– Auf der Suche nach Orientierung zum Jahreswechsel –
Eine tiefe Depression hat sich über Deutschland gelegt, denn allüberall in der Welt kriselt es: Politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Das allein ist schon schlimm genug und verdirbt die Laune. Die wird aber zusätzlich getrübt durch die fehlende Zuversicht auf Besserung, weil auf allen genannten Gebieten wenig konsequent gegen Stillstand beziehungsweise Rückschritt gearbeitet wird. Die Deutschen spüren speziell eine Unentschlossenheit in der Politik. Sie spüren zugleich, dass sie von der Kleinkindbetreuung über die Bildung, den Bereich Wirtschaft-Arbeitsmarkt bis hin zur Rente international bereits abgehängt sind und jene, die etwas daran zum Besseren verändern könnten, sich den Rückschlüssen aus diesem Vergleich auf internationaler Ebene verweigern. Statt anderenorts funktionierende Konzepte für Deutschland passend zu machen, suchen sie nach vermeintlich besseren Sonderwegen, die – wenn sie Kreativphase überhaupt überleben – in zu vielen Fällen nicht zum erwünschten Erfolg führen. Das liegt auch daran, dass bei der internen Betrachtung zu selten auf die Expertise der immer noch exzellenten Forschungseinrichtungen und Universitäten, sprich auf die Wissenschaft, gehört wird. Gerade auf den Gebieten Forschung und Grundlagentechnologie zählt Deutschland noch zur Weltspitze. Deshalb verbieten sich dort auch die zuletzt vorgenommenen Kürzungen von Fördermitteln und Haushaltstiteln, will Deutschland nicht einen seiner letzten Trümpfe aus der Hand geben. Zugegeben, das ist eine Binse, für deutsche Politiker aber offenbar nicht.
„Die blockierte Republik“
Gibt es schlechtere Vorzeichen zum Jahreswechsel als das schwindende Vertrauen in die Regierungsarbeit und das Wirken der Parteien? Nicht einmal mehr ein Fünftel der Bevölkerung (!) vertraut auf die Grundpfeiler unseres organisierten und seit dem Krieg so überaus erfolgreichen Zusammenlebens. Die Wahlen zur Besetzung des Verfassungsgerichts haben unter anderem gezeigt, wie fragil das Vertrauen in unsere Institutionen werden kann, wenn politische Kampagnen Persönlichkeiten diffamieren, was ja immer öfter vorkommt.
Doch merke: Es geht nicht um eine Gefährdung der liberalen Demokratie an sich, die übrigens weltweit zurückgedrängt wird. Der Vertrauensverlust resultiert vielmehr vor allem aus politischen Fehlern, die angesichts maroder Infrastruktur und standhafter Krisen beispielsweise der Sozialsysteme, am Wohnungsmarkt und des Bildungswesens den Eindruck hinterlassen, dass der Staat immer öfter nicht mehr in der Lage ist, die notwendigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bis hinunter zu Alltags-Situationen zu setzen und auszusteuern und sich zu sehr auf Eingriffe in Persönlichkeitsrechte kapriziert. Wobei Regeln und Gesetze nicht mehr den gleichen Stellenwert wie früher haben. Letztlich muss man konstatieren: Die Bürger haben weniger Respekt vor dem Staat, auch weil der selbst mit immer mehr geliehenem Geld immer weniger leistungsfähig scheint. Die Assoziation zur Zukunft heißt für viele Bürger Abstieg. Da wird in letzter Konsequenz die Gefolgschaft verweigert.
Die Durchsetzungsfähigkeit staatlicher Maßnahmen leidet insbesondere an der auch durch die EU-Bürokratie verursachte überbordenden Regelungsdichte und der stärkeren Pluralisierung der Parteienlandschaft mit der Folge instabilerer Regierungen. Bundeskanzler Friedrich Merz sprach unlängst von einer „blockierten Republik“. Die so von innen heraus geschwächte freiheitliche Gesellschaftsform ist zusätzlich in ihrem Bestand gefährdet, weil sie sich in den Wirren der sich gerade neuordnenden Welt der Schnellen, Starken, wenig an Fakten Orientierten, Skrupellosen im Vergleich zu Autokratien systembedingt wenig effizient und schwerfällig bewegt.
