– Bezieher leiden unter niedrigen Regelsätzen und Stigma; die Befragung einer Sozialinitiative ergibt ein gemischtes Bild –
Schon in seinem Namen lässt der Verein „Sanktionsfrei e.V.“ erkennen, wo er sich in der sozialpolitischen Debatte positioniert. Er begleitet die Praxis der Grundsicherung in der Republik überaus kritisch, ob als „Hartz 4“ oder als „Bürgergeld“. Das Prinzip von „Fördern und Fordern“ befürwortet er nicht, auf jeden Fall nicht, wenn damit Leistungskürzungen bei Pflichtverletzungen verbunden sind.
Der Verein hat im Sommer die Ergebnisse einer Befragung von Leistungsberechtigten auf wissenschaftlicher Grundlage vorgelegt, die dennoch recht interessant sind. Erwartungsgemäß werden kritische Aspekte in den Vordergrund gestellt. Aber in großen Teilen decken sich die Ergebnisse der Sanktionsfrei-Befragung mit den Befunden anderer Studie zum Thema. Die vollständige Studie kann hier heruntergeladen werden.
Die Ergebnisse in aller Kürze:
- Der Regelsatz von monatlich 563 Euro reicht laut großer Mehrheit der Befragten (72 %) nicht aus, um ein würdevolles Leben zu führen. Selbst Grundbedürfnisse scheinen nicht ausreichend erfüllt zu werden.
- Der Alltag mit dem Regelsatz ist geprägt von Verzicht, psychischer Belastung und finanzieller Unsicherheit. Viele der Befragten berichten von einem Leben am Limit: Sonderausgaben wie eine Stromnachzahlung oder eine kaputte Waschmaschine stellen substantielle Einschnitte dar. 28 % müssen sich verschulden, um den Alltag bewältigen zu können und 77 % empfinden ihre finanzielle Lage als psychisch belastend.
- Der Wunsch vom Bürgergeld unabhängig zu werden ist stark ausgeprägt (74 %).
- Jedoch sind nur wenige zuversichtlich, dass sie auch eine Stelle finden werden, mit der sie den Bürgergeldbezug beenden können (26 %). Die Mehrheit der Befragten gibt an, dass körperliche Einschränkungen (59 %) oder psychische Erkrankungen (57 %) für sie eine Hürde bei der Arbeitssuche darstellen.
- Die persönlichen Erfahrungen mit den Jobcentern sind unterschiedlich:
Während 32 % sich gerecht behandelt fühlen, sagen 29 % der Befragten das Gegenteil. Nur 16 % geben an, vom Jobcenter individuell gefördert zu werden; rund 28 % sagen, sie werden dabei unterstützt, eine Arbeit zu finden. - Gesellschaftliches Stigma und Scham sind unter den Befragten sehr präsent. Nur 12 % fühlen sich zur Gesellschaft zugehörig und 42 % geben an, dass sie sich schämen, Bürgergeld zu beziehen.
- Die Mehrheit der Befragten (72 %) hat Angst vor weiteren Verschärfungen im Bürgergeld. Insbesondere die mögliche Wiedereinführung eines vollständigen Leistungsentzugs wird von den Befragten als akut existenzgefährdend beschrieben.
Der Artikel ist eine Ergänzung zu Vernunft unter neuem Label – Vom Bürgergeld zur Neuen Grundsicherung; Rolle rückwärts oder ein Schritt nach vorne?