Nach dem Wahldebakel braucht die Partei einen personellen und programmatischen Neuanfang
Von Norbert Schmitt
Das historisch schlechteste Wahlergebnis der SPD bei einer Bundestagswahl muss Konsequenzen haben. Die SPD auf Bundesebene bedarf an ihrer Spitze neuen Personals und einer stärkeren programmatischen Zuspitzung. Neben einem echten Generationswechsel ist die stärkere Einbindung der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten sowie erfolgreicher Kommunalpolitiker notwendig, gerade diese sind für einen echten Erneuerungsprozess unverzichtbar.
Noch vor dreieinhalb Jahren war Olaf Scholz der entscheidende Siegbringer für die SPD. Obwohl die Ampelkoalition unter seiner Führung durchaus überzeugende Antworten auf die durch den Angriffskrieg von Putin verursachte Energiekrise lieferte und er durch seine besonnene Haltung in der Ukrainefrage Schaden von Deutschland abwenden konnte, wurde er der Erwartung der Bevölkerung an einem Kanzler nicht gerecht. Zu lange hat er dem Treiben der FDP nur zugesehen. Schon das Gezerre um die Haushaltsaufstellung für 2024 (im Dezember 2023) hätte zum Rauswurf der FDP führen müssen und hätte seine Führungsstärke unter Beweis gestellt. Vergossene Milch, aber auch eine verpasste Chance.
Als Scholz dann endlich im November 2024 die Konsequenzen zog und FDP-Finanzminister Lindner vor die Tür setze, war es ausgerechnet der Parteivorsitzende Lars Klingbeil, der durch sein Offenhalten des Kanzlerkandidaten das Momentum für Olaf Scholz sofort wieder zerstörte. Statt in Vorderhand zu kommen, wurde Olaf Scholz damit über mehrere Tage in Frage gestellt. Ein zentraler Fehler der Parteiführung.
Damit kommen wir zu einem weiteren zentralen Problem der SPD: ihre Haltung zu den Waffenlieferungen für die Ukraine hat die Wählerschaft der SPD gespalten. Daraus gab es angesichts der Lage kaum ein Entrinnen. Allerdings haben Lars Klingbeil und andere mit ihrer Kritik an der Ost- und Russland-Politik der SPD (einschließlich der Gaslieferungen aus Russland) diese Spaltung weiter entscheidend vertieft. Und wie sollte es zudem gelingen, Olaf Scholz und die SPD als die Friedenspartei zu positionieren, während der SPD-Verteidigungsminister davon spricht, dass Deutschland „kriegstüchtig“ werden müsse?
Wenn Lars Klingbeil meint, dass das Wahlergebnis einen Generationswechsel erfordert, hat er recht. Allerdings wird gerade er nicht den notwendigen Generationswechsel und den programmatischen Neuanfang verkörpern. Wer wie er ein Alleinstellungsmerkmal der SPD – nämlich für Entspannungspolitik zu stehen – zerstört, kann für die Sozialdemokratie sicherlich keine Führungsverantwortung mehr tragen. Es ist schon jetzt absehbar, dass er als Fraktionsvorsitzender eine Fehlbesetzung ist; wer schon in Wahlkampfzeiten die notwendige Zuspitzung vermissen lässt, kann nicht der Richtige sein, eine entschlossene und kämpferische SPD zu verkörpern.
Völlig inakzeptabel ist es, dass ein unzuständiges Parteigremium – nämlich das Präsidium – der SPD Bundestagsfraktion einen Vorsitzenden vorschlägt und damit Fakten schaffen will. Ein solches Vorgehen in der Wahlnacht nach einer bitteren und historischen Niederlage zu verkündigen, lässt nur die Schlussfolgerung zu, dass schon wieder auf Bundesebene die Interessen Einzelner im Vordergrund stehen und für den Fall einer Niederlage bereits weitgehende Absprachen getroffen wurden. So jedenfalls kann ein Neuanfang nicht gestaltet werden.
So sehr Deutschland eine stabile Regierung braucht, so wenig kann aber jetzt der Eintritt in eine Koalition mit der CDU unter Führung von Merz akzeptiert werden, wenn nicht eine Reform der Schuldenbremse mit Sicherstellung von Investitionen in die Infrastruktur und Wohnungsbau (z.B. durch den Deutschlandfonds), die Wiedereinführung der Vermögensteuer, die Reform der Erbschaftsteuer, die Absicherung des Rentenniveaus und eine Festlegung des Mindestlohns auf 15 Euro sowie die soziale Abfederung der notwendigen Maßnahmen für den Klimaschutz garantiert ist. Angesichts der Teuerung bei Lebensmittel und Energie der vergangenen Jahre, die insbesondere die Niedrigeinkommen stark belastet haben, muss die Forderung der SPD nach Absenkung des Mehrwertsteuersatzes für Lebensmittel ebenso Bestandteil eines Koalitionsvertrags sein wie eine wirksame Mietpreisbremse.
Zudem muss sichergestellt werden, dass endlich durch eine Altschuldenentlastung der Kommunen diesen neue Perspektive gegeben wird und insgesamt die finanzielle Basis der Kommunen gestärkt wird.
Wer unter einer „programmatische Neuausrichtung der SPD“ allerdings eine Aufweichung unserer Grundwerte versteht, wird den Niedergang der Sozialdemokratie verstärken. Im Gegenteil wird es darum gehen unsere Positionen zuzuspitzen. Das gilt für die Frage der Umverteilung und damit einer Steuerpolitik, die Reiche endlich wirksam zur Finanzierung unseres Staates heranzieht. So hat zum Beispiel das Ergebnis der Linkspartei gezeigt, dass klare Positionen für eine stärkere Umverteilung in der Gesellschaft auf Zustimmung stoßen können.
Zudem ist offensichtlich, dass die notwendigen Maßnahmen für den Klimaschutz insbesondere im Gebäudebereich vielfach Wohnungseigentümer überfordern. Dem kann zum Beispiel nur durch ein hochvolumiges Kreditprogramm für Eigentümer und die Tilgung durch die damit verbundenen Energieeinsparungen dem Rechnung getragen werden.

Der Jurist Norbert Schmitt, geboren am 11. Juli 1955, war
1987 bis 1989 Juso-Landesvorsitzender in Hessen,
von 1991 bis 1997 Geschäftsführer des SPD-Landesverband Hessen,
Von 1995 bis 2018 Landtagsabgeordneter in Hessen, Schwerpunkt Haushalts- und Finanzpolitik sowie Energiepolitik,
von 2003 bis 2009 Generalsekretär der Hessischen SPD.
Schmitt ist Mitglied der SPD-Kontrollkommission und hat seit vielen Jahren ein kommunales Mandat im Kreis Bergstraße.
überparteilich? im Ernst?