Plötzlich stellt sich die Kandidatenfrage

– Kanzler Olaf Scholz erwächst in Verteidigungsminister Boris Pistorius ein Konkurrent –

Wer es gut mit Kanzler Olaf Scholz meint, der beschreibt ihn und seine Arbeit als nüchtern, sachlich, hanseatisch. Anhänger dieser Sichtweise schätzen dessen Unaufgeregtheit, seine Weigerung, nicht sofort über jedes Stöckchen zu springen, das ihm oft von jenen im Politbetrieb hingehalten wird, die in einer raschen Reaktion und schnellen Antworten auf Irrungen und Wirrungen unserer Zeit die Grundlage guter politischer Arbeit sehen. Seine Strategie, bei Waffenlieferungen an die Ukraine Vorsicht walten zu lassen und den kriegslüsternen Stimmen meist aus den zweiten Reihen der Koalition kein Ohr zu leihen, hat ihm in der Bevölkerung einige Sympathiepunkte eingebracht. 

Kanzler Olaf Scholz sucht die Nähe zur Bevölkerung, hier beim Demokratiefest zum Jahrestag des Grundgesetzes. Foto: Bundesregierung / Güngör

Wer es schlecht meint mit dem Kanzler, der deutet dessen Politstil als dröge, wenig entschlossen und nicht selten in der recht blutleeren Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern als verheerend unverbindlich und unverständlich. Die Führung einer Dreierkoalition, zumal mit einer selbsternannten Oppositionspartei im Ampel-Bündnis, mag nicht einfach sein. Dennoch scheint es aus Sicht der Öffentlichkeit angebracht, der Führungsrolle auch gerecht zu werden, indem irrlichternde Partner zur Ordnung gerufen werden. Auch weil Olaf Scholz ständig den friedlichen Ausgleich sucht und damit eine konsequente und in sich schlüssige Regierungsarbeit erschwert, hat die Ampel so einen schlechten Ruf. 

Auf welche Seite man sich auch schlägt, eines ist sicher: Olaf Scholz hat bei der Mehrheit im Wahlvolk momentan nicht die Reputation, die nötig wäre, um seine in Ratlosigkeit und Verzweiflung gestürzte SPD erfolgreich durch die anstehenden Wahlen zu führen. Politisch hat er seine Partei zusammen mit dem Vorstand um Lars Klingbeil und Saskia Esken und dem Generalsekretär Kevin Kühnert in eine Sackgasse geführt, zusätzlich ausgebremst durch Grüne und allzu forsche Liberale. 

Wer traut diesem Kanzler noch eine Trendwende zu, wenn schon seine Führungscrew die SPD angesichts verheerender Umfragen gesenkten Hauptes recht plan- und emotionslos zur Schlachtbank führt? Europa- und Landtagswahlen ist man faktisch abzuschenken bereit. Und für die Wahl im Bund hält sich das Umfeld von Scholz mit viel Zweckoptimismus an dessen Heldenrolle von 2021 fest: Zusammen habe man sich damals ja auch von 16 Prozent in den Umfragen zum Wahlsieg hochgearbeitet. Das Problem 2025: Die Union wird nicht wieder aus Dummheit und Narzissmus den Steigbügelhalter geben und Scholz ist den Deutschen heute besser bekannt…

Müntefering gibt der K-Frage neues Futter

Dennoch war bis zur Mitte dieser Woche Scholz als Kandidat zur Wiederwahl im Amt in der SPD eine feste Größe. Dann wirft ausgerechnet Ex-SPD-Chef und Ex-Vizekanzler Franz Müntefering einen Stein ins Wasser, erklärt die Frage der SPD-Kanzlerkandidatur für offen. Es sei parteiintern „noch nicht beantwortet“, wer 2025 zur Bundestagswahl als Spitzenkandidat aufgestellt werde, sagt er gegenüber dem „Spiegel“. Müntefering gilt als Techniker der Macht („Opposition ist Mist!“) und dürfte sein Gespür für Strömungen in der Partei nicht verloren haben. Insofern wird ihm nicht entgangen sein, dass es an der Parteibasis eine Hinwendung zu Verteidigungsminister Boris Pistorius gibt, der mit seinen Ecken und Kanten und seiner klaren Sprache in der Bevölkerung ungeachtet nach wie vor ungelöster Probleme in seinem Ressort gut ankommt und daher – Stand heute – eher einen Wahlerfolg verspricht als sein derzeitiger Chef. Über Pistorius sagt Müntefering, dieser mache einen guten Job und sei ein lebensnaher Typ. Auch wenn „Münte“ nicht vergisst, die schwere Arbeit des Kanzlers zu würdigen, so kommt dessen gesamte Einlassung so viele Monate vor der anvisierten Nominierung doch einer Rüge für Olaf Scholz gleich. Insofern verwundert, dass SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich als politischer Bodyguard des Kanzlers das sich ausbreitende Feuer nicht auszutreten versucht. 

