Vom Bedeutungsverlust des Geschlechts

Weil in Deutschland vor dem Gesetz alle Menschen gleichgestellt sind, gebe es für den Staat keinen Grund mehr, deren Geschlecht zu kennen und festzulegen. So argumentiert die Transgender-Lobby und erweckt dem woken Zeitgeist folgend in einer aufgeheizten Debatte den Eindruck, als wären Transphobie oder ein binäres Geschlechtermodell die primären Herausforderungen unserer Gesellschaft. Obwohl die Weichen für ein Selbstbestimmungsgesetz zur Ablösung des mehr als 40 Jahre alten Transsexuellengesetzes in groben Zügen gestellt sind, kämpft die Szene fast schon mit religiösem Eifer gegen alle, die die Trans-Ideologie kritisch begleiten, weil sie als Nichtbetroffene unter anderem befürchten, via Selbstbestimmungsgesetz auf dem Feld des Geschlechtlichen und der Sexualität fremdbestimmt zu werden. Eltern zum Beispiel. Sie sollen nach dem Willen der Grünen bei Verweigerung von „Geschlechtsoffenheit“ in der Erziehung sanktioniert werden. Nach den Vorgaben gefährden Eltern das Kindeswohl, wenn sie dem Nachwuchs selbst im Kindergartenalter nicht die Möglichkeit einräumen, sich täglich das passende Geschlecht auszusuchen. Da wird die medizinische Versorgung eines seelischen Problems Einzelner für die Allgemeinheit politisch reguliert, setzt eine Minderheit von nicht einmal einem Prozent der Bevölkerung der Mehrheit bei Strafandrohung Grenzen.   

  

Das Transgender-Symbol: Eine Kombination aus Venus- und Marssymbol mit einem zusätzlichem Zeichen für transgender Personen. fotoART by Thommy Weiss  / pixelio.de  

Selbst die Kritiker des Transgender-Hypes erkennen die Notwendigkeit der Ablösung des als teilweise verfassungswidrig festgestellten Transsexuellengesetzes an. Es verletzt höchstrichterlich testiert die Würde des Menschen. Sven Lehmann (Grüne), Queerbeauftragter der Bundesregierung, fasst die Begründung in einem Satz zusammen: „Das Gesetz pathologisiert, die in ihrem Geschlecht, in ihrem Sein einfach anerkannt werden wollen.“

So mussten transgeschlechtliche Menschen noch bis 2008 die Scheidung einreichen und waren bis 2011 gezwungen, sich sterilisieren und geschlechtsangleichende Operationen vornehmen zu lassen, damit ihr falscher Geschlechtseintrag korrigiert werden konnte. Für keine andere Gruppe in der Gesellschaft gilt ein derart diskriminierendes Sondergesetz. Dabei hat die Weltgesundheitsorganisation schon vor einigen Jahren deutlich gemacht: Transgeschlechtlichkeit ist keine Krankheit, sondern eine natürliche Variante der geschlechtlichen Entwicklung. Krank ist vielmehr ein Gesetz, das Menschen für krank erklärt, die nur in Freiheit und Würde leben wollen.

Schon seit vielen Jahren kämpfen die Betroffenen und die queere Community für die Abschaffung des Transsexuellengesetzes (TSG) zugunsten eines modernen Selbstbestimmungsgesetzes – und mit dem Regierungswechsel hin zur Ampelkoalition ist deren Ziel zum Greifen nah. Die Bundesregierung arbeitet derzeit mit Hochdruck daran. Es ist die überfällige Beendigung einer in Gesetz gegossenen Menschenrechtsverletzung zugunsten von Selbstbestimmung und Anerkennung der real existierenden geschlechtlichen Vielfalt.

Gutachten sind umstritten

Der Leidensdruck bei trans Menschen ist hoch. Sie werden bisher gezwungen, zwei psychiatrische Gutachten vorzulegen, um ihren Personenstand im Pass ändern zu dürfen. Diese Verfahren sind langwierig, teuer und vor allem entwürdigend. In den Fragebögen für die Begutachtung tauchen unter anderem solche Fragen auf: Wie oft masturbieren Sie durchschnittlich innerhalb eines Monats? Und: Falls Sie das Erscheinungsbild eines Mannes haben, tragen Sie dann weibliche Unterwäsche, um sich zu stimulieren? Abgefragt werden auch gelebte Sexualität und sexuelle Fantasien. Und ob Hobbys und Alltagsgestaltung mit – übrigens längst überholten – Geschlechterstereotypen übereinstimmen.

Die meisten trans-Menschen sehen sich dieser Begutachtung schutzlos ausgeliefert, da die Gutachten oft ausschlaggebend sind für die Entscheidung über die beantragte Personenstandsänderung. Aber geschlechtliche Identität kann gar nicht von außen begutachtet werden. Darüber kann nur eine Person Auskunft geben, und das ist jeder Mensch selber. Welchem Geschlecht sich jemand zugehörig fühlt, das ist keine Entscheidung von Richter*innen, Mediziner*innen und Psycholog*innen

Die Bundesregierung arbeitet nun einem einfachen Verfahren zur Änderung von Name und Personenstand ohne pathologisierende Zwangsgutachten.

Menschen sollen künftig deutlich einfacher als bisher ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen ändern können. Dazu soll eine Selbsterklärung beim Standesamt ausreichen, dass die eigene Geschlechtsidentität nicht mit dem Geschlechtseintrag übereinstimmt – also wenn Menschen im Personenstandsregister zum Beispiel bisher als männlich registriert werden, sich selbst aber als weiblich identifizieren.