Die Sehnsucht nach dem starken Mann oder der starken Frau gibt den Feinden der offenen Gesellschaft Zucker. Diese träumen vom Durchregieren, um Fesseln sprengen und das fein austarierte System politischer Willensbildung leichter schleifen zu können. Derlei Verlockungen ist die Führungsmacht des Westens erlegen. Unter ihrem Präsidenten Donald Trump ist in den USA eine Oligarchen-Gesellschaft entstanden, in der inzwischen Regeln der demokratischen Balance wie eine unabhängige Justiz, eine parlamentarische Kontrolle der Regierung oder eine vor staatlichem Eingriff geschützte Medienöffentlichkeit abgebaut wurden. Eine solche Entwicklung wird nicht zuletzt durch den Siegeszug des Rechtspopulismus angeheizt, dessen Vertreter mit vollmundigen Versprechen und den Tagesnachrichten angepassten flexiblen Argumenten den Trend der Zeit für sich zu nutzen wissen. Sie bedienen den Zeitgeist, wonach sich die Bürger in erster Linie als Konsumenten sehen, die von ihrer Regierung eine Verbesserung der Lebensverhältnisse erwarten.
Das politische Momentum hat sich dem allgemeinen Empfinden nach weltweit auf die Seite der Illiberalen, der Nationalisten geschlagen. Ein Blick auf Europa: In Tschechien haben sie dieses Jahr die Parlamentswahlen gewonnen, in Polen die Präsidentschaftswahl. In der Slowakei hat sich Premier Robert Fico vom proeuropäischen Sozialdemokraten zum rechtsnationalen Populisten gewandelt, der Medien attackiert, EU-Sanktionen blockiert und Nähe zu Moskau zeigt. Frankreich und Spanien sind zwar noch Mainstream-Regierungen im Amt, aber sie haben keine Parlamentsmehrheiten mehr hinter sich. In Großbritannien lähmen starke Umfragezahlen für die Hartrechten die mit Mehrheit regierenden Technokraten. Ähnlich ergeht es Deutschland, wo das Erstarken der rechtsextremistischen AfD und der damit verknüpfte zunehmende Antisemitismus die Zahl der Auswanderungswilligen aus einem der reichsten und sozialsten Länder anschwellen lässt. Ihnen scheint das Deutschland zum Jahreswechsel 2025/26 in dunkler Vorahnung auf die nahe Zukunft nicht mehr lebenswert. Sie glauben nicht mehr daran, dass die liberale Demokratie an ihre Erfolgsgeschichte anknüpfen kann, rechnen eher mit deren krachenden Scheitern, weil die aktuelle Politik für sie keine Antwort hat auf die fortschreitenden Einbußen an Legitimation des freiheitlichen Systems mit der Folge autoritärer Tendenzen.
„Die letzte Patrone der Demokratie“
„Zum Wohle des Volkes“ ist eine Phrase aus dem Amtseid des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers und seiner Ministerriege, die deren Verpflichtung hervorhebt, die Interessen der Bevölkerung zu vertreten. Sie verkörpert das Versprechen, dass niemand allein gelassen wird, egal, ob in Krisen, im Alter, in Krankheit oder auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben. Doch dieses Versprechen gerät zunehmend ins Wanken. Zu viele Menschen erleben einen Sozialstaat als dem Rückgrat unserer Demokratie, der das durch die eigene Komplexität zur erstarren drohende System überfordert und sie selbst nicht erreicht oder abstempelt, statt ihnen Halt und Perspektive zu geben. Im Glauben, dass das Leben früher einmal besser war, sehen sie das vertraute Leben in Geborgenheit schwinden, ziehen sich ins Private und ihre Social-Media-Blase zurück und sortieren andere Meinungen rigoros aus.
