Kostenfalle Gasheizung
Auf den ersten Blick mal wieder eine gute Nachricht für Gaskunden, sollte man meinen: Die geplante Streichung der Gasumlage ist in trockenen Tüchern, darauf hat sich das Kabinett mit Einführung des neuen Energiewirtschaftsgesetzes geeinigt. 2022 eingeführt, soll 2026 wieder Schluss sein, was dann für eine „spürbare Entlastung bei den Gaskosten“ führen soll. Alles Augenwischerei und fishing for kompliments nur für den Augenblick, denn Gaskunden stecken wie seit Jahren prognostiziert in der Kostenfalle – auch ohne Umlage. Durch deren Wegfall wird die Preissteigerung im kommenden Jahr etwas gemildert. Doch wird sich die fossile Heiztechnik niemals mehr lohnen, den Anti-Habeck- und Anti-Wärmepumpen-Kampagnen der Union zum Trotz.
Die im Zuge der Energiekrise 2022 von der alten Bundesregierung eingeführte Gasumlage soll dabei helfen, die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestfüllstände der Gasspeicher zu sichern – und damit die Gasversorgung vor allem im Winter zu stabilisieren. Der dadurch entstehende finanzielle Aufwand wird bisher über die Umlage refinanziert, die auf alle Gaskunden über die Gasrechnung umgelegt wird. Im Gegensatz zum gebrochenen Versprechen, bei der Stromsteuersenkung allen Verbrauchern etwas Gutes zu tun, soll die Gasumlage dieses Mal immerhin für dieses Kundensegment wegfallen.
Wenn der Bund die Kosten künftig wie geplant übernimmt, würde das den Gaspreis für Wirtschaft und Verbraucher etwas senken. Je nach Verbrauch gibt das Wirtschaftsministerium das Sparpotenzial für Haushalte zwischen 30 und 60 Euro pro Jahr an. Das betrifft freilich nur die reine Gasrechnung. Da die 3,4 Milliarden Euro über den Klimafonds aus dem Steuersäckel kommen, finanzieren die Kunden die Einsparung zum Teil mit. Neu ist: Dass dadurch auch Nicht-Nutzer zur Kasse gebeten werden, denen die Regierung somit ein zweites Mal den Stinkefinger zeigt: Sie werden beim Strompreis im Stich gelassen und müssen zusätzlich für die vermeintliche Entlastung der Gaskunden blechen. Es gibt nämlich gar keine Einsparung, weil der steigende CO2-Preis diese locker auffrisst. Einer Einsparung von 0,3 Cent je Kilowattstunde steht nämlich eine CO2-Teuerung von 1,3 Cent gegenüber. Unterm Strich machen allein diese beiden Effekte eine Preissteigerung von 1 Cent pro kWh ab 2026 aus – so viel zur groß angekündigten Sparmaßnahme der Bundesregierung.
Doch damit nicht genug: Der CO2-Preis wird 2026 mit 10 Euro mehr pro Tonne letztmalig staatlich festgesetzt, bevor er sich dann ab 2027 im Emissionshandel über den Markt bildet – und nach heutigen Hochrechnungen explodieren wird. Das basiert auf EU-Recht. Und dann ist die Teuerung auch beim Gaspreis selbst absehbar. Grund ist eine teure Infrastruktur wie die der Überlandleitungen, Verdichterstationen und Verteilnetze, die aufgrund des Wechsels der Verbraucher zu nachhaltigen Energieträgern von immer weniger Nutzern zu finanzieren ist. Da kann die Gasrechnung ab 2028 im Jahr gerne mal über mehrere hundert Euro teurer werden…
So ganz nebenbei lässt sich mit der jetzt avisierten Förderung eines fossilen Brennstoffes durch die Bundesregierung noch festhalten, dass Schwarz-Rot den Klimaschutz wohl aus den Augen verloren hat. Denn die Gasumlage soll ja aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) finanziert werden. Damit werden 3,4 Milliarden Euro aus Mitteln abgezweigt, die eigentlich in Zukunftstechnologien und zur Reduzierung der Abhängigkeit von fossilen Energieimporten fließen sollen. Die Bundesregierung müsste den Fonds dauerhaft und ausreichend finanzieren – statt ihn für fossile Ausgaben zu plündern. Stattdessen konterkariert sie ihre Klimaziele mit einem Sparmodell, das keines ist.
