„Wir arbeiten, um leben zu können, und nicht umgekehrt“, heißt es. Und Karl Marx redet sehr klar von „Selbstverwirklichung,(…) realer Freiheit“ und „Glück“ jenseits der historischen Formen von „Sklaven-, Fron- oder Lohnarbeit“. Insofern ist die aktuelle Debatte um eine Vier-Tage-Woche mehr als naheliegend. Männer wie Frauen wollen die notwendige Erwerbsarbeitszeit mit ihren übrigen Anforderungen des Alltags besser verbinden und sie suchen eine bessere „Work-Life-Balance“.
Die Erwerbsarbeitszeit spielt für das Leben von Beschäftigten eine immer wichtigere Rolle. Gleichzeitig hat sich die Erwerbsarbeit in den letzten Jahren massiv verdichtet. Täglich fallen bei vielen Beschäftigten Überstunden an, die sich auf viele Millionen pro Jahr aufsummieren. 2022 waren das etwa 583 Millionen bezahlte und 702 Millionen unbezahlte Überstunden.
Bei Studien in England wurde festgestellt, dass eine 4-Tage Woche von Arbeitgeberseite wie Arbeitnehmerseite gleichermaßen als ein positives Modell angesehen wird. Und die Diskussion darüber klingt für die meisten Beschäftigte auf den ersten Blick auch mehr als attraktiv. Entscheidend ist aber die konkrete Umsetzung: Gewerkschaften weisen gemeinsam mit Arbeitsmediziner/innen darauf hin, dass während einer 4-Tage-Woche keine gesundheitsschädlichen, überlangen täglichen Arbeitszeiten entstehen dürfen. In Deutschland gilt das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) zum Schutz der Beschäftigten. Hier ist geregelt, dass die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer/innen acht Stunden nicht überschreiten darf. Die Arbeitszeit kann nur dann zeitweise auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Monaten im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Dies bedeutet, dass auch bei Einführung einer 4-Tage-Woche nur noch 32 Stunden pro Woche möglich wären und die wöchentliche Arbeitszeit um 20 Prozent gesenkt werden müsste.
So weit, so gut, aber ohne vollen Lohnausgleich könnten sich das aber (wenn überhaupt) nur Besserverdienende „leisten“. So reicht die eigene Vergütung schon jetzt für viele kaum für Mieten und Lebensunterhalt aus. Das hat sich mit der hohen Inflation noch verstärkt. Die große Mehrheit der Beschäftigten ist auf ihr volles Einkommen angewiesen und viele arbeiten sogar in zwei Jobs, um ihr Leben zu finanzieren. Lohneinbußen von 20 Prozent sind für die meisten Beschäftigten demnach schlicht unmöglich. Das heißt im Umkehraschkluss: Eine 4-Tage-Woche ist nur mit einem vollen Lohnausgleich denkbar. Ansonsten wäre es auch nur ein schlichtes Teilzeitmodell, was ja schon überall in Anwendung kommt.
Für Gewerkschaften würde dies bedeuten, dass in allen Bereichen mehr als 20 Prozent Lohnerhöhung durchgesetzt werden müssten. Und das in einer Lage, in der die Mitglieder der Gewerkschaften in vielen Tarifauseinandersetzungen bereits bei Verhandlungen um nur wenige Prozente auf massive Widerstände der Arbeitgeber treffen und auch kleine Lohnerhöhungen kaum mehr ohne Streiks durchzusetzen sind.
Insofern ist immer der Blick auf die Produktivitätssteigerungen im jeweiligen Bereich dringend notwendig. Diese Steigerungen können durch den Einsatz von Maschinen, Laufbändern und künstlicher Intelligenz zum Beispiel in der Auto-, oder Maschinenproduktion riesig sein. In den Dienstleistungsbranchen der Daseinsvorsorge sieht das anders aus, man denke nur an den Pflege-, Bildungs-, Beratungs-, oder Kitabereich. Hier wären derartige Produktivitätssteigerungen nur auf Kosten der Allgemeinheit durchzusetzen. Wenn unsere Gesellschaft also beispielsweise nicht noch größere Kindergruppen in den Kitas, oder geringere Öffnungszeiten der Verwaltung haben wollte, dann würde eine Reduzierung der Arbeitszeit in Kindertagesstätten, Kliniken und Altenpflege mindestens 20 Prozent zusätzliches Personal zur Abdeckung des fünften Tages und zusätzlich noch für den sechsen und siebten der Woche bedeuten – und das bei den aktuellen Personalnotständen. Wir würden also massiv höhere Gebühren und Steuerinvestitionen für die Aufgaben der Daseinsvorsorge in unserer Gesellschaft benötigen. Das könnte diskutiert werden, weil es ja scheinbar auch einfach zu sein scheint, einen Wehretat von heute auf morgen massiv zu erhöhen. Aber ist das alles realistisch?
„Breite Schultern“ müssen mehr tragen
Eins ist klar: Wenn wir nicht in eine „Dienstleistungswüste“ der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge fallen wollen, dann muss diese berechtigte Forderung nach einer 4-Tage Woche endlich wieder begleitet werden von einer klaren Debatte über Steuergerechtigkeit, Finanztransaktionssteuer, Vermögens-, und Erbschaftssteuer in unserem Land. „Breite Schultern“ müssen endlich wieder mehr tragen als die „Kleinen“ – die Reichen müssen endlich ihren Teil für eine gerechte Verteilung in unserer Gesellschaft beitragen und die Schere zwischen Arm und Reich darf nicht noch weiter auseinandergehen.
Bei Licht besehen kann von einem Ende der Arbeit – zumindest auf absehbare Zeit – keine Rede sein. Zurzeit droht nicht ein zu wenig an Arbeit, sondern ein zu wenig an Arbeitskräften, die die gesellschaftlich notwendige Arbeit verrichten. Erwartungen an Arbeitszeit-Flexibilität von Beschäftigten und Flexibilitätsbestrebungen von Unternehmen sind in der Regel grundverschieden und müssen immer in einen Ausgleich gebracht werden. Gerade hier ist und bleibt ein gemeinsamer und solidarischer Blick unserer Gesellschaft auf eine gerechte Verantwortung und Verteilung auch in Zukunft dringend notwendig.
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