Zum Jahresende 2025 hat eine große Mehrheit der Bürger zudem den Eindruck, dass die schwarz-rote Bundesregierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz ihre Interessen nicht ausreichend berücksichtigt und sie aufgrund eigener Orientierungslosigkeit in den Wirren disruptiver internationaler Entwicklungen alleine lässt. Die Reputation nahezu aller in der ersten Reihe handelnden Ministerinnen und Minister ist im Keller. Die „letzte Patrone der Demokratie“ (CSU-Chef Markus Söder), die diese CDU/CSU/SPD-Koalition zur Abwehr der überwiegend staatsfeindlich agierenden AfD geladen hat, droht auch wegen massenhaft gebrochener Wahlversprechen im Lauf zu krepieren. Zu kämpfen haben die Verantwortlichen aber auch mit immer mehr kurzfristiger Dringlichkeit aufgrund schnelllebiger Aufgeregtheit und anklagender Mikroaggression in den Medien. In diesen nicht selten konstruierten Krisenmodi werden mittel- und langfristige Ziele aus den Augen verloren. „Zum „Wohle des Volkes“ ist das nicht.
Dieser Teil der Eidesformel ist ein zentraler Bestandteil des im Grundgesetz fixierten demokratischen Prinzips, wonach alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht. Anders als allgemein angenommen, begründet die Ableistung des Eides gemäß Artikel 64 Abs. 2, 56 GG aber keine gerichtlich angreifbaren und damit strafbewehrten Pflichten der Regierungsmitglieder. Diese bekunden unter Berufung auf von ihnen als bindend empfundene ethisch-moralische Werte den Willen, die ihnen durch die Rechtsordnung auferlegten Pflichten zu erfüllen. Zuwiderhandlungen haben keine juristischen Folgen.
Wann haften Minister?
Die maßgebliche Bedeutung des Eides liegt somit außerhalb der rechtlichen Sphäre. Noch. Denn eine Haftung von Ministern bei Amtspflichtverletzungen wird seit dem Maut-Desaster des damaligen Verkehrsministers Andreas Scheuer (CSU) und dem Milliardenschaden aus den Maskendeals des früheren Gesundheitsministers Jans Spahn (CDU) ernsthaft diskutiert. So haben die Abgeordneten des Bundestages Anfang Juni einen Gesetzentwurf der AfD zur „zur Einführung der Haftung von Bundesministern in die Ausschüsse überwiesen. Ziel des Gesetzentwurfs ist es, im Bundesministergesetz eine entsprechende Regelung zu verankern, wie sie bereits für Bundesbeamte in Paragraf 75 des Bundesbeamtengesetzes existiert.
Ministerinnen und Minister haften durchaus schon für Amtshandlungen. Nur sind die Hürden für eine solche Haftung eben sehr hoch, wie es sich beispielsweise im Fall von Andreas Scheuer gezeigt hat. Eine Ministerpräsidentin oder ein Bundesminister, der eine vorsätzliche Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) zulasten des Staats begeht oder den Fiskus vorsätzlich und sittenwidrig schädigt, steht für den entstandenen Schaden durchaus mit seinem Privatvermögen ein und wird hiervon auch im Falle einer Privatinsolvenz nicht frei (§ 302 Nr. 1 InsO). Die Hürde liegt im Nachweis der groben Fahrlässigkeit, des Vorsatzes oder der Sittenwidrigkeit.
Auch wenn weite Teile der Öffentlichkeit begrüßen würde, wenn Andreas Scheuer und Jens Spahn jeweils mit ihrem Privatvermögen für ihre desaströse Politik aufgrund bewiesenem Vorsatz beziehungsweise belegter grober Fahrlässigkeit haften müssten, so wäre der Nutzen einer solchen Haftung begrenzt. So lassen sich Schäden in diesen schwindelerregenden Höhen weder vernünftig versichern noch durch den Zugriff auf das Privatvermögen auch nur annähernd vollständig ersetzen. Umgekehrt schadet das Damoklesschwert einer Ministerhaftung der Entscheidungsfreiheit von Kabinettsmitgliedern, auf die effektives Regieren aber angewiesen ist.
