– Noch kann die eingeschränkte Freigabe von Cannabis in der Praxis scheitern –
Ist das nun beschlossene Gesetz zur eingeschränkten Cannabisfreigabe Fluch oder Segen auf dem Weg hin zu einer akzeptierten Drogenpolitik? Viele der folgenden Pro- und Contra-Argumente zeigen, dass sich an dieser Frage nicht nur aktuell die Geister scheiden. Die Drogenpolitik war und bleibt komplex und vielschichtig, auch mit einigen Widersprüchlichkeiten, schon allein bei der Beantwortung der Frage, warum Alkohol und Tabak als Genussmittel und zum Beispiel Cannabis als Droge definiert werden. Wir liefern eine Orientierungshilfe für den Drogendschungel…
Legalisieren statt strafen. Diese seit mehr als 50 Jahre andauernde, mehr oder weniger ideologisch geprägte Auseinandersetzung über den „richtigen“ Weg in der bundesdeutschen Drogenpolitik, hat aktuell eine neue Ebene erreicht: Nach fast 100 Jahren wird das „Kiffen“ wieder legal, zumindest ein bisschen. Der Bundestag hat kürzlich die eingeschränkte Freigabe von Cannabis mit zahlreichen Regelungen beschlossen. Das Gesetz soll am 1. April 2024 in Kraft treten. Danach dürfen Erwachsene legal bis zu 50 Gramm „Gras“ für den Eigenkonsum im privaten Raum besitzen und im bestimmten Umfang auch Hanfpflanzen zu Hause anbauen.
Bisher hat das Betäubungsmittelgesetz zwar den eigentlichen Konsum von Cannabis nicht unter Strafe gestellt, strafbar waren aber alle vorgelagerten Handlungen, wie Besitz, Erwerb, Handel und Anbau. Wer mit Cannabis erwischt wurde, musste mit dessen Beschlagnahme und einem Strafverfahren rechnen. Bei „nicht geringen Mengen“ drohte eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe. Bei den sogenannten geringen Mengen, hier gelten zwischen sechs und zehn Gramm des Wirkstoffes THC als Grenzwert, konnte seit einem Verfassungsgerichtsurteil von 1994 von einer Strafe dann abgesehen werden, wenn der Angeklagte erkennbar nur seinen Eigenbedarf deckte.
„Legal, illegal, scheißegal……aber immer da“! Dieser abgewandelte alte Sponti-Spruch beschreibt durchaus treffend das Dilemma um die Irrungen und Wirrungen der bundesdeutschen Drogenpolitik. Was bedeutet der aktuelle Spurwechsel nach einer jahrzehntelangen eher restriktiven Haltung? Was sieht das neue Gesetz konkret vor? Was für Argumente führen Kritiker und Befürworter der Legalisierung ins Feld? Welche – auch gesundheitlichen – Auswirkungen werden mit der Teillegalisierung von Cannabis befürchtet? Wir versuchen im Folgenden eine Standortbestimmung. Zur hilfreichen Einordnung der Problematik erfolgt zunächst eine Klarstellung des Begriffes der „Droge“, die Wirkung der Cannabispflanze und ein Blick in die Historie.
Früher waren Drogen legal
In der heutigen Alltagssprache werden mit dem Begriff der Droge vorwiegend illegale, das heißt gesetzlich verbotene Substanzen bezeichnet. Dagegen fallen erlaubte Substanzen, wie Alkohol oder Tabak gerne unter die Kategorie „Genussmittel“. Diese Einteilung ist nicht nur irreführend, sie ist ebenso ein Ausdruck gesellschaftlicher Doppelmoral im Umgang mit „berauschenden“ Substanzen.
Unbestritten dürfte sein, dass sowohl illegale als auch legale Substanzen eines gemeinsam haben: Sie sind allesamt mehr oder weniger schädlich, weil sie das Risiko einer Abhängigkeit und einer Schädigung der Gesundheit in sich bergen.
