Erneut steht EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen im Mittelpunkt eines Skandals, der die Steuerzahler Milliarden kostet. Aktuell wirft das Europäische Parlament der von ihr geführten Behörde vor, Ungarn für einen politischen Deal zu Unrecht 10 Milliarden ausgezahlt zu haben. Ob sie sich als Leiterin der Behörde bald vor Gericht verantworten muss, steht angesichts der in Brüssel und Straßburg vorherrschenden Wagenburgmentalität in den Sternen. So gelingt es der Europäischen Staatsanwaltschaft EPPO schon nicht, ein 2022 eingeleitetes Ermittlungsverfahren gegen von der Leyen abzuschließen. Dabei geht es um undurchsichtige Milliarden-Geschäfte via SMS zwischen Pfizer und der allein handelnden EU-Kommissionspräsidentin. Bisher scheiterte die geforderte Aufklärung eben auch an der Mauer des Schweigens innerhalb der EU-Behörden. Lesen Sie dazu unseren Beitrag: SMSgate im Augiasstall EU
Im aktuellen Fall hatte die EU-Kommission 10 Milliarden Euro an eingefrorenen Fördergeldern für Ungarn freigegeben, obwohl ein fraktionsübergreifend beauftragtes unabhängiges Rechtsgutachten im Gegensatz zur Auffassung in der Kommission ergab, dass Ungarn die geforderten Justizreformen nicht umgesetzt hat. Das Geld ist Teil einer Summe von insgesamt 32 Milliarden Euro, deren Freigabe die EU-Kommission wegen schwerwiegender Bedenken gegenüber der ungarischen Orbán-Regierung blockierte. Der wirft die EU-Kommission seit Jahren vor, EU-Standards und Grundwerte zu untergraben. Konkret geht es etwa um den Kampf gegen Korruption in dem Land sowie um politische Entwicklungen, die der Rechtsstaatlichkeit schaden. So hat die Behörde in den vergangenen Jahren mehrere Vertragsverletzungsverfahren begonnen und Ungarn auch mehrfach vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt.
Ungarn habe ein Gesetz für die Unabhängigkeit der Justiz verabschiedet, sagte von der Leyen im EU-Parlament in Straßburg zur Rechtfertigung der Milliarden-Zahlung. Dies habe die EU gefordert und Ungarn habe geliefert. Etwa 20 Milliarden Euro blieben eingefroren, bis Ungarn auch Bedenken etwa bei der Freiheit der Universitäten, beim Asylrecht und bei den Rechten von sexuellen Minderheiten ausgeräumt habe, betonte von der Leyen.
Die Kritiker an der Mittelfreigabe stoßen sich auch daran, dass Orbán in diesem Zusammenhang versucht hat, die EU mit einem Veto gegen Ukraine-Hilfen und die Eröffnung von EU-Beitrittsverhandlungen zu erpressen. Dass die Kommission die Milliarden unmittelbar vor dem EU-Gipfel freigab, auf dem diese Fragen erörtert wurden, verstärkte den Eindruck, Ungarn habe die Kommission erfolgreich unter Druck gesetzt. Diese habe sich auf einen schmutzigen Deal mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán eingelassen, so der grüne Europaabgeordneten Daniel Freund. Jetzt muss geprüft werden, ob die Entscheidung der EU-Kommission, die Gelder für Ungarn freizugeben, vor dem Europäischen Gerichtshof juristisch Bestand hat.
„Orbáns ewige Erpressungsversuche“
Für die Vorbereitung einer Klage vor dem EuGH stimmte eine breite Mehrheit aus Abgeordneten der Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken. Für sie erfülle Ungarn trotz jüngster Reformen die europäischen Standards bei der Unabhängigkeit seiner Justiz nicht, heißt es zur Begründung. Die Fraktionsvorsitzenden verweisen darauf, dass die EU-Kommission vor einem Jahr, als sie insgesamt 21,7 Milliarden Euro aus Kohäsionsfonds einfror, von Ungarn nicht nur Gesetzesänderungen, sondern auch deren wirksame Anwendung verlangt habe. Dies sei jedoch eindeutig bisher nicht der Fall. Sie verweisen insbesondere auf den Landesjustizrat, die Selbstverwaltung der Richterschaft, der derzeit neu gewählt wird und gegenüber dem von der Regierung kontrollierten Landesgerichtsamt gestärkt werden soll. Solange Gerichtsurteile in Ungarn „über Nacht per Dekret abgeändert“ werden könnten, gebe es weiter „schwerwiegende“ Bedenken an der Rechtsstaatlichkeit in dem EU-Staat, erklärte die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier. Um gegen die Entscheidung der Kommission vorzugehen, bleibe dem Europaparlament nur der Gang vor den EuGH.
Die Abgeordneten forderten außerdem, dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán das Stimmrecht im Rat zu entziehen. Das sei „die einzige konsequente Antwort“, um Orbáns „ewige Erpressungsversuche zu unterbinden“, erklärte Parlamentsvizepräsidentin Katarina Barley (SPD). Für einen Stimmrechtsentzug müssten außer Ungarn jedoch alle übrigen EU-Mitglieder zustimmen – eine solche Mehrheit gibt es nach derzeitigem Stand nicht.
Für den Fall, dass die Kommission weitere Gelder freigibt, ohne dass die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, behält sich das Parlament laut der einer verabschiedeten Resolution weitere politische und rechtliche Schritte vor. Dazu könnte zum Beispiel ein Misstrauensvotum gehören, das im Fall eines Erfolgs einen Rücktritt der Kommission erfordern würde. Ein solcher Schritt wird schon jetzt von liberalen Politikern gefordert.