„Effektiv“ heißt in diesem Zusammenhang, dass überhaupt Entscheidungen beziehungsweise Nichtentscheidungen getroffen werden können, was sonst aufgrund von Haftungsfragen erschwert würde, es heißt aber nicht unter allen Umständen ein Regieren „zum Wohle des Volkes“, was ja durchaus auch Zumutungen beinhalten müsste. „Effektiv“ haben sich Regierungskoalitionen seit Jahrzehnten um immer wieder dieselben Themen herumgedrückt, nämlich um Sozialreformen, die ihren Namen auch verdienen, und um den Abbau der Staatsverschuldung. Diese Themen liegen seit den 80ern des letzten Jahrhunderts regelmäßig auf dem Tisch. Heute nun findet sich Schwarz-Rot in dieser Dauerschleife wieder, mit hauchdünner Mehrheit heillos verstrickt in Wahlzusagen, Koalitionsabsprachen und Angst vorm Abschmieren in die Bedeutungslosigkeit. In diesem Umfeld und ständige Wahlkämpfe vor Augen wird der eine oder andere große Wurf in den Kommissionen vielleicht angedacht, den Weg in die Gesetzgebung dürfte er aber mit Blick auf eine alle paar Wochen neu umworbene Wählerschaft wohl eher nicht finden.
Bietet Verfassungsreform einen Ausweg?
Um hier den Weg ein wenig zu ebnen, gibt es den Vorschlag, den Kalender der verschiedensten Wahlen zu durchforsten und möglichst viele Urnengänge zusammenzulegen und die Wahlperioden zu verlängern. So ließen sich vielleicht die Landtagswahlen alle auf einen Tag legen und Wahlperioden auf dem Weg einer Verfassungsreform inklusive verstärkter parlamentarischer Kontrolle verlängern, um das Regieren robuster gegen Stimmungsschwankungen aufzustellen? Es wäre ein Versuch, politische Blockaden zu überwinden und langfristiges Planen zu ermöglichen.
Der Vorteil der Autokratien von langfristigen Planungen und Durchsetzungen könnte mit einem solchen oder ähnlichen Schritt vielleicht zumindest zum Teil aufgeholt werden – ein nicht unwichtiger Punkt bei der Debatte um die Zukunft der Demokratie, die in der Bundesrepublik den Vorgaben aus einer 80Jahre zurückliegenden Zeit folgt und auch deswegen fürs neue Zeitalter der Künstlichen Intelligenz (KI) längst überarbeitet gehört. Es wäre „zum Wohle des Volkes“, das den seit Jahren vorherrschenden wenig inspirierenden, orientierungslosen und zumeist reaktiven Politikstil leid ist.
Allein es fehlt der Glaube, dass es in der aktuellen Parteienlandschaft gelingen könnte, die Kraft für einen Umbau aufzubringen, wo doch das Regieren im vertrauten Umfeld schon schwerfällt. Diese Regierung hat mehr Geld zur Verfügung als jede ihrer Vorgängerinnen, hat aber zugleich keinen Plan, wie sie es sinnvoll einsetzen könnte. Wie auch, wo doch der große Leitgedanke fehlt? Versprochen wurden zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur dieses Landes, doch mindestens die Hälfte der neuen Milliarden auf Schuldenbasis verschwindet in den Haushaltslöchern. Die zusätzliche Investitionen gehen keineswegs zu Lasten von staatlichen Konsumausgaben. Und für die Infrastruktur werden oft keine neuen Kapazitäten geschaffen, also wird überwiegend Verschlissenes repariert. Der vorgestellte Bundeshaushalt widerspricht so massiv den Wahlversprechen von Friedrich Merz.