Einige der Argumente der Kritiker:innen: Die Kategorie Frau würde gelöscht, wenn jede:r sein Geschlecht frei wählen können. Frauenförderung sei etwa unmöglich, weil sich Männer als Frauen „ausgeben“ könnten, um auf Quotenplätzen Karriere zu machen. Männer könnten auch umso leichter in Frauenschutzräume eindringen, um dort Sexualstraftaten zu begehen. Gerade Jugendliche könnten quasi ins Transsein gedrängt werden.

Die nötige Ernsthaftigkeit soll nach ihren Plänen durch eine Einjahresregel erwirkt werden: Wer den Personenstand ändert, ist für weitere Änderungen für ein Jahr gesperrt. Die Sperrfrist wiederum sehen trans Aktivist:innen kritisch. Diese sei „völlig sinnfrei“, sagt Julia Monro. Sie verweist auf Gutachten, die bestätigen würden, dass trans Personen zu 99 Prozent richtig liegen mit ihrer Entscheidung. „Eine Eheschließung birgt mehr Risiken einer Fehlentscheidung.“

Medizinische Fragen regelt der Gesetzentwurf nicht, sagt Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Es bleibe vielmehr auch für die Bundesregierung dabei: „Solche Behandlungen sollen in Deutschland nicht an Minderjährigen vorgenommen werden. Er persönlich habe „durchgesetzt, dass bei Minderjährigen die Eltern eine starke Rolle im Verfahren haben. Wenn die Eltern der festen Überzeugung sind, dass es sich um einen vorübergehenden Wunsch handelt, können sie die Veränderung des Geschlechtseintrags ja auch verweigern. Notfalls muss das Familiengericht entscheiden“, so der Bundesjustizminister. 

Wann Hormontherapien oder Operationen eingesetzt werden – dafür seien medizinische Regelungen und Leitlinien „einschlägig“, heißt es in den Eckpunkten des Gesetzes. Die Leitlinien sehen für eine operative Geschlechtsanpassung bei trans Jugendlichen ein Mindestalter vor – in der Regel 18 Jahre. Für die vorangehende Hormonbehandlung ist das 14. Leb Behandelnde Ärztinnen und Ärzte weisen darauf hin, dass sie trans Menschen oft jahrelang begleiten, bevor sie über solche Therapien nachdenken. In der Begutachtungsanleitung der gesetzlichen Krankenkassen ist ein Mindestabstand von einem halben Jahr zwischen Erstuntersuchung und Beginn der Hormonbehandlung festgeschrieben – für Erwachsene; bei Minderjährigen ist die Frist oft deutlich länger.

Die Sache mit der Frauensauna

Das Selbstbestimmungsgesetz, das den Wechsel des Geschlechtseintrags erleichtert, soll bis zum Sommer kommen. Noch sind sich die zuständigen Ministerien (Familie, Justiz) nicht über alle Details einig. Über die strittigen Fragen wurde Stillschweigen vereinbart. Zumindest aus dem Hause von Justizminister Marco Buschmann (FDP) liegt dank eines Interviews mit „Zeit online“ ein Knackpunkt vor. Nach des Ministers Vorstellungen kann eine Frau, die „zu männlich“ aussieht –  egal ob cis (ein Mensch, der sich mit dem von außen zuggeschriebenen Geschlecht identifiziert) oder trans – von der Betreiberin aus der Frauensauna geschmissen werden, unabhängig von der Frage, ob die Person wirklich ein Mann ist. Laut Buschmann verzögert sich die Umsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes auch deshalb, weil er diesen Aspekt „sauber regeln“ will: „Die Betreiberin einer Frauensauna soll auch künftig sagen können: Ich will hier dem Schutz der Intimsphäre meiner Kundinnen Rechnung tragen und knüpfe daher an die äußere Erscheinung eines Menschen an. Die Betreiber dürfen dann beispielsweise nicht dem Risiko einer Klage nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ausgesetzt sein.“ Buschmann greift hier also genau die zuvor beschriebene Furcht vieler Kritiker auf, zu sehr fremdbestimmt zu werden.  

Der Justizminister scheint im Kabinett freilich zumindest eine hartnäckige Gegenspielerin zu haben. Familienministerin Lisa Paus wird der Satz zugeschrieben: „Transfrauen sind Frauen!“ Wenn das so stehenbleibt, wird Buschmanns Frauensauna-Betreiberin eine Transperson trotz erspähten männlichen Sexualorgans nicht maßregeln, also nicht hinauswerfen können. Kritik an Buschmanns Äußerung kam auch vom  Queerbeauftragten Sven Lehmann: „Die Bundesregierung wird sich daran messen lassen müssen, dass ein Selbstbestimmungsgesetz Diskriminierung abbaut und nicht neue aufbaut. Das ist doch wohl hoffentlich klar. Darauf werde ich als Queer-Beauftragter achten.“

Ums Geschlecht wie sich noch so manche(r) verkämpfen. Deshalb erscheint es unwahrscheinlich, dass das Selbstbestimmungsgesetz bis zur Sommerpause des Parlaments kommt. Doch Sorgfalt ist wichtiger denn Schnelligkeit bei einem Thema, das auf den vielen heiklen Feldern um Geschlechtlichkeit und Intimität eine Klage auf Gleichbehandlung einräumt.

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