Die Cannabispflanze hat unterschiedliche Verwendungszwecke und Konsumformen. Dazu gehören Marihuana (auch „Gras“ genannt) das aus der Blüte der Pflanze gewonnen und geraucht oder verdampft wird, sowie Haschisch, das aus dem Pflanzenharz gewonnen und ebenfalls geraucht oder verzehrt wird. Die Wirkung von Cannabis hängt unter anderem vom Gehalt des Wirkstoffes Tetrahydrocannabinol (THC) ab und kann sehr unterschiedlich sein. Sie reicht von euphorischen Gefühlen bis zu entspannter Trägheit. Cannabis und in der Folgezeit auch weitere „neu entdeckte“ Drogen wie Heroin oder Kokain waren in Deutschland bis 1929 komplett legal. Cannabis galt beispielsweise als eine der ältesten Kulturpflanzen der Menschheit sowie als medizinisches Allheilmittel gegen viele Krankheiten wie Kopfschmerzen Rheuma oder Schlafstörungen.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war es dem deutschen Apotheker Friedrich Sertürner gelungen, den Inhaltsstoff Morphium aus Opium zu isolieren. Das Schmerz- Betäubungsmittel erlebte daraufhin einen weltweiten Boom. Es folgte 1859 die Substanz Kokain, die der Chemiker Albert Niemann aus Kokablättern extrahierte, mit der auch der Psychoanalytiker Sigmund Freud experimentierte und seine Wirkung als euphorisierend beschrieb. 1889 kam schließlich Heroin auf den Markt und es galt als Mittel gegen Kopfschmerzen und Unwohlsein. Deutschland avancierte zur Drogenküche. Deren Produkte ließen die Menschen den verlorenen ersten Weltkrieg, Arbeitslosigkeit und Hyperinflation vergessen. Symptomatisch hierfür war Berlin. In den sogenannten goldenen 20iger Jahren erlebte die damalige Reichshauptstadt einen mehr oder weniger toxischen Rausch, sie mutierte zur europäischen Drogenmetropole mit einer ausgeprägten Vergnügungskultur.
Drogen werden unter Strafe gestellt
Die „Kriminalisierung“ von Drogen in Deutschland begann im Prinzip nach dem verlorenen 1. Weltkrieg und dem daraus folgenden Versailler Vertrag. Dieser zwang die Weimarer Republik ein Gesetz zur Ausführung des „Internationalen Opiumabkommens“ zu erlassen mit der Verpflichtung, die Herstellung und den Handel mit Opium, Morphium und Kokain zu reglementieren. Auslöser hierfür waren die Opiumkriege in den USA und Großbritannien. 1925 beschloss der Völkerbund, dazu gehörten unter andrem die USA, Großbritannien, China, Japan und Russland, ein verschärftes Gesetz, das den Handel mit den verbotenen Stoffen unter Strafe stellte. Außerdem wurde auch Heroin in den Drogenkatalog aufgenommen. Deutschland musste wieder mitziehen, das neue Opiumgesetz trat 1929 in Kraft und galt in seinen Grundzügen bis zum Jahre 1972.
Nachdem der ehemaligen amerikanische Präsident Nixon 1971 den „Krieg gegen die Drogen“ ausgerufen hatte, der nicht nur Hersteller und Händler, sondern auch deren Nutzer bekämpfen sollte, trat – der amerikanischen Drogenpolitik folgend – in der Bundesrepublik als Nachfolge des „Opiumgesetzes“ 1972 das „Betäubungsmittelgesetz“ (BtMG) in Kraft. Dieses Gesetz gilt trotz einiger Novellen bis heute und besagt im Kern, dass die Herstellung, der Handel, der Besitz, die Abgabe, die Einfuhr und der Erwerb von Betäubungsmitteln strafbar ist.