Die manchmal etwas hemdsärmelige Art von Boris Pistorius kommt bei der Truppe und der Bevölkerung gut an. Foto: Bundeswehr / Tom Twardy

Scholz werde erneut Kandidat, sagen Klingbeil und Kühnert – und die sind nahe dran. Die demonstrative Rückendeckung für Scholz dürfte freilich auch dem Umstand geschuldet sein, dass längst nicht alle Genossen Scholz den Rücken decken, wie Äußerungen aus den letzten Wochen beweisen. Unterhalb der Führungsebene hört sich das mit Einschränkungen wie „derzeit“ oder „im Moment“ schon weniger apodiktisch an. Und an der Basis wird die öffentliche Stimmung aufsaugend immer öfter mit einem Kandidaten Pistorius sympathisiert. In schnelllebiger Zeit und mit der Aussicht auf den Verlust vieler Mandate bei einem „Weiter so!“ kann sich die Kandidatendebatte so zu einem Dauerbrenner entwickeln. 

Die geringe Beliebtheit von Scholz stellt eben alle in der SPD vor Probleme, die für ihre Partei keine Spitzenämter bekleiden. Deren Hoffnung ruht auf dem in den Popularität-Ranglisten führenden Boris Pistorius, der, in den eigenen Reihen auf Führungsebene misstrauisch beäugt, von Spekulationen in der K-Frage nichts hören will: „Diese Diskussion ist echt überflüssig, die können wir gerade gar nicht brauchen.“ Dann vielleicht später? Denn die Absage an eine Kandidatur hört sich anders an und wird nicht dadurch wahrscheinlicher, dass er sagt: „Wir haben einen Kanzler, und der ist der richtige“. Das ist auf den Moment bezogen und der Loyalität gegenüber seinem Chef geschuldet. 

Wenn Scholz aber in der Beliebtheitsskala weiterhin unter ferner liefen läuft, werden die Karten auf alle Fälle neu gemischt. Da kennen alle Parteien mit ihren Spitzenleuten kein Pardon. Dann hat Pistorius mangels Alternativen in der SPD gute Chancen auf die Kandidatenkür, was schließlich auch mit einer Vizekanzlerschaft enden könnte. Nicht einmal die wäre Scholz Stand heute gewiss. 

Pistorius´ versteckte Kampfansage

Unterdessen feilt Kandidat in spe Pritorius an seinem Image. Weil ihm im Innern sachlich schon angekreidet werden kann, dass seine forschen Ankündigungen entweder nicht ausreichend finanziell untermauert sind oder an den immer noch verkrusteten Bundeswehrstrukturen abprallen, sucht der Niedersachse Profilierung im Ausland. Mit dem Kanzleramt nicht abgestimmt präsentiert er den amerikanischen Freunden quasi eine Pistorius-Doktrin mit der Forderung, Deutschland zur militärischen Führungsmacht aufzubauen. Nicht nur die Gastgeber jenseits des Atlantiks staunen nicht schlecht, mit welcher Selbstverständlichkeit Pistorius über die Selbstverteidigung Deutschlands hinaus militärische Mitsprache weltweit ankündigt. Pistorius: „Die Zeit der Friedensdividende ist vorbei“. Also: „Wir leisten unseren Beitrag. Deutschland macht die nationale und kollektive Verteidigung zu seiner Priorität – das ist neu in der deutschen Geschichte.“

Diese Art der „fairen transatlantischen Lastenteilung ist eine versteckte Kampfansage. Da will einer mehr führen als nur die Bundeswehr. Vielleicht hat er aber auch den Bogen überspannt, denn für seinen jüngsten militärischen Kotau vorm US-Außenminister haben wenige in der Partei Verständnis. Die Sympathiewerte der nächsten Wochen werden die Wertung des Publikums zeigen. Everybodys Darling wird er mit diesen Führungsmacht-Ansprüchen vielleicht nicht mehr sein. Olaf Scholz´ Aktien könnten also wieder steigen.

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