Das Fundament bröckelt

– Die Finanznot der Kommunen hat ihre Ursachen im System –

Die Kommune – das klingt zunächst unspektakulär, fast ein wenig technisch. Doch hinter diesem Begriff verbirgt sich das Fundament unseres täglichen Lebens. Kommunen sorgen für eine funktionierende Verwaltung, für Schulen und Kitas, Straßen, Gehwege und Brücken, Nahverkehr, soziale Angebote, kulturelles Leben und öffentliche Sicherheit. Städte und Gemeinden gewährleisten über die Verwaltung hinaus die so genannte Daseinsvorsorge, tragen so den Staat im Alltag und bilden damit das Rückgrat unseres Gemeinwesens. Dieses Rückgrat ist ernsthaft angeschlagen, weil die Kommunen „die letzten der Fresskette“ sind, wie es Kommunalpolitiker in der Sendung „Markus Lanz“ drastisch formulierten. Der Satz bringt die Lage auf den Punkt. Bund und Länder beschließen Gesetze, Standards und Leistungsansprüche. Die Umsetzung erfolgt vor Ort – zu oft ohne ausreichende Finanzierung. Die politische Dividende wird oben kassiert, die Rechnung landet unten. Die bedrohte Handlungsfähigkeit hat zu Forderungen nach Bundeshilfen und einer grundlegenden Reform des Finanzsystems geführt, da einfache Sparmaßnahmen oder Schuldenaufnahmen das Problem nicht lösen, so der Deutsche Städtetag. Gleichwohl darf nicht unerwähnt bleiben, dass es in vielen Kommunen selbtverantwortete strukturelle Probleme gibt, die zur Finanznot beitragen; Stichworte: überbordende Bürokratie und verschlafene Digitalisierung, zu hohe Personalkosten, ungenutzte Einspar- und Synergiepotenziale, Prestigeobjekte…

In immer mehr Kommunen ist die finanzielle Lage inzwischen so dramatisch, dass selbst grundlegende Aufgaben kaum noch erfüllt werden können. Freibäder werden dauerhaft geschlossen, Schulgebäude verfallen, Straßen gleichen Schlaglochpisten, Busverbindungen werden ausgedünnt oder ganz gestrichen. Was früher als Ausnahme galt, ist heute vielerorts Normalität, der schleichende Verlust öffentlicher Infrastruktur ist längst Realität.

Der Leipziger Oberbürgermeister und Präsident des Deutschen Städtetages, Burkhard Jung, brachte die Lage gegenüber der Funke Mediengruppe auf den Punkt: „Die Städte können nicht mehr. Die städtischen Haushalte kollabieren reihenweise, mittlerweile auch in reicheren südlichen Bundesländern.“ Jung spricht von der größten Finanzkrise der Kommunen in der Geschichte der Bundesrepublik. Investitionen seien vielerorts dringend notwendig, würden jedoch immer häufiger aufgeschoben oder ganz gestrichen. Jung: „Das darf so nicht bleiben. Denn es geht nicht nur um Finanzpolitik, sondern auch um die Zukunft unserer Demokratie.“ Seine Warnung geht also weit über reine Haushaltspolitik hinaus. Denn Jung spricht nicht nur über Zahlen. Er spricht über die Substanz des Gemeinwesens – und über die Stabilität der Demokratie. Die Krise ist real – und sie ist belegt

Dramatische Entwicklung

Jungs Einschätzung wird durch aktuelle Studien untermauert. Laut der Bertelsmann Stiftung haben die Kommunen in Deutschland im Jahr 2024 ein Defizit von 25 Milliarden Euro erwirtschaftet – das höchste Minus seit Bestehen der Bundesrepublik. Für 2025 wird bereits ein weiterer Anstieg auf bis zu 30 Milliarden Euro prognostiziert.

Auch das KfW-Kommunalpanel zeichnet ein düsteres Bild. Demnach bewerten 36 Prozent der Kommunen ihre wirtschaftliche Lage als „mangelhaft“. Das sind zwei Prozentpunkte mehr als im Vorjahr und sogar acht Prozentpunkte mehr als noch 2022. Weitere 24 Prozent sprechen lediglich von einer „ausreichenden“ Finanzsituation.