Therapie und Drogenhilfe
Die zunächst primär auf Repression basierende Gesetzgebung wurde nach und nach aufgeweicht, nachdem das Drogenproblem immer wieder Gegenstand heftiger Diskussionen war. Mehr Legalisierung nach dem Motto: „Jeder hat ein Recht auf seinen Rausch“ oder weiterhin die konsequente Strafverfolgung von Drogen, um die Bevölkerung vor dem Missbrauch gesundheitsschädlicher Stoffe zu bewahren. Dies war und ist im Kern Gegenstand der Auseinandersetzung.
Anfang der 80-iger Jahren wurde das BtMG ergänzt, nachdem sich immer mehr herauskristallisierte, dass Drogenabhängigkeit und Drogensucht Krankheiten sind und nur mit Therapie und Drogenhilfe, nicht aber mit ausschließlichen Verboten, Strafe und Haft bewältigt werden können. Deshalb wurde das Gesetz novelliert und nach dem Grundsatz „Therapie statt Strafe“ ergänzt. Die neuen Vorschriften ermöglichten es, Betäubungsmittelabhängige statt ins Gefängnis in eine stationäre oder ambulante Drogentherapie zu bringen.
Daneben gab es Anfang der 90-iger Jahre immer wieder Vorstöße von einzelnen Bundesländern hin zu einer liberaleren Drogenpolitik. Exemplarisch sei an dieser Stelle die Bundesratsinitiative der damaligen hessischen Landesregierung unter Ministerpräsident Hans Eichel genannt. Diese sah die Abgabe harter Drogen bis hin zu Heroin an bereits abhängige unter ärztlicher Kontrolle und die Herausnahme von Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz bei gleichzeitiger Regelung des Umgangs mit Cannabisprodukten in einem bundesrechtlichen Verteilungsmonopol vor.
Die Vorstöße waren zwar erfolglos, in der Folgezeit wurden aber Regelungen einer Spritzenvergabe zur Verminderung des Ansteckungsrisikos, einer Substitutionsbehandlung mit Hilfe von Methadon sowie Anfang der 2000er Jahre ein Heroinprojekt eingeführt, das im Rahmen eines befristeten Modellprojekts in verschiedenen deutschen Großstädten die Abgabe von Heroin unter staatlicher Aufsicht ermöglichte. Seitdem basiert die Drogenpolitik in Deutschland mit all diesen Regelungen auf den vier Säulen Prävention, Schadensminderung, Behandlung und Strafverfolgung.
Sowohl die Historie als auch die aktuelle Diskussion um das nun verabschiedete Gesetz zur Legalisierung von Cannabis zeigt, dass die Drogenpolitik komplex und vielschichtig ist. Dies würde auch eine Liste von allen Pro- und Contra-Argumenten verdeutlichen, beispielhaft beginnend mit dem Pro-Argument, dass Legalisierung bei gleichzeitiger Aufklärung hilft, den Drogenkonsum einzudämmen und Menschen die Freiheit haben sollen zu entscheiden, ob und welche Droge sie einnehmen. Dem steht das Contra-Argument entgegen, dass durch Legalisierung möglicherweise ein Drogenboom ausgelöst wird, viel mehr Menschen Cannabis konsumieren und es deshalb auch mehr gesundheitliche Schäden geben wird.
Deshalb verwundert es nicht, dass im Zusammenhang mit dem neuen Cannabisgesetz Mediziner, Politiker, Juristen und Konsumenten– mal wieder – heftig über Fluch und Segen dieses alten Rauschmittels streiten. So mancher wittert auch ein neues Geschäftsmodell.
Legalisierung „light“
Was hat der Bundestag nun konkret beschlossen bzw. was ist künftig erlaubt?
