Kraken gleich breiten sich die Digital-Multis aus. Big Data ist überall, die Tech-Konzerne kontrollieren unser aller Spuren im Netz, sind zentrale Kommunikationsplattformen im Privat- wie im Geschäftsbereich. Die Abhängigkeit von den Plattformen ist in aller Welt groß, insofern konzentriert sich eine ungeheuerliche Machtfülle in den wenigen Händen der superreichen Besitzer, die gerne auch entscheiden, welche Regeln gelten sollen. Im neuen US-Präsidenten Donald Trump haben sie einen Mitstreiter dafür gefunden, demokratische und damit für ihr Geschäft hinderliche Prozesse zu verändern. Die spannende Frage ist, ob und wie der gemeine User sich gegen die Machtkonzentration der Konzerne wehren kann.
Unheilige Allianzen
Der Internet-Konzern Meta will den Wahrheitsgehalt von Inhalten auf seinen Plattformen in den USA künftig nicht mehr von Dritten prüfen lassen. Stattdessen erhielten Nutzer die Möglichkeit, falsche oder irreführende Aussagen als solche zu kennzeichnen und zusätzliche Informationen bereitzustellen, teilte Mark Zuckerberg als Herr der Netzwerke Facebook, WhatsApp und Instagram mit. Der Konzern begründete seine Entscheidung mit den unbefriedigenden Ergebnisse der 2016 eingeführten Inhalte-Moderation: „Wir machen zu viele Fehler, frustrieren unsere Nutzer und stehen der freien Meinungsäußerung, die wir ermöglichen wollen, zu oft im Weg.“ Mit dem System der „Community Notes“ orientiere man sich am Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter) des Milliardärs Elon Musk.
Zunächst verwundert schon, dass superreiche CEOs der Internet-Riesen glauben, über Gesetze und Regierungen hinweg Regeln fürs Zusammenleben vorgeben zu können. Vielleicht rührt das daher, dass diese Herren der Algorithmen bisher ungeachtet einiger hoher Strafen in der EU weitgehend machen können, was sie wollen. Die vorgeblich strengen europäischen Regeln namens Digital Markets Act und Digital Services Act, mit denen die Die EU versucht, die Macht der Tech-Konzerne einzuschränken, werden einerseits ignoriert, andererseits arbeitet die EU-Bürokratie zu gemächlich, wie eine Studie ergeben hat.
Nun ist es fraglicher denn je, ob die Plattformen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung künftig nachkommen und ethische und rechtliche Standards der EU einhalten werden. Denn jetzt können sich die superreichen Wirtschaftsbosse auch noch der Rückenstärkung durch die Politik, nämlich durch den designierten US-Präsidenten Donald Trump sicher sein. Dessen Wahlkampf haben sie vorausschauend großzügig gesponsert und nach dessen Spielregeln sind sie zu spielen bereit. Deshalb baut Zuckerberg seine Netzwerke so um, dass sie Trump und seinen Gefolgsleuten gefallen, um eben künftig gemeinsam gegen jene Regierungen und die EU-Kommission vorgehen zu können, die „US-Unternehmen angreifen, weil sie mehr zensieren wollen“ (Trump).