Frank Pröse
Verzwergung mit Ansage
Auf dem Feld der Propaganda bewegen sich Demokratien gegenüber Autokratien und Diktaturen wie Anfänger. Da macht die EU keine Ausnahme. Ein in jeder Hinsicht für sie nachteiliges durch Donald Trump im Mafiastil erpresstes Zollabkommen verkauft EU-Verhandlungsführerin Ursula von der Leyen zwar nicht wie dieser als wieder einmal „größten Deal aller Zeiten“, sondern verweist auf die mit diesem „Deal“ erreichte Planungssicherheit. Nicht nur die von ihr vom größten Dealer ever entlehnte Wortwahl belegt, dass von der Leyen dem selbstverliebten US-Präsidenten artig die Bühne bereitet hat, auf dem der sich bestmöglich verkaufen konnte; eine Verhandlungstaktik, die einen weiteren Beleg für den Hang zur Verzwergung der EU liefert.
Ja, es hätte schlimmer kommen können, schließlich drohte ein Handelskrieg. Doch trägt auch dieses Abkommen nicht die Unterschriften von Partnern. Hier hat ein selbstherrlich und erratisch agierender US-Präsident gnadenlos die Abhängigkeit der Europäer ausgenutzt und einen willkürlichen Zoll in einem Vertrag festgelegt, der einseitig die USA begünstigt. In seiner Gier nach einem Zoll-Deal hat Trump freilich übersehen, dass er den Amerikanern so einige große Sorgen hätte mit ausverhandeln können. Das „Wall Street Journal“ kommentiert: „Leider scheint der Deal nicht Amerikas größte Handelsprobleme mit Europa zu berücksichtigen, wie Digitalsteuern, Strafmaßnahmen gegen US-Technologieunternehmen und verkehrte Lebensmittelsicherheitsvorschriften wie Gentechnikbeschränkungen und das Verbot hormonbehandelten US-Rindfleischs. Das Abkommen verlangt von den Europäern auch keine höheren Medikamentenpreise, eine von Trumps langjährigen Beschwerden… Trump scheint diese Ziele zugunsten seiner geliebten Zölle aufgegeben zu haben, die eine Steuererhöhung für US-Verbraucher und -Unternehmen darstellen, darunter auch für Arzneimittelimporte und -inhaltsstoffe.“ Da hat einer andere Prioritäten gesetzt…
Die Europäer zahlen unter anderem den Preis dafür, dass sie die USA brauchen: die hier stationierten Soldaten als Abschreckung, die Geheimdienst-Informationen zur Verhinderung von Anschlägen, US-Satelliten zur Gefechtsfeldaufklärung, vielfältige US-Militärtechnik, die Unterstützung in der Ukraine zum Beispiel. Von der Leyen hat sich mit dem 15-Prozent-Zollabkommen Zeit teuer erkauft, die die EU jetzt aber auch nutzen sollte, um unabhängiger zu werden.
Gönnerhaft hat Trump sich im Stile eines Schutzgelderpressers durch weitere mehr als eine Billion Euro schwere Zusagen der EU für den Kauf von amerikanischem Gas, Öl, nuklearem Material und Rüstungsgütern sowie von Investitionen in den USA sein 30-Prozent-Ziel abringen lassen. Damit liegt die EU weit über den Zusagen, die Japan für seinen Deal machen musste, und die von Brüssel als Benchmark erklärt wurden. Ganz nebenbei stellt sich die Frage, wie die EU die Zusage einhalten will. Die Union investiert nicht in den USA, es sind die Unternehmen. Auch Rüstungsgüter kaufen eher einzelne Staaten und nicht die Gemeinschaft.
