wenn der amtierende Hessische Ministerpräsident Boris Rhein im ZDF betonte, dieses Thema nicht zu Wahlkampfzwecken zu nutzen, weil es viel zu komplex, zu gefährlich und viel zu wichtig sei.

Gleichwohl wird es bei dieser Frage natürlich auch im Wahlkampf darum gehen, welche Lösungen die Parteien zu den derzeit drängenden Fragen von Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen, für die Steuerung der Migration und auch deren Begrenzung parat haben. Gerade die Kommunen warten hier dringend auf Antworten, weil vor Ort ganz konkret gehandelt werden muss. Sie müssen für Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge sorgen, sich um deren Integration kümmern. Hier ist in erster Linie die Bundesregierung, sprich Nancy Faeser als zuständige Bundesinnenministerin gefragt, weshalb die Fallhöhe für sie nicht zu unterschätzen ist. Und in der Folge dieser Problematik geht es natürlich auch wieder um Fragen des bezahlbaren Wohnraums, ausreichende Kinderbetreuungsplätze, die der Mobilität oder des Klimaschutzes. Hier erwarten die Wählerinnen und Wähler in Hessen klare und konkrete Antworten statt irgendwelcher Wahlkampfphrasen.

Die Diskussion um Nancy Faeser um ihre Doppelrolle hätten sich die hessischen Sozialdemokraten vielleicht ersparen können, wenn sie sich rechtzeitig – spätestens zum Zeitpunkt ihres Wechsels nach Berlin – an der Spitze neu aufgestellt hätten. Aber dafür gab es offensichtlich keinen Plan. Denn die bereits sehr knappe Wahl zum Fraktionsvorsitzenden von Günther Rudolph gegen die erheblich jüngere Gegenkandidatin Lisa Gnadl zeigt, dass innerhalb der SPD-Fraktion die personelle und gegebenenfalls auch inhaltliche Akzentverschiebung unterschiedlich bewertet werden.

„Ebenso wie Boris Rhein und Tarek Al-Wazir kandidiere ich aus dem Amt heraus.“

Nancy Faeser

Bei der Frage der Rückkehr Faesers auf ihren Ministersessel in Berlin im Falle ihrer Niederlage in Hessen wird es sicher ganz konkret auf das Wahlergebnis ankommen. Würde die SPD-Hessen beispielsweise unter die 20-Prozentmarke fallen, dürfte Faeser auch in ihrem Amt als Innenministerin angeschlagen sein. Als „Lame Duck“ wäre sie rasch rücktrittsreif. 

Und wie sieht Faeser selbst ihre Rolle? In ihrem Schreiben an die Mitglieder der SPD führte sie unter anderem aus: „Als Bundesinnenministerin trage ich Verantwortung für unser Land – und ich werde diese Verantwortung auch weiter mit vollem Einsatz tragen. Das halten alle Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, die bei Wahlen kandidieren, ganz genauso. Ebenso wie Boris Rhein und Tarek Al-Wazir kandidiere ich aus dem Amt heraus.“

In diese nüchterne Betrachtungsweise passt das Statement des amtierenden Ministerpräsidenten Boris Rhein in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“, indem er zur Doppelrolle Fasers lediglich feststellt: „Am Ende müssen das der Bundeskanzler und Frau Faeser wirklich entscheiden, ob das dem Amt guttut oder ob das dem Amt nicht guttut. Ich habe da gar keine Ratschläge zu erteilen“ Und weiter stellt er fest, dass am Ende der der Wähler darüber ein Urteil fällen müsse.

Und in der Tat ist die Konstellation in Hessen spannend: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Ministerprädsident Boris Rhein (CDU) und dessen Stellvertreter Tarek Al-Wazir (Grüne) kandidieren für das Spitzenamt in Hessen aus einer operativen Regierungsverantwortung heraus und müssen sich an ihren konkreten Leistungen im Amt messen lassen. Das ist der Risikofaktor für alle drei Protagonisten. 

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