Aber auch SPD-Finanzminister Lars Klingbeil hat gelogen, weil der von ihm verantwortete Haushalt so gar nicht zu seinen hehren Versprechen passt. Überhaupt scheint die Lüge in der Politik nicht zuletzt durch den CDU-Kanzler gesellschaftsfähig geworden zu sein. Friedrich Merz, in der Opposition schon durch Respektlosigkeit und wahltaktisch motivierte modellierte Faktenlagen aufgefallen, macht als Regierungschef auf diesem Weg munter weiter, weil er nach dreijähriger Hetze und Gepolter in der Opposition trotz absehbarer Regierungsübernahme keinen Masterplan in der Tasche zu haben scheint, oder den in der Koalition nicht durchsetzen kann. Dem Regierungschef fehlt darüber hinaus auf jeden Fall der Mut für eine Zielvorgabe, die die in der Bevölkerung durchaus vorhandene Sehnsucht nach gemeinschaftsförderndem Handeln bedienen könnte. Denn erstens wissen die Bürger ohnehin, dass irgendwann der Knüppel aus dem Sack kommen muss. Und zweitens hat sich die Regierung gerade erst im ersten Winter des Ukrainekrieges darauf verlassen können, dass die Bevölkerung Energie spart. Dass die schlimmsten Folgen der Corona-Pandemie abgewendet werden konnten, lag auch am Schulterschluss zwischen den Regierenden und einer Mehrheit im Volk.
Merz regiert mit einer ehemaligen Arbeiterpartei, die ihre Ideale so oft verraten hat, dass sie sich nicht wundern darf, wenn zumindest auf Länderebene schon hier und da das Schreckgespenst der Fünf-Prozent-Hürde auftaucht. Dermaßen verunsichert sitzt die SPD allzu oft im Bremserhäuschen, weil sie glaubt, im Rückgriff auf frühere Strategien Wählerstimmen zurückzugewinnen. Und am Schwanz der Regierung wedelt noch eine Partei mit, die von einem lügenden Food-Blogger geführt wird, der seine Meinung öfter wechselt als seine Unterwäsche.
Personaltableau passt nicht
Überhaupt scheint das Personal von Schwarz-Rot fürs Regieren doch überwiegend ungeeignet. Eine beispielgebende Auswahl:
Der Kanzler bestätigt bisher sämtliche Negativurteile, die Angela Merkel gegen dessen politische Karriere in einem Spitzenamt ins Feld geführt hat.
Finanzminister und SPD-Co-Chef Lars Klingbeil hat sich mit seiner Doppelrolle wie erwartet übernommen und in beiden Positionen angreifbar gemacht.
Wirtschaftsministerin Katherina Reiche versteht sich hauptsächlich als Lobbyistin der fossilen Energiewirtschaft und Bremserin der Energiewende und wirft als konservative Gegenspielerin der sozialdemokratischen Minister und Ministerinnen gerne Sand ins Regierungsgetriebe.
Umweltminister Carsten Schneider hat sich für Rückschritt entschieden. Er lässt es zu, dass Deutschland bei der Klimapolitik auf der Bremse steht und sich als Büttel der Automobilen Markenstrategen dafür stark macht, „hocheffiziente“ Verbrenner nach 2035 weiter zu erlauben. Der trägen deutschen Autoindustrie ist mit diesem untauglichen verbal gegen die Physik aufgeladenen Rettungsversuch im Wettbewerb hin zur E-Mobilität nicht geholfen – dem Klima auch nicht.
Forsch geht Innenminister Alexander Dobrindt vor, einer der Befürworter einer EU-Migrationspolitik, die ein „Stich ins Herz der Menschenwürde“ ist, wie die „Süddeutsche Zeitung“ kommentiert. Nun ist es passend wie geradezu erbärmlich, dass Dobrindt im Auftrag von Merz und Union Einreisezusagen für die einst der Bundeswehr behilfliche Afghanen bricht. Wie groß muss in dieser „Christlichen Union“ der Hass auf fremde Menschen sein, um diesen Afghanen das geradezu diabolische „Angebot“ zu machen, für ein paar Euro auf die ihnen zugesagte Einreise nach Deutschland zu verzichten, wo diese verzweifelten Menschen in Pakistan bei ihrer Rückkehr nach Afghanistan doch ziemlich sicher von den Taliban ermordet werden? Beteiligt an dieser Art von Zeitenwende hin zum Ende der Barmherzigkeit war übrigens auch die SPD, die ebenso einen Eilantrag der Grünen, den in Pakistan gestrandeten Afghanen noch rasch vor dem Jahresultimo Visa zu geben, abgelehnt hat. Die Regierung wirft sämtlichen Anstand über Bord, nicht etwa aus Angst vor afghanischen Kindern und Frauen, die unsere Sicherheit in Deutschland gefährden, sondern aus Angst davor, dass die AfD von der Wut über die Aufnahme dieser Menschen profitieren würde.