Bei der Einordnung des EU-„Deals“ hilft neben dem Blick nach Asien auch der über den Kanal. Hatte die Kommission das von Großbritannien mit den USA erzielte Abkommen zur Messlatte erklärt, ja sogar getönt, so billig wie mit dem 10-Prozent-Zoll werde Trump nicht noch einmal davonkommen? Auch hier rächte es sich, dass die EU im Sinne einer klügeren Strategie keine Partnerschaften außerhalb der Union gesucht hat. In einer solchen Koalition hätte mehr Druck auf die Amerikaner ausgeübt werden können. Wiewohl der große Trumpf der EU, die Einführung einer Digitalsteuer, im Poker mit Trump nicht in den Kartenstapel aufgenommen wurde.
Ungeachtet dessen, wie sich der Zollvertrag letztlich auf Konjunktur, Branchen und einzelne Unternehmen auswirkt, so lässt sich festhalten, dass er wenigsten kurzfristig die Kosten minimiert, weil ein Handelskrieg vermieden wird. Letztlich lassen sich die drohenden Verluste durch die neuen US-Zölle durch Handel mit anderen Staaten und neue Freihandelsabkommen sogar auffangen. Langfristig aber werden teure Rechnungen zu begleichen sein, weil die EU die Regeln des multilateralen Handelssystems verlässt, die maßgeblich für Wohlstand in Deutschland und Europa gewesen sind. Weil alle Welt dem König der Disruption und Brecher von WTO-Regeln (die Zölle, die für einen Staat gelten, gelten für alle) nicht im Sinne des freien Welthandels die Stirn bietet, sondern sogar nacheifert, nimmt jenes globale Handelssystem Schaden, dass Hunger und Armut auf dieser Erde zurückgedrängt hat.
Frank Pröse
Kann Merz Kanzler?
Weil´s so selten ist und im Nachrichtenchaos dieser Tage gern mal übersehen wird – die gute Nachricht zuerst: Deutschland hat 2024 sein Klimaziel erreicht und weniger Klimagase ausgestoßen als erlaubt. Weiter so, ist man versucht zu sagen, doch gewinnt Skepsis überhand angesichts eines CDU-Kanzlers in spe, der Klimaschutz in rüdem Ton als Werk von Spinnern bezeichnet zu einem Zeitpunkt, zu dem Friedrich Merz klar sein musste, dass er die Grünen für Mammut-Schuldenprojekte seiner politischen Wende-Agenda dringend brauchen wird. Da war er wieder, der Friedrich Merz, der selbst als Staatsmann in spe unberechenbar bleibt und seine Impulse nicht unter Kontrolle bringen kann. Im Gefolge erster Verhandlungen mit dem möglichen Koalitionspartner SPD hat sich Merz zunächst von programmatischen Grundsätzen seiner Partei verabschiedet und zudem durch fahrlässige und sorglose Gesprächsführung in eine Verteidigungsposition manövriert. Plötzlich wird ihm zurecht Wahlbetrug vorgeworfen, mutierte er doch vom Hüter der Finanzen und Gegner verschwenderischer Ausgabenwünsche der politischen Widersacher im Wahlkampf zum voraussichtlich größten Schuldenmacher der deutschen Geschichte nach dem Wahlerfolg.
Merz ist in dieser Gemengelage angeschlagen und nicht nur bei der Union bezweifeln immer mehr, dass er Kanzler kann. In diesem Machtapparat kann die Stimmung schnell ganz kippen, wenn Führungsfiguren in die Klemme kommen und deshalb sicher geglaubte Pfründe gefährdet werden. Hatte also Angela Merkel recht, als sie sich dem Aufstieg ihres Parteikollegen vor vielen Jahren in den Weg stellte? Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an den politischen Ziehvater von Merz, Wolfgang Schäuble, der seinem Schützling sagte, dieser müsse ja nicht selbst Kanzler werden, er erfülle seine Aufgabe auch dann, wenn er der Union eine Kanzlerschaft ermögliche. Damals fühlte Merz sich und seine Arbeit durch einen kritischen Zeitungsartikel des Parteifreundes Hendrik Wüst nicht ausreichend gewürdigt und wollte -gerade als Kanzlerkandidat aufgebaut – in seiner ihm eigenen impulsiven Art hinschmeißen. Übrigens: Schäubles Vertraute berichteten später, dass das CDU-Urgestein bis zuletzt gezweifelt habe, ob Merz die nötige Härte und Entschlossenheit mitbringe, um als Kanzlerkandidat und später als Kanzler bestehen zu können. Heute muss man zusätzlich konstatieren, es fehlt Merz auch an an staatsmännischer Bereitschaft zum Hinhören und der einfühlsamen Aufnahme von Kontakten zu Andersdenkenden.