Nur noch rund 40 Prozent der Städte und Gemeinden schätzen ihre Lage als „befriedigend“ oder besser ein. Zum Vergleich: Vor zwei Jahren waren es noch etwa 50 Prozent. Besonders alarmierend ist, dass der Anteil der Kommunen mit „mangelhafter“ Finanzlage mit steigender Einwohnerzahl zunimmt – große Städte trifft es inzwischen also ebenso hart wie kleinere Gemeinden.

Der Blick nach vorn macht wenig Hoffnung: 84 Prozent der kommunalen Kämmerinnen und Kämmerer rechneten schon für das Haushaltsjahr 2025 mit einer „nachteiligen“ oder sogar „sehr nachteiligen“ Finanzlage. Entsprechend fällt auch das Fazit der KfW aus. KfW-Chefvolkswirt Dr. Dirk Schumacher warnt: „Durch die finanzielle Unsicherheit ist damit zu rechnen, dass die Kommunen ihre Investitionstätigkeit weiter zurückfahren werden.“

Auch die Bertelsmann Stiftung mahnt eindringlich und spricht von einer Zeitenwende. Strukturelle Probleme – etwa stark wachsende Sozialausgaben – seien ungelöst. Gleichzeitig habe die Inflation das Ausgabenniveau dauerhaft erhöht, während die wirtschaftliche Entwicklung schwach bleibe; diese Entwicklung stelle die kommunale Handlungsfähigkeit grundsätzlich infrage. 

Wie konnte es so weit kommen?

Dass viele Städte und Gemeinden heute finanziell „auf dem Zahnfleisch gehen“, hat mehrere Ursachen:

1. Wegbrechende Einnahmen

In vielen – insbesondere strukturschwachen – Regionen fehlt eine stabile wirtschaftliche Basis. Ohne leistungsfähige Unternehmen sinken die Einnahmen aus der Gewerbesteuer, die für viele Kommunen eine der wichtigsten Finanzquellen darstellt. Gleichzeitig unterliegt diese Steuer starken konjunkturellen Schwankungen, was die Haushaltsplanung zusätzlich erschwert.

2. Explodierende Sozialausgaben

Kommunen tragen einen Großteil der sozialen Infrastruktur: Kinderbetreuung, Jugendhilfe, Pflege, Unterbringung von Geflüchteten und soziale Sicherung. Allein die kommunalen Sozialausgaben sind in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 40 Prozent gestiegen. Die Kosten wachsen deutlich schneller als die Zuweisungen von Bund und Ländern.

3. Aufgeschobene Investitionen

Über Jahre wurde gespart, um neue Schulden zu vermeiden. Die Folge ist ein massiver Investitionsstau. Nach Schätzungen der KfW liegt dieser inzwischen bei mehr als 180 Milliarden Euro – vor allem bei Schulen, Straßen, Verwaltungsgebäuden und der digitalen Infrastruktur.

4. Zu viele Pflichten, zu wenig Mittel

Immer wieder beschließen Bund und Länder neue Gesetze, Standards oder Leistungsansprüche, die vor Ort umgesetzt werden müssen. Die Finanzierung bleibt jedoch zur häufig unzureichend oder ganz offen. Dieses Prinzip der sogenannten „unfundierten Mandate“ verschärft den Druck auf die kommunalen Haushalte Jahr für Jahr.

Was sind die Folgen?

Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind unmittelbar spürbar – im Alltag der Menschen:

  • Gebühren für Müll, Abwasser oder Parken steigen;
  • Kitas und Schulen arbeiten am Limit oder nehmen keine Kinder mehr auf.KTermine im Bürgeramt sind erst nach Wochen oder Monaten verfügbar;
  • Straßenbeleuchtung wird nachts abgeschaltet, um Strom zu sparen;
  • Bus- und Bahnverbindungen werden ausgedünnt oder ganz eingestellt.

Besonders hart trifft es jene, die ohnehin wenig Ausweichmöglichkeiten haben: Kinder, ältere Menschen, Alleinerziehende und Menschen mit geringem Einkommen. Wenn Sportvereine schließen, Jugendzentren wegfallen oder der letzte Bus nicht mehr fährt, wird gesellschaftliche Teilhabe schnell zum Luxus.