Dobrindt ist der erste Vertreter jener Spezies in der Union, die andauernd versucht, die AfD rechts zu überholen und mit zur Norm umformulierten Konzessionen an deren Migrationsprogrammatik die Rechtspartei faktisch schon mitregieren zu lassen. Der Eidesformel „zum Wohle des Volkes“ gemäß wäre es, mit Anstand allen Menschen zu begegnen, gerade auch jenen, die seinerzeit die Bundesrepublik unterstützt haben und denen Hilfe versprochen wurde, als die Taliban wieder an die Macht kamen. Nebenbei sei geradezu fassungslos bemerkt, dass Vertreter der Taliban im Konsulat in Berlin sitzen und Zugriff auf die Daten und Adressen der hier lebenden Afghanen haben.
Für Dobrindts Arbeit als Speerspitze der Regierung in Migrationsfragen muss man sich als Bürger schämen. Die Koalition ist in dieser Hinsicht robuster unterwegs. Weil Dobrindt als Troubleshooter bei Konflikten innerhalb des Zwangsbündnisses erfolgreich zu sein scheint, hat er sich eine Führungsposition in der Regierung erarbeiten können. Und über den blassen Rest der Führungsriege legen wir lieber den Mantel des Schweigens.
Kein Wunder also, dass bei diesem Personaltableau der Herbst der Reformen bis zur Winterpause ausgeblieben ist. Stattdessen wird abgelenkt mit lächerlichen Debatten über Bürgergeld und Migration, damit hoffentlich niemand merkt, dass die wirklichen Probleme weiter brach liegen. Den Vogel schoss zuletzt die CSU ab, die auf ihrem Parteitag einen ausschweifend diskutierten europapolitischen Antrag beschlossen hat, wonach Brüssel dringend die „nervende“ Pflicht abschaffen soll, Deckel an der Plastikflasche zu befestigen. Für Debatten anderer Anträge zu einer europäischen Armee oder zu einer EU-Verteidigung mit gemeinsamer Rüstung angesichts brüchiger transatlantischer Schutzmechanismen fehlte dann die Zeit.
Eine solche irre Verschiebung der Prioritäten ist ganz im Sinne der Putin-Vasallen der AfD, die selber keines der brachliegenden aktuellen Problem lösen können. Deshalb ist die selbsternannte Alternative auch keine Alternative, was aber eine veritable Anzahl deutscher Wählerinnen und Wähler nicht weiter zu stören scheint. Ja sogar Teile der Wirtschaft dienen sich angeblich aus Enttäuschung über die letzten Regierungen den Rechtsextremen regelrecht an, wiewohl sie wissen müssten, dass ihre Probleme mit einer AfD in der Regierung größer würden.
Der Vorstoß für einen offeneren Umgang mit der AfD aus dem Kreise miteinander verbandelter potenter deutscher Familienunternehmen und die reaktive Empörungswelle überdecken, dass es jenseits der öffentlichen Aufmerksamkeit besonders für regionale und kleinere Wirtschafts- und Bauernverbände längst üblich ist, zu Veranstaltungen auch Politiker der rechtsextremen Partei einzuladen und ihnen Gelegenheit zu geben, ihre angebliche Wirtschaftsnähe zu bewerben. Und das, obwohl nahezu alle namhaften Ökonomen vor dem wirtschaftsfeindlichen Wahlprogramm der rechtsextremen Partei warnen.
Normalfall Absurdität
Es gilt auch ganz allgemein, eine Entwicklung unserer Tage zur Kenntnis zu nehmen, wonach die Lehren aus der Vergangenheit immer öfter mit einem Verfallsdatum versehen werden. In Erwartung vermeintlicher Vorteile bestimmen statt Ordnung und Regeln allzu oft Absurditäten den Lauf unserer Zeit. So wird das Völkerrecht von den verschiedensten Akteuren auf der Welt entgegen aller Vernunft an den Rand gedrängt, ignoriert und instrumentalisiert. Missachtung und Ohnmacht des Völkerrechts und seiner Institutionen zeigen, dass Rückschritte oft mühsam errungene Fortschritte zunichtemachen. Diese Erkenntnis einer größer werdenden Kluft zwischen Versprechen und Realität zum 80. Geburtstag der aus einer Welt der Trümmer entstandenen UN-Charta ist frustrierend.