Aktuell hat Merz sich selbst in eine Sackgasse manövriert, weil bei ihm nicht wie den Wählern versprochen Sparen angesagt ist, sondern Schuldenmachen. 500 Milliarden wollen SPD und CDU in die marode Infrastruktur dirigieren, die deutschen Verteidigungsausgaben weitgehend von der Schuldenbremse ausnehmen („Whatever it takes“) und den Ländern das Schuldenmachen erleichtern. Der „Spiegel“ hat es gut auf den Punkt gebracht: „Noch nicht mal vereidigt, übernehmen der neue Kanzler und seine Partei nun also genau das, was sie zuvor als `Taschenspielertrick` oder `Selbstbedienungsmentalität` bezeichneten – indem sie mit der SPD Milliardenkredite für Verteidigung und Infrastruktur aufnehmen wollen. Das wird mal eben so durch den Bundestag geboxt und manche erlauben sich den Witz, dass Habeck so ein geschickter Kanzlerkandidat war, dass er nicht mal Kanzler sein muss, um seine Ziele umgesetzt zu bekommen.“
Diejenigen Neoliberalisten, die sich vor dem Wahltag dem Dogma der Schuldenbremse verpflichtet fühlten, haben heute mit der Kehrtwende im Schweinsgalopp keine Probleme. Beinahe schon hinterfotzig wird mit unerwarteten Disruptionen Trumpscher Politik eine moralisch unterfütterte Selbstverständlichkeit für diesen politischen Schwenk zur Schau gestellt. Dabei hatten schon SPD und Grüne im Wahlkampf darauf hingewiesen, dass die Zwänge aus Veränderungen der internationalen Sicherheitslage mit haushalterischen Bordmitteln nicht zu stemmen seien. Jetzt so zu tun, als wäre man aus allen Wolken gefallen, ist unaufrichtig. Das ist ebenso keine Empfehlungen für eine bevorstehende Kanzlerschaft, wie die Strategie, sich als Hüter der Finanzen aufgespielt und vielmehr die Migration als Hauptproblem Deutschlands adressiert zu haben, um dann entgegengesetzt zu agieren. Das ist Betrug am Wahlvolk.
Diese Erkenntnis setzt sich allmählich in der Öffentlichkeit durch, weshalb in der Union auch wegen der schlechten Vorbereitung auf die Verhandlungen mit der SPD und wegen des lange fehlenden Fingerspitzengefühls bei den fürs Gelingen der Grundgesetzänderungen so wichtigen Gesprächen mit den Grünen die Sorge wächst, dass Merz seine Chance auf die Kanzlerschaft noch verspielen könnte. Allgemein und auch nach seiner Rede im Bundestag herrscht nicht der Eindruck, als kämpfe er mit Verve um jede Stimme für das gewaltige Schuldenpaket. Merz ist anscheinend nicht klar, dass die erforderliche Mehrheit im Bundestag nicht sicher ist, selbst wenn die Grünen mitmachen. Denn er setzt bei SPD und Grünen und seiner Union auf die Fraktionen des alten Bundestags, in denen viele Mitglieder in den letzten Tagen ihrer Abgeordnetenzeit so frei und unabhängig sind, wie nie zuvor. Scheitern aber Union und SPD mit ihrem Schuldenpaket, dann ist es äußerst fraglich, ob die Koalition in spe einen Friedrich Merz mit dem Makel des Autoritäts- und Vertrauensverlusts im Kanzleramt sehen will, zumal dieser auf internationalem Parkett an Reputation und Gewicht verlöre und nicht ansatzweise auf Augenhöhe mit Schwergewichten wie Trump und Putin messen könnte.