Wie Elon Musk und wäre Zuckerberg allzu gern Kumpel des bald wieder mächtigsten Mannes mit dem Hang zur Disruption in nicht selten rechtsfreien Räumen. Denn die Nähe zu Trump verspricht in dessen bevorstehender Amtsperiode hervorragende Geschäfte, wie Musks erste Verträge für die Verschlüsselung der Kommunikationstechnik Italiens beweisen, mit denen ein erstes EU-Land seine Sicherheit auf diesem Gebiet in US-Hände legt und aus dem verabredeten europäischen Verbund ausschert. Und ums Geschäft und möglichst weltweit reichende Kontrolle gehts letztlich immer in den Vereinigten Staaten, in den USA der Oligarchen allemal. Die systematische Veränderung bringt Scott Galloway, Professor an der Universität New York in einem Podcast von „hr-info“ (Big Tech, Big power – Die Macht der Digitalkonzerne) auf den Punkt: „Gegenüber Russland können wir nicht mehr den Zeigefinger erheben. Der gewählte Präsident droht jene zu verfolgen und zu regulieren, die nicht für ihn spenden. Wir werden Russland jeden Tag ein bisschen ähnlicher.“
Anbiederung an Rechte
Microsoft hat für Trumps Wahlkampf gespendet, um sich Mitsprache bei der Regulierung von Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI) zu sichern. Amazon-Chef Jeff Bezos hat sich nicht lumpen lassen und 100.000 Euro für die Amtseinführung Trumpfs locker gemacht und zur Vorbereitung seines Antrittsbesuchs bei Trump schon mal vorsorglich die Verweise auf Diversität in der Mitarbeiterschaft auf der Webseite gestrichen.
Auch derlei Anbiederung an die Parolen der Rechten gehören zum Mindset der neuen Geschäftsidee. Das ist wie bei Zuckerberg dann vom Meinungsdiktat der „Altmedien“ ist die Rede, von Zensur, die der Meinungsfreiheit entgegenstehe. Das stimmt freilich nicht, denn es wurden bisher lediglich bei Regelverstößen Inhalte gelöscht. Das nennt man Moderation, nicht Zensur. Nun soll also – zunächst in den USA – wesentlich mehr gesagt werden dürfen. Unter dem Bogen einer Freiheit, wie ihn Trump, Musk und Zuckerberg und die rechte Szene weltweit spannen, gedeihen damit Falschmeldungen, rechte Propaganda, Beleidigungen und Rassismus. Letztlich wird es immer ungemütlicher auf den Portalen – jetzt auch bei Facebook mit neuer Dynamik. Alle gemeinsam greifen eine Freiheit an, die vom Grundgesetz geschützt ist.
Der gegenseitigen Überbietungswettbewerb, wer unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit mit der reißerischsten Falschmeldung die meisten Impressionen auf seine Seite ziehen kann, führt zu einer zunehmenden Hyperpolarisierung unserer Gesellschaft, hetzt Menschen gegeneinander auf, mischt rationale mit emotionalen Interaktionen und erzeugt gefährliche, exklusive Gruppenidentitäten. Hatespeech, Radikalisierung, Manipulation, Desinformation und Verschwörungstheorien in den sozialen Medien sind Nebenprodukte dieser Dynamik.
Im Umfeld der anstehenden Bundestagswahlen sensibilisieren Sicherheitsbehörden Parteien und Wähler für die Gefahren aus dem Netz, warnen vor Desinformation, Instrumentalisierung und Einflussnahme durch aus-und inländische Akteure. Ob aber mit Portalen wie „Der Fabulant – Verschwörungsmythen auf dem Prüfstand“ (derfabulant.de) den brachial und mit KI-Unterstützung agierenden Systemzerstörern Einhalt geboten werden kann, darf bezweifelt werden. Die vorgegebene Maxime ist klar: „Kein Raum für Extremismus, kein Raum für Spionage, kein Raum für Desinformation“ Allein, der Raum ist von den Gegnern der Demokratie professionell besetzt, während Vertreter der politischen Mitte wegen ihrer weniger spektakulären Auftritte und Botschaften zumeist ein Schattendasein führen.
Denn weder auf X noch auf Instagram, Facebook oder TikTok ist es erstrebenswert, einen moderaten, engen Kreis zu haben, denn das bringt weder Impressionen noch User-Zirkulation. Vielmehr sind User aufwühlende Netzwerk-Inhalte besonders geeignet, um Aufmerksamkeit zu binden und damit letztlich Zustimmung zu generieren und/oder Geld zu verdienen. Die Inhalte fürs sogenannten Clickbaiting kommen aus einem gigantischen Pool, den Millionen Profis, Semiprofis und Laien permanent und ohne nennenswerte Qualitätskontrolle weiter befüllen, um mit dem Ranking ihre jeweilige Intention möglichst weit zu verbreiten.