Als Obersatz kann gelten: Dies ist eine Legalisierung mit vielen Einschränkungen, also eine Legalisierung „light“. Cannabis und der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) sollen künftig rechtlich nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft werden und deshalb wird es aus dem BtMG ausgegliedert. Ziel des Gesetzes ist laut Bundesgesundheitsministerium die Eindämmung des unkontrollierten Handels und Konsums über den Schwarzmarkt und damit auch der organisierten Kriminalität. Darüber hinaus zielt das Gesetz darauf ab, zu einem verbesserten Gesundheitsschutz beizutragen, weil der Konsum von Cannabis, das vom Schwarzmarkt bezogen wird, im Hinblick auf den „unbekannten THC-Gehalt“ und dem damit einhergehenden Risiko von „giftigen Beimengen“ oder „Verunreinigungen“ mit einem „erhöhten Gesundheitsrisiko“ verbunden sei. Daneben soll die „cannabisbezogene Aufklärung und Prävention“ sowie der „Kinder- und Jugendschutz“ gestärkt werden.
Im Einzelnen ist künftig erlaubt:
- Erwachsene ab 18 Jahren dürfen bis zu 25 Gramm im öffentlichen Raum und zuhause bis zu 50 Gramm Cannabis besitzen. Darüber hinaus können zuhause drei „weibliche blühende Pflanzen“ angebaut werden.
- Eine streng geregelte Abgabe von Cannabis über bestimmte „nicht gewinnorientierte“ sogenannte Cannabis-Clubs, die gemeinschaftlich Cannabis zu Genusszwecken anbauen und nur an Mitglieder für den Eigenkonsum abgeben dürfen. Dabei gilt, die Abgabe pro Person von maximal 25 Gramm pro Tag und 50 Gramm innerhalb eines Monats. Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren dürfen allerdings maximal 30 Gramm pro Monat bekommen. Der Gehalt des Rauschmittels THC darf bei ihnen nicht über 10 Prozent liegen.
- Diese Clubs dürfen maximal 500 Mitglieder ab 18 Jahren haben. Gefordert wird zudem ein strenger Gesundheits- und Jugendschutz.
- In den Cannabis-Clubs darf nicht konsumiert werden, auch der Alkoholausschank ist verboten.
- In der Öffentlichkeit ist „Kiffen“ im Umkreis von 200 Metern von Schulen, Kitas, Spielplätzen, Jugendeinrichtungen und Sportstätten verboten. Auch in Fußgängerzonen soll zwischen 7 und 20 Uhr kein Konsum erlaubt sein.
- Werbung für Cannabisprodukte ist untersagt.
- Für Minderjährige bleiben Besitz und Konsum verboten.
Das Gesetz soll nach vier Jahren hinsichtlich gesellschaftlicher Auswirkungen evaluiert werden.
Reaktionen auf das Gesetz
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warb um Zustimmung für das Gesetz und betonte, dass mit der Legalisierung von Cannabis diese Droge „aus der Tabuzone“ herausholen zu wollen. Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf den „blühenden Schwarzmarkt“, der mit der Legalisierung nicht mehr so attraktiv sein werde und den er als „Kern des Übels“ bezeichnete, sowie auf die Eindämmung der „Begleitkriminalität“ und „unsichere Produktbeimengungen“. Auch der Drogenbeauftragte der Bundesregierung Burkhard Blienert (SPD) erwartet positive Effekte der Teillegalisierung. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland führte er aus, dass Verbote gegen das Kiffen nicht weiterhelfen, und die derzeitige Kriminalisierung der Menschen nichts mit Gesundheitsschutz zu tun habe. Dies mache die Lebenswirklichkeit von 4,5 Millionen erwachsenen Cannabis-Konsumenten überdeutlich. Dagegen warfen die gesundheitspolitischen Sprecher der Unionsfraktion Tino Sorge und Simone Borchardt der Regierung vor, mit der Legalisierung den Konsum unter den Jugendlichen voraussichtlich sogar zu erhöhen. Alle Experten warnten vor dieser Entwicklung.