Frank Pröse
Neue Härte
Vor dem Schreiben dieses Textes stellt sich die Frage, ob man wieder über eines der vielen populistisch verkleideten Stöckchen springen sollte, das die Söder-CSU dem Volk ständig hinhält. Entwickeln die zumeist nur heiße Luft enthaltenden Tiraden aus Bayern doch erst durch die öffentliche Beachtung die ihnen zugedachte Wirkung. Im Moment befinden wir uns jedoch im Wahlkampf. Und da dürfte es hilfreich sein, den mehr oder minder gehaltvollen Output der Propaganda-Abteilungen der Parteien zur Meinungsbildung heranziehen zu können – zumal bei den Powerthemen Asyl, Flüchtlinge und
Migration, wobei da gerne nicht so genau differenziert wird.
Also beschäftigen wir uns mit dem jüngsten CSU-Vorstoß, das Bleiberecht von Migranten an ein „auskömmliches Einkommen“ koppeln zu wollen. Wörtlich heißt es in dem Migrations-Papier, das weit über das gemeinsame Wahlprogramm mit der CDU hinausgeht und mit dem die CSU ihre Botschaft des „Sicherheits-Plans für ein Law-and-Order-Deutschland, im Außen verortet: „Wer dauerhaft in Deutschland leben will, muss für seinen Lebensunterhalt eigenständig sorgen und darf nicht auf Sozialleistungen angewiesen sein.“ Die Partei mit dem „C“ im Namen will schutzbedürftige Menschen also auf ihren ökonomischen Status degradieren. Ganz nebenbei: In diesem Papier ist das Recht, sprich law, mit Blick auf die Gesetzeslage unterbelichtet. Bleibt offenbar nur noch die „order“, also die willkürliche Maßnahme ohne rechtliche Überprüfung. Das würde jedoch geradewegs in den Unrechtsstaat führen.
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz wollte das Thema Flüchtlinge/Migration aus dem Wahlkampf möglichst heraushalten. Wie das kaum anders zu erwarten war, schert diese Ansage Unionsfreund und öfter mal -feind Markus Söder nicht. Er verschiebt genau diesen Diskurs immer ein Stück weiter ins Extreme. Deutschland brauche eine „harte Kurskorrektur in der Migrationspolitik“, heißt es aus der Parteizentrale. So will die CSU unter anderem den Subsidiärschutz abschaffen. Dieser gilt für Menschen, die zwar nicht als Asylberechtigte anerkannt sind, in ihrem Heimatland aber durch Krieg oder Verfolgung bedroht werden. Zudem sollten Ukraine-Flüchtlinge kein Bürgergeld mehr bekommen.
Und was sagt Merz zum neuen Querschuss der Freunde aus München? Nichts! Da will einer Kanzler werden und meint angesichts dümpelnder Umfragewerte mit stiller Zustimmung zur „neuen Härte in der Migrationspolitik“ (war schon „Spiegel“-Titel 2023) punkten zu können. Warum auch nicht?! Schließlich haben sich für alle Parteien die Abkehr von Grundrechten und Humanität, der Rechtsbruch, die Abschottung und Militarisierung der quasi zum rechtfreien Raum mutierten EU-Außengrenzen in Stimmenzuwächsen ausgezahlt. Dass die Pushbacks auf See und an den Grenzen völkerrechtswidrig sind, stört offensichtlich niemanden von politischem Gewicht. Ebenso wenig, dass nach dem europäischen Asylkompromiss von Ende 2023 sogar Kleinkinder an den Grenzen inhaftiert und Menschen ohne Anhörung in ihr Land zurückgeschickt werden dürfen. Auch das ist ein offener Bruch der EU mit dem geltenden Völkerrecht. Gleiches gilt für die Weigerung einiger EU-Staaten, anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten den Zugang zu Lebensmitteln und Wohnraum zu erschweren, um den vermeintlichen „Pullfaktor“ kleinzuhalten.