Algorithmen bestimmen, was wir sehen. Letztlich werden die Inhalte in diesem angelernten System einander immer ähnlicher. Das führt dazu, dass die User in einer Blase gefangen sind, durch deren Hülle neue Ideen oder andere Perspektiven nur selten durchdringen. Man spricht dann von sogenannten Echokammern. Darüber hinaus fördern diese Algorithmen oft Inhalte, die starke Reaktionen hervorrufen, weil sie mehr Interaktionen erhalten, sei es positiv oder negativ. Dies kann eine einseitige Weltsicht verstärken und dazu führen, dass mehr Zeit in Apps verbracht wird, was wiederum den Plattformen mehr Geld durch Werbung einbringt.
Gibt´s Alternativen?
Was müsste sich ändern? Christian Stöcker, Kognitionspsychologe und Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) sagt gegenüber „zeit online“: „Ändert man die Optimierungsziele – was eine alles andere als triviale Aufgabe ist – könnte das dafür sorgen, dass Empfehlungssysteme nicht mehr den aufmerksamkeitsträchtigsten Schrott nach oben spülen. Wie gut Algorithmen funktionieren können, wenn der Pool nicht aus allem besteht, was irgendjemand mal ins Netz gestellt hat, sondern aus vorsortierten Inhalten, sieht man beispielsweise bei Video- und zum Teil auch bei Musik-Streamingdiensten.“
Stöcker lenkt den Blick auch auf vorhandene Alternativen. Kleinere unter Umständen sogar themenspezifische Communitys seien oft weniger toxisch. So komme Mastodon derzeit ohne algorithmisches Kuratieren aus. Das funktioniere aber nur, weil die Masse der Inhalte noch nicht so gigantisch sei wie bei Twitter, Facebook, Instagram, YouTube, TikTok. Irgendwann komme man um die maschinelle Sortierung nicht mehr herum. Insofern habe so ein dezentrales System wie Mastodon einen gewissen Charme, weil sie einen dezentralen Wettbewerb von algorithmischen Sortiersystemen möglich machen, die nicht rein kommerziell motiviert sind. Die Politik dürfe alternative, nicht kommerzielle Modelle wie Mastodon nicht verhungern lassen, mahnt Stöcker.
Julia Ebner forscht am Institute for Strategic Dialogue in London sowie am Centre for the Study of Social Cohesion an der Universität von Oxford zu Extremismus. Sie sagt gegenüber „zeit online“: „Wikipedia und LinkedIn erfüllen zwar sehr spezielle Funktionen im Online-Ökosystem, sind aber exzellente Beispiele dafür, dass Kommunikation und Wissensvermittlung im virtuellen Raum auch friedlich und faktenbasiert passieren kann. Es kursieren deutlich weniger extreme Inhalte, hassvolle Kommentare oder willkürliche Falschinformationen. LinkedIn hat in den vergangenen Jahren seinen Nutzern die Einstellung „no politics“ angeboten. Das Resultat: Die politische Polarisierung ist dort deutlich weniger präsent als auf anderen Plattformen.“
Als datensparsame, aber hierzulande weithin unbekannte Kommunikationsplattform bringt Christian Montag Marco Polo ins Gespräch. Der Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm und Gastprofessor an der University of Electronic Science and Technology of China in Chengdu verweist aber auch darauf, dass die Plattform zum Teil auch auf einem Abo-Bezahlmodell beruht.