Im Moment sieht es so aus, als ließe sich diese Absurdität nur durch würdevolle und humane Haltung eines jeden Einzelnen etwas heilen, da die Staatenlenker, die aktuell etwas bewegen könnten, allesamt ausfallen. Sie ergötzen sich eher am Zerstören gewachsener Strukturen der Staatengemeinschaft, erkennen Verträge allenfalls als Empfehlungen an und verweigern sich letztlich sogar, beim Klimaschutz zur Rettung der Menschheit beizutragen.
Menschen überall auf der Welt müssen sich neu erfinden: wie sie essen, reisen und konsumieren. Das ist eine Billionen-Dollar-Mammutaufgabe und damit ein Einfallstor für soziale Verwerfungen und Futter für Populisten, die die Klimadiplomatie empfindlich stören. Plötzlich steht allen wissenschaftlichen Erkenntnissen und immer verheerender wirkenden Naturkatastrophen zum Trotz eine kleiner werdende Koalition der Willigen gegen eine wachsende Macht von Autokraten, Klimaleugnern und einer einflussreichen Öl- und Gasbranche. Nicht nur bei der Klimapolitik wächst die Welt nicht mehr zusammen, wie es sich für die Zivilisation des Jahres 2025 geziemen würde, sie driftet sogar auseinander. Das politische Machtgefüge ist in Bewegung, es entstehen neue Rivalitäten und Allianzen. Kurzum: Die Welt ordnet sich neu und stellt Europas Einfluss radikal infrage.
Zeitalter der Geopolitik?

Die Zeit des Multilateralismus ist vorbei, die Epoche der liberalen Weltordnung zu Ende. Gründe sind der Aufstieg Chinas und der Zusammenschluss der BRICS-plus-Gruppe, deren Gründerstaaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika immer mehr Sympathisanten auf ihre Seite ziehen und sich selbstbewusst als Gegengewicht zu den westlichen G-7-Staaten verstehen. Der China-Taiwan-Konflikt spitzt sich zu, wiewohl die USA, China und Russland derzeit vorführen, dass Machtpolitik global auf dem Vormarsch ist. Gerade die erratisch geführten USA zeigen aber auch, dass die liberale Weltordnung durch den früheren Hegemonen noch maßgeblicher von innen heraus untergraben wird, nämlich durch eine atemberaubend schnelle Zerstörung bisheriger Strukturen, ohne dass sich Umrisse einer neuen Ordnung abzeichnen würden.

Seit Ende der 1980er Jahr war weltweit und unter Führung der Vereinten Nationen der Versuch unternommen worden, ein anspruchsvolles Modell der Konfliktbeilegung und nachhaltiger Friedenssicherung mit Mitteln der Demokratie und der Marktwirtschaft zu etablieren. Heute scheinen wir von diesen Ansprüchen weiter entfernt denn je. Es dominieren Gegenkräfte in den regionalen Konfliktherden. Wo Waffenstillstände oder Friedensschlüsse möglich sind, entstehen machtbasierte Arrangements – eher ein Flickenteppich kurzfristiger Stabilisierungsversuche, die keiner anderen übergeordneten Strategien als der von Geschäftsinteressen folgten. So wurden beispielsweise Libyen und Syrien ebenso zum Spielball regionaler wie globaler Geopolitik wie Gaza und Ukraine.
Ob die Welt letztlich unwiderruflich auf ein Zeitalter der Geopolitik zusteuert, ist freilich noch nicht ausgemacht, wenn sich die Europäer auf ihre Verhandlungsmacht besinnen, die sie nach einem Schulterschluss sowohl bei anstehenden Friedens-Arrangements als auch in den transatlantischen Beziehungen oder bei einem von US-Interessen abgekoppelten Kurs gegenüber China durchaus besitzen.
