Linke Tasche, rechte Tasche: Ein Trick soll Rente sichern

Auf der Suche nach einem zukunftsfesten Altersruhegeld war die Ampel-Koalition bei den Schweden und ihrer Aktienrente fündig geworden. Nach dem nordischen Vorbild sollten künftig auch in Deutschland Beiträge am Aktienmarkt investiert werden, in der Hoffnung, dass Gewinne die Höhe der individuell ausgezahlten Rente positiv beeinflussen. Vielleicht auch wegen der in der Bevölkerung weit verbreiteten Skepsis ob der Sicherheit und Planbarkeit dieses Börsenbausteins geht die Regierung jetzt einen Sonderweg. Das nun favorisierte Generationenkapital dürfte die sich aufstauenden Probleme bei der Altersvorsorge allerdings nicht beheben. Denn im Prinzip nimmt der Bund für die Anlage in einem Fonds Schulden auf in der Hoffnung, dass die dort erwirtschafteten Erträge die Zuschüsse aus Steuermitteln in 15 Jahren zumindest zum Teil ersetzen. Das nennt man das Prinzip linke Tasche, rechte Tasche mit dem zusätzlichen Risiko, dass Zinsen und Dividenden der Finanzmarktpapiere auch geringer ausfallen können als die Zinsen für die aufgenommenen Schulden.

Die Planung der Koalitionäre für die Aktienrente, die jetzt auch die oppositionelle CDU in ihrem Grundsatzprogramm verankern will, sind damit über den Haufen geworfen worden. Nach dem von der FDP im Wahlprogramm genannten Punkten, wäre der Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung von 18,6 Prozent auf 16,6 Prozent gesenkt worden. Dafür hätten alle Rentenversicherten zwei Prozent ihres Bruttoeinkommens in eine verpflichtende gesetzliche Aktienrente einzahlen müssen. Diese sollte als Fonds ähnlich dem privaten Aktiensparen „unabhängig verwaltet“ werden. Die Beitragszahler hätten sich so über die Jahre einen zusätzlichen Kapitalstock aufbauen können, bei allem Risiko, das Anlagen auf den Finanzmärkten innewohnt. Mit dem jetzt geplanten Generationenkapital aber sollen die staatlichen Zuschüsse zur Rentenfinanzierung teilweise zurückgeführt werden. Auf die künftige Rentenhöhe hat das keine Auswirkungen.

Schwedisches Modell verworfen

Die Fakten sind klar. Das Rentensystem heutiger Prägung kommt an seine Grenzen. Der Generationenvertrag heutiger Prägung muss 33scheitern, denn immer weniger Einzahler müssen für immer mehr Anspruchsberechtigte aufkommen. Schon heute liegt daher das Rentenniveau vor Steuern bei knapp 50 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns. Nach Angaben des Bundessozialministeriums stehen jeder fünften eine Rente beziehenden Person monatlich weniger als 500 Euro zur Verfügung.  Das seit Norbert Blüms Versprechen („Die Rente ist sicher“) mehrfach geflickschusterte System ächzt sowohl auf der Einnahmen- wie auf der Ausgabenseite und kommt trotz immer längerer Lebensarbeitszeiten längst nicht mehr ohne externe Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt aus. 

Um diese Quersubventionierung aus Steuereinnahmen nicht ins uferlose steigern zu müssen, stellt sich die Politik allmählich der seit Jahrzehnten feststehenden Wahrheit der demografischen Entwicklung und sucht nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten. Zunächst schien die „mehr Fortschritt wagende“ Ampel in Berlin auf Anraten des liberalen Partners in Schweden fündig geworden zu sein. Im Norden Europas wird die Rente seit vielen Jahren schon erfolgreich über Kapitalerträge mitfinanziert. Da die sorgsam austarierte Mischung aus Umlageverfahren und Kapitaldeckung nur unter Bedingungen funktioniert, die die Bundesregierung für nicht durchsetzbar hält, hat sie es aufgegeben, sich am zunächst so hoch gelobten Rentenland zu orientieren. Zu den Elementen des schwedischen Systems gehört nämlich, 