Im Online-Portal der „Zeit“ werden die Experten nach ihrem Wunschmodell gefragt. Christian Stöcker wünscht sich ein Medium, dass transparent erklärt, warum es bestimmte Inhalte zeigt. Außerdem sollte es erwiesenermaßen falsche, Hass fördernde, justiziable und andere unerfreuliche Hinweise mit einer möglichst geringen Reichweite strafen. „Und es hätte ein Publikum, das sich der Tatsache bewusst ist, dass es an einem gemeinsamen Werk arbeitet, was ein gewisses Verantwortungsgefühl mit sich bringt“, so Stöcker. Christian Montag wünscht sich zusätzlich eine Öffnung der Schnittstellen zu den Plattformen für unabhängige Forschende, damit diese verstehen können, was momentan in einigen sozialen Medien passiert.
Reichweite verführt
Mehr als ein Drittel der Einwohner Deutschlands haben Facebook zufolge ein Konto bei dem sozialen Netzwerk. Das macht es nach WhatsApp, das ebenfalls zu Facebook gehört, zur verbreitetsten Social-Media-Plattform hierzulande. Doch obwohl Fake News und Datenschutzskandale das Vertrauen vieler Nutzerinnen und Nutzer in die Plattform erschüttert haben, sehen sich diese anscheinen außerstande die Verbindung zu kappen. Nur wenige verzichten auf die kuratierten Feeds mit Inhalten, die ihnen wahrscheinlich gefallen – und meistens nerven. Diese sogenannten „For You Pages“, kurz „fyp“, sind doch der Grund dafür, dass Social Media gar nicht mehr so sozial ist, sondern ein einziges Geschäftsmodell. Doch das stört kaum jemanden.
Offenbar stärkt die Kommunikation mit Gleichgesinnten, Freunden und Bekannten und die Übertragung des Privaten in alle Öffentlichkeit das Selbst des modernen Menschen, selbst wenn es nur darum geht das Mittagessen, den gerade gekauften Pulli oder das neue Lieblingslied zu posten. Diesen Usern geht es wie jenen, die sich der Portale als Quelle von Nachrichten und zu deren Verbreitung bedienen, um Reichweite, der Währung unserer Zeit. Da tun sich dann Politiker, Parteien und Unternehmen schwer, das unseriöse Umfeld zu verlassen. Selbst die sich auf den Wahrheitsgehalt ihrer Nachrichten beruhenden Medien tummeln sich wegen des Reichweiten-Hypes auf den Schmuddel-Seiten.
Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer. Vergangene Woche hatten mehr als 60 deutsche und österreichische Wissenschaftsorganisationen angekündigt, ihre Präsenz auf X zu beenden. Das Auswärtige Amt hatte am Dienstag auf dem Dienst Bluesky mitgeteilt, dass es ab sofort dort seine Nachrichten auf Englisch verbreitet. Der Account auf X bleibt aber erhalten.
Dieser Tage hat das Verteidigungsministerium angekündigt, dass die Bundeswehr und weitere an das Wehrressort angeknüpfte Bereiche und Postenträger ihre Veröffentlichungen auf Musks Portal X einstellen. Hauptgrund sei nach einer Bewertung des Ministeriums, dass in dem Onlinedienst „der sachliche Austausch von Argumenten zunehmend erschwert wird“. Künftig werde das Haus von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) alternativ einen WhatsApp-Kanal nutzen, um „über relevante Termine und Entscheidungen des Ministers sowie über Neuigkeiten aus dem Ministerium zu informieren“.
Mit dem Rückzug geht das Verteidigungsministerium offenbar einen Sonderweg. Kanzleramt und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sowie Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) würden vorerst auf der Plattform X bleiben, hieß es kurz nach der Mitteilung aus dem Bendlerblock mit. Regierungssprecher Steffen Hebestreit hatte dagegen zuletzt gesagt, man nehme die Kritik wahr, bleibe aber da, wo Menschen nach Informationen suchten. Dem X-Konto von Bundeskanzler Olaf Scholz folgen derzeit rund 970.000 Nutzerinnen und Nutzer.
Weil noch viel zu wenig Erdenbürger den unseriösen Quellen einen Stinkfeiner zeigen, ist der Follower-Hype der Portale offensichtlich noch zu attraktiv und bleibt die Wahrheit zu oft auf der Strecke.
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