Warum diese geopolitische Sicht so wichtig ist, hat letztlich die Aufsehen erregende Veröffentlichung der neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA belegt, mit der die Trump-Regierung den einstigen Mitgestaltern einer liberalen Ordnung in Europa den Stinkefinger zeigt. Sie werden als Problemfall gesehen, als Wackelkandidaten, als mögliche Sicherheitsrisiken. Wer „Verbündete“ in einem so wichtigen Papier so beschreibt, bereitet eine strategische Distanz auf Dauer vor.
Die damit verknüpfte kulturelle Entfremdung zwischen USA und Europa passt zur russischen Strategie. Letztlich hoffen beide Großmächte, von einem geschwächten, zerstrittenen und technologisch abhängigen Europa profitieren zu können. Während Russland sich post-sowjetische Einflusssphären zurückerträumt, setzten die USA zunehmend auf ein Europa, das militärisch wie technologisch nicht mehr Partner auf Augenhöhe ist, sondern Absatzmarkt und im Krisenfall geopolitischer Puffer mit Deutschland als Zentrum möglicher Eskalation.
Deutschland fremdbestimmt
Parallel dazu schiebt Russland an seiner Westflanke die Grenzen der Zumutbarkeit weiter. Und während Europa damit beschäftigt ist, seine Abhängigkeiten zu verwalten, statt sie zu lösen, wachsen auf beiden Seiten Begehrlichkeiten. Washington träumt unverhohlen vom Zugriff auf Grönland, während Moskau historische Fantasien bedient. Europa wird dabei nicht erobert – Europa wird zerlegt in technologische Abhängigkeiten, politische Zerwürfnisse und ökonomische Verwundbarkeit.
Es braucht keine gemeinsame Absprache zwischen Washington und Moskau, wenn die Interessen schon von selbst in dieselbe Richtung laufen, wonach alles, was Europa schwächt, die anderen stärkt. Und Deutschland läuft sehenden Auges in die perfekte Rolle: digital abhängig, sicherheitspolitisch orientierungslos, technologisch fremdbestimmt. Es ist fast ironisch: Während die Bundesregierung an „digitale Souveränität“ denkt, importiert man genau die Technologien, die jede Souveränität unmöglich machen. Palantir und Co. werden eingeführt, ungeachtet ihrer hochpolitischen Infrastruktur, mit der sie Entscheidungswege und Sicherheitsarchitektur ganzer Staaten kontrollieren können.
Das sind erst einmal keine guten Vorzeichen für 2026. Allerdings gibt es einen vagen Hoffnungsschimmer, seit die USA ihre Nationale Sicherheitsstrategie veröffentlicht und den Europäern die Augen geöffnet haben. Immer öfter hört und liest man die Aufforderung, Europa solle sich auf sich selbst konzentrieren und sukzessive die Abhängigkeiten – vor allem bei seltenen Grundstoffen, KI und auf dem militärischen Sektor – abbauen. Das dürfte, konsequent angewendet, dann auch die Verhandlungsmacht unter anderem gegenüber Dealmakern wie Trump stärken. Vage ist die Hoffnung vor allem deshalb, weil Europa gerade in den letzten Wochen des Jahres wieder einmal bewiesen hat, dass es aus Krisen nicht viel lernt und sich immer seltener als Union Gleichgesinnter versteht. Der Vorrang nationaler Interessen, der Verrat langjähriger Partnerschaften, die einfach nicht totzuschlagenden Planungen für eine gemeinschaftliche Schuldenpolitik, dies alles gefährdet Wohlstand und Frieden, spaltet den Kontinent und spielt Autokraten wie Trump, Putin und Xi in. die Karten. Die EU muss schnellstens den Kompass aus Gründerzeiten wiederfinden, in denen Gemeinsamkeiten nicht nur postuliert, sondern auch gelebt wurden. Das dies auch in der heutigen Zeit gelingen kann, zeigt eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung, die anhand von sechs Szenarien aufzeigt, welche politischen Weichenstellungen über Europas Zukunft entscheiden. Insofern besteht eine leise Hoffnung, dass zumindest Europa den Kompass wiederfindet.
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