  • dass in Schweden alle Erwerbstätigen ab 16 Jahren in der Rentenversicherung organisiert sind; 
  • dass von dem 18,5 Prozent Rentenversicherungsbeitrag die Beschäftigten 40 Prozent und die Unternehmen 60 Prozent tragen;
  • dass 90 Prozent der Schweden eine Betriebsrentenzusage haben. Die Unternehmen zahlen 4,5 Prozent bis zur Beitragsbemessungsgrenze, darüber sogar 30 Prozent des Bruttoverdienstes;
  • dass die Schweden eine Garantierente bekommen, die bis zu 820 Euro beträgt und, unabhängig davon, zusätzlich Wohnkostenzuschüsse von bis zu 700 Euro. 

Jeder dieser Punkte würde in Deutschland als arbeitsplatzvernichtend und die junge Generation überfordernd verteufelt werden. Da liegt die Regierung mit ihrer Einschätzung wohl richtig. Und auf den zweiten Blick spielt die Prämienrente in Schweden bestenfalls eine bescheidene Rolle bei der Altersversorgung. Seit dem Jahr 2000 wurden von den 18,5 Prozent Rentenversicherungsbeiträgen 2,5 Prozent an die Prämienrente abgezweigt und an unzählige Renten- bzw. Investmentfonds weitergeleitet. Die Erträge sind bis jetzt überschaubar, sie machten 2019 gerade einmal 3 Prozent der insgesamt ausgezahlten Rentenleistungen aus. Durchschnittlich waren das 58 Euro im Monat, die Vergleichszahlen 2021 liegen bei 5 Prozent beziehungsweise durchschnittlich 82 Euro. Aber: Je geringer der Anteil der Kapitalerträge, desto geringer ist auch das Risiko fürs gesamte Rentensystem, denn die Schweden hatten zumindest bis 2012 mit extremen Kursschwankungen zu kämpfen. 

Das schwedische Modell ist für die Ampel nun passé. Von der Aktienrente, bei der sich die Bürger mit eigenen Beiträgen beteiligen und von den möglichen Renditen am Finanzmarkt profitieren sollten, spricht in der Bundesregierung niemand mehr. Das Projekt hat sowohl seinen Namen als auch seinen Inhalt und vor allem sein Gewicht gewechselt. Heute heißt die Chiffre Generationenkapital. Das angedachte Startvolumen von 10 Milliarden Euro soll 15 Jahre lang um jährlich 10 Milliarden aufgestockt werden. Damit bleibt dieses Modell hinter den einstigen Plänen zurück, selbst wenn letztlich dreistellige Milliarden in Aktien und Anleihen am Finanzmarkt angelegt werden, um den Anstieg der Rentenbeiträge zu vermeiden. Für die Beitragszahler gibt es kein Eigentum, keine Entlastung und später wohl auch keine höheren Renten. Es geht nur noch darum, ein kollektives Vermögen zu bilden – und zwar über die Aufnahme weiterer Schulden. Die ersten Erträge aus den Wertpapieren sollen dann ab 2037 in die Rentenversicherung fließen, kündigte Finanzminister Christian Lindner an. Investiert werden soll das Geld nach dem Vorbild des bereits bestehenden staatlichen Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung, bei dem unter anderem Aspekte der Nachhaltigkeit und sozialen Verantwortung einbezogen sind. Aus der Aktienrente wird so eine Aktienrücklage, der Kapitalstock würde der Rentenversicherung gehören, da Steuergelder und keine individuellen Beiträge auflaufen. Dieses Geld gehört dann nicht den einzelnen Versicherten, sondern dem Kollektiv der Beitragszahler.