In der Tat, das Vorhaben ist nicht nur unter Politikern, sondern auch unter Fachleuten wie Medizinverbänden, Polizei und Justiz höchst umstritten. So verweist beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in seiner Stellungname zu dem Gesetz unter anderem darauf hin, dass Cannabiskonsum insbesondere für junge Menschen erheblich Gesundheitsrisiken in sich berge, und deshalb das Gesetz zu einer Verschlechterung der Gesundheit Jugendlicher führen könne, weil die Gehirnentwicklung in der Regel bis Mitte 20 Jahren noch nicht abgeschlossen sei. Deshalb solle im Hinblick auf das erhöhte Psychose-Risiko und der veränderten Reifung der Neuronen Cannabis nicht vor Abschluss der Gehirnreifung konsumiert werden. Die Gesellschaft sieht in diesem Zusammenhang die vorgesehen Abgabemenge auch für 18-21-Jährige als zu hoch an. Sie fordert deshalb, dass mit der Legalisierung von Cannabis auch der Aus- und Aufbau wohnortnaher, evidenzbasierter Beratungs- und Hilfeangebote einhergehen müsse.
Ähnlich argumentieren der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie Falk Kiefer in einem gemeinsamen Positionspapier der führenden deutschen Sucht-Fachgesellschaften und der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt. Auch er sieht die Gefahr, dass es bei einem regelmäßigen Konsum von Cannabis bis zum 25. Lebensjahr zu bleibenden Schäden im Hirnreifungsprozess kommen könnte. In diesem Zusammenhang verwies Reinhardt auf ähnlich lautende Stellungnahmen des Ausschusses der Europäischen Ärzte sowie den Internationalen Suchtstoffkontrollrat der Vereinten Nationen, der auf einen Anstieg cannabisbezogener Gesundheitsprobleme in Ländern verweist, in denen der Cannabiskonsum freigegeben wurde. Daneben betonte Reinhardt, dass durch die Legalisierung zunächst mehr Menschen die Droge ausprobieren würden, weil die Teillegalisierung auf die Gesellschaft verharmlosend wirke.
Die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin weist auf die Notwendigkeit hin, dass eine zusätzliche Versorgung von Personen mit cannabisbezogenen Störungen zu einer Besserstellung der suchtmedizinich-psychiatrischen ambulanten oder stationären Versorgung führen sollte und kritisiert gleichzeitig, dass für Therapie und auch Forschung in diesen Bereichen keine Mittel oder Festlegungen in dem Gesetz zu finden seien.
Dagegen begrüßt Heino Stöver, Direktor des Instituts für Suchtforschung in Frankfurt, die kontrollierte Freigabe von Cannabis, weil damit ein regulierter Markt für Erwachsene geschaffen werde. Er setzt außerdem darauf, dass durch eine geringere Stigmatisierung infolge der Legalisierung gerade Jugendliche eher Hilfsangebote wahrnehmen, weil sie nicht mehr als kriminelle Kiffer abgewertet würden und offener mit Eltern oder Therapeuten sprechen könnten.
Die Innenminister der Länder wiederum warnen parteiübergreifend vor den Folgen der Cannabis-Legalisierung. Sie befürchten die Zunahme der organisierten Kriminalität durch das neue Gesetz und weisen darauf hin, dass der vorliegende Gesetzentwurf den illegalen Handel mit Cannabis massiv erleichtern werde und seine Attraktivität kaum schwäche. Die Sorge der Innenminister ist die Zunahme des Konsums. Der Markt würde dadurch größer und mache ihn für Kriminelle noch attraktiver.
Die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens (SPD) bezeichnete das Gesetz gar als „Murks“, weil alle bisherige Kritik, auch von Kinder- und Jugendärzten sowie von der Polizei und den Suchtberatungsstellen vollständig ignoriert worden sei. Im Übrigen bezeichnete sie das Gesetz als praxisuntauglich. Das eigentliche Ziel, mit einer gesteuerten Abgabe zahlreiche Verbesserungen und Entlastungen zu erreichen, würde in der Praxis fehlschlagen. Die geplanten Vorschriften seien sehr komplex und für die Polizei überhaupt nicht praktikabel. So sei unklar, so die Innenministerin weiter, wie die sogenannten Cannabis-Social-Clubs ebenso wie die Abstandsgebote kontrolliert werden sollen oder wie demnächst mit Cannabis-Konsumenten bei Verstößen im Straßenverkehr zu verfahren sei.