Obwohl das alles mit christlichen Werten nicht vereinbar ist, stört das die Christsozialen in der Union nicht. Sie fühlen sich ob des international gebilligten Rechtsbruchs wohl auch ermuntert, zur Befriedigung von zuvor beim Publikum geschürten niederen Instinkten den Schutz vor Krieg und Verfolgung verfassungswidrig an ein Einkommen koppeln zu wollen. Denn laut Grundgesetz ist das Asylrecht ein sogenanntes individuelles Recht. Die Gewährung des humanitären Schutzes hat Vorrang und darf nicht quantitativen oder finanziellen Vorbehalten untergeordnet werden. Bei Flüchtlingen mit Duldungsstatus, die dauerhaft bleiben wollen, verlangt das Aufenthaltsgesetz schon heute eine „überwiegende Sicherung des Lebensunterhalts durch Erwerbstätigkeit“. Bei den meisten Geduldeten gibt es in der Regel Abschiebehindernisse wie soziale Härten oder fehlende Reisedokumente. „Ein fehlendes Einkommen ändert an diesem Befund nichts“, heißt es aus dem Flüchtlingsministerium in NRW. Also geben die CSUler die Marktschreier, obwohl sie wissen sollten, dass ihre Pläne nach der derzeitigen Gesetzeslage nicht umsetzbar sind.
Und es grenzt schon an böswillige Ignoranz der Söder-Truppe, den Leuten über das Asylrecht (AsylG § 61 (1) Erwerbstätigkeit) das Arbeiten zu verbieten, aber eine Aufenthaltserlaubnis vom Einkommen abhängig machen zu wollen. DAs ist die Realität: Gut ausgebildete Ärzte aus der Ukraine haben auch im dritten Jahr ihres Aufenthalts noch keine Arbeitserlaubnis, gute, in Deutschland ausgebildete Handwerker werden abgeschoben. Anstatt dringend benötigte Arbeitskräfte zu generieren und sich darüber vor allem Gedanken zu machen, wird die ganze Zeit darüber nachgedacht wie man Deutschland wieder germanisiert. Demnächst gehen eine Menge syrischer Ärzte und Akademiker, die wir dringend brauchen, zurück in ihre Heimat. Aber Hauptsache man macht ein paar idiotische Populistensprüche in der Hoffnung den deutschen Michel für seine Partei zu gewinnen.
Und wenn das Gesetz geändert würde, was hätte das für Folgen? Ein Migrant dürfte dann auch bei einem schlechtbezahlten Job für die Arbeitslosenversicherung einzahlen, müsste aber im Falle der Arbeitslosigkeit ausreisen, da das Arbeitslosengeld allein nicht zum Überleben reichen würde. Finde den Fehler!
Ungeachtet des Hinweises auf die Verfassungswidrigkeit des CSU-Vorstoßes findet dieser erstaunlich viele Sympathisanten. Offensichtlich ist die „neue Härte“ bereits tief in unserer Gesellschaft verankert. Das verführt zu Phrasen, mit denen es sich leicht auf der Klaviatur der Relativierung universaler Rechte spielen lässt. Eine Arbeitspflicht als Voraussetzung fürs Bleiberecht festzulegen, darauf kann nur kommen, wer völlig vergessen hat, warum und wie die Grundrechtsdokumente nach dem Zweiten Weltkrieg zustande gekommen sind.
Sukzessive werden die Sollbruchstelle der europäischen Werte- und Realpolitik verschoben, um möglichst große Distanz zwischen „uns“ und „denen“ zu schaffen, schreibt Judith Kohlenberger in ihrem Buch „Gegen die neue Härte“. Dabei steht nationalstaatliches Eigeninteresse am Schutz der Grenzen vermeintlich über dem Recht der Schutzsuchenden. Immer weniger Bürgers stören sich daran, dass sich der Fokus verschoben hat. Im Zentrum steht heute der Schutz von Grenzen, nicht der Schutz von Schutzsuchenden, deren mit „neuer Härte“ zu maßregelndes Verhalten darin besteht, sich nach Sicherheit und Freiheit zu sehnen. Bedenken wie Überfremdung und Islamisierung haben Vorrang vor dem Sicherheitsbedürfnis der Vertriebenen, ihrer Not und ihrem Elend. Das sind keine guten Vorzeichen fürs neue Jahr.
Frank Pröse