Die Konzepte der anderen

Zunächst der Blick von OECD-Wissenschaftlern in die Rentenzukunft. In der letzten Analyse „Pensions at a glance“ aus dem Jahr 2019 errechneten sie, dass heute junge Menschen in 40 Jahren ein Nettorentenniveau

  • in Deutschland von 51,9 Prozent,
  • in Schweden von 53,4 Prozent und
  • in Österreich von 89,9 Prozent erwarten können.

Wie erklären sich die miesen Aussichten der deutschen und schwedischen jungen Menschen. Warum können die jungen Leute in Österreich so zuversichtlich in die Zukunft sehen? Weil in den drei Staaten einst sehr unterschiedliche Rentenreformen beschlossen wurden. In Schweden und Deutschland wurden die Systeme von Leistungsorientierung (zugesagte Rentenhöhe) auf Beitragsorientierung (Kostenbegrenzung) umgestellt. Die Renten wurden und werden an die demografischen Entwicklungen gekoppelt und damit im Niveau kontinuierlich abgesenkt. Die entstehenden Versorgungslücken sollten durch Finanzanlagen an den Kapitalmärkten geschlossen werden.

Schweden machte als erstes Land diesen Schritt 1998. Unter dem Eindruck des weltweit steilen Anstiegs der Aktienkurse konnte die Regierung ohne nennenswerten Widerstand die Prämienrente im Parlament beschließen lassen. Die ist seitdem für alle verpflichtender Bestandteil der gesetzlichen Rente, die sich auch aus Umlagen finanziert. Beitragsbeziehende erhalten die Rente von den Einzahlenden. 2,5 Prozent des Bruttoeinkommens müssen Versicherte in Vorsorgefonds investieren. Sie können dabei unter mehr als 800 Fonds wählen. Wer keine Wahl trifft, dessen Geld wird automatisch im staatlich verwalteten AP7-Fonds angelegt. Zur Wahrheit dieses Modells gehört aber auch, dass die Schweden schon nominale Rentenkürzungen hinnehmen mussten.

In Deutschland war die Aktien-Euphorie Ende der 90er Jahre, angeheizt durch Volksaktien-Kampagnen (T-Aktien Kampagne mit Manfred Krug) noch hoch. Diese Euphorie verschwand mit dem Platzen der dotcom-Blase. Privatvorsorge durch Geldanlage in Aktienmärkte und gesetzliche Verpflichtung dazu konnten ohne Risiko auf große Widerstände nicht durchgesetzt werden. So kam es zur Riester-Rente. Die war anders als die schwedische Prämienrente. Sie war nicht verpflichtend, musste in sichere Anleihen angelegt werden und versprach zur Auszahlungsphase mindestens den Beitragserhalt.

20 Jahre später erklären alle Parteien und die einschlägigen Wirtschaftsprofessoren die Riester-Rente für gescheitert. Der Grund: Die Prognosen für den Aktien- und Anleihemarkt zeichneten sich für die vergangenen 20 Jahre vor allem dadurch aus, dass sie nicht eintrafen. Die Leistungen des schwedischen öffentlichen Systems entsprechen in etwa denen der deutschen Rentenversicherung. Vorteile gegenüber Deutschland liegen darin, dass neben den Beschäftigten auch Beamte und Selbstständige in das schwedische System einbezogen sind und dass es eine steuerfinanzierte Mindestsicherung gibt.

Wird der Generationenvertrag künftig nicht nur umlage- sondern auch kapitalbasiert finanziert? Foto: Wilhelmine Wulff / pixelio.de

In Österreich plante die Regierung 2003 ebenfalls eine Umstellung der Rentenversicherungen entsprechend dem schwedischen Weg. Dabei stieß sie allerdings auf heftige Gegenwehr. Gewerkschaften organisierten Streiks, Sozialverbände und die SPÖ organisierten Proteste. Schließlich gab die konservative Schüssel-Regierung nach. Am Ziel der Lebensstandardsicherung durch die gesetzliche Rente wurde festgehalten. Zusätzlich wurde unter dem Stichwort Pensionsharmonisierung eine einheitliche Rentenversicherung für alle Erwerbstätigen eingeführt.