Ähnlich äußerte sich auch der hessische Innenminister Roman Poseck (CDU). Er bezeichnete die Cannabislegalisierung als einen Fehler, sie sei ein „falsches Signal“ und kritisierte, dass die Bedenken aus der Sicherheitspolitik einfach übergangen worden seien. Poseck rechnet damit, dass das neue Gesetz zu einer Ausweitung des Schwarzmarktes führen werde, was gravierende Auswirkungen auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität habe. Daneben befürchtet er einen Anstieg der Jugendkriminalität und eine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit. Der hessische Innenminister sieht außerdem die Gefahr, dass „unser Land unsicherer und die stark belastete Polizei mit weiteren zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert werde“.
Der Deutsche Richterbund betonte in seiner Stellungnahme zu dem Cannabisgesetz, dass der Ermittlungs- und Verfolgungsschwerpunkt der Justizpraxis schon heute nicht im Bereich des Eigenbesitzes von Kleinstmengen Cannabis läge, sondern bei grenzüberschreitenden Ermittlungen im Bereich der Schwerkriminalität. Darüber hinaus warnte er vor einer massiven Überlastung der deutschen Justiz, insbesondere durch die im Cannabis-Gesetz vorgesehene Amnestierungsregelung. Nach dem neuen Gesetz können auf Antrag Verurteilungen aus dem Bundeszentralregister, die ausschließlich wegen einer Handlung eingetragen sind, für die das neue Gesetz künftig keine Strafe mehr vorsieht, wie insbesondere Besitz, Erwerb und Anbau von Cannabis bis zu 30 Gramm bzw. drei Cannabispflanzen, gelöscht werden.
Der Richterbund rechnet bundesweit mit mehr als 100 000 Akten, die im Hinblick auf diesen vorgesehenen rückwirkenden Straferlass bei Cannabis-Delikten nochmals zu überprüfen wären. Für die Staatsanwaltschaften bedeutet dies nach Angaben des Bundesgeschäftsführers des Richterbunds Sven Rebehn gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass alle Strafakten mit Bezug zum BtMG nochmals händisch daraufhin ausgewertet werden müssten, ob die betroffenen Sachverhalte nach der neuen Rechtslage straflos wären. Es müsse weiter ermittelt werden, ob es bei dem Betäubungsmittelverstoß auch um Cannabis und um welche Mengen es sich dabei handele, da sich dies nicht so einfach aus dem Bundeszentralregister herauslesen lasse.
Auch auf die Gerichte, so der Bundesgeschäftsführer weiter, käme eine enorme Zusatzbelastung zu und sagte hierzu: „Ist der Angeklagte wegen mehrerer Straftaten zu einer sogenannten Gesamtstrafe verurteilt worden, muss das Gericht die nach neuem Recht nicht mehr relevante Betäubungsmittelstraftat nachträglich außer Betracht lassen und die Strafe mit neuer Begründung neu fassen“.
Im Übrigen sei eine rückwirkende Änderung bereits rechtskräftiger Strafurteile in einem Rechtsstaat eher die Ausnahme, die anlässlich der Cannabisregelung nicht gerechtfertigt erscheint.
Vor diesem Hintergrund will sich Nordrhein-Westfalen im Bundesrat dafür einsetzen, dass das Gesetz erst später in Kraft tritt. Die verbleibende Zeit von nur fünf Wochen reiche nicht annähernd aus, damit die Staatsanwaltschaften und Gerichte die Regelungen zum rückwirkenden Straferlass fristgerecht umsetzen können, so der Justizminister von NRW Benjamin Limbach (Grüne). Ähnlich argumentierte auch Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne).