Die Finanznot ist nicht überall gleich verteilt. Besonders stark betroffen sind Kommunen im Ruhrgebiet, in Teilen Ostdeutschlands sowie in ländlichen Regionen mit starkem Bevölkerungsrückgang. Dort treffen hohe Sozialausgaben auf geringe Einnahmen und wachsende Schuldenberge. Demgegenüber stehen wirtschaftsstarke Kommunen etwa in Bayern oder Baden-Württemberg, die deutlich größere finanzielle Spielräume haben. Dieses Auseinanderdriften verschärft regionale Ungleichheiten – und letztlich auch die soziale Spaltung im Land.

„Wer bestellt, bezahlt“

Der Schlachtruf der Städte und Gemeinden – aber auch der Länder – in dieser Diskussion lautet: „Wer bestellt, bezahlt“. Tatsächlich findet sich dieses am Konnexitätsprinzip orientierte Bekenntnis wortgleich im Koalitionsvertrag von CDU und SPD. Dort heißt es unter anderem: „Die Kommunen brauchen Handlungsperspektiven – sowohl finanziell als auch im Hinblick auf die Umsetzungsfähigkeit der ihnen übertragenen Aufgaben. Wir werden die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Kommunen verbessern. Mit einem Zukunftspaket von Bund, Ländern und Kommunen werden wir die finanzielle Handlungsfähigkeit stärken und eine umfassende Aufgaben- und Kostenkritik vornehmen. Wir orientieren uns am Grundsatz der Veranlassungskonnexität – wer bestellt, bezahlt; das gilt auch für Verwaltungs- und Personalkosten.“

Im Prinzip hätte es dieses Verweises nicht einmal bedurft, denn das Konnexitätsprinzip wurde bereits im Rahmen der Föderalismusreform I im Jahr 2006 ausdrücklich im Grundgesetz verankert. Maßgeblich ist Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG, der verhindern soll, dass der Bund den Ländern neue Aufgaben überträgt, ohne die Finanzierung zu regeln. Die Einführung auf Bundesebene war eine Reaktion auf jahrelange Erfahrungen mit der finanziellen Überforderung der Kommunen und sollte Transparenz, Verlässlichkeit und Gerechtigkeit im föderalen Finanzsystem schaffen. Entsprechend müssen Gesetze mit finanziellen Auswirkungen für Länder und Kommunen im Bundesrat gebilligt werden – sie sind zustimmungspflichtig.

Anspruch und Wirklichkeit

Die Realität sieht jedoch anders aus. Seit Langem weisen Städte und Gemeinden darauf hin, dass sie rund ein Viertel aller staatlichen Aufgaben erfüllen, ihnen dafür aber nur etwa ein Siebtel der Steuereinnahmen zur Verfügung steht.

In der Praxis stößt das Konnexitätsprinzip auf zahlreiche Probleme. Zwar ist es auch in vielen Landesverfassungen verankert, doch die tatsächliche Kostenerstattung bleibt häufig unvollständig. Kostenschätzungen der Länder fallen oft zu niedrig aus und orientieren sich an Durchschnittswerten, die die reale Situation vieler Kommunen nicht widerspiegeln. Steigende Fallzahlen, tarifliche Lohnsteigerungen oder höhere Sachkosten werden nicht immer dynamisch ausgeglichen.

Hinzu kommt, dass neue oder erweiterte Aufgaben häufig schrittweise eingeführt werden, während die Finanzierung zeitlich verzögert oder befristet erfolgt. Nach dem Auslaufen von Förderprogrammen bleiben die Kommunen dann auf dauerhaften Kosten sitzen. Auch nachträgliche Qualitätssteigerungen – etwa im Sozial- oder Bildungsbereich – lösen nicht immer einen neuen Konnexitätsausgleich aus, obwohl sie erhebliche Mehrbelastungen verursachen.

In der Praxis führt dies dazu, dass Kommunen trotz formaler Einhaltung des Konnexitätsprinzips strukturell unterfinanziert bleiben. Pflichtaufgaben werden priorisiert, freiwillige Leistungen eingeschränkt oder ganz gestrichen. Das Prinzip wirkt daher häufig eher konfliktvermeidend auf dem Papier als tatsächlich entlastend für die kommunalen Haushalte.

Erschwerend kommt hinzu, dass auch die Länder politische Interessen verfolgen. Gesetzesvorhaben wie die Einführung der Ganztagsbetreuung werden gern als soziale Errungenschaft verkauft. Ein Widerstand im Bundesrat gegen unzureichend finanzierte Projekte passt dabei kaum ins politische Narrativ. Zudem beklagen Kommunen regelmäßig, dass Bundesmittel für sie in den Länderhaushalten „kleben bleiben“.