In Großbritannien gibt es ein anderes Rentensystem: Arbeitnehmende werden automatisch in einen Betriebsrentenplan einbezogen. Das britische Alterssicherungssystem ist durch sehr niedrige staatliche Renten gekennzeichnet. Die Absicherung über betriebliche Systeme und die private Altersvorsorge hat hingegen ein hohes Gewicht. Daher gibt es eine öffentlich-rechtliche Institution, die die betriebliche Altersvorsorge anbietet. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen können so recht einfach eine Betriebsrente anbieten. 

In den Niederlanden gibt es eine gesetzliche Grundrente. Sie zählt als erste Säule des Systems. Wichtig ist aber auch die zweite Säule: eine betriebliche Altersvorsorge. Mit den Leistungen der gesetzlichen Rente kann 70 Prozent des Lohns erreicht werden. Die Finanzierung erfolgt meist zu zwei Dritteln durch die Unternehmen und zu einem Drittel durch die Beschäftigten. 

Das Rentensystem In Norwegen basiert auf einer staatlichen, einkommensabhängigen Rente. Außerdem gibt es eine obligate, am Kapitalmarkt orientierte Betriebsrente, in die der Arbeitgeber:innen mindestens zwei Prozent des Bruttolohns der Arbeitnehmenden einzahlen muss. Üblicherweise wird das Geld in Fondsprodukte angelegt. Der norwegische Staatsfonds spielt dabei auch eine Rolle. Dieser verwaltet ein Vermögen von über einer Billion Dollar und investiert ebenfalls stark in Aktien.

Es geht gar nicht um die Rente

Die Bundesregierung setzt nun also lieber auf einen zusätzlichen mit Schulden finanzierten Kapitalstock, der dank der erwarteten (besser: erhofften) Erträge auf den Kapitalmärkten das Rentenniveau für künftige Generationen langfristig sichern soll. Die Bundesregierung will als allen Ernstes heute Schulden aufnehmen, um in wenigen Jahren weniger Schulden machen zu müssen. Das ist gelinde gesagt, haushalts- und finanzpolitischer Unsinn. Außerdem: Es geht gar nicht um die Rente, sondern um künftige Staatsausgaben.

Und da sind einige Details noch zu klären. So ist nicht klar, ob lediglich die Erträge des Kapitalstocks für die Stabilisierung der Rentenzuschüsse verwendet werden sollen – oder ab einem bestimmten Zeitpunkt auch der Kapitalstock an sich. Und es stellen sich Fragen zur Länge der Ansparzeit, die wegen des Zinseszinseffekts erhebliche Auswirkungen auf die Höhe der Erträge hat, aber wegen des finanziellen Drucks durch den demografischen Wandel zu kurz ausfallen dürfte. Außerdem ist es schon abenteuerlich, mit der Hoffnung auf nennenswerte Erträge aus einem noch zu speisenden Kapitalstock den Haushalt auf Jahre doppelt zu belasten: durch die Zuschüsse zu den laufenden Renten und die Einzahlungen in den Kapitalstock. Für die Beitragszahler gibt es so kein Eigentum, keine Entlastung und später wohl auch keine höheren Renten. In dieser von vielen erhofften Hinsicht ist das Generationenkapital ein Rohrkrepierer.

Dabei zeigt das Beispiel Österreich: Das Umlageverfahren ist unschlagbar. Die Reformen des Pensionssystems in Österreich Anfang der 2000er Jahre zeigen auch, das es optimiert und zuverlässiger gestaltet werden kann. Ein Netto-Rentenniveau, dass etwa 70 Prozent über dem in Deutschland und Schweden liegt, spricht Bände. Zumal es gesetzlich garantiert ist und nicht zufälliges Ergebnis von immer wiederkehrenden Kapriolen an Aktien- und Anleihemärkten.

Aufmacherfoto: Andreas Hermsdorf /pixelio.de

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