Deshalb richten sich nach dem Beschluss des Bundestages für eine kontrollierte Freigabe von Cannabis die Blicke auf die letzte Hürde im Bundesrat. Das Gesetz ist zwar nicht zustimmungsbedürftig, der Vermittlungsausschuss könnte es aber abbremsen.
Fluch oder Segen?
Die Befürworter des Gesetzes betonen, dass die bisherige Verbotspolitik gescheitert sei und trotz der Strafbarkeit trotzdem immer mehr konsumiert werden. Sie verweisen darauf, dass die Konsumenten auf dem Schwarzmarkt keine Sicherheit haben, die Gefahr einer zusätzlichen gefährlichen Produktbeimischung besteht, die durch die Freigabe in Form von gemeinschaftlichem Anbau oder legalem Eigenanbau vermieden sowie der Schwarzmarkt und die organisierte Kriminalität eingedämmt werden kann.
Die Kritiker des Gesetzes, insbesondere aus dem Bereich der Medizinverbände, verweisen auf die Gefährdung der psychischen Gesundheit und das erhöhte Psychose-Risiko junger Erwachsener.
Polizei und Justiz sehen die mit dem Gesetz beabsichtigte Entlastung nicht, eher das Gegenteil. Fakt dürfte sein, dass die Gerichte und Staatsanwaltschaften durch die sog. Amnestieklausel in erheblichem Maße zusätzlich belastet werden, ganz abgesehen davon, dass natürlich auch künftig Straftaten wie zum Beispiel der Handel mit oder auch die unerlaubte Einfuhr von Cannabis ermittelt und geahndet werden müssen. Und wie die Polizei ohne zusätzliches Personal die zahlreichen speziellen Regelungen des Gesetzes kontrollieren soll, dürfte auch noch völlig unklar sein. Sie bezweifeln im Übrigen auch, dass der Schwarzmarkt mit den jetzt beschlossenen neuen Regelungen ausgetrocknet werden kann.
Jede Seite hat ihre legitimen Interessen. Diese haben sich in der bisherigen Drogenpolitik in den vier Säulen „Prävention, Drogenhilfe, Therapie und Repression“ – sicher in unterschiedlichem Maße – niedergeschlagen. Es sei dahingestellt, ob es den „einzig richtigen Weg“ in der Drogenpolitik überhaupt geben kann. Letztlich dürfte es darum gehen, wie die Autoren Jörg Böckem und Henrik Jungaberle in einem Beitrag der „Finder Akademie“ zu Recht feststellen, dass es bei dieser Frage auch immer um ein unterschiedliches Menschenbild gehe. Sie stellen in diesem Zusammenhang die zentrale Frage, ob Menschen in der Lage sind, „im Umgang mit Gefahren oder anderen Verführungen eigenständige, verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen“ und ob sie das überhaupt dürfen. Bezüglich Alkohol und Tabak wird dies den Menschen mit den bekannten Konsequenzen – auch für unser Gesundheitssystem – zugestanden. Dies gilt künftig auch die „Droge“ Cannabis.
Aber was wäre, wenn in Zukunft eine neue Diskussion um die wie auch immer geartete Freigabe beispielsweise von Heroin oder Kokain entbrennt?
„Legal, illegal, egal? Sicher ist nur, dass auch künftig alle Drogen auf dem Schwarzmarkt erhältlich sein werden und wir als Gesellschaft so oder so mit den damit verbundenen Problemen umgehen müssen.
Sehr guter Artikel. Mal keine Meinung oder Richtung des Autors im Text. Interessant die geschichtliche Einordnung. Dazu gibt es bei ARTE eine Dokumentation.
Der Artikel gibt einen sehr guten Überblick über den Themenbereich – insbesondere der historische Abriss war mir unbekannt.
Die eingeschränkte Freigabe von Cannabis ist eine fürsorgliche Maßnahme der Bundesregierung – im Rausch kann man die Politik der Ampel-Regierung besser ertragen!