Für den Notar und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht Olaf Meister kollidiert die Pflicht zur Haushaltskonsolidierung mit dem im Grundgesetz garantierten Recht auf kommunale Selbstverwaltung. Gegenüber der „Offenbach-Post“ sagte er: „Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2011 klargestellt, dass die kommunale Selbstverwaltung nicht nur organisatorisch, sondern auch materiell zu gewährleisten ist, uns zwar einschließlich der Möglichkeit, freiwillige Aufgaben wahrnehmen zu können. Mit anderen Worten: Ein rein pflichtgebundener Haushalt, bei dem also dauerhaft keine Mittel für freiwillige Leistungen bleiben, dürfte mit den Grundgesetz nicht vereinbar sein… Wir müssen die Kommunen in die Lage versetzen, dass sie ihre Leistungen erbringen können – und dazu gehören auch freiwillige Leistungen, die Identifikation schaffen. Wenn wir das weiterhin nicht schaffen, steigt die Demokratieverdrossenheit. Das muss man ernst nehmen, denn unsere demokratische Lebensform mit großen Freiheiten und sozialen Geländern ist elementar für unsere Gesellschaft.“

Was muss sich ändern?

Die gute Nachricht: Es bewegt sich etwas, es gibt erste positive Signale: So unterstützt Hessen klamme Kommunen im Jahr 2025 mit einer Soforthilfe von 300 Millionen Euro, die unbürokratisch und ohne Zweckbindung ausgezahlt wird. Hinzu kommt das Infrastruktur-Sondervermögen des Bundes. Daraus fließen insgesamt 100 Milliarden Euro an Länder und Kommunen – davon 7,4 Milliarden Euro nach Hessen über die kommenden zwölf Jahre, wovon 4,7 Milliarden Euro direkt an die Städte und Gemeinden gehen.

Darüber hinaus hat Bundeskanzler Merz – nach einer gemeinsamen Pressemitteilung der Landeshauptstädte – in Gesprächen mit den kommunalen Spitzenverbänden einen neuen „Dialogprozess“ zwischen Bund, Ländern und Kommunen zugesagt. Anfang des Monats kündigte er an, im ersten Quartal 2026 eine Sonder-Ministerkonferenz einzuberufen. Ziel sind eine Reform des Sozialstaats, weitere Schritte zur Staatsmodernisierung und darauf aufbauend eine bessere Finanzierung der Kommunen.

Die Lösungen liegen im Prinzip auf dem Tisch – sie müssen nur umgesetzt werden:

  • Ein bundesweiter Altschuldenfonds, der besonders belastete Kommunen entlastet und neue Investitionen ermöglicht;
  • eine verlässliche und dauerhafte Finanzierung durch Bund und Länder für übertragene Aufgaben;
  • weniger Bürokratie bei Förderprogrammen, damit Mittel nicht nur theoretisch bereitstehen, sondern auch praktisch abgerufen werden können – ohne jahrelange Antragsverfahren und überbordende Berichtspflichten.

Die Kommunen brauchen Luft zum Atmen

Was vielen nicht bewusst ist: Kommunen leisten den größten Teil der staatlichen Daseinsvorsorge. Sie bauen Schulen, reparieren Straßen, organisieren den Nahverkehr und halten das gesellschaftliche Leben vor Ort zusammen. Dazu gehört auch das Erscheinungsbild unserer Städte und Gemeinden: gepflegte Grünflächen, saubere Straßen und eine funktionierende Abfallentsorgung. bInsofern ist die von Bundeskanzler Merz kürzlich angestoßene „Stadtbilddebatte“ nur eine Seite der Medaille. Hier muss man sich ehrlich machen: Die eigentlichen Probleme liegen tiefer. Wenn Kommunen finanziell nicht mehr handlungsfähig sind, gerät weit mehr ins Wanken als nur ein Haushalt Deshalb darf die Finanznot der Kommunen kein Randthema bleiben. Sie betrifft uns alle. Sie ist eine Schlüsselfrage für Demokratie, Zusammenhalt und staatliche Handlungsfähigkeit. Und wenn das Fundament bröckelt, wackelt irgendwann das ganze Haus.


Text zum Foto: Die bedrohte Handlungsfähigkeit der Kommunen hat zu Forderungen nach Finanzspritzen durch den Bund geführt.

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